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Beschneidung des Penis,

Pardon: der Pressefreiheit. Was für ein Quatsch.

Der ehemalige Co-Chefredaktor vom «Tages-Anzeiger» frönt weiterhin seinem Lieblingszeitvertreib: «Kommentar zum Ende der Credit Suisse: Der Bundesrat beschneidet mit Notrecht die Pressefreiheit». Das ist ja ein Ding, und nur Mario Stäuble hat’s gemerkt.

Dass es sonst niemandem aufgefallen ist, kann aber auch daran liegen, dass sich Stäuble über Phantomschmerzen beschwert. Denn schon die Unterzeile macht ziemlich misstrauisch: «Die Regierung hält rund um den CS-Kollaps wichtige Dokumente zurück. Das untergräbt das Vertrauen in ihre Arbeit.»

Eiderdaus, das ist ja ein Ding. Denn: «Warum war es nicht möglich, das Ende der Credit Suisse abzuwenden? War der Bundesrat alert genug, oder hat er geschlafen? Und hat die Regierung seriös Alternativen geprüft, bevor sie die UBS drängte, ihre Erzfeindin zu übernehmen? Das sind wichtige Fragen von historischer Bedeutung.»

Aber diese historisch wichtigen Fragen kann zumindest Stäuble nicht beantworten. Warum? Darum: «Aber was hinter verschlossenen Türen konzipiert und besprochen wurde, liegt heute grossteils im Dunkeln.»

Das ist wirklich unverschämt vom Bundesrat. Normalerweise wird hinter verschlossenen Türen nur besprochen, was man anschliessend mit eingeschaltetem Megaphon vor der versammelten Presse verliest. Oder zumindest Stäuble aushändigt, weil der so treuherzig schauen kann.

Aber logisch stringent argumentieren kann er nicht. Nachdem er sich genügend darüber aufgeregt hat, dass verschlossene Türen verschlossen sind und was dahinter besprochen wird, geheim bleibt, räumt er ein: «Das Anliegen ist im Grundsatz nicht unberechtigt. Der Bundesrat muss vertraulich beraten und entscheiden können. Und die Credit-Suisse-Dossiers beim Bund sind voller hochsensibler Geschäftsgeheimnisse.»

Aber Stäuble scheint sich den Spruch der deutschen Aussenministerin mit der 360-Grad-Kehre zu eigen gemacht zu haben, denn am Schluss dreht er sich nochmal rum: «im Zuge des CS-Zusammenbruchs haben wir gelernt: Vertrauen ist alles. Der Bund sollte darum seine Geheimhaltetaktik überdenken.»

Wenn ZACKBUM den irrlichternden Stäuble richtig versteht: Historisch wichtige Fragen wollen beantwortet werden. Deshalb muss Licht hinter verschlossene Türen fallen. Dort wurde allerdings Vertrauliches besprochen, Geschäftsgeheimnisse auf den Tisch gelegt. Aber dennoch sollte das überdacht werden. Also sollte der Bund Vertrauliches veröffentlichen, inklusive Geschäftsgeheimnisse?

Das würde dann allerdings keine historisch wichtige Frage klären, sondern eine banale Antwort provozieren: dann wäre der Bund vollbescheuert. Sowohl historisch wie aktuell.

Die Not mit dem Notrecht

Wie die Mainstream-Medien Grundlegendes ignorieren.

Enteignung von Aktionären? Notrecht. 16 Milliarden mit einem Federstrich ausgelöscht? Notrecht. 209 Milliarden Staatsgarantien? Notrecht. Welches Notrecht eigentlich?

Wenn die Not gross ist, gibt es den sogenannten übergesetzlichen Notstand. Notstand wie Katastrophe, Krieg, Überschwemmung. Notstand wie Notwehr. Welches Notrecht kann eigentlich der Bundesrat anwenden, wenn er durch ihr unfähiges Management in Schieflage geratene Banken retten will, weil er meint, er müsse?

Zunächst einmal steht vor dem Notrecht in solchen Fällen das extra dafür verabschiedete Gesetz zur «Too big to fail»-Problematik. Zunächst einmal steht vor dem Notrecht das von der FINMA, der Bankenaufsicht verlangte und überprüfte Prozedere für systemrelevante Banken, wie die in einem Notfall ordnungsgemäss abgewickelt werden können.

Da mussten sogenannte Testamente eingereicht werden, die einen solchen völlig normalen Vorgang vorzeichnen. Denn es gibt das Grundgesetz im Kapitalismus, dass ein privates Unternehmen pleite gehen kann und muss, wenn sein Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert.

Wenn also beispielsweise eine Bank über 3 Milliarden Miese macht, dafür aber über 30 Milliarden Boni ausschüttet, dann ist sie krank und liegt komatös auf dem Sterbebett. Ist aber, wir sprechen natürlich von der Credit Suisse, keinesfalls ein Notfall. Weil das jahrelang so zu und her ging.

Chronisch Kranke werden normalerweise nicht auf der Notfallstation behandelt. Aber das mag der Bundesrat anders sehen. Weil seine Mitglieder von finanztechnischen Feinheiten keine Ahnung haben, bemerkte die Landesregierung erst vergangenen Donnerstag, dass bei der CS die Hütte brennt.

Da muss die Feuerwehr kommen, mit Alarmsirene und Notrecht. Aber welches Notrecht eigentlich, gibt es denn in der Schweiz eigentlich Notrechtparagrafen? Jein.

Es gibt zwei Artikel in der Bundesverfassung, die dafür hingeprügelt werden. Artikel 184 ist der eine. Der trägt zwar den Titel «Beziehungen zum Ausland», hat aber den Absatz 3: «Wenn die Wahrung der Interessen des Landes es erfordert, kann der Bundesrat Verordnungen und Verfügungen erlassen. Verordnungen sind zu befristen

Was hat das mit einer Bank in Schieflage zu tun? Gemach, es gibt noch Artikel 185. Absatz 2 und 3 lauten:

«Er trifft Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit.
Er kann, unmittelbar gestützt auf diesen Artikel, Verordnungen und Verfügungen erlassen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen. Solche Verordnungen sind zu befristen.»

Jetzt kommt der Witz, der keiner ist: gestützt auf diese beiden Artikel der Bundesverfassung hantiert der Bundesrat mit Notrecht bei Banken. Das tat er mehrfach bei der Rettung der UBS vor dem Abgrund, das tut er inzwischen schon wieder bei der Übung, die CS zum Schnäppchenpreis an die UBS zu verticken. Da fragt sich der juristische Laie, was das Problem der CS mit der «Wahrung der Interessen des Landes» oder mit der inneren Sicherheit oder «mit unmittelbar drohenden schweren Störungen» zu tun habe.

Ha ha, sagt da der Bundesrat, und willige Staatsrechtler, zufälligerweise als Professoren vom Staat angestellt, stimmen ihm zu: ein Zusammenbruch der CS könnte die Interessen des Landes im Ausland beschädigen, ein möglicherweise zusammenbrechender Zahlungsverkehr zu einer Störung der öffentlichen Ordnung führen.

Wenn der Laie nachfragt, ob das wirklich ernstgemeint ist, dann ist die Antwort, professoral eingekleidet oder einfach mit der besserwisserischen Attitüde, die man als Regierungsverantwortlicher haben muss: ja.

Eine solche Umdeutung geht eigentlich überhaupt nicht, müsste völlig ausgeschlossen sein, wenn gesunder Menschenverstand noch eine Rolle spielte. Wie sagt ein Anwalt, der normalerweise nicht zu kräftigen Ausdrücken neigt:

«Ein Megamurks von Beamtenärschen ohne dogmatische Kenntnisse.»

Die Herleitung der Anwendung von Notrecht ist ein Megamurks. Die Legitimation des Notrechts ist ein Megamurks. Was unter Anwendung von Notrecht stattfindet, ist – Überraschung – auch ein Megamurks.

Eigentlich müsste das Notrecht gegen den Bundesrat angewendet werden. Denn mit der Enteignung von Anteilseignern, dem Kotau vor der UBS, der Nichtberücksichtigung von alternativen Rettungsplänen schädigt der Bundesrat das Image der Schweiz und wahrt keinesfalls ihre Interessen. Eine Störung der öffentlichen Ordnung könnte höchstens durch diese Handlungen des Bundesrats eintreten.

Ist das absurd oder nicht? Unter Verwendung eines für solche Fälle gar nicht vorgesehenen Notrechts schafft der Bundesrat einen Notfall, den er eigentlich verhindern will. So geht verantwortungslose Regierungspolitik als Antwort auf verantwortungslose Bankführung.

Hört damit das Gemurkse auf? Nicht wirklich. Die grossen Medien, also Tamedia, CH Media und Ringier, ebenfalls die NZZ, haben in gewählten Worten hin und her gerudert. Einige Professoren sagen dies zu dieser Anwendung des Notrechts. Andere sagen das. Und letztlich gilt doch die Macht des Faktischen; ist nunmal so beschlossen, war wohl nicht anders möglich.

Was sich genau abspielte, das wird inzwischen aus der «Financial Times» abgeschrieben, weil die Schweizer Wirtschaftsmedien nicht mehr in der Lage sind, selber zu recherchieren. Dass der Abschreiber von 16 Milliarden Franken Additional Tier 1 auf null eine heikle Sache sein könnte: um das zu schreiben, muss man zuerst einmal kapiert haben, worum es sich hier genau handelt.

Und da der durchschnittliche Wirtschaftsjourni schon bei der banalen Frage zögert, ob das Eigenkapital zu den Aktiven oder Passiven gehört, nimmt er hier am liebsten den Telefonjoker oder wartet, dass auch das von der FT erklärt wird. Als die sofort von einem «Aufschrei» schrieb, trauten sich Schweizer Journis halb aus der Deckung, nachdem sie dieses Detail vorher schlichtweg überlesen hatten.

Es ist leider so: Bundesrat? Schwach. Nationalbank? Oberschwach. FINMA? Sackschwach. Medien: peinlich. UBS: clever.

Notrecht – und keiner schaut hin

Ukraine, Putin, russische Zensur. Und Notrecht in der Schweiz. Hä?

Kennen Sie das «Bundesgesetz für wirtschaftliche Landesversorgung»? Nein? Dieses Notrecht ist seit dem 23. September in Kraft. Kein Gerücht, denn das wäre strafbar.

Medienecho: nahe null.

In der Schweiz wird wieder einmal Notrecht angewendet. Das letzte Mal wurde damit die UBS im Steuerstreit mit den USA gerettet. Denn nur so war es möglich, am geltenden Bankgeheimnis vorbei Kundendaten an die grösste Wirtschafts- und Militärmacht der Welt auszuliefern, ohne dass sich die verantwortlichen Bankführer strafbar machten. Inzwischen ist das Bankkundengeheimnis geschleift, nur noch ein Papiertiger. Ohne dass das einer Volksabstimmung unterstellt worden wäre.

Tempi passati. Aktuell ist zwar der Zustand der Credit Suisse besorgniserregend, aber eigentlich hat die Schweiz andere Probleme. Versorgungsprobleme. Dafür, bzw. dagegen gibt es das «Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung». Ein harmloser Name, und auch die Zweckbestimmung kommt ganz freundlich daher:

«Dieses Gesetz regelt Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selber zu begegnen vermag.»

Also wie gemacht für die aktuelle Situation. Am 26. September vermeldete die NZZ, und nur sie: «Ohne dass es jemand bemerkt hat: Der Bundesrat hat eine drohende Strommangellage ausgerufen».

Das mag ja nun ein bürokratischer Akt gewesen sein, der halt nur den aufmerksamen Bundeshaus-Redaktoren der alten Tante auffiel. Allerdings heisst es dann am Anfang des Artikels: «Seit Freitag gilt verstecktes Notrecht, zum Beispiel ein Verbot, Gerüchte zu verbreiten. Ein Staatsrechtsprofessor bezeichnet das Vorgehen des Bundesrates als gesetzeswidrig.»

Hoppla. Was stört den Juristen? «Aus Sicht des Zürcher Staatsrechtsprofessors Giovanni Biaggini ist der Entscheid des Bundesrats allerdings äusserst heikel: «Entweder es liegt derzeit tatsächlich eine unmittelbar drohende schwere Mangellage vor. Oder der Beschluss ist gesetzwidrig.»

Gut, das mag nun eine typische Feinheit für einen Strafrechtsprofessor sein, das muss uns doch nicht wirklich beunruhigen. Das hier aber schon. Wir zitieren aus Kapitel 7: «Strafbestimmungen». Da heisst es zum Beispiel in Artikel 54:

«Wer in Zeiten einer unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden schweren Mangellage vorsätzlich und in der Absicht, sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, unwahre oder entstellende Behauptungen über geltende oder bevorstehende Massnahmen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Landesversorgung äussert oder verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Auf Deutsch: Das Verbreiten von Gerüchten wird bestraft. Wobei wer entscheidet, was eine freie Meinungsäusserung (erlaubt), was ein Gerücht (strafbewehrt) ist?

Auch Artikel 49 «Widerhandlungen gegen Massnahmen» oder 50 «Verletzung der Auskunftspflicht» haben es in sich. Widerhandlungen können «mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen» geahndet werden. Zum Beispiel: wer «trotz Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels eine Verfügung nicht befolgt, die sich auf dieses Gesetz oder darauf beruhende Ausführungsbestimmungen stützt».

Das heisst auf Deutsch: Sollte der Bundesrat tatsächlich verfügen, dass die Raumtemperatur nicht über 17 Grad geheizt werden darf, Saunen oder Heizstrahler ausser Betrieb zu nehmen sind, und jemand käme auf die Idee, das vorsätzlich zu ignorieren, kann er im Knast landen. Ob auch schon ein Vollbad dafür reicht, müsste im Einzelfall geprüft werden.

Man mag sich nun fragen, wie denn kontrolliert wird, ob ein «Heiz-Sünder» («Blick») sich nicht den Hintern anfrieren will, sondern wohlige 23 Grad im Wohnzimmer befürwortet. Da käme dann eine der ältesten Geisseln der Menschheit ins Spiel: der Denunziant. Denn keiner zu klein, Kontrolleur zu sein.

Nun mag der liberal gestimmte Mitbürger einwenden, dass es doch seine Privatangelegenheit sei, was sich innerhalb seiner vier Wände abspiele. Ob er dort eingemümmelt in zwei Pullover, Handschuhe und dreifachen Satz Wollsocken ein Zeichen für den Frieden setzen will. Oder sich lieber leichtbekleidet auf dem Fell vor dem knisternden Cheminée hinfläzt, in wohligen 23 Grad. Um dann die auf 80 Grad vorgeheizte Sauna im Keller zu benützen. Anschliessend einen Tee zubereitet, ohne dass ein Deckel den Wassertopf beim Kochen verschliesst. Und aus Bequemlichkeit lässt dieser Sünder auch noch überall das Licht brennen.

Damit stünde er allerdings bereits mit einem Bein im Gefängnis. Oder müsste neben einer gesalzenen Energierechnung auch noch mit einer empfindlichen Busse (Tagessätze bis Fr. 3000.-) rechnen. Aber mindestens so schlimm wird die soziale Ächtung. Wahrscheinlich wird ein alter Begriff neubelebt werden: Kalter Krieg. Wann werden wir die ersten Plakate sehen: «Hier wohnt ein Energie-Frevler»? Die anonyme Schmiererei an der Haustüre: «Sie Putin-Freund, Sie Heiz-Sünder»?

Müssen bedauernswerte Gesetzesbrecher mit einem Schild auf der Brust herumlaufen: «Ich habe zu heiss geduscht und schäme mich»? Kommt die Polizei auf Anzeige des lieben Nachbarn und sichert Beweismittel, dass die Badewanne tatsächlich gefüllt wurde? Der Deckel zwar neben dem Topf liegt, aber keine Spuren erkennbar sind, dass er auch auf dem Topf war? Gibt das verräterische Geräusch eines Föns schon Anlass zu einer Hausdurchsuchung? Zeigt das geeichte Polizeithermometer mehr als 17 Grad? Wird bei 17,1 noch ein Auge zugedrückt?

Aufmerksamen Lesern von ZACKBUM mögen diese Absätze bekannt vorkommen. Das liegt daran, dass wir bereits am 7. September – damals alleine auf weiter Flur – auf dieses Gesetz aufmerksam machten.

Sind das Übertreibungen, ist das eine satirische Überspitzung? Kann man darüber lachen – oder wird uns das Lachen im Hals steckenbleiben?

Zumindest zwei Tatsachen stimmen bedenklich. Die überwältigende Mehrzahl der Leser haben von diesem Gesetz noch nie etwas gehört. Der überwältigenden Mehrheit der Leser ist es entgangen, dass dieses Gesetz bereits seit einigen Wochen in Kraft ist. Der grossen Mehrheit der Leser ist nicht bekannt, dass bereits die Verbreitung von Gerüchten, das Nicht-Befolgen von bundesrätlichen Anordnungen mit hohen Bussen und sogar mit Gefängnis bestraft werden kann.

Das ist kein guter Zustand in einem Gemeinwesen, bei dem die öffentliche Information über hoheitliche Anordnungen ein so wichtiges Gut ist. Selber schuld, man hätte es ja spätestens am 27. September in der NZZ lesen können? Nein, das ist kein tragendes Argument. Es gab und gibt keine öffentliche Debatte über diese potenziell einschränkenden und repressive Anwendung eines Notrechts.

Damit die Kirche im Dorf bleibt: Das ist nicht der Anfang des Endes der direkten Demokratie und der Mitbestimmung des Schweizer Staatsbürgers. Aber es ist beunruhigend.