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Letzte Rose geht an Bachelorette Nora Zukker

Die Nachfolgerin von Martin Ebel

15 Jahre lang schrieb er über die Gegenwartsliteratur, trotzdem wurde er nie an die Redaktionskonferenzen eingeladen. Erst 1972, im Alter von 52 Jahren, wurde Marcel Reich-Ranicki zum Literaturchef der FAZ ernannt – gegen den Widerstand der Redaktion.

Zeiten und Umstände, die heute nicht mehr vorstellbar sind. Was bedeutet heute noch Literatur und welche Bedeutung hat ein Literaturkritiker? Nora Zukker gibt uns die Antwort. Die junge Frau wurde letzte Woche zur Leiterin der Literaturredaktion des Tages-Anzeigers ernannt. Sie löst damit endlich Martin Ebel ab.

Von Nora Zukker ist wenig bekannt, ausser dass sie von einem Bus überfahren wurde. Ein bisschen hier, ein bisschen dort geschrieben. Migros-Magazin, NZZ Folio, Strassenmagazin Surprise. Die Texte sind ein bisschen frech, ziemlich launig geschrieben und schnell vergessen.

Bachelor in Sozialwissenschaften

Auf die Frage hin, welchen akademischen Rucksack Zukker trägt, wird es noch trauriger: einen Bachelor in Sozialwissenschaften (Hauptfach: Populäre Kulturen, Nebenfach: Filmwissenschaft und neuere deutsche Literaturwissenschaften), so die Medienstelle. Schön, dass man sogar damit Karriere machen kann.

Angestellt ist sie zu 80 Prozent und darf auch weiterhin nebenberuflich als Kulturvermittlerin arbeiten. «Es steht Nora Zukker grundsätzlich frei, sich weiterhin entsprechend zu engagieren», schreibt Tamedia.

Grundsätzlich ist das schon etwas heikel, da die Tagi-Literaturchefin den Verkauf neuer Bücher massgeblich beeinflussen kann und den Verdacht, auf zwei Hochzeiten zu tanzen, tunlichst vermeiden sollte. Zumindest theoretisch.

Wir leben aber im Jahr 2020 und nicht 1972. Heute ist es eigentlich egal, ob Ebel, Zukker oder Kermit der Frosch die Literatur im Hause Tamedia leitet. ZACKBUM.ch fragte bei Tagi-Journalisten nach. Niemand kennt sie, niemand interessiert sich für die Affiche. Auch bei den Verlagen ist Zukker kein Begriff.

Das ist wohl das Betrüblichste an Zukker: Die Wogen gehen kniehoch. Ist ähnlich wie bei Napoléon Eugène Louis Jean Joseph Bonaparte (1856-1879), der vierte Napoleon. Von ihm bleibt ihm Gedächtnis nicht ein Bus, sondern die Modelleisenbahn des kaiserlichen Prinzen.

Hinweis: In einer früheren Version stand, dass Zukker von einem Lastwagen überfahren wurde. Richtig ist: von einem Bus.

Das Heesters-Phänomen

Die fidelen Tagi-Rentner

Irgendwann wurde es peinlich. Als Johannes Heesters noch mit 80 «Ich werde jede Nacht von Ihnen träumen» trällerte, hörte sich das eher nach Katzenmusik an. Das Problem war, dass Hesters noch weitere 27 Jahre lang leben sollte und mit Frack und Zylinder in jedes Mikro krächzte.

Martin Ebel durfte 150 Mal literarische Sprachanalysen in die laufende Kamera sprechen.  Mit der «Kleinen Sprachsprechstunde» wollte der langjährige Kulturchef das «Sprachgefühl pflegen und gegen sprachlichen Egalismus angehen». Damit die Sache nicht zu spannend wird, sollten die Videos ausserdem «ein Bewusstsein wecken für so vieles, was man tagtäglich (…)  an subtiler Beeinflussung zugemutet bekommt.»

Jetzt könnte eigentlich Schluss sein. Denn Ebel geht in den wohlverdienten Ruhestand. Oder eben doch nicht. «Martin Ebel», so der Verlag, «wird auch nach seiner Pensionierung in einem reduzierten Pensum weiterhin für Tamedia tätig sein.» Folgen also noch weitere dieser unverzichtbaren Literaturbetrachtungen? «Wir bitten um Verständnis», antwortet die Pressedame, als wäre jemand gestorben, «dass wir keine weiteren Details zu den Anstellungsverhältnissen unserer Mitarbeitenden kommunizieren.»

Res Strehle hört auf

Ebel ist nicht der einzige frischfröhliche Tagi-Pensionär, der anderen Journalisten vor der Sonne steht und das Redaktionsbudget belastet. Res Strehle hatte bis im Oktober ein Autorenfixum, das im «gegenseitigen Einvernehmen beendet» wurde, wie er auf Anfrage schreibt. Auch die anderen Rentner Ruedi Baumann, Miklós Gimes oder Fredy Wettstein hauen arthrosenbefreit in die Tasten und versperren dadurch anderen, jüngeren Journalisten die paar Redaktionsseiten, die noch übrig geblieben sind.

Und auch Ruedi Baumann

Einspruch allerdings bei Ruedi Baumann, dem alten Schlachtross des Lokaljournalismus›. Seine Antwort sagt auch viel über die Nachrückenden und ist so bestechend, dass wir sie in der ganzen Länge lesen wollen:

«Ich habe seit meiner offiziellen Pensionierung im Februar 2017 meinem Vorgesetzten immer gesagt, dass er mich per sofort und ohne schlechtes Gefühl rausstuhlen kann. Ich wurde immer wieder quasi auf den Knien gebeten, doch bitte noch etwas weiterzumachen. Ich hatte in den letzten drei Jahren seit meiner Pensionierung ein 40-Prozent-Pensum und habe dies jeweils vor allem in den Ferienzeiten abgestrampelt, wenn die Jungen in den Ferien waren. Ich bin zudem in einem Gebiet tätig, um das sich hoffnungsvolle Jungjournalisten nicht reissen: kantonale Politik, Kantonsrat, Bausachen, Planung etc. Die Jungen suchen vor allem aufwendige Recherchen und Reportagen und keine Kurzschnurz-Artikel aus dem Tag heraus. Ich hatte in den letzten drei Jahren keinerlei Sonderbefugnisse – im Gegenteil – und habe über jede Hundsverlochete berichtet, vom Campingplatz über langfädige Kantonsratssitzungen bis zu SVP-Delegiertenversammlung bis Viertelvormitternacht. Ich habe allermeistens über Themen berichtet, um die sich niemand gerissen hat. Wer geht zum Beispiel schon freiwillig am Freitagabend ins Albisgüetli oder berichtet über den Bau des Gubristtunnels? 
 
Ein Argument für meine Weiterbeschäftigung war zudem, dass ich sehr viele Leute kenne und Zugang zu Informationen habe, die ich den Jungen weitergeben kann. Ich bin quasi das Gedächtnis der Redaktion. Viele Politiker im Regierungs- oder Nationalrat oder Chefbeamte hatten zusammen mit mir begonnen und haben ein besonderes Vertrauensverhältnis. Was mühsam und hemmend, aber auch nützlich sein kann.
 
Wir hatten immer genügend Abgänge, so dass ich niemanden auch nur ein Stellenprozent weggenommen habe. Vielmehr wären meine Stellenprozente von der TX Media wohl eingespart worden, wenn ich früher aufgehört hätte.
 
Und nun – Ende Jahr – höre ich endgültig auf. Im Alter von bald 69 Jahren.»