Schlagwortarchiv für: Jean-Paul Sartre

Das waren noch Zeiten

Sartre besuchte Baader im Knast. Hä?

Was für ein Personal. Der grosse französische Intellektuelle, revolutionärer Marxist und Existenzialist Jean-Paul Sartre. Ulrike Meinhof, die linke Publizistin, die sich der Roten Armee Fraktion (RAF) angeschlossen hatte. Andreas Baader, der unterbelichtete Anführer der sogenannten Baader-Meinhof-Gruppe; wer sie damals nicht Bande nannte, hatte ein ernsthaftes Problem, das bis zur Kündigung und sozialen Existenzvernichtung führen konnte.

Otto Schily, der spätere Innenminister, war damals  der Verteidiger von Gudrun Ensslin, ein weiteres Mitglied der Terrortruppe, die mit gezielten Mordaktionen meinte, eine revolutionäre Situation in der BRD schaffen zu können.

Zur Zeit des Besuchs von Sartre am 4. Dezember 1974 sassen die Anführer der RAF allesamt in einem speziellen Hochsicherheitstrakt in Stuttgart Stammheim. Ihre Anwälte sprachen von «Isolationsfolter» und «Vernichtungshaft», Schily nannte das «Verwesung bei lebendigem Leib».

Mit dem Besuch, so hoffte Meinhof, die Sartre darum bat, sollte auf die Situation der Häftlinge aufmerksam gemacht werden, sollten sie zudem durch Sartres Solidarität zu revolutionären Kämpfern geadelt werden. Nur einen Monat vor Sartres Besuch war der RAF-Häftling Holger Meins an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben, was in Deutschland Protestdemonstrationen auslöste.

«Generalbundesanwalt Siegfried Buback, der später selbst Opfer eines Mordanschlags der RAF wurde, sperrte sich gegen eine Erlaubnis», erzählt in der NZZ Thomas Ribi von damals. Aber ein Gericht überstimmte Buback, der Besuch, begleitet von grossem Medienaufgebot, konnte stattfinden.

Noch heute ist die NZZ nachtragend.

Er war ein Desaster, wie aus dem Protokoll hervorgeht, das das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz vierzig Jahre später freigab. Sprachprobleme, Sartre befürwortete zwar grundsätzlich den bewaffneten Kampf für die Revolution, aber nicht zu diesem Zeitpunkt, nicht in Deutschland, kurz zuvor hatte er die Ermordung des Richters von Drenkmann bei einem Entführungsversuch als Verbrechen bezeichnet.

Dennoch kritisierte Sartre in der anschließenden Pressekonferenz, übersetzt von Daniel Cohn-Bendit, die Haftbedingungen scharf. Allerdings musste er einräumen, dass er nicht weiter als in den Besucherraum gekommen sei. Die Presseresonanz war vernichtend, in den damaligen Mainstreammedien, die in der RAF lediglich eine Mörderbande sahen: ««Sein messerscharfer Verstand ist schartig geworden», kommentierte die «Welt» den peinlichen Auftritt und resümierte: «Das Alter ist gemein, besonders zu denen, die sich in die blutigen Träume der Jugend vergaffen.»», zitiert Ribi.

Baader war enttäuscht von der Begegnung, Sartre auch. «Was für ein Arschloch, dieser Baader», soll er laut Cohn-Bendit beim Verlassen des Gefängnisses gesagt haben. Die NZZ übernimmt das als Titelzitat, obwohl an Cohn-Bendits Glaubwürdigkeit doch Zweifel bestehen.

Soweit eine interessante Aufarbeitung, anlässlich eines Jubiläums. Was Ribi aber völlig ausblendet, ist der zeitgeschichtliche Kontext. «Deutschland im Herbst» hiess ein Episodenfilm im Jahr 1978, an dem unter anderen Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff und Heinrich Böll mitarbeiteten. Er schildert die Überwachungshysterie, das vergiftete politische Klima in der BRD, nachdem 1977 alle RAF-Häftlinge unter nicht ganz geklärten Umständen gestorben waren. Meinhof hatte bereits zuvor, von der Gruppe ausgegrenzt und gemieden, Selbstmord begangen.

Wer damals, nach der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, auch nur «klammheimliche Sympathie» mit den Zielen oder Methoden der RAF äusserte, riskierte seine Stelle, seine bürgerliche Existenz. Von tatkräftiger Unterstützung ganz zu schweigen, denn noch in Freiheit hatten Mitglieder der RAF immer wieder die Solidarität von Linken eingefordert, sei es durch Lagerung von Waffen und Geld oder durch Beherbergung oder durch das Aushändigen von amtlichen Dokumenten, die dann gefälscht werden konnten.

Auch die NZZ holzte damals kräftig mit und beschimpfte die RAF ausschliesslich als terroristische Mörderbande.

Ein paar solche Erwähnungen hätten Ribis Bericht noch viel wertvoller gemacht.

Auch Parallelen zu heute sind unübersehbar. Wer selbst auf diesem Blog Kritik an der Ukraine übt oder die Motive Russlands zu verstehen versucht, wird so übel beschimpft, dass sich Felix Abt inzwischen entschlossen hat, hier nicht länger zu publizieren. ZACKBUM bedauert den Entscheid.

Es darf gelacht werden: Über den Bauchnabel

Der entwickelt sich immer mehr zum wichtigsten Organ des Journalisten. Sein eigener, natürlich.

 

Tagi: Über die neuen 40

30 werden war früher, heute wird man 40. Hä? Muss man nicht verstehen. Aber man darf sich wundern, wieso Tamedia kein Extrablatt herausgebracht hat. Wir halten deshalb ein ganz heisses Thema für fürchterlich unterverkauft.

Denn: Haltet die Druckmaschinen an, die Seite eins kommt neu! Priska Amstutz, the one and only, hat ein Buch geschrieben. Das wurde auch gedruckt! Vom Knesebeck-Verlag in München, die Adresse für Buntes und Lebenshilfe. «Das neue 40» heisst das Meisterwerk. Unter Mithilfe einer Co-Autorin, mit vielen bunten Bildern und furchtbar interessanten Gesprächen mit schrecklich unbekannten Frauen – nur einer der Lieblinge von ZACKBUM ist dabei, die unvermeidliche Patrizia Laeri – lotet Amstutz aus, wie man sich denn so fühlt, ab 40. Als Frau.

«Das neue» oder «die neuen»? Ist doch egal

Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass diese Altersschallgrenze ja erst seit Kurzem immer wieder von Frauen durchbrochen wird. Man könnte nun entscheiden, ob man für die 240 Seiten stolze 39.90 bei Orell Füssli ausgeben will, oder 29.50 bei Exlibris. Oder ob man sich dafür nicht lieber einen neuen Lippenstift kauft. Ich als Mann würde Lippenstift wählen.

Kann nichts, muss weg.

Nun ist Amstutz (1977) auch noch Co-Chefredaktorin des «Tages-Anzeiger». Davon merkt man weiter nix, ausser, dass sie deswegen natürlich im eigenen Blatt von einer Untergebenen interviewt wird. Da gibt Silvia Aeschbach alles, um nicht ganz direkt zu sagen:

liebe Chefin, was wolltest du schon immer über dein tolles, neues Buch sagen?

Nein, natürlich wird zum strengen Sie gewechselt, und Amstutz werden Erkenntnisse von ewiger Gültigkeit und grosser Tiefe entlockt. Zum Beispiel; wie war’s denn so beim 40. oder 41. von Amstutz? «Ich realisierte plötzlich, dass ich am Anfang eines neuen Lebensjahrzehntes stand.»

Meiner Treu, ich gestehe plötzlich, dass ich diese Erfahrung auch schon machte. Sogar mehrfach. Aber deswegen schreibe ich doch kein Buch drüber. Und veranstalte auch nicht die Peinlichkeit, mich als Chef in meinem eigenen Blatt interviewen zu lassen. Selbst dann nicht, wenn sonst keiner von meinem Buch Notiz nimmt …

 

Eingeschlafene Füsse

Apropos niemand nimmt Notiz; was macht eigentlich die Kultur-Journalistin des Jahres? Simone Meier hatte doch auch ein Buch geschrieben, das immerhin auf Verkaufsrang 774 bei books.ch steht. Ach ja, das liebedienerische Interview auf «watson» ist schon durch, was gibt’s Neues?

Nun, als Kulturjournalistin muss man heute Allrounder sein, also hat Meier einen Film angeschaut. Der heisst «Sami, Joe und ich». Genau, drei Freundinnen aus der Agglo, ein wunderbarer Sommer, der dann doch nicht so wunderbar wird.

Das Werk hat nun nur ein – unverschuldetes – Problem. Es spielt 2019. Genau, seither hat sich auch bei Coming-of-Age-Filmen die Umwelt ein bitzeli verändert, was man nicht nur an den hier fehlenden Masken bemerkt. Nun hat sich Meier den Film aber angeschaut, dieses Erlebnis kann sie doch nicht einfach wegschmeissen. Gut, «warum nicht?» wäre eine Frage, die dem Leser viel Qual ersparen könnte. Also grübelte Meier lange, wie sie einen Film aus anderen Zeiten in die Gegenwart transportieren könnte. Glücklicherweise erinnerte sie sich an die Sentenz: dem Redaktör ist nichts zu schwör. Und da der Kampf gegen Sprachsexismus gerade Pause hat, bezog sie das auch auf sich.

Daraus entstand dann der wunderprächtige Titel: «Jugend ohne Corona ist auch ein Alptraum – im neuen Schweizer Teenie-Film».

Im nicht mehr so neuen Teenie-Film, während sich die Jugend heutzutage eher mit dem Problem rumschlägt, wie man dem Alptraum mit Corona entfliehen könnte. Aber vielleicht liegt es daran, dass Meier selbst diese Zielgruppe doch seit Kurzem verlassen hat.

Die NZZ und die letzten Fragen

Wie es sich für das Intellellenblatt für die geistig gehobenen Stände gehört, beantwortet die NZZ problemlos auch die letzten Fragen der Menschheit. Also zumindest in der Welt der Banker.

Denn, Überraschung, auch die UBS hat durch den Bankrott des Archegos-Fonds eine Stange Geld verloren. Aber die NZZ weiss Trost:

«800 Millionen sind nicht 5 Milliarden.»

Da sieht man mal wieder, was ein Black Belt in Accounting wert sein kann: auf diese messerscharfe Analyse kämen wir Banausen niemals. Aber die NZZ kann noch nachlegen: «Sie leichtfertig zu verspielen, ist dennoch nicht ratsam.»

Schade aber auch, nachdem ich gelernt hatte, dass schlappe 800 nicht 5 Mia. sind und gerade damit zum Casino aufbrechen wollte, erklärt mir die NZZ, dass das doch nicht ratsam sei. Gibt es denn sonst noch Fragen, vor denen wir wie der Ochs am Berg stünden, wenn die NZZ nicht Durchblick verschaffen würde?

Jein, muss man hier sagen. Denn schon der Titel dieses Ratgebers verwirrt: «Einmal keinen No Shrimp, bitte!». Leider reist die Autorin hier mit erkenntnistheoretisch eher leichtem Gepäck: «Wenn man ist, was man isst, was ist man dann, wenn man eine Nicht-Garnele isst? Oder ein Nicht-Ei, ein Nicht-Schwein oder ein Nicht-Chicken? Die vegane Küche konfrontiert uns mit verwirrenden Fragen.»

Wirklich? Das tut doch nicht erst die vegane Küche. Die Fragen waren damals auch überhaupt nicht verwirrlich, wenn der DDR-Bürger bei der Nahrungsaufnahme eine Sättigungsbeilage erhielt, zum damit gereichten Formfleisch. Der Name ist immerhin schon schöner als «Klebefleisch». Das bedeutete zum Beispiel, dass das «Jägerschnitzel» so wenig mit einem Jäger wie mit einem Schnitzel zu tun hatte. Es bestand aus zusammengeklebten Fleischstücken, die einfach in die Form eines Schnitzels gebracht worden waren.

Alte Erfahrungen, neu serviert: kalte Küche bei der NZZ

Das galt für viele Leckereien aus dem Nahrungsmittelfundus; auch für Fische, Wild, selbst für Mutters Klopse (Hamburger). Die bestünden ja schon aus gewolftem Fleisch, aber zum Strecken wurden gerne Produkte verwendet, die mit Fleisch eigentlich nichts zu tun hatten. Wenn sie auch farblich anders gestaltet waren, half die Lebensmittelchemie mit ein paar Farbtröpfchen nach. Das galt natürlich auch für die Delikatesse «Broiler» (Brathähnchen).

Steckte er am Drehspiess, konnte man einigermassen auf ein Originalprodukt vertrauen. Kam er aber in Einzelteilen auf den Teller, sah das schon ganz anders aus.

Also hier muss man leider sagen: NZZ, ungenügend. Das muss doch besser gehen. Der alte Scherz mit der Nicht-Existenz und deren existenzialistischen Folgen, da war ja Jean-Paul Sartre schon weiter.

 

«Blick» schickt Klartext durchs Rohr

Die einzige Zeitung der Welt mit einem Regenrohr im Titel verkünstelt sich nicht und überliefert glasklare Antworten. So ballert ein Titel: «Vanessa Mai platzt wegen der Kilo-Frage der Kragen». Weil der dann geplatzt ist, verwendet «Blick» ein Foto der Sängerin ohne Kragen, aber mit Einblick.

Wie äusserte sich denn das Platzen? Ziemlich ruppig:

«Geht Euch einen Scheiss an!»

Klare Frage, klare Antwort, völlig sinnbefreit. So lieben wir den Boulevard. Gibt er noch mehr Antworten? Aber hallo, jeden Menge. «Das sagen die Sterne». Exklusiv: Alpha Centauri plaudert im «Blick» aus dem Nähkästchen. «Die wichtigsten Grundsätze für den Roulette-Erfolg». Endlich, für alle Skeptiker, die immer noch meinen, dass nur die Bank gewinnt. Oh, ich sehe gerade, das ist ja eine «bezahlte Promotion mit jackpots.ch». Da kommt man doch ins Grübeln, wie objektiv diese Ratschläge sind.

Ein letztes Beispiel? Sicher, der «Blick» gibt ja nicht nur geistige Nahrung, er kümmert sich auch um die leibliche. «Das sollten Sie nicht täglich zum Frühstück essen», warnt Sonja Zaleski-Körner. Was denn nicht, und warum? Zum Beispiel «Pancakes mit Ahornsirup». Da werden Millionen von Schweizern aufhorchen, die sich das täglich gönnen. Aber es wird noch schlimmer: «Weissbrot oder Toast sättigen nicht lange und machen schnell dick.» Ob das Vanessa Mai weiss?

Aber wie steht es dann mit dem Inhalt einer brutzelnden Speckpfanne? «Wegen dem Fett und vielen Salz ist dieses Gericht leider nicht gesund.» Fett, was für Fett? Echt jetzt, das sollte man nicht zum Frühstück trinken? Wenn wir den «Blick» nicht hätten, wären viele von uns schon nach dem Z’morge halbtot.