Schlagwortarchiv für: Corona-Zahlen

Wie blöd ist das denn?

«Blick» berichtet, worüber «Blick» wie berichtet.

«Blick» berichtet nicht mehr über die Fussballresultate. «Blick» kennzeichnet keine zuversichtlich stimmende Artikel über den FCZ mehr mit «Good News».

Nein; Scherz. «Blick» berichtet nicht mehr über Militärputschs in Afrika und zählt die auch nicht mehr durch. Schon wieder Scherz. Jetzt aber mal im Ernst:

  • «Ab sofort pusht Blick.ch die täglichen Corona-Zahlen nicht mehr (Infektionen, Tests, Spitaleinweisungen, Tote).
  • In der Blick TV-Sendung «Der Tag in 5’» werden die Corona-Zahlen nicht mehr als eigene Kurz-News vermeldet.
  • Die Blick-Gruppe wird selektiver über die weltweite Covid-Lage berichten.
  • Zuversichtlich stimmende Corona-Artikel werden nicht mehr als «Good News» gekennzeichnet.»

Bei dieser Meldung im «Blick» fragt man sich allerdings, wie viele Mitarbeiter der Gruppe einen Löffel dabei hatten, als der Herr Hirn vom Himmel regnen liess.

Sollte ein Newsmedium tatsächlich seinen Lesern erzählen, wie, warum, wie nicht und auf welche Weise es zu berichten pflegt?

Da capo. Bitte gleiche Auskünfte zur Berichterstattung über die Olympischen Spiele in China. Über die Abstimmung zum Mediengesetz. Über Bundesrat Berset. Über den eigenen und die anderen Medienclans.

Corona-Zahlen sind Glücksache

Das BAG kann nicht zählen. Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht.

Achtung, Achtung. Nach der ersten Welle droht die zweite Welle. Warum? Nun, da würde natürlich interessieren, wenn das möglich ist, wo sich denn die Schweizer vor allem anstecken. Im Ausgang, auf Partys, im Ausland oder wie?

SRF stopfte das gähnende Sommerloch am Freitag vor dem 1. August mit einem Exklusiv-Bericht. Es wollte vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) wissen, wo denn die meisten Ansteckungen stattfinden.

«Feiern, bis der Arzt kommt», diesen Kalauer konnte sich dann «10vor10» nicht verkneifen, denn ganze 41,6 Prozent infizierten sich in Clubs oder Discos, 26,8 Prozent in Bars und Restaurants. Damit hatten «Tagesschau» und «10vor10» auch in Gurken-Zeiten die Aufmacherstory.

Insgesamt seien zwischen dem 16. Juli und dem 1. August 2020 beim BAG 793 Meldungen eingegangen, schob das BAG am Sonntag, 2. August, nach. Offenbar waren die über 600 Beamten am Nationalfeiertag auch kräftig am Jubeln und Jodeln. Denn sie brauchten doch 48 Stunden, um sich «für diesen Fehler zu entschuldigen». Was für einen Fehler?

Völlig falsche Zahlen

Es habe da, nun ja, «eine falsche Zuordnung» gegeben. Bei näherer Betrachtung sei mit 27,2 Prozent die Ansteckung durch ein Familienmitglied Ursache Nummer eins. Bei der Arbeit hätten sich 8,7 Prozent angesteckt, bei «Privatfesten» 3 Prozent, in Clubs und Discos 1,9, in Bars und Restaurants 1,6 und bei «spontanen Menschenansammlungen» 2,1 Prozent.

Ach, und mit fast 40 Prozent ist der Anteil von Ansteckungen der mit Abstand grösste, für den es keine genaueren Angaben gibt. Nun ist zwischen 41,6 und 1,9 Prozent doch ein klitzekleiner Unterschied, ebenso zwischen 26,8 und 1,6, der eigentlich auch einem Beamten in Feierlaune nicht entgehen sollte.

Das nannte man früher eine Ente, heutzutage Fake News. Aber nicht etwa aus dunklen Quellen, sondern vom obersten Schweizer Gesundheitsamt. Mit dieser peinlichen Korrektur ist’s ja nicht getan. Die wurde dann am Sonntagabend elektronisch und montags überall gemeldet. Mit oder ohne Häme.

Auch die Journalisten fragen nicht nach

Aber auch diesmal beschränkten sich die Journalisten darauf, die korrigierten Zahlen nachzureichen. Ohne sich ein paar nötige, zusätzlich Fragen zu stellen. Denn das BAG molk seine Auswertung aus knapp 800 Meldungen, die innert 14 Tagen eingegangen seien. Wobei fast die Hälfte nicht die genaueren Umstände der Infektion bekanntgab. Aus dem mageren Rest von rund 400 Meldungen kann man nur mit jedem Statistiker die Zornesröte auf die Stirn treibender Akrobatik signifikante Zahlen ableiten.

Nach wie vor müssen die Zahlen der Neuinfektionen in der Schweiz – nicht ganz unwichtig für die Entscheidung, wieder schärfere Massnahme zu ergreifen oder nicht – aus Angaben der Kantone und des BAG zusammengestöpselt und geschätzt werden. Da beträgt der (geschätzte!) 7-Tagesschnitt 158. Das bedeutet, dass sich in diesen 14 Tagen rund 2’200 Personen in der Schweiz neu angesteckt haben.

Bei 1800 hat man offenbar keine Ahnung, wo und wie. Ist das viel oder wenig oder was? Auch dazu lässt sich schlecht etwas sagen, weil seit Anfang Juli die Zahl der Tests deutlich hochgeschraubt wurde. Logisch:  mehr Tests, mehr identifizierte Infizierte. Während aber Mitte März mit weniger Tests bis zu 1300 Personen täglich positiv waren, sind es am 30. Juli lediglich 244.

Entscheidungen weiterhin im Blindflug

Die sogenannte Positivrate, als das Verhältnis zwischen Getesteten und Infizierten, beträgt zurzeit etwas über 4 Prozent, es lag im März schon mal bei über 26 Prozent. Waren am 1. April 2211 Corona-Patienten hospitalisiert, als Höhepunkt 431 davon auf der Intensivstation, sind in den letzten Wochen im Schnitt etwas über 100 Personen hospitalisiert, von diesen etwas über 20 auf der Intensivstation. Die Zahl der täglichen Todesfälle liegt seit Anfang Juni im einstelligen Bereich.

Ist das viel, ist das wenig, kommt eine zweite Welle, ist die Bevölkerung in der Schweiz durchseucht, also immunisiert, wie viele Einwohner sind symptomlos positiv, wie viele genesen, wie viele negativ getestet? Was wissen wir über Ansteckungscluster, also welche Faktoren weisen auf eine überproportionale Gefahr einer Ansteckung hin? Sind weiterhin vor allem Ü-65-Jährige gefährdet, oder hat sich das verändert?

Schlimm ist: Wir wissen es nicht. Das BAG weiss es nicht, niemand weiss es. Schlimmer ist: Also werden weiterhin allfällige Massnahmen im Blindflug getroffen. Am schlimmsten ist: Die zu Tode gesparten Medien gehen ihrer Aufgabe als vierte Gewalt nicht mehr nach. Sie treten das Thema Mundmasken quer und längs und breit, interviewen immer die gleichen Fachleute, aber mangels Sachkompetenz stellen sie diese Fragen weder, noch liefern sie Antworten.

Vierte Gewalt, Kontrollinstanz, vor allem gegenüber Regierung und Staat? Natürlich ist es grob übertrieben, von nordkoreanischen Verhältnissen zu sprechen. Aber wir sind auf gutem Weg dorthin.