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Wie Journalisten ticken

Eigentlich ist Trump II für viele wie ein Seitensprung.

Denn die psychologischen Mechanismen sind die gleichen. Die erste Phase ist ein dumpfes Misstrauen: da könnte doch etwas sein. Aber gleichzeitig das Verdrängen: da ist doch sicher nichts.

Genauso begann das Verhalten vieler, als Donald Trump ankündigte, er werde noch ein weiteres Mal als Präsidentschaftskandidat antreten. Bevor er das klar ausgesprochen hatte, gab es ganze Wellen von Artikeln, die das als ausgeschlossen, unmöglich, undenkbar verurteilten. Und während des Beginns der internen Ausmarchung unter den Republikanern klammerten sich viele an jeden Strohhalm, an jeden anderen, noch so aussichtslosen Kandidaten. Immer in der verzweifelten Hoffnung: noch hat Trump nicht gewonnen, noch ist alles möglich.

Die zweite Phase ist die Verdrängung. Nein, das ist sicherlich nicht so. Das kann ja nicht wahr sein. Es gibt genügend Indizien und Anzeichen, die doch ausreichend beweisen, dass nichts Schlimmes passiert ist, passieren wird. Hat sie nicht gelächelt beim Händedruck, hat Trump nicht deutliche Schwächezeichen gezeigt? Nein, es ist nicht, wie es ist, es ist, wie es sein soll:

Er war nicht der Einzige …

Die dritte Phase ist die Fassungslosigkeit. Wenn Verdrängen und Wegsehen nichts mehr nützt, dann kommt: wie konnte er nur. Wie ist es nur möglich, dass er/sie mich hinterging. Wie ist es nur möglich, dass Trump tatsächlich das Rennen bei den Republikanern gemacht hat.

Begleitet ist diese Phase der Erkenntnis von Schmerzen, Qualen und Wut. Es wird in der Vergangenheit gestochert, nach Vorfällen gesucht, die das Unfassbare hätten vorausahnen lassen. Bei Trump äusserte sich das so, dass unermüdlich seine versammelten Flops, seine Lügen, all das, wo er versagte, nochmal und nochmal durch die Sprachmühle gejagt wurde.

Besonders putzig ist das in den Medien. Denn während im Privaten in solchen Fällen auch zu schlimmen Ausdrücken gegriffen wird («du Schlampe, du notgeiler Bock») ist das natürlich im öffentlichen Diskurs nicht erlaubt. Sicher, «Faschist» als Ersatz für «Arschloch» tröstet etwas und ist Balsam auf die verwundete Schreiberseele. Aber eigentlich bewirkt das Sublimieren Sodbrennen und Herzrasen. Wahrscheinlich, wie früher bei Bankern, stieg die Nachfrage nach Psychopharmaka in der Nähe von Pressehäusern signifikant.

Die nächste Phase, aber davon sind wir noch weit entfernt, ist die Verarbeitung. Die Bewältigung. Das äussert sich entweder in einer gemeinsamen Beziehungstherapie, in der Trennung oder in der Versöhnung. Diese Möglichkeiten stehen der versammelten Journaille bei Trump allesamt nicht zur Verfügung.

Obwohl therapeutische Massnahmen, wenn man beispielsweise an Christof Münger, Daniel Binswanger oder den ganzen «Spiegel» denkt, durchaus sinnvoll, wenn aber wohl nutzlos wären. Trennung kann es nun nicht geben, Trump zu ignorieren, ist nicht möglich.

Bliebe noch die Versöhnung. Erste zarte Pflänzchen in diese Richtung wachsen bereits. Ist vielleicht doch nicht alles so schlimm, das mit Grönland kann man auch strategisch sehen, der Panamakanal gehörte doch lange Zeit den USA, haben ihn schliesslich gebaut. Und, nun, die USA scheinen tatsächlich ein Problem mit illegalen Immigranten zu haben. Ach, und vielleicht wurde an den Unis mit Wokeness, korrekter Gendersprache und überempfindlichen Schneeflocken, die save rooms brauchen, weil sie sich so schnell so unwohl fühlen, ein wenig übertrieben.

Aber echte Zuneigung wird’s wohl nie werden. War’s ja auch nicht, hier hinkt natürlich der Vergleich. Aber er hat so viele schöne Facetten.

Auch diese hier: begleitet wird der Prozess von ständiger Verdrängung eines Aspekts. Könnte ich Fehler gemacht haben in dieser Beziehung? Könnte ich versucht haben, dem Publikum zu verbohrt, zu rechthaberisch, zu abgehoben zugeredet zu haben? Könnte es sein, dass nicht Trump ein Amok ist und spinnt, sondern dass ich Probleme mit der Wirklichkeit habe, unter Realitätsverlust leide?

Da sagen der (oder die) Betrogene und der einordnende Schreiber im Chor: niemals. War das «Spiegel»-Cover mit Trump als Supernova und der Zeile «Das Ende der Welt» oder das Cover, wo er in der einen Hand ein Messer und in der anderen den blutigen, abgetrennten Kopf der Freiheitsstatue in der Hand hält, nicht vielleicht etwas übertrieben? So von  heute gesehen?

Hat der (oder die) Betrogene vielleicht den Partner durch sein Verhalten in die Arme eines anderen getrieben? Haben Journalisten durch ihre ständigen und gesteigerten Beschimpfungen Trumps, durch düstere Gemälde von drohendem Weltuntergang nicht Unentschlossene eher muff gemacht, abgestossen, zur Entscheidung getrieben: also wenn ihr mir einen senilen Biden und den Notnagel Harris anpreisen und verkaufen wollt, dann kann ich euch doch nicht ernst nehmen.

Natürlich wird es Wendehälse geben. Darin sind Journalisten Weltmeister. Wenn ein Daniel Ryser für Köppel schreiben kann, dann geht doch eigentlich alles. Schliesslich geht Kunst nach Brot, und Elon Musk ist ein sehr reicher Mann.

Und ein Letztes, das sich der Betrogene oder die versammelte Journaille, auch alle Politiker, die gegen Trump sind, niemals eingestehen wollen: ihre peinliche Lächerlichkeit. Ein Beispiel? Bitte, schön aufbereitet von der NZZ, die manchmal kleine Lichter im Tunnel aufblitzen lässt:

Wie reagiert eigentlich die EU auf Trumps wiederholte Ankündigung, sich Grönland einverleiben zu wollen? So:

«Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Rats-Chef António Costa brauchten gar zwei volle Tage, um auf Trumps unverhohlene Drohung zu reagieren. Von Kritik keine Spur: «Wir freuen uns auf eine positive Zusammenarbeit mit der neuen amerikanischen Regierung, die auf unseren gemeinsamen Werten und Interessen beruht. In einer rauen Welt sind Europa und die USA gemeinsam stärker», schrieben sie.Als hätte es noch eines Beweises für Europas derzeitigen Eiertanz bedurft, schalteten sie die gemeinsam verfasste Nachricht ausgerechnet auf X auf, Musks Plattform.»

Immerhin, für Spass und Unterhaltung ist gesorgt, auch mit erbärmlicher Unterwürfigkeit.

Grün vor Neid und Häme

Wenn der Tagi über eine Veranstaltung berichtet, verlässt er den Bereich des seriösen Journalismus.

Simon Widmer «beschäftigt sich schwerpunktmässig mit Lateinamerika». Vom sicheren Schwerpunkt an der Zürcher Werdstrasse aus. Das lastet ihn aber nicht vollständig aus: «Sein besonderes Interesse gilt dem Aufstieg von populistischen Politikern.» Offenbar weltweit.

Für die Pflege dieses Schwerpunkts hatte er reichlich Gelegenheit, denn im Zürcher Hotel Dolder fand ein Anlass mit dem «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel und dem serbischen Präsidenten Aleksander Vucic statt. Dahin konnte Widmer per ÖV reisen, den Eintritt von 120 Franken ersparte er sich – oder nahm ihn auf Spesen, wenn’s das beim Tagi noch gibt.

Bei der Beschreibung beweist er ein Auge für wichtige Details: es sei ein «vermögendes Publikum» anwesend, «Männer in gut sitzenden Anzügen, Frauen mit Taschen von Louis Vuitton und Gucci». Bevor Widmer zur Beschreibung des Inhalts kommt, macht er zuerst Appell der Anwesenden: «der umstrittene Historiker Daniele Ganser ist da», auch Alt-Bundesrat Blocher, dazu «der Unternehmer und SVP-Politiker Peter Spuhler sowie Milorad Dodik, der Führer der bosnischen Serben, der unter US-Sanktionen steht». Also eigentlich die Haute-Volée und dazu Pfuibäh-Gäste. Das konnte ja nichts werden, bei so einem Publikum.

Das disqualifiziert sich für Widmer schon von Anfang an durch eine höfliche Geste: «Einen solchen Auftritt bekommt Aleksandar Vucic wohl nicht einmal vor Parteifreunden in Belgrad. Als der serbische Präsident mit Veranstalter Roger Köppel einen Saal des Zürcher Hotels Dolder Grand betritt, erheben sich fast alle der rund 500 Zuschauerinnen und Zuschauer und applaudieren.» Für jemanden, der noch nie bei einer Parteiveranstaltung in Belgrad war, eine kühn-absurde Vermutung, die ihm jede seriöse Redaktion sofort aus dem Manuskript gestrichen hätte. Der Tagi publiziert den Stuss.

Dann kann sich Widmer endlich auf den Inhalt konzentrieren. Beziehungsweise, er muss dumme Aussagen von Vucic sogleich korrigieren:

«Dem Westen wirft er mehrmals Heuchelei vor, gerade in der Ukraine-Frage. Regierungschefs würden auf die territoriale Integrität der Ukraine pochen, hätten diese aber in Serbien 1999 ignoriert.»

So nicht, Vucic, schulmeistert Widmer sogleich: «Allerdings sind die Differenzen zwischen dem Krieg gegen die Ukraine und der Nato-Intervention gegen Serbien offensichtlich. Damals griff die Nato ein, um einen drohenden Völkermord zu verhindern.» Tja, Geschichtskentnisse eines Lateinamerika-Spezialisten. Der sich die historische Wahrheit zurechtbiegt – oder schlichtweg nicht kennt. Denn in Wirklichkeit hatte die EU Serbien damals territoriale Integrität zugesagt, dann aber – leider angeführt von der Schweizer Aussenministerin Calmy-Rey – hatten einige, nicht alle EU-Mitglieder die Unabhängigkeit des Mafiastaats Kosovo anerkannt. Ein klarer Bruch der Zusage, so wie Putin die territoriale Integrität der Ukraine zugesagt hatte. Also ein völlig erlaubter Vergleich.

Immerhin muss Widmer einräumen, dass Vucic etwas hat, was Widmer völlig abgeht: «Seine Ausführungen unterbricht Vucic immer wieder mit selbstironischem Humor. «Die Serben wissen immer alles besser, auch wenn wir nichts wissen», sagt er einmal. Ein anderes Mal bezeichnet er sich als «überhaupt nicht charmant – im Gegensatz zu Roger»

Eigentlich ginge es darum, auf über 9000 A Bericht zu erstatten, was an diesem Abend stattfand. Das war eine Rede von Vucic, auf die aber Widmer keinen einzigen Satz verschwendet. Und eine Diskussion zwischen Köppel und Vucic, von der Widmer nur Bruchstücke wiedergibt, die sich für Häme eignen. So war auch der ursprüngliche Titel «Köppel und sein Stargast aus Belgrad» nicht angriffig genug, Er wurde ersetzt durch «Roger Köppel feiert Aleksander Vucic als Friedensbringer».

Dann setzt Widmer zu einer Reise in die Vergangenheit an: «Nicht zur Sprache kommt hingegen Vucics Vergangenheit in den 90er-Jahren. Diese hätte das von Köppel gezeichnete Bild des serbischen Präsidenten auch mächtig angekratzt.»

Sicherlich gibt es da Aussagen und Tätigkeiten von Vucic, die man kritisieren kann. Aber wieso Widmer weit mehr als die Hälfte seines Berichts darauf verschwendet, plus auf weitere Begegnungen Köppels, ist unerfindlich. Der serbische Präsident benützte seinen Aufenthalt in der Schweiz, um sich auch noch mit Bundespräsidentin Amherd und Bundesrat Jans zu treffen. Das kommentiert Widmer so: «Es handelt sich um einen informellen Höflichkeitsbesuch, keinen offiziellen Staatsempfang. Damit zeigt sich, dass Vucic wegen Roger Köppel in die Schweiz kommt, die Schweizer Regierung ist für ihn zweitrangig.» Hat Vucic mit Köppel einen «offiziellen Staatsempfang» zelebriert? Wie absurd kann Häme werden?

In jeder anständigen Redaktion würde spätestens der Ressortchef sagen: Thema verfehlt, was soll das? Papierkorb, nochmal neu, aber diesmal richtig, journalistisch und dem Thema entsprechend.

Im völlig haltlos gewordenen Tagi darf offensichtlich jeder hergelaufene Redaktor sein Mütchen kühlen, grün vor Neid über Köppels Reisebewegungen und Gesprächspartner demagogische Polemik ausgiessen.

Offensichtlich ist Oberchefredaktorin Raphaela Birrer nicht in der Lage, minimale Qualitätsstandards durchzusetzen, höchstens noch ein Schreibverbot. Offensichtlich ist die publizistische Leiter nach unten Simon Bärtschi dazu auch nicht in der Lage. Offensichtlich ist es der Führungsriege von Tamedia, mit Absicht oder aus Unfähigkeit, völlig egal, dass mit einer solchen Berichterstattung die Reise in die Bedeutungslosigkeit des Kopfsalatmischmaschs weiter an Fahrt aufnimmt.

Es ist durchaus erlaubt, an Köppel und seinen publizistischen Positionen Kritik zu üben. Das gilt selbstverständlich auch für den serbischen Präsidenten. Aber über «Köppel und sein Stargast aus Belgrad» – nach Aufzählung des Publikums – reine Häme zu giessen, das ist nicht nur unredlich. Es ist dumm und selbstmörderisch.

Dazu passt auch, dass man sogar einen Fotografen an die Veranstaltung schickt und dann ein Bild auswählt, auf dem beide Protagonisten so unvorteilhaft wie möglich aussehen. Aus Copyrightgründen können wir das hier nicht abbilden, aber es ist widerlich demagogisch. So wie der Text dazu.

Dass das in der Gesinnungsblase einiger Tamedia-Leser auf Anklang stösst, ist völlig klar. Es ist allerdings die Frage, wann die «Republik» mit ihrer Abonnentenzahl auf Augenhöhe mit dem Tagi liegen wird. Dauert wohl nicht mehr allzu lange. Vorausgesetzt, der Tagi und sein Kopfblattsalat wird nicht vorher eingestampft.

Rechthaber-Tagi

Die Welt muss belehrt und verurteilt werden.

Wenn’s nicht mit eigenen Kräften gelingt, dann mit Hilfe eines Nachrichten-Tickers wie DPA. Da hat doch Gottseibeiuns Donald Trump einen weiteren Minister ernannt. Ein «TV-Moderator» seines Lieblingssenders Fox soll Verkehrsminister werden. Sean Duffy «ist ein ehemaliger Reality-TV-Star und einer von Trumps sichtbarsten Unterstützern in den Kabelnachrichten». Gut, er war auch mal fast neun Jahre lang Mitglied des Repräsentantenhauses, trat dann kürzer, weil er wegen der Herzerkrankung seines jüngsten Kindes mehr Zeit für seine Familie haben wollte. Das wird zwar nebenbei erwähnt, aber mehr als Feigenblatt.

Denn eigentlich ist das natürlich eine typische Trump-Idiotie. Unqualifiziert, was soll das. So lässt sich leicht wüten aus dem fernen Europa, weil man weiss, dass weder Trump noch sein designierter Verkehrsminister Tamedia zur Kenntnis nehmen.

Wie wär’s aber, wenn der Tagi in die Nähe schweifen würde? Welche Qualifikation hat zum Beispiel der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck für sein Amt? Den darf man zwar nicht ungestraft als «Schwachkopf» bezeichnen (was ZACKBUM ausdrücklich nicht tut), aber seine wirtschaftlichen Kenntnisse liegen bei null. Vorkenntnisse: null. Fragte man ihn, wo in einer Bilanz das Eigenkapital verbucht wird, würde er mit einer Strafanzeige drohen.

Oder gehen wir noch näher. Die Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd hat Jus studiert, war mal Stadtpräsidentin von Brig-Gils und dann Nationalrätin. Militärische Kenntnisse: null. Vorbildung, Erfahrung: null. Der Ex-Gesundheitsminister Alain Berset, ein lebenslänglicher Parteifunktionär, der von Gesundheit nichts, von Fliegerei auch nicht viel, aber von Frauen sehr viel versteht.

Noch näher? Bitte. Jacqueline Fehr steht der Direktion der Justiz und des Innern im Zürcher Regierungsrat vor. Sie ist ausgebildete Sekundarlehrerin und hat ein Weilchen Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und Politikwissenschaft studiert, ohne Abschluss. Juristische Kenntnisse: null. Vorbildung, Ausbildung auf diesem Gebiet: null.

Noch näher? Bitte: Daniel Leupi. Der Zürcher Stadtrat hat Wirtschaftswissenschaft studiert. Im Zürcher Stadtrat war er schon Leiter des Polizeidepartements (Vorkenntnisse: null) und des Finanzdepartements (Vorkenntnisse: nahe null). Oder Corine Mauch. Sie gab 2012 ihre US-Staatsbügerschaft ab, studierte Agrarökonomie und Sinologie. Sie war Abfall- und Umweltbeauftragte der Stadt Uster, Gemeinderätin von Zürich, SP-Fraktionspräsidentin. 2009 wurde sie ganz knapp zur Stadtpräsidentin von Zürich gewählt. Vorkenntnisse für dieses Amt: null. Praktische Erfahrungen in der Wirtschaft: null. Verständnis für die Interessen von Gewerbetreibenden: null.

Aber da zu motzen, das fällt dem Tagi nicht ein. Dafür muss er der ganzen Welt ungebeten Ratschläge erteilen. Der deutsche Bundeskanzler Scholz telefoniert mit Präsident Putin. Da muss Dominique Eigenmann zur Ordnung rufen: «Mit Putin sprechen? Ja, aber nicht so.» Sondern irgendwie anders, und das soll nicht ein Meinungsrülpser, sondern eine «Analyse» sein.

Die Schweizer Nati kriegt schon wieder auf den Sack? «Drei vermeidbare Gegentore», motzt der Tagi. Klimakonferenz in Aserbaidschan: «Die Schweiz darf zum Unrecht in Berg-Karabach nicht schweigen», fordert Simon Brechbühl lautstark im Tagi. Stefan Häng nimmt sich einen Bundesrat zur Brust: «Röstis Bundesamt verhält sich irritierend». Auch Tim Wirth sieht eine Gelegenheit, der FDP eins über die Rübe zu geben: «Das Genossenschaftsverband-Outing der FDP ist heuchlerisch». Dabei will die Partei – zum Ingrimm der Filzgenossen und Kuchengrünen – nur wissen, welche Zürcher Politiker mit hohem Einkommen dank guter Beziehungen in billigen, mit Steuergeldern subventionierten gemeinnützigen Wohnungen leben.

Und schliesslich muss Clara Lipkowski alle eintopfen, die Joe Bidens Entscheid, der Ukraine den Einsatz von weitreichenden Waffen auf russisches Gebiet zu erlauben, als nächsten Schritt zum Dritten Weltkrieg kritisieren: «Angst vor einer Eskalation durch die USA? Es ist Putin, der eskaliert». Nehmt das, ihr Putinversteher.

Es hat etwas beschämend Peinliches, wenn eine zum Skelett runtergesparte Rumpfredaktion, die immer mehr Inhalt, inklusive Meinung, vom grossen Bruder «Süddeutsche Zeitung» aus München bezieht, der ganzen Welt Ratschläge aufdrängt. Dabei ihre Steckenpferde reitet und sich vor allem im gegendarstellungsfreien Ausland austobt.

Geht’s in den Nahbereich, keilt sie höchstens gegen SVP und FDP; linksgrüne Sumpfblüten, schreiende Inkompetenz in führenden Positionen im Nahbereich ignoriert das Blatt krampfhaft.

Rechtgehabe

Nun auch die NZZ. Ein Pop-Redaktor weiss es besser.

Keine Ahnung, ob Ueli Bernays mehr als den Nachnamen mit Edward BernaysPropaganda», kann man googeln) gemein hat. Aber dass der NZZ-Redaktor für Pop und so keine Ahnung hat, das stellt er hier unter Beweis: «Der Mitgründer von Pink Floyd macht immer wieder durch kontroverse Statements von sich reden. Zur Reihe politischer Peinlichkeiten zählt nun auch seine Kritik an Selenski.» Denn Roger Waters wisse eben, wer die Schuld am Ukraine-Krieg trage, behauptet Bernays. Und dann wird’s wirklich peinlich:

«Achtung, Roger Waters ist wieder unterwegs. … breitbeinig und zielbewusst in alle möglichen Fettnäpfe … Plattform für diesen Wüterich … sein aufgeblasener Idealismus und seine Besserwisserei lassen ihn oft als Ritter von hässlicher Gestalt erscheinen.»

Was ist denn der Anlass für die muskulöse Rechthaberei eines ansonsten unauffälligen NZZ-Schreibers? Waters hat es gewagt, der aus «Vogue» und anderen Organen bekannten Gattin des ukrainischen Präsidenten einen offenen Brief zu schreiben. Die habe indirekt weitere Waffenlieferungen für die Ukraine gefordert, und damit liege sie möglicherweise tragisch falsch, schreibt Waters. Noch schlimmer für Bernays: «Impertinent in der Sache und arrogant im Ton wird Waters’ Brief, sobald er vom Präsidenten spricht. Selenski habe seine Wahlversprechen nicht eingehalten und dem Donbass keine Autonomie eingeräumt.»

Abgesehen davon, dass diese Kritik völlig berechtigt ist, zeigt eine Lektüre des Schreibens von Waters, dass der durchaus differenziert, wohlinformiert und kompetent Stellung bezieht.

Sein offener Brief endet so: «If I’m wrong, please help me to understand how? If I’m not wrong, please help me in my honest endeavors to persuade our leaders to stop the slaughter, the slaughter which serves only the interests of the ruling classes and extreme nationalists both here in the West, and in your beautiful country, at the expense of the rest of us ordinary people both here in the West, and in the Ukraine, and in fact ordinary people everywhere all over the world. Might it not be better to demand the implementation of your husband’s election promises and put an end to this deadly war

«Wenn ich falsch liege, helfen Sie mir bitte, zu verstehen, wie.» Das ist die Ansicht eines Suchenden, eines Anteilnehmenden, der seine Meinung  sagt, aber gerne bereit ist, eines Besseren belehrt zu werden. Dazu noch eines aktiven Musikers, der mit aktuell 79 Jahren nächstes Jahr nochmal die grossen Stadien füllen will; unter anderem in Deutschland. Den Abstecher nach Polen hat er inzwischen abgesagt; auch dort gibt es zu viele Kleingeister wie Bernays.

Demgegenüber ist Bernays ein arroganter Rechthaber: «Ritter von der traurigen Gestalt: Roger Waters meint es gut mit der Welt – und noch besser mit sich selbst», quengelt der Schreiberling. Dann muss er einräumen: «Zu den Putin-Verstehern passt der Künstler, der in der Ukraine als Staatsfeind gilt, jedenfalls nicht. Er hat das Putin-kritische Punk-Kollektiv Pussy Riot unterstützt und auch russische Autokraten zu Beginn der Ukraine-Invasion scharf kritisiert.»

Mit anderen Worten hat Waters, ganz im Gegensatz zu Bernays, eine differenzierte Sicht der Dinge. Aber die hilft ihm gegenüber einem aufgeblasenen Rechthaber nicht. Wie das zusammenpasse, fragt Bernays am Schluss seines Gestolpers rhetorisch: Gar nicht, denn «Roger Waters ist eben ein Wüterich und Querschläger, der mit seinem Sendungsbewusstsein vor allem das eigene Ego bläht».

Dass nun auch die NZZ solchen billigen Klamauk zulässt, unredlich, unanständig und unter jedem Niveau, ist beunruhigend.

Wie wär’s mit Demut?

Eines ist klar: Wir wissen herzlich wenig über Seuchenbekämpfung.

Es ist ein Witz, aber ein schlechter, dass sich eigentlich jeder Medienschaffende dazu berufen fühlt, epidemiologische Ratschläge zu erteilen. Aus Gründen, die mit Staatssubventionen sicher nichts zu tun haben, fordern eigentlich alle immer härtere Massnahmen, energisches Durchgreifen, Repression gegen «Impfverweigerer».

Es hat sich eine Untergattung im Journalismus gebildet, die man mit dem Begriff «Coronakreische» zulänglich beschreiben kann. Sie zeichnet sich durch einen Dauerzustand höchster Erregung aus, idealtypisch verkörpert von Marc Brupbacher im Reiche Tamedia.

Typisches Angebot eines modernen Newsmediums.

Wie jeder Rechthaber, der sich sicher ist, dass bei Nichtbefolgung seiner Ratschläge die Welt untergeht, zumindest Fürchterliches und Schlimmes passiert, teilt er rücksichtslos gegen Regierende aus «total übergeschnappt». Es werden fiebrig Statistiken, Daten, Phänomene zitiert, die in den eigenen Kram passen. Passen sie nicht, werden sogar Unis dazu aufgefordert, «diesen Dreck» sofort von ihrer Webseite zu nehmen.

Dass es sich um Fachmeinungen von Koryphäen handelt, spielt keine Rolle, wenn deren Aussagen nicht mit der Ansicht der Coronakreische übereinstimmen. Sie kann zudem ihrem Geschäft genauso locker nachgehen wie alle profilierungssüchtigen Fachleute, die die Chance wittern, endlich einmal ihre 15 Minuten Ruhm abzuholen – statt von der Öffentlichkeit unbemerkt in irgendwelchen Labors oder Denkerstübchen vor sich hin zu forschen.

Denn im Gegensatz zu Entscheidungsträgern in Staat und Wirtschaft erteilen sie ihre Ratschläge haftungs- und verantwortungsfrei.

Leider sind die völlig ungehemmten Zeiten am Anfang der Pandemie vorbei. Da war Profilierung noch leicht, entweder als Abwiegler («schwer übertrieben, die Chinesen fressen halt alles, kommt nie nach Europa») – oder als Untergangsprophet («100’000 Tote in der Schweiz, Gesundheitssystem wird zusammenbrechen, Leichensäcke müssen auch hier mit Armeelastwagen abtransportiert werden»).

Jeder (und jede) versucht’s auf seine Art.

Keiner zu klein, Meinungsträger zu sein

Auch Modepoeten wie Lukas Bärfuss, der sonst als kenntnisleerer Kritiker der von Profitgier und einem «chemischen Industriellen» beherrschten Schweiz auf sich aufmerksam macht, outete sich als profunder Seuchenkenner. Der auch hier diagnostizierte, dass Geld und Profit in der Schweiz viel wichtiger seien als Menschenleben und deshalb bald einmal italienische Zustände ausbrechen würden.

Nun ist es aber so, dass leuchtende Vorbilder sich genauso schnell in neue Sorgenkinder verwandeln – wie umgekehrt. Schweden, Israel, Portugal, Spanien, Grossbritannien, Dänemark. Grossartige Theorien, wieso es denen gelänge, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Nach kurzer Schweigepause dann grossartige Theorien, wieso es denen nicht gelänge, die Pandemie …

Geht auch umgekehrt. Italien, das Land der typisch italienischen Katastrophe; die kriegen nie was gebacken, dolce far niente, kennt man doch. Und plötzlich: Wahnsinn, wie Italien Corona im Griff hat. Bis zum nächsten Switch, der eigentlich täglich erfolgen kann. So wie in Orwells «1984», wo der Verbündete von gestern der Feind von heute ist und morgen wieder zum Verbündeten wird.

Ein sicherer Wert war lange Zeit Afrika. Der Gipfel unseres weissen Zynismus. Kaum Impfungen, kein Geld für Impfungen, lotteriges Gesundheitssystem, das wird ein Massaker geben, Massensterben, die Entvölkerung ganzer Landstriche drohe. Unsere Mitschuld, Postkolonialismus, gierige Pharmafirmen, unbezahlbare Impfstoffe, eine Katastrophe mit Ansage.

Auch Swissinfo wusste es ganz genau.

Stattdessen dann das «Wunder von Afrika». Welch ein missbrauchter Begriff, ein Ersatz für: wir haben mal wieder krachend danebengelegen mit unseren Prognosen. Wie so oft, wie eigentlich immer.

Schamanen, Wahrsager, Journalisten

In Afrika gibt es Schamanen und Wahrsager und Medizinmänner, die meisten mit der Gabe des dritten Auges ausgestattet, also der Fähigkeit, in die Zukunft schauen zu können. Indem Zeichen gelesen werden, Wolkenformationen, Vögelzüge, ein Gewitter, Rauchwolken, auch die Einnahme von merkwürdigen Substanzen hilft.

Zwei Journalisten in Freizeitkleidung.

Auf solchen Voodoo verzichten unsere Propheten in den Medien. Aber ein afrikanischer Seher gefährdet seine Berufsausübung, wenn er eins ums andere Mal krachend danebenliegt. Wenn er ein Gewitter als Vorboten einer Missernte intepretiert. Wieder und wieder, aber falsch.

In unseren aufgeklärten Gesellschaften ist statt Gewitter zum Beispiel die Impfung so ein Standard der Vorhersage. Die Durchimpfung. Umso höher, desto besser. Wenn es hochwissenschaftliche Untersuchungen gibt, die keinerlei Zusammenhang zwischen Impfquote und Neuinfektionen sehen, werden die ignoriert oder kritisiert. Die Auslastung der Intensivstationen ist ein anderes Beispiel.

Voodoo-Puppe, dreifach gepikst.

Die kommt immer wieder an ihre Kapazitätsgrenze, Triage drohe, Notstand, Kollaps. Gerade aktuell steht das wieder bevor. Alle Zahlen sprachen und sprechen immer dagegen, auch die aktuellen. Macht nichts, einfach ignorieren. Schliesslich die Anzahl Impfungen. Einmal ist keinmal, zweimal ist besser, aber dann ist auch gut. Okay, für Ü-65 könnte dreimal noch besser sein. Oder gleich für alle. Und wenn wir schon dabei sind, Kinder unter 12 sind ja flächendeckend ungeimpft. Dürfen noch gar nicht geimpft werden, werden aber aus der Gesamtzahl der Ungeimpften nicht herausgerechnet.

Zwei Jahre Kakophonie ohne Lerneffekt 

Das sind nur drei ausgewählte Beispiel aus der seit fast zwei Jahren anhaltenden Kakophonie von Fehlmeinungen, Falschprognosen und einer partiellen Wahrnehmung der Realität. Jeder kann sich irrern, auch mehrfach. Das passiert sogar Fachleuten, aber vor allem Laien, die auf einem Gebiet unterwegs sind, von dem sie keine Ahnung haben.

Irren ist menschlich. Fragwürdig wird das, wenn die gleichen Kreischen, obwohl sie sich wieder und wieder geirrt haben, geschützt durch die völlige Verantwortungslosigkeit, da sie keinerlei Konsequenzen ihrer Ratschläge befürchten müssen, im gleichen Brustton der tiefsten Rechthaberei immer neue Ratschläge geben.

Immer im Ton der Dringlichkeit, mit der Lieblingseinleitung: «Jetzt muss dringend», was auch immer. Denn wenn nicht, dann droht immer Fürchterliches, wäre es «völlig verantwortungslos», diesem wohlfeilen Ratschlag nicht zu folgen.

Schon mal was von Demut gehört?

Wie wäre es stattdessen mal mit etwas Demut? Mit der Einsicht in die eigene Unvollkommenheit? Wie wäre es mit einem schmerzlichen Rückblick auf alle abgesonderten Fehlmeinungen? Auf all die Prognosen, die nicht eingetroffen sind?

Oder ganz einfach: weniger Gekreische, dafür mehr Einsicht in die vornehmste Eigenschaft des Journalismus: Denkanregungen zu geben, vorläufige Erklärungsmodelle anzubieten, Widersprüchliches darzustellen, Für und Wider abzuhandeln, die Welt bunt zu lassen und nicht schwarzweiss zu malen.

Aber dazu bräuchte es neben Demut eine weitere Fähigkeit, die fast allen Journalisten abgeht: sich selbst in Frage stellen können. Überhaupt Fragen interessanter als Antworten zu finden. Einfach mal wagen: «Ich weiss doch auch nicht, aber ich versuch’s.» Wär’ doch was, bevor der Elendsjournalismus mangels Relevanz im Orkus verschwindet.