Wir nehmen, was wir kriegen
Werbende Redaktion: die durchlöcherte Trennung.
Völlig unabhängig: Links die Lieblingsbrote der «Watson»-Redaktion. Rechts: reiner Zufall?
Die Erklärungen werden immer abenteuerlicher. Der Chefredaktor von «watson» räumt ein, dass seine Journalisten auch Werbetexte absondern müssen. Vornehm umschrieben als «Paid Content», «Publireportage», «native Ad» oder wie auch immer.
Dadurch sei keine Beeinflussung des redaktionellen Inhalts möglich, da die Redaktoren nicht wüssten, für welche Firma sie als Werbetexter in die Tasten griffen, behauptet er. Da lachen ja die Hühner. Bei diesem Beispiel hier haben kritische und völlig unabhängige «Watson»-Schreibknechte ihre Lieblingsbrote vorgestellt, mitsamt Rezept. Wunderbar, wir wussten doch, dass «Watson» was mit Teig zu tun hat. Und rechts? Nett von der Migros, noch ein paar Backtipps zu geben.
Der Laie und der Fachmann fragt sich: Wie nennt man denn das? Eingebackene Werbung? Altes Brot? Wer keine Ahnung hat, fragt den Chefredaktor von «Watson», Maurice Thiriet. Der weiss es: «Dieses Produkt heisst Content Bridge.» Wunderbar. Wenn also James Bond das nächste Mal auf seine Omega schaut oder einen Bollinger bestellt, dann kann man kennerisch murmeln: Ah, eine Inhaltsbrücke. Dabei hatte Dom Pérignon viel mehr Stil, aber da scheint die Inhaltsbrücke zusammengebrochen zu sein. Denn Bond säuft, wofür er bezahlt wird.
Das Versprechen einer Zeitungsredaktion – ob online oder im Print – lautet: Lieber Leser, du bekommst hier nach allen journalistischen Regeln erarbeitete Artikel serviert, die den Kaufpreis wert sind. Stichwort Qualitätsjournalismus.
Da leider dein Abonnement oder dein Kauf eines Exemplars nicht ausreicht, um alle unsere Unkosten zu decken, servieren wir dir auch Werbung. Die kannst du lesen, überlesen oder dich von ihr verführen lassen.
Treuherziges Geschwurbel
Aber dann legt die Redaktion die Hand aufs Herz, übt ihren besten, treuherzigen Blick und sagt: Aber niemals vermischen wir redaktionellen Inhalt und Werbung. Niemals lassen wir uns von Werbung dazu verführen, unsere strikte Objektivität im redaktionellen Teil aufzugeben. Niemals servieren wir dir Werbung als redaktionellen Inhalt. Auch da lachen die Hühner.
Schon ein einziges Mal einen kritischen Bericht über ein neues Auto gelesen? Zur Kenntnis genommen, dass Autoimporteure, neben Detailhändlern, die letzten grossen Inserenten sind? Schon mal geglaubt, dass die von der Beauty-Redaktion ausgewählten Cremes und Wässerchen völlig unabhängig vom Inserat eines Beauty-Discounters empfohlen werden?
Früher nannte man es Schleichwerbung
Nun kann man sagen, dass der Kaufentscheid für eine Antifalten-Creme oder einen Neuwagen nicht wirklich von umwerfender Bedeutung ist. Auch wenn die Glaubwürdigkeit der redaktionellen Unabhängigkeit angekratzt ist. Genauso wie durch Reiseberichte, die man nicht Reportage nennen sollte, weil verschämt am Schluss erwähnt wird, dass er durch Airline XY und Hotelkette YZ ermöglicht wurde.
Richtig abgründig wird es allerdings mit immer neuen Formen der Werbung, die man nicht mal mehr als Schleichwerbung bezeichnen kann. Und bei der es auch um politische Entscheidungen geht. Zum Beispiel bei der Konzernverantwortungsinitiative. Das ist etwas anderes, als dass bei Tamedia beispielsweise Kochseiten täuschend ähnlich wie redaktionelle Beiträge daherkommen. Aber bezahlte Werbung sind.
So flatterte neben einem redaktionellen Beitrag zur Initiative rechts eine Ankündigung, die versprach, nach der Lektüre zu «unserem Faktencheck» innerhalb eines «Dossiers» zum Thema zu leiten. Faktencheck, Dossier, das sind Begriffe, die Redaktionen gerne verwenden.
Was ist Kontextuelles Zielen?
Nur handelte es sich hier um ein bezahltes Inserat, von einer PR-Agentur aufgesetzt. Im Dienste von Gegnern der Initiative.
Das sei «Contextual Targeting», schwurbelte Tamedia zur Verteidigung, ausserdem sei es dem Leser doch klar, dass Tamedia niemals ein «animiertes Werbebanner» als Verweis zu einem selber gebastelten Inhalt verwenden würde.
Dennoch rügte der Presserat den Konzern zum wiederholten Male, er sei «beunruhigt über die zunehmend feststellbare Verschleierung von kommerziellen Inhalten». Das hat natürlich auch damit zu tun, dass immer mehr Journalisten die Flucht in PR oder Firmenkommunikation antreten. Bevor sie auch noch weggespart werden.
Der Vorwurf, dass der redaktionelle Inhalt auf der Rückseite von Inseraten stattfindet, ist so alt wie die Newsmedien. Daran hat auch das Internet nicht viel geändert. Richtig ist, dass mit solchen Unschärfezonen der überschaubare finanzielle Ertrag mit einem gewaltigen Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen erkauft wird. Wenn das fehlt, ist das Organ zum Untergang verurteilt.
Und hat natürlich jeden Anspruch verwirkt, als angeblich unverzichtbare vierte Gewalt Staatssubventionen zu kassieren.
Der Agent im Dienste ihrer Majestät und von Labels und Marken darf das. Er wird dafür bezahlt. Wer dann so blöd ist, einen Bond-Champagner für 185 Franken zu bestellen, ist selber schuld. Okay, wer «Watson» liest, auch. Ist immerhin gratis.