NZZaS: kleines Zwischenhoch
ZACKBUM ist unparteiisch und so objektiv wie ein Objektiv. Daher Lob, wem Lob gebührt.
Die ersten Bünde der aktuellen NZZaS kann man überblättern. Nicht schlecht, nicht wirklich gut. Besser als die übrige Sonntagspresse. Das ist allerdings ein Kompliment wie: ein Burger von McDonald’s ist besser als kein Burger.
Aber dann kommt der Kultur-Bund. Von erschreckendem 10-Seiten-Umfang. Auf der letzten Seite noch Leserbriefe, Wetter und Impressum. Wo ist Jonas Projer, fragt man sich dort. Aber wer kennt schon alle Sitten des Hauses.
Aber vorher, da geht die Post ab. Es sind zwar zwei Leihstücke, aber das macht ja nichts; man muss auch richtig auswählen können. Zunächst Sophie Passmann mit einem Essay über die sozialen Netzwerke. Sie seien so wie «früher das Fischessen am Aschermittwoch: Statt Freiheit herrschen Kontrolle und Gruppenzwang».
Kann man aus diesem nun doch nicht neuen Thema noch Neues herauskitzeln? Durchaus, wenn man kann. Schon alleine, um die Fallhöhe zu bestimmen, die hier zum Flachsinn existiert, der bei Tamedia, «Republik», CH Media das Wort Essay missbraucht, sollte man das lesen.
«Jede Botschaft auf Facebook, Twitter oder Instagram funktioniert als Ich-Botschaft. Es geht nicht um den Artikel, den ich teile, sondern die Gefühle, die ich beim Lesen des Artikels habe. Es geht auch nicht darum, wie der Inhalt des Artikels in der Welt funktioniert, sondern darum, wie die Tatsache dass ich den Artikel teile, mich im digitalen Raum positioniert. Ich, ich, ich.»
Ein Vorspiel zu einem grossen Essay
Das ist keine schlechte Ergänzung zu dem, was wir hier als das Betasten des eigenen Bauchnabels bezeichnen. Das Ich bekommt eine ganz neue, auch ausgeliehene Wichtigkeit. Früher war sich der Schreiber an «mein liebes Tagesbuch» bewusst, dass der Leserkreis doch sehr überschaubar bleibt. Er also etwas mit sich selbst ausmachen wollte. Heute, dadurch, dass diese Tagebücher öffentlich geworden sind, meinen leider allzu viele, dass ihre völlig unerhebliche, uninteressante persönliche Befindlichkeit zu irgendwas eine Bedeutung hätte. Indem andere Witzfiguren ein Smiley, einen Daumen oder gar einen Kommentar dazustellen.
Aber das ist nur ein Vorspiel zu einem wirklichen Essay. Das ist von Daniel Kehlmann (nur googeln, liebe Frau Zukker). Es ist gleichzeitig ein Vorabdruck, denn Kehlmann hat es zu einer Neuedition der «Stoffe» geschrieben. Nicht googeln, Frau Zukker, das ist oberhalb Ihrer Gehaltsklasse.
Als wär’s ein Stück von Dürrenmatt
Ich gebe zu: die «Stoffe» von Friedrich Dürrenmatt waren mir als Gesamtwerk zu monströs. Als er mir in seinem letzten Interview vor dem Tod sagte, dass ihn das Stoffe-Projekt irgendwie entwuchert war, er sich wohl noch länger, aber vergeblich darum bemühen müsse, es zu bändigen, es halt nicht zuletzt ein typischer, absurder Dürrenmatt geworden sei, da beschloss ich, «Turmbau» und «Labyrinth» so sein zu lassen.
Bis mir hier Kehlmann erklärt, dass das ein Fehler ist. Völlig überzeugt bin ich nach diesem Vergleich:
«Seine späte Prosa mit ihren Labyrinthen, Minotauren und unablässig lockenden Weltuntergängen hat wohl kaum einen engeren verwandten als den argentinischen Magier Jorge Luis Borges.»
Obwohl Borges in meinem privaten Götterhimmel der ganz Grossen hell leuchtet, wäre ich nie auf diesen Vergleich gekommen. Der aber sofort einsehbar und richtig erscheint. Es wäre natürlich nicht ein Stück von Dürrenmatt und hier über Dürrenmatt, wenn es nicht eine Monstrosität enthalten würde.
Das ist der Anlass des Essays; eine Neu-Edition des Stoffe-Projekts. Fünf Bände, 2208 Seiten, erweiterte Online-Version. 483 Franken. Danke, Diogenes. Aber es gibt auch weniger umfassende Ausgaben der Stoffe. Und die müssen nun natürlich gelesen werden. Danke, NZZaS.