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Ist Putin am Ende?

Wie man sich in einem Tag lächerlich machen kann.

Manchmal überstürzen sich die Ereignisse, aber publiziert ist publiziert. Und solche Dümmlichkeiten bleiben dann für alle Zeiten elektronisch gespeichert.Der einzige Vorteil der Hersteller: übermorgen interessiert das schon keinen mehr. Die einzige Frage: wieso fahren die fort, zu publizieren? Denn spätestens in einer Woche ist auch das vorbei, was sie übermorgen schreiben.

Diese Variante der drôle de guerre in Russland erwischte viele Russlandkenner, Experten und Militärstrategen völlig auf dem falschen Fuss. So fragte Albert Stahel auf «Inside Paradeplatz» bang: «Stürzt Putin? Was dann?» Nur einen Tag später kann man ihn beruhigen. Putin stürzt nicht. Jedenfalls nicht so schnell.

Ganz speziell lächerlich macht sich ein Editorial-Schreiber einer niedergehenden Sonntagszeitung. Er ruft «Das Ende der Putin-Versteher» aus. Dabei ist er der Einzige, der mal wieder nichts versteht. Aber wir wollen ja seine Ergüsse weiträumig umfahren.

Das gilt auch für den «Chef Recherche» des «Blick». Erstens ist er Chef ohne Indianer, zweitens kann er nicht recherchieren und findet nicht mal das Büro eines Internetradios. Stattdessen sorgt er dafür, dass sich ein weiterer «Russland-Kenner» lächerlich macht. Der «renommierte Russlandkenner» Ulrich Schmid orakelte am Samstag: «Die Stellung Putins ist sicher gefährdet. Sein Auftritt am Samstagmorgen zeigt, dass er nicht mehr Herr der Lage istEberhard sekundiert: «Wird es dereinst zur Schlacht um die Hauptstadt kommen? – Das halte ich für unwahrscheinlich. Doch allein die Tatsache, dass man sich in Moskau auf dieses Szenario vorbereitet, zeigt, wie verzweifelt die Lage im Kreml sein muss. Das Eingeständnis einer tiefgreifenden Schwäche. Damit ist auch Putins eigene Position grundlegend ins Wanken geraten.»

Wir wischen uns die Lachtränen aus den Augen und gehen zum Kompetenzzentrum «Tages-Anzeiger», Pardon, Tamedia, na ja, was auch immer, weiter. Die leiht sich natürlich ihr Meinung von der «Süddeutschen Zeitung», Auslandchef Münger ist wohl wie meist in den Ferien. Also kommentiert Tomas Avenarius: «Aufstand in Russland: Prigoschins Coup könnte zur Katastrophe werden

Zur Katastrophe wird allerdings nur die prognostische Fähigkeit von Avenarius: «Sollte Prigoschin Hintermänner in der Armeeführung haben, wäre sein vermeintlicher Alleingang keine Meuterei eines einzelnen Kommandeurs gewesen, sondern das Vorspiel zu einem waschechten Militärputsch.»

Auf der sicheren Seite ist der SZ-Autor allerdings, wenn er einen tiefen Blick in der Zeit zurück auf den russischen Bürgerkrieg nach der Machtergreifung der Bolschewiken unter Lenin wirft. Nur: das ist eigentlich alles seit 1922 bekannt. Aber schön, dass man es nochmal lesen darf.

Ganz, ganz weit aus dem Fenster lehnte sich auch Zita Affentranger: «Die Wagner-Söldner könnten am Abend Moskau erreichen. Für den russischen Präsidenten naht jetzt die Stunde der Wahrheit: Er muss die Aufständischen stoppen.»

Damit ist aber schon die Work Force von Tamedia (oder wie immer das heisst) erschöpft. Daher kommt auch noch SZ-Autorin Sonja Zekri zu Wort. Sie betrachtet die Lage aus der Sicht der Ukraine und behauptet: «Viele Ukrainer setzen seit Langem auf einen Zerfall Russlands. Eine fragmentierte, vielleicht in Bruder- oder Diadochenkämpfe verstrickte Nach-Putin-Landschaft werde keine Kapazitäten mehr für Überfälle auf Nachbarstaaten haben. Einige gehen noch weiter: Der russische Bezirk Krasnodar, so rechnen sie vor, gehöre eigentlich zur Ukraine. Die Zeit werde kommen, ihn zurückzuholen.»

Welche Bewohner eines Wolkenkuckucksheim, wenn Zekri das nicht einfach so vor sich hinplaudert. Wenn es um Fehlanalysen geht, darf natürlich auch Stefan Kornelius nicht fehlen: «Sein Machtgeflecht kollabiert, der Aufstand Prigoschins gegen die Armeeführung richtet sich in Wahrheit gegen den Präsidenten. Nun zerfällt der von Putin geschaffene Sicherheitsapparat.»

Etwas gelassener – wie es sich gehört – nimmt’s die NZZ: «Der Machtkampf in Russland eskaliert: Wagner-Chef Prigoschin wagt den bewaffneten Aufstand gegen die russische Armeeführung». Dabei weiss Markus Ackeret in Moskau, unterstützt von der DPA: «Prigoschin hat sich offenbar zum «letzten Kampf» entschlossen. Eine Möglichkeit des Rückzugs gibt es nach seinen Äusserungen, den Handlungen seiner Truppe und der Reaktion der Strafverfolgungsbehörden darauf kaum noch.»

Wir wischen uns wieder die Lachtränen aus den Augen und schalten um zu CH Media. Auch sie montiert einen «Russland-Experten» den «Politanalyst Alexander Dubowy». Der Österreicher analysiert messerscharf: «Russland steht an der Schwelle zum Bürgerkrieg … Es handelt sich tatsächlich um einen Militärputsch … Wenn er (Prigoschin, Red.) überleben will, bleibt ihm keine andere Wahl als anzugreifen. Wagner wird versuchen, schneller nach Moskau vorzudringen und einfach sehen wie weit sie kommen.»

Da steht zu befürchten, dass Dubowys Karriere als «Russland-Spezialist» zumindest in der Schweiz relativ schnell ihr Ende findet.

Ist es nicht ein wenig unfair, mit dem Wissen im Nachhinein all diese aufrechten Unken in die Pfanne zu hauen, die doch auch nur den feuchten Finger in die Luft halten können?

Nein, ist es nicht. Denn vor allem als Kenner oder Forscher oder Spezialist sollte man wissen, wann eine Lage so unübersichtlich ist, dass man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte.

Natürlich kann die Spekulation nun munter weitergehen. War das alles ein abgekartetes Spiel? Konnte Prigoschin deswegen Rostow so leicht erobern? Ging es einfach darum, ihn elegant aus dem Spiel zu nehmen und ins Exil zu schicken? Würde Lukashenko irgend etwas ohne engste Abstimmung mit Putin tun? Man weiss es nicht.

Deshalb dürfen sich all diese Kenner und Orakel weiterhin lächerlich machen. Ganz schlau geht da schon mal ein «Spiegel»-Kommentator voran: «Prigoschin hat nicht gewonnen. Aber Putin hat trotzdem verloren». Wir wischen uns nochmals die Lachtränen aus den Augen.

 

 

Wenn zwei das Gleiche tun …

Horizonterweiterung tut Not.

Wir nähern uns mal wieder der Phase, in der auch über die Ukraine alles gesagt ist. Sogar von allen. Sogar in Wiederholungsschleifen. Laut, leise, rechthaberisch, kriegslüstern, bedächtig, dümmlich, alles ist zu haben, alles geschrieben, gesagt, gekräht, gekeift.

Für die Happy Few, die dafür zu haben sind, könnte doch eine kleine Horizonterweiterung guttun. Nämlich ein gutes Buch. Dem ZACKBUM die These voranstellt: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe. Denn die beiden bedeutendsten Imperien der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg unterscheiden sich in ihrem imperialistischen Verhalten eigentlich überhaupt nicht.

Die UdSSR war auch Sieger des Zweiten Weltkriegs, dehnte dann ihr Imperium über Osteuropa aus und engagierte sich weltweit in Stellvertreterkriegen. Sie schreckte auch vor militärischen Interventionen nicht zurück, um ihr genehme Regimes zu installieren und störende zu beseitigen. Selbstverständlich neben dem ganzen Instrumentarium der verdeckten Kriegsführung.

Genauso wie die USA auch. Nur unterscheiden sich die beiden Imperien in einem zentralen Punkt. Die Sowjetunion war nicht in der Lage, selbst ihre Eroberungen durch den Zweiten Weltkrieg zu behalten. Der sogenannte Ostblock bröckelte zusammen, und am Schluss löste sich sogar noch die UdSSR selbst in ihre Bestandteile auf.

In ihren besten Zeiten bestand die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken aus 15 Mitgliedern. Flächenmässig mit Abstand der grösste und bestimmende Staat war Russland (mit knapp 80 Prozent der Gesamtfläche). Natürlich wurden in Moskau alle wichtigen (und auch unwichtigen Entscheidungen) gefällt. Aber während es einige Jahrzehnte so aussah, als sei der Ostblock sowohl militärisch wie auch wirtschaftlich in der Lage, mit den USA und ihren Verbündeten mitzuhalten, wurde es spätestens Mitte der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts immer deutlicher, dass die sozialistischen Staaten auf beiden Gebieten nicht mehr mithalten konnten. Schlimmer noch: sie waren nicht reformfähig, wie der letzte sowjetische Führer Gorbatschow erkennen musste.

Das treibt den aktuellen Präsidenten Russlands um, der wenigstens die ehemaligen Sowjetrepubliken wieder heim ins russische Reich holen möchte. Allerdings stellt er sich dabei selten ungeschickt an, taumelt von einer Fehlentscheidung zur nächsten, macht sich militärisch lächerlich und hat bereits heute einen wirtschaftlichen Schaden in Russland angerichtet, der das Land um Jahrzehnte zurückwerfen wird.

Ganz anders sieht es in der imperialistischen Geschichte der USA aus. Das Thema ist natürlich ausführlich abgehandelt worden. Aber für Kenner und Laien empfiehlt sich ein Buch, das punktgenau und unaufgeregt, faktensicher, gut lesbar und interessant an ausgewählten Beispielen die etwas mehr als 100 Jahre Geschichte des US-Imperialismus erzählt.

 

Es stammt vom langjährigen Auslandkorrespondenten der «New York Times». In seiner langen Karriere war Stephen Kinzer in über 50 Ländern auf 5 Kontinenten stationiert und hat sich neben dem Tagewerk auch einen Namen als Autor gemacht.

Von ihm stammt «Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus». 560 lesenswerte Seiten über die drei verschiedenen Phasen des US-Imperialismus, von Hawaii über Kuba, Vietnam, Afghanistan, Irak. Kinzer geht es dabei nicht um Vollständigkeit, sondern um analytische Einsichten anhand  ausgewählter und präzise beschriebener Beispiele.

Annexion, Beseitigung die US-Interessen störender Regierungen, Kolonisation, militärisches Eingreifen, subversive Massnahmen, wirtschaftliche, militärische, imperiale Interessen, der Bogen ist lang vom Umsturz in Hawaii über die faktische Machtergreifung in Kuba bis zum Irak.

Der interessante Unterschied zur UdSSR selig: meistens waren die US-Interventionen von Erfolg gekrönt. Hawaii ist ein Bundesstaat der USA geworden, Puerto Rico den USA unterstellt, Chiles marxistischer Präsident wurde blutig gestürzt, in Zentralamerika wurden immer wieder liberale Präsidenten durch Bluthunde im Dienst der USA (oder von US-Firmen) ersetzt.

Niemals wäre bis heute ein US-Bundesstaat ernsthaft auf die Idee gekommen, sich von den vereinten Staaten zu verabschieden. In diesem Sinne ist das Buch auch sehr lesenswert als Kontrast zum immer wieder und überall gescheiterten russischen Imperialismus.

Das Buch ist 2007 in «Die andere Bibliothek» erschienen, eine Gründung von Hans Magnus Enzensberger. Dank dem Eichborn-Verlag ist es weiterhin erhältlich. Allerdings beträgt die Erstauflage ganze 7000 Exemplare und ist bis heute noch nicht ausverkauft. ZACKBUM verfügt über das Exemplar Nummer 4492. Vielleicht findet sich noch der eine oder andere Leser …

Und wer mehr Kinzer möchte, sein aktuellstes Werk ist ebenfalls empfehlenswert:

Linke Geschäfte

Der Zürcher «Kosmos» ist ein typisches Trauerspiel.

Wenn vier Bestandteile zusammenkommen, dann kracht’s. Linke Gesinnung, Kultur, Subventionen und Geschäft.

Das «Kulturzentrum Kosmos» in Zürich ist ein Paradebeispiel dafür. Eigentlich ist es ein saftiger Schwank, der einen Regisseur wie Rainer Werner Fassbinder bräuchte, um süffig verfilmt zu werden.

Edler saufen: «Kosmos»-Bar.

Am Anfang stand ein Milliarden-Überbauungsprojekt der SBB, die Europa-Allee. Zwecks Besänftigung des linken Milieus schlug der aus der Hausbesetzerszene zum Immobilienmillionär gereifte Steff Fischer vor, doch einen Kulturtempel in die Planung einzubeziehen, für billiges Geld. Die Idee vom «Kosmos» war geboren. Kinos, Bar, Buchhandlung, Bistro, Restaurant, Platz für Events.

Beruhigungspille für Alternative.

Filmemacher Samir und Kulturveranstalter Bruno Deckert entwickelten ein Konzept, das Teil hob ab. Alles lief ziemlich gut, mit Ausnahme der Kinos. Überangebot in Zürich, eigenwillige Programmierung durch Samir. Nur die Alternative Liste (AL) fand das Projekt nicht lustig; es wurden Scheiben eingeschlagen und auf Fischers Büro ein Buttersäureanschlag verübt. Aber AL-Mitglied Samir konnte die Wogen glätten.

Die sechs leeren Kinosäle störten nicht weiter, boten aber Konfliktstoff. Denn wie immer ging es letztlich um Macht, wer hat das Sagen. Und da sind Linke nicht weniger raffiniert mit Winkelzügen unterwegs als knallharte kapitalistische Geschäftsleute.

Schön, aber leer: eines von sechs Kinos im «Kosmos».

Turbulente GV, Samir und Deckert zerstritten sich, Samir machte Zweiter. Liess das aber nicht auf sich sitzen, via «Republik» liess er stänkern, dass «rechte Kreise» den «Kosmos» übernehmen wollten.«Der Putsch» überschrieb Daniel Binswanger seine einäugige Parteinahme für Samir und deutete dessen Putschversuch in einen angeblichen Putsch rechter Kreise gegen den Filmemacher um.

Nach mühsamer Mediation sollte damals ein neuer VR gewählt werden, mit Samir, Deckert und zwei «neutralen» Mitgliedern. Aber nicht mit Samir; kurz vor der Wahl-GV rempelte er per E-Mail Deckert an und verlangte die Wahl von zwei weiteren VR – was ihm die Mehrheit garantiert hätte.

Was dahinter stand, fasste Kenner Fischer schön zusammen: «Ein etwas tiefer liegendes Problem beim ‹Kosmos› ist, dass das grosse Geld von Erb-Linken stammt.» Was er damit meinte, deutschte damals die «Weltwoche» aus: «Damit meinte er Leute wie Stina Werenfels, die aus der reichen Werenfels-Familie stammt, Filmemacher Ruedi Gerber, Sohn von Ex-Roche-Chef Fritz Gerber, Kabarettist Patrick Frey, Abkömmling einer Winterthurer Industriellenfamilie, und einige mehr. «Diese Erb-Linken sind zu Geld gekommen wie die Maria zum Kind», schrieb er. «Sie wissen nicht, wie Geld verdient wird. Schlimmer noch, sie wollen gar nicht wissen, wie Geld verdient wird. Ihr Reichtum erfüllt sie mit Scham. Sie wollen keine Kapitalisten sein wie ihre Väter. Sie wollen mit ihrem Geld Gutes tun, um eine Art von Absolution zu erlangen

Das war vor rund zwei Jahren, anschliessend gab es einen Burgfrieden mit einem rein weiblichen VR. Aber natürlich ohne Samir. Bis nun diese 5 Frauen kollektiv den Bettel im April hinschmissen. «Kä Luscht» mehr, oder vornehmer formuliert: «wegen unterschiedlicher Vorstellungen über strategische, inhaltliche und personelle Fragen, die von einer kleinen Gruppe von Aktionären aufgeworfen wurden

Diese «kleine Gruppe» ist Filmemacher Samir und ein paar Unterstützer. Der hat bis heute nicht verwunden, dass sein damaliger Putschversuch kurz vor der GV in die Hose gegangen war. Nun stänkert er, dass er eine «mögliche Überschuldung der Kosmos Kultur AG» befürchte.

Schöner Treppensteigen im «Kosmos».

Dabei geht es dem «Kosmos» relativ gut. Corona-Kredite und die Tatsache, dass sich reiche Erb-Linke 1,5 Millionen Darlehen ans Bein gestrichen haben, helfen ungemein. Wie Beat Schmid auf «tippinpoint.» richtig schreibt: «Von einer “möglichen Überschuldung” kann aufgrund des Revisionsberichts keine Rede sein.»

Wieso also das Gestürm? Logisch: «Filmemacher Samir will unbedingt in den Verwaltungsrat. Seine Gruppe hat seine Kandidatur als «ultimativ» und «nicht verhandelbar» bezeichnet. Zudem hat er sich mit einer “Bewerbung” selber zur Wahl vorgeschlagen.»

Also Putschversuch zwei eines Unermüdlichen. Das Einzige, was am «Kosmos» nie funktioniert hat, sind die Kinos. Ausgerechnet der dafür Verantwortliche will nun das Zepter über den ganzen Betrieb übernehmen. Ein Trauerspiel, wie Schmid resümiert:

«Zwei Jahre nach dem letzten Krach droht dem Kosmos abermals die Spaltung. Diesmal geht sie quer durch einst befreundete Lager. Für die Beschäftigten ist das ein ganz grosser Jammer. Sie sind letztlich die Leidtragenden der Streitereien. Im kleinen Zürcher Kulturbetrieb spielt sich das gleiche Drama ab wie in grossen börsenkotierten Firmen: Ein gespaltenes, zerstrittenes Aktionariat bringt jedes Unternehmen früher oder später an den Rand des Abgrunds – oder darüber hinaus.»

Linke Gesinnung, Subventionen, Kultur und Geschäft. Wenn das alleine noch nicht für eine Explosion reicht, braucht es nur noch ein weiteres Element als Zündschnur: Machtgier.

Und die Moral von der Geschicht? Erb-Linke können Geschäfte nicht.

Das Problem mit der Wahrheit

Wieso ist heutzutage eine einfache Frage so schwer zu beantworten?

Die Frage lautet: Fand im Kiewer Vorort Butscha ein Massaker statt, und wurde es von russischen Streitkräften begangen?

Das führt zur Frage: wie lässt sich eine solche Behauptung verifizieren, beziehungsweise falsifizieren? Dieser Frage vorangestellt werden müsste die Feststellung: Es handelt sich bislang um ein mutmassliches Massaker, mutmasslich von den Invasoren der Ukraine begangen.

Unsere Methode, zwischen wahr und unwahr zu unterscheiden, ist normalerweise eher einfach gestrickt. Gibt es fotografische Beweise für eine Behauptung? Gibt es Zeugenaussagen, am besten von Augenzeugen? Gibt es die Bestätigung von unabhängiger Seite? Gibt es faktische Beweise wie beispielsweise Kugeln? Gibt es logische oder andere Unstimmigkeiten in einem Erklärungsnarrativ?

Gerade Ereignisse wie die in Butscha können eine signifikante Auswirkung auf den Kriegsverlauf und die Weltöffentlichkeit haben.

Wie war es bei früheren Massakern?

Greifen wir kurz in die Geschichte zurück und erinnern an das Massaker von My Lai. In einem vietnamesischen Dorf verübte die US-Armee am 16. März 1968 ein Massaker an der Zivilbevölkerung mit 504 Toten.

Der US-Journalist Seymour Hersh brachte mit unermüdlichen Recherchen das Massaker an die Öffentlichkeit, allerdings lehnten zunächst alle grossen Medien in den USA die Publikation seiner Recherche ab.  Erst 14 Monate später berichtete «Life», danach auch «Newsweek» und das «Time»-Magazin. Schockierend waren die Aufnahmen des Fotografen Ron Haeberle, der als das, was man heute «embedded journalist» nennen würde, an dieser Militäraktion teilnahm und die Leichen für einen «body count» der Militärstatistik fotografierte.

Denn die erste Verteidigungslinie der Militärs war, dass es sich ausschliesslich um Vietcong, also feindliche Guerillakämpfer, gehandelt habe. Das Massaker hatte einen bedeutenden Einfluss auf die öffentliche Meinung in den USA und löste eine Protestbewegung in weiten Teilen der Welt aus.

Nur wenige Soldaten hatten den Befehl zum Massenmord verweigert, mit dem vorangehende Greuel wie Vergewaltigungen vertuscht werden sollten. Als Hauptverantwortlicher wurde der befehlshabende Offizier William Calley 1971 zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Der damalige US-Präsident Richard Nixon wandelte die Strafe sofort in Hausarrest um; 1974 begnadigte er Calley vollständig.

Nach kurzem anfänglichen Leugnen und Vertuschungsversuchen wurde dann niemals mehr in Frage gestellt, dass es sich tatsächlich um ein US-Kriegsverbrechen gehandelt hatte. Es war nicht das einzige.

Solche singulären Ereignisse hatten schon immer einen manchmal gewaltigen Impact auf die öffentliche Meinung und die Befürwortung oder Verurteilung eines Krieges. Das mutmassliche Massaker von Butscha hat ein vergleichbares Potenzial.

Aktuelle Strassenaufnahme und zwei Wochen alte Satellitenaufnahme.

Aber trotz im Vergleich zu 1968 gewaltig weiterentwickelten Kommunikationsmitteln bis hin zu Satellitenaufnahmen bestreiten die mutmasslichen Täter ihre Tat. Das Massaker werde ihnen untergeschoben, in Wirklichkeit handle es sich um eine Racheaktion ukrainischer Milizsoldaten an Sympathisanten der Russen, nachdem deren Truppen abgezogen seien.

Ein gefaktes Massaker

In den Wirren nach dem Sturz Ceausescus in Rumänien gab es Berichte über Greueltaten seines Geheimdiensts Securitate, dessen Angehörige sich weiterhin gegen den Machtverlust wehrten. Zum Beleg gab es Fotos eines Massengrabs, in dem Leichen lagen, offensichtlich Zivilisten, die mit Stacheldraht gefesselt waren und mit Schüssen getötet. Das sollte als Beleg für das grausame Wüten der Securitate dienen.

Von dieser Mörderbande wurden tatsächlich Kriegsverbrechen begangen, zum Beispiel in Temesvar. Nur stellte sich hier heraus, dass es sich um Leichen handelte, die aus Leichenhallen von Spitälern herbeigeschleppt und entsprechend hindrapiert worden waren, um Stimmung gegen die Securitate zu machen.

Das Beispiel der Massenvernichtungswaffen des Iraks, wie angeblich irakische Soldaten bei der Invasion Kuwaits Babys aus Brutkästen gezerrt und auf den Boden geworfen haben sollen – es gibt viele Berichte, die sich im Nachhinein als Fake News herausstellten.

Allerdings: in vielen, sicher nicht in allen Fällen, kommt die Wahrheit ans Tageslicht. Meistens dadurch, dass für eine Verschwörungsstory zu viele Beteiligte dicht halten müssten. Konkret heisst das aktuell: angenommen, die russische Version stimmte, dass alle Augenzeugen, die Russen als Verursacher identifizieren, lügen. Dass die Satellitenaufnahmen der Leichen, als noch russische Truppen den Vorort kontrollierten, gefälscht sind. Oder dass ukrainische Truppen die Leichen dort präpariert hätten, um sie dann westlichen Medien vorzuführen. Ohne dass einer der Beteiligten auspackt.

Sicherlich sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen und sollte ein verantwortungsvoller Journalismus die Unschuldsvermutung und das Wort «mutmasslich» nicht aus seinem Vokabular streichen.

Berechtigte Zweifel oder Verschwörungsstorys?

Aber bislang hat die russische Seite wirklich keinerlei stichhaltige Beweise vorgelegt, um ihre Behauptung zu stützen. Natürlich werden auf den unendlich vielen Plattformen im Internet wildeste Verschwörungsstorys feilgeboten. Videoanalysen, Widersprüche, Zweifel, Schlussfolgerungen. Natürlich dient zur Selbstverteidigung auch immer das Argument, dass die westlichen Medien eben einseitig berichten würden, dem Narrativ widersprechende Fakten unterdrückten.

Bei aller Unfähigkeit der Medien, bei allem Geheule im Mainstream und der ewigen unreflektierten Wiederholung der gleichen Gemeinplätze: bei all dieser Verwirrung sollte man ein Instrument des Menschen nicht zu gering schätzen: den gesunden Menschenverstand. Etwas ist so, etwas ist nicht so. Man kann sich früher oder später festlegen, was man glaubt.

Aber im Fall von Butscha grenzt es an gesicherte Erkenntnis, noch nicht ganz, aber fast über jeden vernünftigen Zweifel erhaben, dass die Invasionstruppen dieses Massaker verübt haben. Das zu bezweifeln, ist das Recht jedes Bürgers in einer freien Gesellschaft. Ihn deswegen zu beschimpfen oder auszugrenzen oder ihm Nachteile welcher Art auch immer anzudrohen, gehört sich nicht. Oberhalb davon, dass freie Meinungsäusserung eben nicht gratis ist. Die Kosten muss dann schon jeder selber tragen, die Entscheidung ist dem Einzelnen überlassen, ob ihm seine öffentlich geäusserte Meinung etwas wert ist oder nicht.

ZACKBUM hatte beschlossen, sich inhaltlich zum Kriegsverlauf nicht zu äussern. Hier handelt es sich aber um ein Problem, das auch die Rolle der Medien umfasst. Mindestens so erschreckend wie das Massaker selbst ist der offenkundige Vertrauensverlust, den auch seriöse oder halbstaatliche Newsplattformen hinnehmen müssen. Früher hätte eine bestätigte Meldung in der «Tagesschau», erst recht, wenn sie von Paul Spahn vorgetragen wurde, amtlichen Charakter.

Paul Spahn (1914 bis 2002).

Das ist heute leider anders geworden, und daran sind nicht die Russen schuld.

Putin, allein zu Haus

Krachend gescheitert und in eine Sackgasse manövriert. Muss man mal hinkriegen.

Immerhin gibt es noch einige Stimmen, sogar bei Tamedia, die erklären, «warum Zurückhaltung in einem Krieg von Haltung zeugt». Denn zu sehr hat sich die Öffentlichkeit daran gewöhnt, dass die Unschuldsvermutung, das Prinzip «über jeden vernünftigen Zweifel erhaben» Skandalisierungen geopfert wird.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist das, was im ukrainischen Butscha passierte, ein Kriegsverbrechen. Mit Sicherheit ist die Position des Schweizer Aussenministers richtig, dass eine internationale Untersuchungskommission zu einem Ergebnis kommen muss, bevor der das Wort Völkermord benützt.

Wer – was selbstverständlich sein müsste – von einem «mutmasslichen russischen Kriegsverbrechen» schreibt, versinkt in Shitstorms vom Gröbsten. Der Irrwitz daran ist, dass uns genau diese Begriffe von Willkür und Barbarei trennen, wie sie in autokratischen Staaten wie Russland oder China herrschen. Während wir uns nach Kräften bemühen, mit Russland keine Handelsbeziehungen mehr zu haben, floriert der Handel mit China.

Dort wird gerade kein offener Krieg geführt, aber was mit den Uiguren passiert, in Tibet, mit Dissidenten, in welchem Ausmass hier die Gedankenkontrolle praktiziert wird, wie sie sich nicht einmal Orwell vorstellen konnte: na und? Auch über solche Heuchelei könnte man nachdenken. Kein russisches Gas mehr, dafür aber aus Katar. Emirat, die mittelalterliche Scharia ist Grundlage der Gesetzgebung, die Halbinsel ist berüchtigt für ihre Unterstützung der Muslimbrüder und Terrororganisationen wie der Hamas. Hat aber Erdgas in Hülle und Fülle.

Ebenso wie die meisten Alternativquellen für fossile Brennstoffe, angeführt vom Mörderregime in Saudi-Arabien, das eine Oppositionellen in der Botschaft umbringt und in Einzelteilen abtransportiert. Eine Diktatur, die seit Jahren einen grauslichen Krieg im Jemen führt. Oder Libyen. Oder der Irak. Alles grauslich und zum Reflektieren, wenn man gegen russische Exporte fäustelt.

Putin hat sich ohne Not in die Kacke manövriert

Aber das alles ist nichts gegen die Position, in die sich der russische Präsident ohne Not hineinmanövriert hat. In welchem Ausmass er sich in die Kacke bewegte, illustriert ein Vergleich der Situation vor dem Überfall auf die Ukraine mit heute. Er empfing an seinem lächerlich langen Tisch einen westlichen Führer nach dem anderen und machte seine Position klar, dass er definitiv gegen einen Eintritt der Ukraine in die EU oder gar die NATO sei.

Kleiner Mann, grosses Telefon.

Zudem könne keine Rede davon sein, die Krim oder die sogenannten autonomen Provinzen im Osten der Ukraine wieder diesem Staat einzuverleiben. Im Gegenteil. Diese Position hätte er höchstwahrscheinlich durchgekriegt. Denn so wie die USA ihren Hinterhof haben, so wie sich China mit abhängigen Staaten umgibt, so will auch Russland kein feindliches Militärbündnis an seiner Flanke. Und einen Beitritt in eine Wirtschaftsgemeinschaft, die ihre Überlegenheit gegenüber dem russischen Modell vorführte, das wäre auch schlecht fürs Geschäft und die Herrschaft.

Wie nachhaltig das gewesen wäre? Präsident Putin wird dieses Jahr 70; bis an sein Lebensende hätte das wohl gehalten. Und schon Fidel Castro sagte ganz richtig auf die Frage, was denn mit Kuba passiere, wenn er mal tot sei, dass man ihn doch wenigstens im Grab mit solchen Fragen in Ruhe lassen solle.

Nun hat sich Putin aus dieser relativ komfortablen Lage in die Katastrophe manövriert. Sein gefürchteter Geheimdienst FSB hat versagt und ein rosarotes Bild gemalt, dass die Ukrainer die russischen Befreier mit Blumen bewerfen würden und jubilieren, dass sie endlich das faschistische Joch von drogenabhängigen Desperados an der Regierung loswürden.

Versagt auf ganzer Linie

Der von Putin nicht ernst genommene Komiker von Gnaden eines ukrainischen Oligarchen wuchs in der Krise über sich selbst hinaus und zeigte sich als charismatischer Führer und erster Sieger im Propagandakampf. Die TV-Auftritte von Selenskyj sind mit bescheidenen Mitteln inszeniert, durchschlagend gut und die Narrative beherrschend. Auch wenn er mit seinen Forderungen nach einem direkten militärischen Eingreifen der NATO glücklicherweise auf taube Ohren stösst.

Viele Telefone um ein Nichts.

Dagegen sitzt im Kreml oder anderswo ein kleiner Mann an einem viel zu grossen Schreibtisch mit viel zu vielen Telefonen und spricht verkniffen ab Blatt. Benützt Fäkalsprache, stösst wilde Drohungen bis hin zu atomaren aus und kann bis heute keinen einzigen vernünftigen Grund nennen, wieso er die Ukraine überfallen hat.

Blamabel ist der Krieg für die russische Armee. Veraltetes Gerät, demotivierte Soldaten, die nicht mal genau wissen, wo sie sind und wogegen sie kämpfen. Schmerzliche Verluste, schändliche Angriffe auf zivile Ziele. Auch nach sechs Wochen ist das wichtigste Ziel, die Eroberung der Hauptstadt Kiew, in weiter Ferne. Wo sich russische Truppen zurückziehen müssen, offenbaren sich schreckliche Verbrechen.

Damit nicht genug. Durch die provozierten Sanktionen ist die russische Wirtschaft – und die Bevölkerung – schwer getroffen. So wie es für den Westen nicht blitzartig möglich ist, sich von der Abhängigkeit von fossilen russischen Rohstoffen zu trennen, ist es für Russland nicht möglich, blitzartig neue Abnehmer zu finden.

Dennoch wird diese Abnabelung stattfinden, zum grossen Schaden für beide. Aber der Westen hat entschieden mehr ökonomische Reserven als Russland. Ein Staat, der seine Einnahmen wie ein Drittweltland aus dem Export von Rohstoffen generiert, ausser Trollfabriken im Hightech-Bereich nicht viel zu bieten hat. Dazu über eine Armee verfügt, die kläglich an einem viel schwächeren Feind scheitert. Aber es bleibt das Atomwaffenarsenal.

Das Verhältnis für Jahre vergiftet

Wie auch immer der Ukrainekrieg beendet wird, und das wird er: Putin ist der grosse Verlierer. Es wird eine Generation, wenn nicht länger dauern, bis sich die bilateralen Beziehungen mit dem Westen wieder normalisiert haben. Wer in der Ukraine noch Sympathien für Russland hatte, hasst es inzwischen. Wer im Westen an Wandel durch Annäherung glaubte, vertraut Russland nicht mehr.

Kein Anschluss unter dieser Nullnummer.

Alle Vorurteile, der russische Bär, die Barbaren aus dem Osten, unzivilisierte militärische Horden, die marodieren, brandschatzen, vergewaltigen, töten – sie werden nach Kräften bedient. Putin ist krachend gescheitert. Die Frage ist nur, ob es für ihn einen gesichtswahrenden Ausweg gibt oder nicht. Ob es genügend starke Kräfte in Russland gibt oder nicht, die ihn von der Macht entfernen, was diesmal sicherlich nicht wie im Fall Gorbatschows mit Hausarrest beginnen würde.

Historische Vergleiche sind immer gefährlich und von beschränkter Aussagekraft. Hitler in seinem Führerbunker war am Ende überzeugt, dass das deutsche Volk den Untergang verdient, es sich seiner nicht würdig erwiesen habe. Hätte er, vor seinem Selbstmord, auf den roten Knopf der atomaren Zerstörung gedrückt, falls der vorhanden gewesen wäre? Die Antwort ist beängstigend.