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Wir basteln uns einen Skandal

Recherchieren war gestern. Anonyme Quelle ist heute.

Was im Grossen schlecht ist, wird im Kleinen nicht besser. In einer unseligen Reihe von angeblichen «Leaks» und «Papers» schlachteten internationale Konsortien von Journalisten gestohlene Geschäftsunterlagen aus, die ihnen von anonymen Quellen zugespielt worden waren.

Ohne sich einen Moment die Frage zu stellen, welche Motive dahinterstecken könnten, aufwendig geraubte Datenberge mit ungeheuerlichem Erpressungspotenzial einfach wegzuschenken, versuchten die Journalisten dann mit viel Aufwand, daraus gigantische Skandale zu basteln. Die regelmässig verröchelten, bis ein Mitglied des sogenannten «Investigativ Desk» von Tamedia frustriert über einem «Skandal, der keiner wurde» jammerte. Weil nach der x-ten Wiederholung das Publikum sich gähnend abwandte.

Hier sind die Quellen anonym und trübe, aber was aus ihnen heraustropfte, war tatsächlich echtes Material, echte Hehlerware mit echten Namen und dann auch echten Opfern. Im Kleinen ist es allerdings noch viel schlimmer.

In der Affäre um die Anschuldigungen von Anuschka Roshani ist wenigstens die Motivation der Anklägerin klar. Sie wollte selbst Chefredaktorin des «Magazin» werden, scheiterte mit ihrer Blindbewerbung und scheiterte im ersten Anlauf mit ihren internen Vorwürfen gegen ihren Chef. Darauf sorgte sie dafür, dass es eine zweite Untersuchung gab, die aber leider auch zum Schluss kam, dass fast alle ihrer Behauptungen nicht erhärtet werden konnten. Das hatte dann die unselige Konsequenz, dass zwar ihr Chef gefeuert wurde, sie aber auch.

Nach Ablauf ihrer Kündigungsfrist holte sie dann zum grossen Schlag aus und hatte das Glück, bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber «Der Spiegel» eine Trommel zur Verfügung gestellt zu kriegen, mit der sie einen wahren Paukenschlag landen konnte.

In ihrer vierseitigen Anklageschrift kolportiert sie Anschuldigungen, die ihr offenbar zugesteckt worden waren. Natürlich ohne ihre Quellen zu nennen. Eine ist inzwischen enttarnt.

Was in dem Monat seit dieser Veröffentlichung geschah, ist ein weiterer Niedergang zu einem neuen Tiefpunkt der medialen Berichterstattung. Der Angeschuldigte wurde öffentlich hingerichtet, die Unschuldsvermutung bis zur Lächerlichkeit missachtet. Die Anschuldigungen wurden ungeprüft und unrecherchiert kolportiert. Aber damit nicht genug.

In allen Konkurrenzmedien wurden angebliche «anonyme Quellen» zitiert, die die Anschuldigungen Roshanis bestätigen würden, sogar behaupteten, es sei alles noch viel schlimmer gewesen. Nun weiss jeder Journalist, dass einer Quelle, die darauf besteht, nicht namentlich genannt zu werden, mit äusserster Vorsicht zu begegnen ist. Was sind ihre Motive, will da jemand als Heckenschütze Rache nehmen, wie stichhaltig sind seine Behauptungen? Kann er sie belegen oder ist es bloss Hörensagen?

Der Untersuchungsbericht exerzierte eine solche Quellenkritik in einem Fall vor. Und kam zum Ergebnis, dass die Behauptungen von Mathias Ninck nicht glaubhaft waren, nicht zutrafen, mit den Fakten nicht übereinstimmten. Oder in einem Wort: frei erfunden waren.

Ein ehemaliger redaktioneller Mitarbeiter des «Magazin» setzte einen Tweet ab, in dem er behauptete: «Wer es auf der Redaktion miterlebte, kann immer noch schwer begreifen, dass Canonica danach noch sieben Jahre länger Chefredaktor bleiben konnte.» Immerhin stand er mit seinem Namen dazu. Aber auf die Frage von ZACKBUM, was genau er denn miterlebt habe, verfiel Dominik Gross dann in tiefes Schweigen.

Machen wir doch ein rein theoretisches Beispiel. ZACKBUM würde behaupten, dass Pietro Supino unbefugt in die Kasse von Tamedia gegriffen habe, um die Renovation seines Luxusanwesens in Zürich zu finanzieren. Das würden mehrere, voneinander unabhängige Quellen bestätigen, deren Namen leider nicht genannt werden könnten, die aber glaubwürdig und mit dem Vorgang vertraut seien.

Supino würde sofort seinen Anwalt in Marsch setzen, der ohne Federlesens die sofortige Löschung dieser Behauptung und eine Entschuldigung fordern würde. Sich zudem weitere Schritte wie Verurteilung samt Schadenersatz ausdrücklich vorbehielte. ZACKBUM wäre sehr gut beraten, allen diesen Forderungen sofort nachzugeben, zu Kreuze zu kriechen und darum zu betteln, keinen Krach vor Gericht anzufangen.

Ausser, wir würden tatsächlich über Versicherungen an Eides statt plus entsprechende Dokumente verfügen. Aber die blosse Behauptung, darüber zu verfügen, reicht eben nicht. Da nützt auch die Berufung auf Quellenschutz nichts, wie schon Philipp Gut schmerzlich erfahren musste.

Denn der Trick ist einfach. Der Journalist selbst stellt eine ehrenrührige und geschäftsschädigende Behauptung auf. Dafür muss er den Beweis antreten. Er kann nun aber nicht den Trick verwenden, als Quelle einen Informanten anzugeben, den er mit Berufung auf sein Recht auf Quellenschutz leider nicht identifizieren könne, der es ihm aber mit heiligen Eiden versichert habe.

Im Fall Roshani kann nun der Schweizer Journalismus seine neuerlich verlorene Ehre und seine Glaubwürdigkeit nur zurückgewinnen, wenn Auskünfte über diese allgemein verwendeten «anonymen Quellen» erteilt werden. Zuvorderst sind da «Spiegel» und «Die Zeit» gefordert. Auch ZACKBUM gegenüber behauptet beispielsweise «Die Zeit», dass ihr die Quellen der einschlägig vorbelasteten Mitarbeiterin Salome Müller bekannt seien. Hand aufs Herz: das kann doch wohl nicht stimmen, behauptet ZACKBUM, ohne dafür eine andere Quelle als den gesunden Menschenverstand zu haben.

Denn es ist absurd anzunehmen, dass ein Journalist selbst seinem Verlag gegenüber die Namen seiner Quellen preisgäbe. Daher können wir der «Zeit» nur raten, dementsprechend auf Müller einzuwirken. Um dann ein blaues Wunder zu erleben. Denn Müller war schon Rädelsführerin, als vor ziemlich genau zwei Jahren 78 erregte Tamedia-Mitarbeiterinnen ein Protestschreiben verfassten, in dem sie mit über 60 Beispielen belegen wollten, welche frauenverachtenden, demotivierenden und sexistischen Zustände in ihrem Verlag herrschten. Nur: bis heute wurde kein einziges dieser anonymisierten Beispiele verifiziert …

Unabhängige Quellen

Journalisten brauchen Informanten. Denn nicht alles lässt sich recherchieren.

Es gilt bis heute als Paradestück für die Macht der Medien. Was unter dem Begriff «Watergate-Skandal» in die Geschichte einging, führte zum erzwungenen Rücktritt des US-Präsidenten Richard Nixon.

Es wurden Heldenlieder auf die zwei Investigativ-Journalisten gesungen, auf den Mut ihrer Vorgesetzten, des Chefredaktors und der Herausgeber der «Washington Post», die es wagte, trotz massiven Einschüchterungsversuchen eine Enthüllung nach der anderen zu publizieren.

So wurde die Recherche zu einem auf den ersten Blick nicht sonderlich aufregenden Einbruch in das Wahlkampfhauptquartier der Demokraten in der Überbauung Watergate zu einer Schlinge, die sich immer enger um den Hals des amtierenden Präsidenten zusammenzog. Bis er einer drohenden Amtsenthebung nur durch Rücktritt und Amnestie durch seinen Nachfolger entging.

Dabei spielte eine Quelle eine grosse Rolle, die unter dem Namen «Deep Throat» bekannt wurde. Ein anonymer Informant, der den beiden Reportern in entscheidenden Momenten die Richtigkeit ihrer Recherche bestätigte und ihnen auch gelegentlich Tipps gab, wo sie weiter suchen sollten.

Es wurde lange Zeit gerätselt, wer das wohl sein könnte, und ob diese Person wirklich existierte. Bis sich erst viele Jahre später herausstellte, dass es sich um einen Associate Director des FBI namens Mark Felt handelte.

«Deep Throat» Mark Felt.

Seither werden die Bezeichnungen «-gate» oder «Deep Throat» für jeden Pipifax missbraucht, in den degenerierenden Medien. Als der «Weltwoche»-Journalist Urs Paul Engeler dem damaligen Nationalbank-Präsidenten fälschlicherweise krimineller Handlungen beschuldigte, berief er sich dabei auf angeblich zwei Quellen, eine nannte er «Deep Throat». War nur eine, die Anschuldigung war falsch, aber man konnte es ja versuchen.

Wenn niemand die Identität der Quelle kennt …

Die Verwendung von anonymen Quellen ist höchst problematisch. Zunächst, wenn sie auch gegenüber dem Journalisten ihr Inkognito wahren will. So wie das bei allen Datendieben der Fall ist, die immer wieder Pseudoskandale mit gestohlenen Geschäftsdokumenten anstossen. Denn weder der Journalist, noch seine Leser wissen, welche Motive diese Quellen antreiben. Ob ihre Informationen gefiltert sind, ob sie damit bestimmte Absichten verfolgen.

Etwas entspannter wird die Situation, wenn der Journalist die Identität seines Informanten kennt, dieser aber aus meist verständlichen Gründen nicht in der Öffentlichkeit auftreten will. Aus Angst vor Repressalien, Verlust der Arbeitsstelle, gar körperlichen Bedrohungen.

Da kann der Journalist Vertraulichkeit zusagen; er ist nicht verpflichtet, den Namen eines Informanten zu nennen. In den meisten Fällen. Allerdings kann sich der Journalist in Selbstverteidigung dann nicht auf solche Informationen berufen. Das musste der ehemalige «Weltwoche»-Journalist Philipp Gut schmerzlich erfahren. Er meinte, sich damit verteidigen zu können, dass er über sichere Informationen verfüge, deren Quelle aber nicht nennen könne. Er wurde verurteilt.

Neben den anonymen Leak-Quellen verwendet vor allem das Online-Magazin «Republik» immer wieder Informanten, deren Identität nicht presigegeben werden könne. Wohl auch aus diesem Grund fällt die «Republik» damit immer wieder auf die Schnauze, nicht nur im Fall «Globe Garden» oder ETH.

Denn so verführerisch die Verwendung von anonymen Anschuldigungen und Behauptungen auch sein mag, weil sie die Publikation von vermeintlichen Skandalgeschichten ermöglicht: es gehört zum Handwerk des Journalisten, in solchen Fällen die Belastbarkeit dieser Informationen sorgfältig abzuklären.

So hat auch das Team Bernstein und Woodward in ihrer Recherche, die sie bis ganz nach oben in der Hierarchie der Macht führte, nicht einfach auf Einflüsterungen und Anfüttern vertraut, so verführerisch das auch gewesen sein mag. Sie wendeten ein Prinzip an, das heutzutage immer öfter vernachlässigt wird:

Eine anonyme Information wird erst dann verwendet, wenn ihr Wahrheitsgehalt von einer zweiten, unabhängigen Quelle bestätigt wurde. Also Person X sagt: In meiner Firma gibt es einen riesigen Skandal. Person Y, vertrauenswürdig und kenntnisreich, bestätigt das. Los geht’s.

Es kann schnell unangenehm werden

Sonst kann’s teuer werden. Im Falle des Schweizer Botschafters in Berlin wurde es schweineteuer, weil Ringier die Behauptungen einer angeblichen Zeugin nicht belegen konnte. Denn wer behauptet, muss beweisen. Der Beschuldigte muss nicht seine Unschuld beweisen.

Andererseits gilt leider: etwas hängen bleibt immer. Geschäftsschädigung wie im Fall «Globe Garden», Rufschädigung wie im Fall ETH. Aber leider meistens ohne finanzielle Konsequenzen für den Verursacher.

Zum grossen Ungemach der Journalisten kann sich dabei nicht nur die Quelle, sondern auch der Transporteur, also der Publizist, strafbar machen. In allen Ländern der Welt gilt das Geschäftsgeheimnis, die Vertraulichkeit von Informationen, die man durch seine Tätigkeit erlangt.

Absurd, dass das im Fall des Credit Suisse-Diebstahls kritisiert wird. Wer interne Informationen, Kundengeheimnisse, Bakgeheimnisse für veröffentlichungswürdig hält (selbst wenn er die Motive des Datendiebs nicht kennt), muss sich halt auf Konsequenzen einstellen.

Immer wieder wird der flammende Appell «J’accuse» von Émile Zola missbraucht. Dass der Autor deswegen zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde und nach England fliehen musste, das ist den meisten geschichtsvergessenen Epigonen nicht bekannt.

Auch nicht, dass die Verwendung anonymisierter Quellen nur dann funktioniert, wenn eine Voraussetzung erfüllt ist: Das Organ, der Autor haben für den Leser Glaubwürdigkeit und Ansehen. Nur dann kann man mit solchen Quellen arbeiten. Da die Journaille täglich bemüht ist, Ansehen, Reputation, Glaubwürdigkeit, Seriosität der Massenmedien weiter in den Keller zu schreiben und zu senden, ist es um die Verwendung solcher Informanten immer schlechter bestellt.

Immer häufiger vermutet das Publikum, dass die «mehreren, voneinander unabhängigen und vertrauenswürdigen Quellen» in wirklich nur eine einzige sind. Oder, auch nicht unüblich, nur in der Fantasie des Autors existieren. Denn wenn ich als Leser nicht nachprüfen kann, wer die Quelle ist, müsste ich vertrauen. Diesen Fabrikanten von Einheitssaucen aus zum Skelett runtergesparten Zentralredaktionen? Wo Kindersoldaten in Verrichtungsboxen klickgetrieben eine News nach der anderen raushauen müssen, weil sie daran gemessen werden?