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Schreibtäter Tobler

Ein Realitätsverweigerer nennt einen anderen so.

Der frischgebackenes Leiter des «Teams Gesellschaft/Debatte» von Tamedia mag Ueli Maurer nicht. Andreas Tobler mag auch die SVP nicht. Das ist so bekannt wie langweilig.

Nun hatte sich der Alt-Bundesrat ausgerechnet Tamedia ausgesucht, um zum ersten Mal seine Meinung zu den Erkenntnissen der PUK zum desaströsen Untergang der CS zum Besten zu geben. Dazu gehört auch die erstaunliche Aussage, dass er den Bericht gar nicht gelesen, dennoch eine dezidierte Meinung dazu habe.

Wie jeder Politiker weist Maurer jegliche Schuld an der Katastrophe weit von sich, räumt lediglich ein, dass er vielleicht von der CS-Spitze etwas eingeseift worden sei. Das ist nun alles schon Altpapier, bevor das Interview gedruckt wurde. Schnee von gestern. Unerheblich. Keine Sternstunde Maurers.

Aber für den Brachialjournalisten «Rammstein-Konzerte absagen»-Tobler Anlass genug zum Nachtreten. Dabei wäre doch seine Beförderung eine gute Gelegenheit gewesen, mal ein wenig Selbstkritik nach einer solchen Anzahl von Fehlleistungen zu üben, die ihn in jedem anständigen Medienhaus zum Ausgang und nicht nach oben geführt hätten.

Oder vielleicht war es ein wenig Neid, dass der Interview-Crack Tobler (er kroch schon Bärfuss, Neubauer oder Friedman verbal hinten rein) nicht höchstpersönlich mit Maurer sprechen durfte.

ZACKBUM kann sich nicht oft genug wiederholen:

Wer solchen Unsinn verzapft, wer die Unschuldsvermutung mit Füssen tritt, wer künstlerische und wirtschaftliche Existenzen rücksichtslos vernichten möchte, ist eigentlich für ein sogenanntes Qualitätsmedium nicht mehr tragbar.

Stattdessen nun ein gähnlangweiliges Abarbeiten am politischen Feindbild:

«… Ueli Maurer selbst, der sich im Interview hartnäckig den Fakten verweigert … seine Aussage ist vor allem komplett faktenfrei … auch sonst verweigert sich Maurer wiederholt den Fakten … Maurer ist daher kein Sündenbock, sondern ein Realitätsverweigerer» usw.

Das ist Polemik auf niedrigstem Niveau. Gäbe es im Hause Tamedia noch Niveaukontrolle, würde ein solcher Kommentar als zu tiefergelegt schlichtweg vor der Publikation abgefangen und gelöscht werden. Aber doch nicht hier. Also kann Tobler so sicher wie das Amen in der Kirche am Schluss noch sein Gewäffel von Maurer auf die SVP ausweiten:

«Um glaubwürdig zu bleiben, müsste die SVP – die längst zur Classe politique gehört – sich mit der Kritik auseinandersetzen, dass sie in den Jahren der CS-Krise mit zahlreichen Vorstössen die Finma zu schwächen versuchte – und dass sie mit Ueli Maurer einen überforderten Bundesrat stellte, der sich nun aus der Verantwortung stehlen will.»

Das ist mal wieder ein Stück Zeigefingerjournalismus vom Unfeinsten. Tobler befiehlt der SVP («müsste»), was sie zu tun habe, um angeblich glaubwürdig zu bleiben. Tut sie das nicht, ist sie also nach seiner Logik unglaubwürdig. Und Maurer sei überfordert gewesen und wolle sich aus der Verantwortung stehlen.

Schau an, wer da spricht. Hat sich Tobler jemals gegenüber einer seiner vielen Fehlleistungen der Verantwortung gestellt? Hat man jemals ein selbstkritisches Wort von ihm gehört, nachdem er die Absage der Rammstein-Konzerte in der Schweiz forderte («es gilt die Unschuldsvermutung») und dann sämtliche gegen den Sänger der Band erhobenen Vorwürfe in sich zusammenfielen?

Wieso schreibt er nicht: Um glaubwürdig zu bleiben, müsste Tamedia sich mit der Kritik auseinandersetzen, dass sie mit zahlreichen Verstössen den Journalismus zu schwächen versucht – und mit Tobler einen überforderten Ressortleiter stellt, der sich immer aus der Verantwortung stehlen will.

Das wäre wenigstens lesenswert. Aber eher friert die Hölle ein, als dass wir das lesen können.

Blöde Realität

Die Wirklichkeit darf einen Fehler nicht machen.

Die Wirklichkeit waltet und schaltet. Nach welchen Mechanismen, wer weiss das schon. Ist es göttlicher Plan, sind es Klassenkämpfe, sind es Zufälligkeiten, ein Räderwerk? Schon viele grosse Denker haben sich darüber den Kopf zerbrochen.

Dann gibt es aber kleinere Denker, die haben ein einfaches Prinzip zur Hand. Die Realität darf machen, was sie will. Solange sie den Wunschvorstellungen des kleinen Denkers entspricht. Tut sie das nicht, muss sie streng gerügt werden.

Das gilt nicht nur für die Realität, sondern insbesondere auch für Gerichtsentscheide. Denn es trug sich doch zu, dass sich die unfähige Schweizer Bundesanwaltschaft vor dem höchsten Strafgericht der Schweiz in Bellinzona eine weitere Klatsche abholte. Denn Sepp Blatter und Michel Platini wurden dort freigesprochen. Das geht nun eigentlich nicht, findet Tamedia-Redaktor Thomas Knellwolf:

Er muss zwar zähneknirschend einräumen: «Damit sind Blatter und Platini keine mutmasslichen Betrüger mehr. Sondern unbescholtene Bürger.» So wenig, wie Knellwolf vorher die Unschuldsvermutung kümmerte, so wenig kümmert ihn nach dem Urteil die Tatsache, dass es sich nicht gehört, unbescholtene Bürger als vormals mutmassliche Betrüger zu bezeichnen.

Sie mögen freigesprochen sein, fäustelt Knellwolf, aber die Verurteilung von «Blatters langjährigem Generalsekretär wegen passiver Bestechung und Urkundenfälschung», zeige das nicht, was für einer dieser Blatter in Wirklichkeit ist? Juristisch mag er davongekommen sein, aber bei der Fifa hätten sich einige wenige bereichert «und hintergingen damit die Abermillionen Menschen, die den Fussball lieben».

Alles unter der Leitung und den Augen Blatters, insinuiert Knellwolf. Der versuchte schon mal, mit «Die Akte Kachelmann» aus einem anderen Prozess publizistische Bereicherung zu schöpfen. Eher vergeblich; vielleicht macht ihn das so sauer auf Blatter und die Fifa. Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass Knellwolf ein eher distanziertes Verhältnis zur Realität hat. So erregte er sich über einen angeblichen SVP-Zeusler, ein Mordaufruf des Berner «megafon» gegen eine Redaktionskollegin liess ihn aber kalt.

Um Knellwolf auch mithaftbar für Dinge zu machen, für die er nichts kann: neben seinem Kommentar, der die Wirklichkeit zurechtweist, steht diese selten blöde Karikatur: