Ex-Press XXIV
Blasen aus dem Mediensumpf.
Heute wollen wir uns den menschlichen Abgründen und Schreckensmeldungen widmen.
Zerrspiegel
Nachdem dem deutschen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» sein Lieblings-Toyboy abhanden gekommen ist, das absurde Impeachment-Verfahren auch nur noch letzte Zuckungen hergibt, hat die Redaktion kurz, aber heftig nach einem neuen Feindbild gesucht. Und eines gefunden, bei dem der Nachschub kein Problem ist:
«Die düstere Welt enthemmter Männer. Feindbild Frau.»
Endlich mal wieder eine Titelstory, die einen echten Skandal aufdeckt: «Erst Hass, dann Mord: Der Onlinehetze gegen Frauen folgt tausendfach Gewalt im echten Leben. Behörden ignorieren das Problem, dabei sprechen Experten schon von Terror.»
Also nach der RAF, nach rechtem Terror, islamischem Terror der Männerterror. Muss ich als Mann nun damit rechnen, auf der Strasse putativ erschossen zu werden, obwohl ich gar keinen Sprengstoffgürtel trage? Meines Wissens auch selten bis nie enthemmt bin?
Nichts Gutes hat der «Spiegel» auch vom immer enthemmteren Virus zu vermelden: «Das Virus wird immer tödlicher», so das Titelzitat über einem Bericht aus Tschechien.
Damit erschreckt «Blick» die Leser
Das hier muss wohl ein Beitrag für die düstere Welt enthemmter Männer sein:
Gibt dem Wort Witwenschüttler eine neue Bedeutung: Schlittler und Beller.
Aber auch für enthemmte Skifahrer hat der Boulevard eine eiskalte Schreckensmeldung:
Wärme nur auf dem Klo. Aber wenn auch da was einfriert?
Kann man das noch toppen? Nichts ist unmöglich, sagt sich Flavia Schlittler:
Shiva als Untoter? Wusste er das vorher? Erschreckende Fragen.
Der verschleierte Tagi und die Grundrechte
Wie es sich für ein Qualitätsmedium gehört, erschreckt Tamedia seine Leser nicht mit schockierenden Nachrichten aus düsteren Welten oder aus dem Jenseits. Sondern der verzwergte Unter-Co-Chefredaktor warnt vor noch Schlimmerem: «Ein Angriff auf unsere Grundrechte», alarmiert er den wehrwilligen Staatsbürger mit einem Leid-, Pardon, Leitartikel.
Himmels willen, woher kommt der Feind, wogegen stellt Mario Stäuble ein mannhaftes «wehret den Anfängen»? Ob der Westentaschen-Kommentator wohl weiss, dass dieses Zitat Ovid als Warnung vor den Folgen des Sich-Verliebens formulierte? Wohl nicht, aber wogegen sollen wir uns nun wehren?
Gegen neue Beschneidungen unserer Freiheitsrechte wegen Corona? Kann nicht sein, das befürwortet Stäuble. Gegen schärfere Lockdowns? Schäuble ist dafür. Gegen drastischere Beschränkungen des öffentlichen Lebens? Stäuble schimpft regelmässig über fahrlässige und zögerliche Regierende. Gegen geöffnete Schulen? Schäuble mahnt und warnt.
Wer wagt den Angriff auf unsere Grundrechte?
Ja wer greift denn nun unsere Grundrechte an? Ach, jeder, der «Ja zum Verhüllungsverbot» sagt, greift diese Rechte an. Wahnsinn. Wird die Initiative angenommen, hat also eine Mehrheit unsere Grundrechte ramponiert. Zerstört. Zumindest erfolgreich angegriffen. Wie denn das?
Nun, Stäuble zeigt in zwei Schritten exemplarisch, dass er weder von Logik noch von Freiheitsrechten die geringste Ahnung hat. Abteilung Logik: «Nikab und Burka sind im Vergleich zum Spannungsfeld, das sich zwischen der Schweiz und ihrer muslimischen Bevölkerung auftut, schlicht kein nennenswertes Problem.» Das sei der erste Grund, diesen Angriff abzuwehren. Das ist noch gar nichts gegen das Spannungsfeld zwischen Stäuble und verständlichem Argumentieren.
Wo es einen ersten Grund gibt, hat’s noch mehr. Salbungsvoll zitiert Stäuble «unsere Verfassung» dieses «Basisdokument unserer Demokratie». Man ist froh, dass Schäuble im Tagi eigentlich nichts zu sagen hat. Das ist das Basisdokument unserer Gesellschaftsordnung, in dem unter anderem festgelegt ist, wie eine Initiative eingereicht werden kann und wann sie angenommen ist. Aber macht nix, es geht noch schlimmer:
«Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist eines dieser Grundrechte, sie ermöglicht es jeder Person, ihre Religiosität frei zu bekennen.»
Nein, Stäuble, nein. Welche geistige Wüste erhebt sich hier bis zum Horizont. Keine Freiheit ist absolut. Niemals. Ausgeschlossen. Absolute Freiheit wäre absolute Willkür, Faustrecht, die Aufgabe der Grundlage der Zivilisation. Freiheiten haben Grenzen. Sie hören zum Beispiel dort auf, wo die Freiheit des nächsten beschnitten würde. Wie und wo diese Grenzen gesetzt werden, bestimmt zum Beispiel in islamischen Staaten die Religion.
Was qualifiziert diesen Mann zum Journalisten?
In zivilisierten Staaten wie der Schweiz bestimmt das der Souverän. Wenn meine freie Religionsausübung von mir verlangen würde, jedem zweiten Passanten eine Kopfnuss zu verpassen, dann müsste man mir das leider verbieten. Wenn eine Religionsausübung verlangt, dass sich alle Frauen mittelalterlich zu verhüllen haben, weil sie sonst der enthemmten und düsteren Welt männlicher Gelüste ausgesetzt wären, Aufforderungen zur Respektierung einheimischer Bräuche und Traditionen nichts fruchten, dann muss das natürlich verboten werden.
Das Leben ist voller Risiken
Diesem altbekannten Motto lebt CH Media nach. Hätten Sie’s gewusst? Es gibt auch «Risikoholz», von dem «Forstarbeiter 300 Kubikmeter entfernen» mussten. Warum, weil Schneemassen oder klirrende Kälte die Bäume an ihre Grenzen treiben? Aber nein, wegen «Klimawandel», also der Erderwärmung. Schon eine harmlose Titelsetzung birgt das Risiko, sich mit einem schiefen Sprachbild lächerlich zu machen:
«Der Palmölsturm im Wasserglas».
Überhaupt kein Wasserglas stand bereit, als es in den USA ganz, ganz eng wurde: «So knapp entging Amerika beim Sturm auf das Kapitol einer Katastrophe». Worin hätte die bestanden? Nun, sowohl Vizepräsident Mike Pence wie auch Mitt Romney, gescheiterter Präsidentschaftskandidat und Trump-Kritiker, wären «fast dem Pöbel in die Hand gefallen». Anschliessend wären die USA zusammengebrochen, aber es ging nochmal gut.
Was allerdings die Karibik und Lateinamerika davon halten, dass «Amerika» einer Katastrophe entgangen sei? Sogar auf Kuba gibt es, aus vorrevolutionären Zeiten, eine fast identische Kopie des Kapitols, in diversen anderen amerikanischen Ländern auch. Die haben es gar nicht gerne, wenn Amerika gleichbedeutend mit USA verwendet wird.
Nicht die Nachricht ist hier die Katastrophe
Ich weiss, das tut nicht gut, aber wenn von Katastrophen die Rede ist, muss die grösste im Schweizer Journalismus erwähnt werden. Nein, das ist nicht «watson». Zwar auch schlimm, aber solange das die Familie Wanner aus dem eigenen Geldspeicher zahlt … Richtig geraten, dann bleibt ja nur noch ein Organ. Das offeriert an einem frostigen Samstag eiskalt drei Beiträge. Also genau genommen vier, aber einer beschreibt auf 7500 Anschlägen nur die anderen drei. Wie es halt so Brauch ist bei der «Republik».
Einer ist erfreulich kurz; eine Bildbetrachtung. Eine Frau schreibt über Frauenkunst, die unter dem Titel steht: «Is that a Banana in your pocket …» «Das ist keine Banane», überschreibt die «Republik» den Schüleraufsatz. Doppelte Katastrophe. «Is that a gun in your pocket or are you just happy to see me», so lautet das unsterbliche Zitat von Mae West; aus Zeiten, als Anzüglichkeiten noch Spass machten und keinen Ärger.
«Das ist keine Pfeife» lautet hingegen der berühmte Titel eines Abbildes einer Pfeife von Magritte. Was der in diesen Niederungen der Kunst zu suchen hat, bleibt ebenfalls schleierhaft.
Mit immerhin 15’000 Buchstaben erfreut der dritte Teil der «Serie Frauenstimmen» den Leser. Dazu kann ich nichts sagen; als ich sah, dass der Autor ein Mann ist, habe ich aus Solidarität mit Frauenstimmen aufgehört zu lesen.
Ein echter Scherzkeks, dieser Binswanger
Aber eine Katastrophe kommt bei der «Republik» nie allein. Abgehärtete Leser ahnen es schon: Schreiblocke Daniel Binswanger hat einen seiner gefürchteten Kommentare geschrieben. Die einzig gute Nachricht: nach 7712 Anschlägen ist die Qual vorbei. Auch der Feuilletonist bedient sich aus dem Fundus von x-mal durchgenudelten Titeln: «Es geschah am helllichten Tag». Armer Friedrich Dürrenmatt, armer Ladislajo Vajda. Wer die waren? Ach, googeln hilft.
Strichzeichnung: So sieht Binswanger ohne Hauptlocke aus (Screenshot «Republik»).
Aber zurück zur Binswanger-Katastrophe. Er kolumniert also über das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Nein, in Wirklichkeit will er den Leser in den Wahnsinn treiben. Als wäre es nicht ein Film von Vajda, sondern vom Surrealisten Buñuel (nur googeln, Binswanger). Es gibt keine Wirklichkeit in dieser Kolumne, nur zersplitternde Widersprüchlichkeiten, Absurditäten und Nonsense. Aber leider auch keine Kunst.
«Selten hatte ich so intensiv das Gefühl, Geschichte zu erleben, während sie geschrieben wird»,
berichtet Binswanger von seiner emotionalen Lage, während er vor der Glotze sass und das «erschütternde Erlebnis» des Impeachments im US-Senat miterlitt. Im Senat wird allerdings wenn schon Geschichte gesprochen, aber sei’s drum.
Binswanger und der historische Moment, richtig betrachtet
Sind wir also bei einem dieser vielen Momente, die die Journaille gerne als «historisch» bezeichnet, «geschichtlich», «vom Mantel der Geschichte umweht» oder was ihr als Flachsinn sonst noch einfällt? Nun ja, Binswanger schwächt gleich ab, dass das «nicht eigentlich» damit zu tun habe, «dass der Prozess eine so grosse Bedeutung hätte». Also doch kein historisch erschütterter Kolumnist? «Dem vermutlich ohnehin scheiternden Impeachment kann man eine epochale Bedeutung im Grunde absprechen.»
Wenn es noch Leser gibt, die nicht verwirrt den Kopf schütteln, kann Binswanger noch einen drauflegen: «Wenn die Anzahl der Opfer ein Massstab für die Relevanz einer historischen Katastrophe sein soll, kann man den Kapitol-Sturm bestimmt nicht zu den grossen Tragödien zählen.»
So gesehen war der Untergang der «Titanic» tatsächlich eine viel historischere Katastrophe. Aber wieso erbebt Binswanger, ohne Rücksicht auf seine Schmachtlocke zu nehmen? Einfach, Du Trottelleser, ein Feuilletonist hat immer einen tieferen Gedanken im Köcher, erspürt «grosse, geschichtliche Bruchstellen», wo wir Durchschnittsblödis nur ein amüsantes Politspektakel sehen:
«Der Lack der Zivilisation ist nicht mehr als eine hauchdünne Glasur.»
Wir klettern erschöpft aus diesem tiefen Krater der Erkenntnis, den Binswanger mit diesen originellen, noch nie formulierten Worten geschaffen hat. Aber wieso ist ein rabaukiger, inzwischen vom Atombombenköfferchen entfernter Ex-Präsident und der Versuch von Abschaum, ins Kapitol einzudringen, dafür ein Beleg?
Wenn der Lack ab ist wie bei Hitler oder Stalin
Kein Problem für Binswanger, der zieht einen kühnen Bogen – Überrraschung – zu Nazismus und Stalinismus. Natürlich sei das mit dem Kapitol dagegen nur eine Fussnote. Aber: Was in Washington geschieht, könne auch in Berlin geschehen. Oder in Bern.
Also, Deutsche und Eidgenossen: aufgepasst! In Berlin schaffte es der Mob immerhin schon, die Treppe des Reichstags zu erklimmen. In Bern besetzte der Mob ungestört bereits den Bundesplatz. Aber ob Binswanger diese Beispiele gemeint hat?
Nach diesen erschütternden Erkenntnissen kündet der Kolumnist an: «Im Wesentlichen sehe ich vorderhand drei Lektionen.» Ich gestehe: hier brach ich die Lektüre ab. Ich bin wirklich hart im Nehmen, aber Lektionen von diesem Flachkopf? Niemals.