Bis der Arzt nicht kommt
Bei «meinarzt Schweiz» übernimmt wohl der Konkursverwalter.
Ein Recherchierstück wie auf dem Serviertablett. Ein ehemaliger Nachtclubbesitzer aus Kärnten hat eine tolle Businessidee. Im Rahmen der Nachfolgeprobleme, die viele Hausarztpraxen haben, bietet meinarzt an, den passenden Nachfolger zu finden. Man «konnte im vergangenen Jahr bereits 30 Standorte besetzen», jubelt die Webseite.
Die kommt auch wirklich knackig daher, zeigt mit eingängigen Kurven, wie sich der Gewinn steigern liesse, während die laufenden Unkosten sinken. Wer will da nicht dabei sein. Nur: der Button «offene Stellen», wo noch letzte Woche solche angeboten wurden, ist ausser Betrieb. Ebenso die Telefonnummern, und auf eine Anfrage über das Kontaktformular wird nicht geantwortet.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft bestätigt, dass eine Untersuchung «wegen Vermögensdelikten» eingeleitet worden sei. Viele Ärzte, das Personal, fürchten nun um ihre Löhne. Denn meinarzt kaufte jeweils die Praxis, übernahm das Personal und installierte auch einen Nachfolgearzt.
Ängstliches Schweigen der Betroffenen
Kaum jemand will sich aber öffentlich äussern, weil man Angst vor Gegenmassnahmen bezüglich Stillschweigensvereinbarungen hat. Nur ein betroffener Arzt will wissen, dass alle Angestellten in der Zentrale von meinarzt Schweiz letzte Woche entlassen worden seien.
Also eigentlich ein Skandal im Gesundheitsbereich, der offensichtlich Arztpraxen quer über die Schweiz betrifft. Darauf haben natürlich schon längst alle Recherche-Desks der verbleibenden Qualitätsmedien ihre Teams angesetzt. Endlich mal was anderes als irgendwelche gestohlenen Geschäftsunterlagen ausschlachten.
Die Recherchierjournalisten rotieren bereits?
Und? Nix und. Einfach nix. Bislang hat nur der «Reussbote» darüber berichtet, dass die örtliche Praxis von meinarzt geschlossen wurde. Das Team behandelte zwei Monate lang weiter, obwohl es keinen Lohn mehr erhielt. Seit 1. September ist die Praxis nun geschlossen, die Patienten können ihre Unterlagen abholen. Oder dann mal beim Konkursverwalter.
Auch das Portal «medinside», eigentlich eher für Insider im Gesundheitsbereich tätig, hat eine umfangreichere Recherche veranstaltet und bereits am 25. August veröffentlicht. Auch «medinside» lief mit Bitten um Stellungnahme auf allen Kanälen auf, keine Antwort mehr.
Auch bei verängstigte Ärzte und Angestellte von meinarzt, die um ihre Praxis, ihre Löhne und ihre Zukunft bangen, aber Schiss haben, sich öffentlich zu äussern.
Eine Hammerstory mit allen nötigen Bestandteilen
Also in einem Satz: eine Hammerstory. Alles drin, was es für eine schönen Skandalbericht braucht. Ein österreichischer Geschäftlimacher, Praxen fürchten um ihre Zukunft, was ist mit der Gesundheitsversorgung auf dem Land, wo immer mehr Ärzte keinen Nachfolger finden? Wer ist der Initiator, wie geht es der meinarzt GmbH Deutschland? Ist die frisch und munter, oder brauchen die auch ärztliche Betreuung? Oder hat sich meinarzt an den Corona-Geldtöpfen bedient?
Alles banale, auf der Hand liegende Fragen. Und sicherlich eine willkommene Abwechslung zu «Corona, Corona, Corona». Allein, was fehlt? Offenbar eigentlich alles. Recherchierjournalisten, die nicht nur per copy/paste arbeiten. Oder einen Ausflug in Google und ein Telefonat für Spitzenleistungen des investigativen Journalismus halten.
So berichtete die «Rundschau» schon am 3. Juni über «Harsche Vorwürfe gegen Hausarzt-Label». Aber natürlich gab SRF dem Besitzer Christian Neuschitzer umfangreich Gelegenheit, Contra zu geben. Er plane die Übernahme von bis zu 500 Hausarztpraxen, zurzeit 4 im Monat. Streit mit Ärzten und Personal? I wo, Missverständnisse. Zahlungsverzug und Betreibungen? I wo, die «eigene Buchhaltung» war mit den Zahlungen einfach überfordert. Kein Wunder, bei einem aufstrebenden Start-up. Aber jetzt habe er extra «eine Treuhandfirma» gegründet, und nun flutscht es wieder.
Selbst die «Rundschau» hatte keine Lust, der Karriere des ehemaligen Besitzers einer «Tanzbar» und Geschäftsführer eines Swingerclubs nachzugehen.
Es fehlt aber an allem
Denn es fehlt überall an Ressourcen. Das könnte ja dazu ausarten, dass man Hausbesuche machen muss. In der ganzen Schweiz, und dann noch im Ausland! In Österreich! Was das kosten würde. Und wenn dann nichts herauskommen sollte, was immer mal passieren kann: Wie erklärt man den Erbsenzählern die verschwendete Arbeitszeit und die enormen Spesen?
Schliesslich fehlt einfach die Kompetenz. Verträge anschauen, nach Bilanzen fahnden, Quellen auftun, Dokumente besorgen: Himmels willen, das gibt’s doch nur noch im Kino. Daran werden auch noch so reichliche Subventionen nichts ändern können.