Ganz übles Stück über Ziegler
Die NZZ fällt in alte Reflexe zurück und wird bodenlos.
Jean Ziegler ist 90 Jahre alt geworden. Selbst die «Weltwoche», die nun gewiss nicht ideologisch das Heu auf der gleichen Bühne hat, widmete ihm eine Hommage in Form einer Titelgeschichte.
Was immer man von den Positionen Zieglers halten mag, welche Fehler man ihm auch immer ankreiden will: die Lebensleistung dieses unermüdlichen Streiters und Kämpfers, der sich immer mit ganzem Herzen, mit Verve und mit seinen rhetorischen Fähigkeiten für das eingesetzt hat, was er für das Gute und Richtige hält, und gegen das gekämpft hat, was er den kannibalischen Raubtierkapitalismus nennt, verdient Respekt.
Mit «Eine Schweiz, über jeden Verdacht erhaben» betrat er 1982 mit einem Paukenschlag die Arena der politischen Debatte, mit «Die Schweiz wäscht weisser. Die Finanzdrehscheibe des internationalen Verbrechens» legte er 1992 nach. Das brachte ihm Prozesse, Schadenersatzforderungen und Anfeindungen ohne Zahl ein. Er war Soziologieprofessor, er war streitbarer Nationalrat der SP, er war UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, er war im beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats der UNO.
Oder in einem Wort: er ist ein unermüdlicher Kämpfer, der keiner verbalen Schlacht ausweicht, wenn es um die Verteidigung seiner Ansichten, seiner Hoffnungen auf eine bessere Welt geht.
Das verdient wahrlich Respekt, und ZACKBUM ist froh und stolz, immer mal wieder mit dem cher ami und compañero in geneigter Meinungsverschiedenheit verbunden zu sein.
Nun hat aber die NZZ in ihrem Feuilleton ein übles Schmieren- und Schmähstück veröffentlicht. Der Autor Emrah* Erken ist Rechtsanwalt und verdingte sich unter anderem für PwC. Seit Jahren arbeitet er sich – er ist türkischer Herkunft – am Islam ab. Das ist alles gut und schön, aber hier fällt er über Ziegler her, dass es eine Unart ist. Schon im Lead wird alles klargemacht:
«Jean Ziegler ist ein Wegbereiter für die Ideologie der radikalen linken Aktivisten, die derzeit an Universitäten Hamas-Parolen brüllen»
Wie bitte? Ausgerechnet Jean, der immer und überall ein glühender Verfechter der freien Debatte ist, soll ein Wegbereiter für Hamas-Anhänger sein? Übler geht’s eigentlich nicht. Übler kann Erken doch.
Einleitend erzählt er von seinem nicht abgeschlossenen Studium an der Uni Genf, wo er offenbar Ziegler begegnete. Den leitet er so ein: «Der Kopf des Doktoranden war knallrot angelaufen: Was mir eigentlich einfalle, brüllte er.» Es ging um die Beurteilung des Putsches der Armee in Algerien, die damit 1991 die Machtübernahme der Islamisten verhindert hatte. Die waren zuvor von einer überwältigenden Mehrheit der Algerier gewählt worden.
Von der angeblich gebrüllten Meinungsverschiedenheit leitet Erken perfid-demagogisch auf heute weiter und fragt polemisch: «Wie konnte es sein, dass eine Person aus dem Westen als Fürsprecher von radikalen Islamisten auftrat?» Was Ziegler natürlich selbst laut Erken damals nicht war; der Soziologe wagte nur, was ein Wissenschaftler tun soll: Meinungen hinterfragen, angeblich Selbstverständliches in Frage zu stellen.
Dann beurteilt Erken die Lehrtätigkeit Zieglers: der «hielt allerdings nicht wirklich Vorlesungen ab, sondern nutzte seine Lehrveranstaltung für sozialistische Propaganda». Noch schlimmer: «Ziegler, so hörte ich von Kommilitonen, hasse Israel. Ich solle meine israelfreundliche Haltung in seiner Gegenwart bloss nie offenbaren.» Ein widerlicher Rufmord, serviert zum 90. Geburtstag; die NZZ hat mal wieder jede Qualitätskontrolle verloren, jede Haltung, selbst den Respekt gegenüber einem Jubilar.
So geht’s dann ununterbrochen weiter «linker Politaktivismus … postkoloniale Ideologie … kommunistische Propaganda … Verherrlichung gewalttätiger Diktaturen … ideologische Ausrichtung und Indoktrination … machte Stimmung gegen Israel …», ad nauseam.
Zurück in der Gegenwart wirft er einem Artikel Zieglers vor, der «strotzt vor Verdrehungen und Falschdarstellungen». Mit wohl mehr Recht kann man das Erkens Hinrichtung vorwerfen. Er endet mit der Frechheit: «Jean Ziegler war ein Vorläufer des identitätspolitischen Wahnsinns, den mittlerweile alle, die klar denken können, als solchen erkannt haben dürften.»
Es ist unbestreitbar, dass sich der streitbare Ziegler auch geirrt hat, seine Verteidigung Gaddafis oder Mugabes zum Beispiel gereicht ihm nicht zur Ehre. Aber das immense Lebenswerk dieses Mannes, seine mehr als zwei Dutzend Bücher, die mehr Denkstoff enthalten als dieser Autor in seinem ganzen Leben absondern wird, sein unermüdlicher Einsatz für die Erniedrigten und Beleidigten, für die Opfer dieser Welt, das kommt in dieser Schmähschrift mit keinem einzigen Wort vor. Alle, die klar denken können, sind angewidert von diesem Machwerk.
Wer dermassen wuterfüllt zum 90. Geburtstag über den Jubilar herfällt, so vieles, fast alles auslässt, was dessen Lebensleistung ausmacht, der lässt jegliche Redlichkeit vermissen. Wer diese hasserfüllten Zeilen abdruckt, jeglichen Anstand.
*Nach Leserhinweis korrigiert.