Anatomie zweier Provokationen
Erregungsbewirtschaftung will gelernt sein. Das merken Ameti und der Tagi.
Zurzeit haben wir zwei Phänomene, die um das Gleiche buhlen: Aufmerksamkeit. Die Mechanismen sind ähnlich, die Wirkung nicht ganz die gewünschte.
Als erstes Beispiel haben wir eine mediengeile Frau, der in letzter Zeit nicht mehr viel gelingt. Der Typus ist weit verbreitet, man erinnert sich an eine ehemalige Politikerin aus dem Kanton Zug, die nach jahrelanger, erbitterter Gegenwehr im dunklen Verliess des Vergessengegangenseins verschwunden ist.
Auch eine ehemalige TV-Börsenkursansagerin kämpft unglücklich darum, doch immer mal wieder in den Schlagzeilen aufzupoppen. Aber den Vogel schiesst zurzeit eine mediale Aufmerksamkeit gewohnte Nicht-mehr-so-Jungpolitikerin ab, die es sich zum Geschäftsprinzip erhoben hat, immer mal wieder einen rauszuhauen, auf die Kacke zu hauen, um dann zu schauen, was passiert und welches Aufmerksamkeitslevel sie damit erreicht.
Aber solche Provokationen wollen gekonnt sein. Es ist eine Gratwanderung. Einerseits muss es ein Aufreger sein, aus der Norm fallen, leicht vermittelbar sein. Echte C-Promis arbeiten da meist mit Storys aus ihrem Privat- oder gar Intimleben. Hund hat Durchfall, Partner ist fremdgegangen, das neuste Facelifting in die Hose, man hat es geschafft, Einlass zu einem In-Place zu finden, ein Kellner ist pampig geworden.
Andererseits darf die Provokation nicht over the top sein, sozusagen ein Ameti. Die erregt zwar auch Aufmerksamkeit, aber es gilt eben längst nicht mehr «any news is good news», spielt alles keine Rolle, solange der Name richtig geschrieben ist.
Bei der jüngsten Provokation handelt es sich um eine durchkalkulierte Angelegenheit. Schwarze Kleidung, Riesenknarre, mittelalterlicher Hintergrund, jemand, der die Dame in Kampfpositur fotografiert. Einen dummen Spruch draufgeklebt, und dann eine Nahaufnahme der durchlöcherten Köpfe von Maria und Jesus, sowie noch ein paar Treffer in einem Vogel, vielleicht in der leisen Hoffnung, auch noch Tierschützer auf die Palme zu bringen.
Wahrscheinlich war von Anfang an einkalkuliert, dass sich die Provokateurin anschliessend dafür entschuldigen würde und um Verzeihung bitten. Allerdings formulierte sie die Entschuldigung dermassen bescheuert, dass spätestens hier die Provokation zum Rohrkrepierer wurde. Aufmerksamkeit erzielt. Aber dermassen negativ konnotiert, dass ihre wenigen verbliebenen politischen Ämter und vielleicht sogar ihre Arbeitsstelle in Gefahr sind.
Sollte sie gefeuert werden, kann sie noch ein letztes Mal versuchen, sich als armes Opfer fremdenfeindlicher, antimuslimischer Sexisten darzubieten. Und dann Abgang ins Vergessenwerden.
Mit anderen journalistischen Mitteln versucht gerade Tamedia, Aufmerksamkeit zu erregen. Dazu will der Qualitätsmedienkonzern eine heilige Kuh der Schweiz schlachten. Die Volksinitiative. Auch das ist ein provokatives Reizthema. Unterschriften gefälscht, nicht bemerkt, vielleicht wurde über Initiativen abgestimmt, die gar nicht genügend gültige Unterschriften hatten. Skandal, «Bschiss», Sauerei.
Hineingerührt werden alle Aufreger, deren man habhaft wird. Politiker entrüsten sich, weil sie wissen, dass nur die zwei, drei stärksten Sprüche in die Medien kommen, Ausgewogenes oder der Hinweis auf die Unschuldsvermutung und das Fehlen jeglicher Beweise fallen aus den Traktanden.
Dann die Nachzüge. Das Interview, der Kommentar, die Wiederholung, mit der einmal Behauptetes zur Gewissheit verdichtet werden soll. Plus möglichst viele Triggerwörter. Ämter schlafen, Regierung tut nichts, mussten wachgerüttelt werden, Tagi fordert, dringliche Massnahmen, die Demokratie ist in Gefahr, muss geflickt werden. Dass dabei unsauber gearbeitet wird, zum Beispiel ein «Campaigner» über Unterschriftensammler herziehen darf, ohne dass ausgewiesen wird, dass das seine Konkurrenz ist, niveaulos.
Aber auch hier geht langsam die Luft raus. Und lustigerweise die «SonntagsZeitung» aus dem gleichen Haus schlägt einen grossen Sargnagel in diese Provokation zwecks Erregungsbewirtschaftung ein. Indem in einem Interview schlichtweg schon im Titel auf die Achillesferse der ganzen künstlichen Erregung hingewiesen wird:
Fieserweise wird hier die Initiantin der Ernährungsinitiative interviewt, deren Anliegen die woke Tagi-Redaktion durchaus wohlwollend gegenübersteht.
Franziska Herren hat auch die Sammelfirma Incop von Franck Tessemo dafür bezahlt, Unterschriften zu sammeln. Genau die steht im Kreuzfeuer des Tagi. Sie verteidigt die Firma mit guten Argumenten: «Meine Erfahrungen mit Herrn Tessemo waren insgesamt positiv. Aus meiner Sicht ist die Unschuldsvermutung in seinem Fall auf gravierende Weise verletzt worden. Das bedaure ich sehr.»
Und dann lässt sie mit einer schlichten logischen Deduktion die Luft aus dem Provokationsballon, den der Tagi in die Stratosphäre steigen lassen möchte:
«Ungültige Unterschriften dürfen nicht einfach mit gefälschten Unterschriften gleichgesetzt werden. Der von den Medien aufgebrachte Verdacht, dass es unter den beglaubigten Unterschriften Tausende unentdeckter Fälschungen gibt, ist reine Spekulation. Es liegen bisher keine Beweise dafür vor. Fakt ist: Es laufen einige Strafverfahren wegen Unterschriftenfälschungen. Wie viele das sind, ist nicht bekannt.»
Während der Tagi halt- und beleglos ungültige und gefälschte Unterschriften in einen Topf wirft, ist Herren auch hier ganz klar. Bei ihrer letzten Initiative, Trinkwasser, wurden «ungefähr 300» Unterschriften für ungültig erklärt.
Die SoZ hakt nach: «Hätten Sie etwas dagegen, wenn die Bundeskanzlei an Ihrer Initiative ein Exempel statuiert und jede einzelne Unterschrift genau auf Fälschungen prüft?
Ich hätte absolut nichts dagegen. Ich bin ja daran interessiert, dass das System glaubwürdig bleibt und Fehler behoben werden können.»
Sie hat auch eine dezidierte und begründete Meinung, wieso Unterschriften gegen Bezahlung nicht verboten werden sollte:
«Ich bin froh, dass ein Verbot des kommerziellen Sammelns nicht vorgesehen ist. Ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderung anders lösen können. Wenn bei einer Bank eine Unterschrift nicht korrekt ist, wird auch nicht gleich die ganze Bank geschlossen. Aus meiner Sicht würde ein Verbot die direkte Demokratie schwächen, die auf dieser Welt einzigartig ist und die ich als sehr wertvoll erachte.»
Und sie untermauert das nachvollziehbar:
«Der Bauernverband kann innerhalb von drei Monaten 100’000 Unterschriften sammeln, weil er auf eine bestehende Organisation zurückgreifen kann. Für Bürgerinnen und Bürger, die eine Volksinitiative auf die Beine stellen wollen, um Defizite in der Politik zu ändern, aber nicht auf solche Strukturen zurückgreifen können, ist es viel schwieriger. Das Einreichen von Initiativen darf nicht zum Privileg der grossen Parteien und Verbände werden.»
All das geht natürlich den Provokateuren bei Tamedia schwer an einem gewissen Körperteil vorbei. Sie haben aber gute Chancen, dass sie wie bei den immer als Flop endenden Leaks und Papers auch hier einfach etwas verbrannte Erde hinterlassen, möglicherweise eine weitere Firma ruinieren (so wie in der Vergangenheit diejenige eines schweizerisch-angolanischen Geschäftsmannes, gegen den kein einziger Vorwurf vor Gericht standhielt), um sich dann einfach zu trollen und jede Verantwortung abzustreiten.
Damit stärken sie natürlich, wie Ameti, ungemein ihre Reputation und ihr Image als ernstzunehmende öffentliche Stimme.