Schlagwortarchiv für: Alexander Kluge

Der Deutsche ist unbelehrbar

Über 100’000 Unterzeichner hat ein offener Brief gefunden. Und ein paar Kritiker.

Deutsche Intellektuelle fordern vom Bundeskanzler Olaf Scholz, dass er seine bedächtige Politik beibehält und alles tut, um einen Dritten Weltkrieg zu vermeiden. Dazu gehört auch, an die Ukraine keine schweren Waffen zu liefern und Präsident Putin keinen Vorwand zu liefern, Deutschland oder die NATO als direkt involvierten Kriegsgegner anzuschauen.

Man kann über diese Position, die immerhin unter anderen von Alice Schwarzer, Alexander Kluge und diversen weiteren Schwergewichten des deutschen Geistes unterstützt wird, geteilter Meinung sein. Oder ihr zustimmen wie der ZACKBUM-Autor René Zeyer.

Was beelendet, ist das Niveau der Kritik daran. Der «Satiriker» Jan Böhmermann wurde schon mit einem Schmähgedicht über den türkischen Autokraten Erdogan verhaltensauffällig. In seine Reaktion auf den offenen Brief erreicht er einen neuen Tiefpunkt:

Man kann ihn beruhigen: das ist nur der Fall, wenn er selbst von einer Rakete getroffen würde.

Dass der ukrainische Botschafter in Deutschland tobt, ist zwar verständlich, aber alles andere als diplomatisch:

«Keiner mit Verstand soll Ihre schäbige Emma kaufen.» Damit zeigt Melnyk, was er von westlicher Meinungsfreiheit hält. Nichts. Er möchte gerne ukrainische Zustände in Deutschland, aber das wird nicht passieren. Herrschten gegenüber der Ukraine normale Zustände, würde der Botschafter zumindest einbestellt und mit einer scharfen Protestnote bedacht.

Auch der Grünen-Politiker Peter Heilrath hat einen Vergleich auf Lager, der an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten ist:

Natürlich liegt in Deutschland die Faschismus-Keule immer gut in der Hand, aber dafür hätte der Autor dieses Tweets selbst eins über die Rübe verdient, für diese unanständige Schamlosigkeit.

Die früher pazifistische Partei «Die Grünen», die sich für die Abschaffung der NATO einsetzte, hat sich, opportunistisch wie immer, in eine Partei von Kriegsgurgeln verwandelt, die gar nicht schnell genug schweres militärisches Gerät in die Ukraine schaffen können. Haltung, das ist denen völlig unbekannt.

Andere keifen «Wahnsinn», «Sofa-Pazifismus» und gebärden sich überhaupt so, als gälte es, mal wieder für Kaiser, Führer und Vaterland in den Krieg zu ziehen. Aber bitte nicht persönlich, so weit geht das Engagement dann doch nicht.

Auch der wohl bedeutendste lebende Philosoph deutscher Sprache artikuliert mahnende Worte: Ihn irritiere  «die Selbstgewissheit, mit der in Deutschland die moralisch entrüsteten Ankläger gegen eine reflektiert und zurückhaltend verfahrende Bundesregierung auftreten».

Altersmilde versetzt Jürgen Habermas all diesen Kriegstrommlern einen sanften Hieb auf die Nase: «Wie tief muss der Boden der kulturellen Selbstverständlichkeiten, auf dem unsere Kinder und Enkel heute leben, umgepflügt worden sein, wenn sogar die konservative Presse nach den Staatsanwälten eines Internationalen Strafgerichtshofes ruft, der weder von Russland und China noch von den USA anerkannt wird.»

Zu Waffenlieferanten gewendete Pazifisten, sorglose Maulhelden, verantwortungslose Kriegstreiber, Denunzianten von jeder besonnenen Wortmeldung: welche Kleingeistigkeit zeigt sich hier. Letztlich auch wieder der gleiche Hass auf diese «Intellektuellen», der in Deutschland immer gerne geschürt wird, wenn man des Volkes Stimme ungestört beherrschen und manipulieren will.

Es ist allerdings richtig: von Böhmermann abwärts und aufwärts kann keiner der Kritiker an diesem offenen Brief behaupten, jemals zu recht als Intellektueller oder als analytischer Denker bezeichnet worden zu sein.

Dumm, dumpf, bösartig und unverantwortlich. Das ist alles bedauerlich, aber erlaubt. Auch noch stolz darauf sein und es öffentlich kund tun: das ist ein starkes Stück.

 

 

Noch ein Lichtblick

Natascha Wodin schreibt ein Essay in der WoZ, das Massstäbe setzt.

«Was nutzt den Toten ihr Heldenmut?» Einen solchen Titel muss man sich mal trauen, in den heutigen Zeiten, wo jeder Ex-Pazifist am Schreibtisch im gut geheizten Büro Kriegslüsternes von sich gibt.

Natscha Wodin hat die Biografie für das richtige Mass an Betroffenheit. Ihre Mutter wurde von den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin verschleppt, Mariupol wurde schon damals in Schutt und Asche gelegt. Wodin hat die intellektuelle Kraft, die Klarheit der Sprache und die Unbestechlichkeit einer empathischen Beobachterin, die es für ein gelungenes Essay in all dem Geschrei und Gekreische der heutigen Zeiten braucht.

Sie beginnt mit einer klugen Beobachtung des deutschen Überintellektuellen Alexander Kluge und setzt damit das Niveau für das Folgende. Und ihr eigener Diskurs, ihr Nachdenken über sich, den Krieg, die Zukunft ist dermassen klug und beeindruckend, dass man sich gar nicht recht eine Zusammenfassung traut.

Man muss tief in sich und in die Ereignisse hinabsteigen können, um zu solchen Sätzen zu gelangen: «Das grösste Verbrechen des Kriegs an denen, die ihn überleben, besteht darin, dass er ihnen das Vertrauen ins Leben nimmt.» Das ist von einer elementaren Wucht, wie sie sonst nur die besten russischen Schriftsteller hinkriegten. Die man ja im Westen boykottieren sollte, wenn es nach den hyperventilierenden Intellektuellen ginge. Auch hier ist Wodin gnadenlos und seziert dieses Verhalten mit ihrem klaren Blick:

«Noch nie haben wir uns mit so viel Enthusiasmus selbst gefeiert, noch nie gab es ein solches Feuerwerk an Selbstgerechtigkeit, noch nie waren wir so überzeugt davon, dass wir die Guten sind.»

Wir verneigen uns vor dieser Autorin, die uns, peinliches Eingeständnis, völlig unbekannt war, und auf deren Essay wir erst aufmerksam gemacht werden mussten. Wir schliessen in dieses Lob auch die WoZ ein, die sich im Gegensatz zu den unsäglichen Kriegsgurgeln im Mainstream traut, einen solchen Brocken auf ihre Leser fallen zu lassen. Ein Essay, das in seiner gnadenlosen Wahrhaftigkeit, in seiner subjektiven Objektivität immerhin Hoffnung leuchten lässt, dass es doch da und dort noch intellektuelle Widerstandsnester gibt, die nicht ins Schablonendenken und die ewigen Wiederholungsschlaufen des Immergleichen geraten sind.

Zur Lektüre strengstens empfohlen. Ach, und da die WoZ ja ihre Artikel gratis zur Verfügung stellt: eine kleine Spende nicht vergessen.