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Die Baldwin-Tragödie

Was macht man, wenn man nichts weiss? Man macht was draus.

Es ist eine schreckliche Tragödie, dass der Schauspieler Alec Baldwin am Set zu einem Western eine Kamerafrau erschossen und den Regisseur lebensgefährlich verletzt hat.

Mehr gab es dazu am Tag der Tragödie eigentlich nicht zu sagen. Was aber im modernen Elendsjournalismus nicht geht. Berühmter Schauspieler, Hollywood, Western, Schüsse, echte Kugeln, Wahnsinn.

Also wurde das getan, was die Journaille in solchen Fällen zu tun pflegt. Zunächst wurde das Ereignis so detailliert wie möglich geschildert. Mit anderen Worten aus US-Quellen abgeschrieben.

In der Eile des Gefechts bietet «Blick» den gleichen Video zweimal an.

Nun folgte Phase zwei, damit die Kindersoldaten in ihren Verrichtungsboxen im Newsroom nicht etwa auf die Idee kämen, die Füsse hochzulegen, ihre Social Media-Seiten zu pflegen oder gleich ein Ballerspiel reinzuziehen.

Tamedia fragt sich, weiss aber doch schon, dass es definitiv ein Versehen war.

Nun fragt der Tagesverantwortliche nach den Nachzügen. Die Möglichkeiten liegen auf der Hand und sind banal:

  • Die Liste der schlimmsten Unfälle bei Drehs oder am Set
  • Der Fachmann sagt Fachmännisches
  • Was für Unfälle gab es schon an Schweizer Drehs?
  • Was sagt Baldwin, was sagen Kollegen, was sagen Hinterbliebene?
  • Wie funktioniert eigentlich der Einsatz von Schusswaffen an einem Dreh genau?
  • Sind das echte Waffen oder falsche, gibt es echte Munition oder nur Platzpatronen?
  • Welche Verschwörungstheorien kann man hochziehen? Wollte jemand Baldwin Übles? Der hat doch Donald Trump imitiert. Oder hatte Baldwin selbst etwas gegen die Kamerafrau?

Daraus ergibt sich dann das jämmerliche Bild von Newsplattformen, die eigentlich keine News haben, aber so tun als ob.

CH Media setzt auf Verschwörungstheorie.

Um sich von der Konkurrenz etwas abzuheben, versucht es die NZZ mit einer ganz gelehrten Einleitung:

«Der Versuch, Adolf Hitler zu stürzen, endet für Claus Schenk Graf von Stauffenberg nicht gut:

Nach dem gescheiterten Attentat wird er in der Nacht des 20. Juli 1944 von Nazi-Offizieren erschossen.
Der Schauspieler Tom Cruise hat den Dreh des Films Operation Walküre, in dem er Stauffenberg darstellt, dennoch überlebt.»

Das nennt man mal die Nazikeule in einem überraschenden Zusammenhang zücken.

Auch die NZZ übt sich in Boulevard und feuert gleich drei Artikel ab.

Ansonsten gilt das gute alte Boulevard-Prinzip: wenn man nichts Genaues weiss, ja nicht auf die Äste rauslassen.

Aber das Ereignis war selbst der «Tagesschau» eine Meldung wert, obwohl doch in den USA pro Jahre Tausende von Menschen erschossen werden. Allerdings nicht an einem Filmset.

So viele Fragen offen, so wenig Antworten

Wie ist es eigentlich mit der Verwendung von Waffen bei Drehs? Sind die alle echt oder gefälscht? Oder kommt’s drauf an? Gibt’s wirklich noch einen Waffenmeister? Wie ist das bei Wahnsinnskriegsszenen, zum Beispiel bei der einleitenden Sequenz von «Saving Private Ryan», wo die blutige Landung an der Normandie von Steven Spielberg so hautnah verfilmt wurde, dass der Zuschauer Angst bekommt, dass auch hier der Kameramann erschossen werden könnte, so brutal-realistisch sind die Szenen.

Wenn das Maschinengewehr rattert, die Kugeln in Mensch und Material einzuschlagen scheinen, Verputzstücke durch die Luft fliegen, Blutfontänen spritzen, Körper im Stakkato zucken, während sie vermeintlich durchsiebt werden: natürlich stehen alle wieder auf, wenn der Regisseur die Szene abwinkt. Aber wie geht das genau?

Da sind die Experten wieder verschiedener Meinung, von «eigentlich ausgeschlossen» über «niemals echte Munition am Set» bis zu «brandgefährlicher Umgang mit echten Waffen» ist alles zu haben.