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Au weia, au weiwei

Wie drei Qualitätsjournalisten eine Story versenken.

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Eigentlich könnte es ein schönes Recherchierstück sein: «Warum die CS den China-Kritiker rauswarf». Die News ist zwar nicht brandneu, aber man will ja nicht zu viel vom heutigen Elendsjournalismus verlangen.

Es geht darum, dass dem weltberühmten chinesischen Künstler Ai Weiwei seine Konten bei der Credit Suisse gekündigt wurden. Vorwand: Die Bank führe keine Geschäftsbeziehungen mehr mit Vorbestraften. Es liegt auf der Hand, dass das ein Kotau vor dem chinesischen Regime und dem Riesenmarkt dort ist, wo man vor allem im Immobilienbereich Multimilliarden – in den Sand setzen kann.

Also ideal für die CS. Und ideal für ein sauberes Stück Hinrichtungsjournalismus. Gleich drei Tamedia-Cracks haben zusammen in die Tasten gehauen. Vielleicht liegt es daran, dass Linus Schöpfer, Simon Widmer und Jorgos Brouzos nur ein Jammerlappen von Artikel gelungen ist.

Der vielfältige Schweizer Print-Journalismus (Ausschnitt).

Zunächst der szenische Einstieg, wie er vom «Spiegel» seit gefühlten hundert Jahren zelebriert wird:

«Oktober 2021, ein Sonntagmorgen in Portugal. Chinas berühmtester Dissident sitzt in seiner Küche und schlürft Suppe. Die Kamera ist an, wir sprechen über Zoom mit Ai Weiwei.»

Informationsgehalt: null. Bedeutung: null. Jeder Chinakenner weiss, dass die dort ihre Suppe schlürfen. Morgens und abends und auch zwischendrin. Jeder weiss, dass die Kamera schon an sein muss, sonst geht da nix. Aber nun geht’s sicher mit dem Enthüllungsjournalismus los.

 

Künstler und Dissident: Ai Weiwei.

Moment, zunächst muss noch, das haben wir mal im Schulaufsatz gelernt, erklärt werden, was wir so tun und getan haben: «Im Folgenden erzählen wir die Geschichte hinter Ais Rauswurf. Dafür sichteten wir Mails und Transkripte von Sitzungen, führten Gespräche mit Ai Weiwei, Verantwortlichen der Credit Suisse und unabhängigen Bankexperten.»

Das muss einem natürlich gesagt werden; die drei Herren haben sich nicht einfach eine Story aus den Fingern gesaugt. Sie haben doch tatsächlich etwas recherchiert. Wahnsinn. Nun könnte der Leser, der es bis hierher durchgehalten hat, natürlich der Meinung sein: was interessieren mich die Kontoverbindungen eines Suppe schlürfenden Chinesen in Portugal?

Natürlich weist der Einzelfall ins Allgemeine hinaus

Aber auch dafür gibt es sofort eine Antwort: «Es ist eine Geschichte, die über den Streitfall «Credit Suisse gegen Ai Weiwei» hinausweist. Denn sie gibt Einblick in das Kalkül und die Ethik einer Schweizer Grossbank. Und sie zeigt, wie verblüffend rasch und zugleich radikal die Bank im Ernstfall ihre Verteidigungslinie anzupassen weiss.»

Ein Kunstwerk des Künstlers.

Normalerweise wird die Moral einer Geschicht’ erst am Schluss enthüllt, aber warum mal nicht gleich am Anfang? Wohl in der berechtigten Befürchtung, dass nicht allzu viele Leser bis zum Ende der 13’360 Anschläge umfassenden Gähnstory durchhalten. Als wären wir hier bei der «Republik».

Aber wir sind beim Qualitätsmedium Tamedia, das diese seitenfüllende Sauce in alle Kopfblätter in allen Winkeln der Schweiz ergiesst. Was macht man, wenn man schon ganz am Anfang die Recherche und die Moral und überhaupt alles verraten hat, inklusive Journalismus in langen Hosen? Genau, man macht eine «Rückblende». «Ai schreibt, die Credit Suisse habe das Konto seiner Stiftung aufgelöst. Begründet habe das die Bank mit einer neuen Geschäftsregel, die keine gerichtlich verurteilten Kunden mehr erlaube. Er sei aber weder angeklagt noch verurteilt worden. Das wahre Motiv müsse daher wirtschaftlicher Art sein.»

Das war am 6. September, am 11. September erschien dann ein Interview in den Tamedia-Blättern mit Ai Weiwei. Da sagt er nochmals, was er schon zuvor gesagt hat. Schnarch.

Künstler mit Kunstwerk, hier für Hornbach.

Die CS sagt das, was man als Bank halt so sagt. Bankkundengeheimnis, sagen nix zu allfälligen Kontoverbindungen. Aber nicht nur in den Medien sinkt das Niveau unaufhörlich ins Bodenlose. Wir lesen im Schulaufsatz: «Am Samstagmorgen erhalten wir einen Anruf, am Apparat ist ein Kommunikationsspezialist der CS. Man wolle ein neues Statement abgeben.»

Links künstlerisch verfremdet, rechts das Segellogo der CS.

Wunderbar dass wir das alles wissen; es war ein Anruf, und es war ein «Kommunikationsspezialist» am Hörrohr (der hoffentlich inzwischen seinen Job los ist). Denn der teilte mit, dass man die Kundenbeziehung «beendet» habe, weil der Künstler «gesetzlich erforderliche Informationen nicht lieferte». Das ist nun tatsächlich ein Knaller – an Blödheit.

Hier könnte man abbrechen, aber he, es sind drei Autoren …

Damit könnte man eigentlich die Story knackig beenden. Aber nein, wir erinnern uns: es wurden Unmengen von Material durchgeackert. Zur Verfügung gestellt vom «Team» Weiweis. Also vielleicht nicht ganz objektiv. Aber wie auch immer, warum in einem Satz etwas sagen, wenn man auch viele verwenden kann.

Der eine Satz: diese Unterlagen scheinen zu belegen, dass die CS nach Vorwänden suchte, um Weiwei rauszuschmeissen. Gefühlte 100’000 Buchstaben später kommt der Künstler zu einer geradezu konfuzianisch weisen Beurteilung: Die Bank sei «money-rich but truth-poor». Wobei das mit dem «money-rich» auch eher ein Gerücht ist.

Der Künstler als Kunstwerk.

Aber, Fakten auf den Tisch, haben nun die Chinesen auf die CS eingewirkt, den Dissidenten rauszuschmeissen? «Dafür gibt es keine Hinweise.» Aber das wäre ja eigentlich die Aufgabe einer echten Recherche gewesen.

Stattdessen endet der Artikel mit einem leisen Seufzer, «keine Hinweise». Das ist nun keine Kunst. Das ist auch keine Leistung. Das ist einfach jämmerlich. Das ist au weia, das ist au wei. Dabei wäre die einzig interessante News (leider verschenkt), dass die CS sich nicht entblödet, etwas zu einem Kunden zu sagen. Als ob man noch nie vom Bankkundengeheimnis gehört hätte.

Dafür könnte man die Blöd-Bank einklagen, aber dazu sind die Journis selber …

Die Wüste bebt

Neben dem Aufschrei über Basel bleibt noch Platz für Nachtreten gegen den «Club».

Sehr zum Missbehagen der Rechthaber-Fraktion beim «Tages-Anzeiger» hatte es der «Club» gewagt, auch kritische Stimmen zum Thema Coronabekämpfung zu Wort kommen zu lassen. Dazu äusserte sich bereits die Rechthaber-Kreische Linus Schöpfer in aller arroganten Voreingenommenheit.

Bei der Blattkritik mag vielleicht ein todesmutiger Mitarbeiter eingewandt haben, dass man es bei einer solchen unqualifizierten Niedermache nicht belassen könne. Wobei er sicherlich nicht unqualifiziert sagte.

Also fasste Jacqueline Büchi die Aufgabe, nachzuarbeiten.  Leider sind dem Impressum keine weiteren Angaben zu ihrer Befähigung zu entnehmen; sie scheint sich ansonsten aber eher im Bereich Corona-Berichterstattung zu bewegen. Dabei hat sie sich zur Lieblingsinterviewerin von Marcel Salathé entwickelt. Aber im Impressum sind auch Claudia Blumer oder Salome Müller aufgeführt, seine Genauigkeit lässt genauso zu wünschen übrig wie der weitere Inhalt der Qualitätszeitung.

Der Tagi rät: überhaupt nicht.

Wer darf mit wem reden?

Nun widmet sich Büchi der Frage: «Sollen Medien überhaupt mit Corona-Skeptikern reden?» Weder ihr selbst noch allen, die am Wegesrand dieser Ungeheuerlichkeit bis zur Publikation standen, ist offenbar aufgefallen, was mit dieser Frage impliziert ist. Spielt nicht mit Schmuddelkindern, redet nicht mit Atheisten, bietet Rechten keine Plattform, saugt den Sauerstoff aus der öffentlichen Debatte.

Ein Artikel, der ins Bilderbuch ausgewählter Stücke von Brachial-Demagogie gehört. Schon der Einstieg ist von ausgesuchter Bösartigkeit: «Bald wird im SRF diskutiert, ob die Erde rund ist»; das habe ein Neurowissenschaftler nach dem «Club» über «Corona und die Kritiker und Kritikerinnen» getwittert. Blödköpfe mit Blödmeinungen in der Glotze, Wissenschaftler regt sich auf.

Danach, wie man’s am MAZ lernt, «er war nicht der Einzige, der sich an der Gästeliste der Sendung störte». Ein Beispiel, Aufschwung ins Allgemeine, die Fronten sind geklärt. Gab’s auch Zuschauer, die das anders sahen? Unerheblich, passt nicht zur demagogischen These.

Nächster Kniff: nun fragen wir uns selbstkritisch, ob der Vorwurf der «false balance» denn gerechtfertigt sei. Dafür genügt natürlich die Meinung Schöpfers nicht, der Fachmann muss ran. Genauer die Fachmännin, Pardon, die Fachfrau Ariane Tanner. Denn die hat sich bei der Debatte um «false balance» mit mehreren Auftritten in eine Pole-Position begeben, also muss sie auch hier zitiert werden: «Wenn man drei Corona-Skeptiker einem Infektiologen und einem Politiker gegenüberstellt, ist man bereits in die Falle der False Balance getappt.»

Leider teilt uns Historikerin Tanner nicht mit, wie viele Infektiologen oder Politiker es denn bräuchte, um ein richtiges Gleichgewicht herzustellen. Da greift aber auch schon die Taschenausgabe eines Intellektuellen ein:

«Auch der Kommunikationswissenschaftler Marko Ković findet, die SRF-Sendung sei «ziemlich in die Hose gegangen»».

Wir haben uns schon mit dem Herrn befasst; hier bewundern wir das wissenschaftliche Niveau seiner Formulierung. Bei der Auswahl dieser beiden Fachkräfte von einer «false balance» zu sprechen, wäre natürlich völlig verfehlt. Denn nun zieht Büchi die Schraube an. Zuvor wurde noch geschwurbelt, dass man die Meinung von Corona-Skeptikern nicht ausblenden dürfe, die seien immerhin referendumsfähig, also gefährlich.

Aussagen mit menschenverachtenden Zügen

«Doch was, wenn Aussagen verbreitet werden, die menschenverachtende Züge annehmen? Michael Bubendorf von den Freunden der Verfassung sagte im «Club», dass er die Massnahmen selbst dann noch ablehnen würde, wenn 80 Prozent der Erkrankten an Corona sterben würden.»

Ein weiterer Griff in die Schublade der Demagogie-Trickkiste, der Autor liefert eine Vorlage, die «Wissenschaftler» dürfen zubeissen:

«Für Historikerin Ariane Tanner ist klar: «Eine solche Aussage hat in einer Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen.» Wenn SRF einem Gast wie Bubendorf schon eine Plattform gebe, müsse das Moderationsduo hier zwingend einschreiten und die «sozialdarwinistische Aussage» als solche benennen. «Fehlt diese Einordnung, dann erfüllt der Journalismus seine Informationsaufgabe nicht.»»

Messen wir den Artikel abschliessend an seinen eigenen Massstäben. Wenn Tamedia zwei Gästen wie Tanner und Kovic schon eine Plattform gibt, dann müsste dringend Platz für Gegenmeinungen geschaffen werden. Aber auch beim Tagi greift weder das Moderatorenduo der abgehalfterten stellvertretenden Chefredaktoren ein, noch der Oberchef Arthur Rutishauser. Hier darf gebelfert, einäugig, einseitig, unfair, unqualifiziert abgeurteilt und besserwisserisch zurechtgewiesen werden.

Wo bleibt die Gegenmeinung, die Debatte?

Gegenmeinungen, Pluralismus, Debatte, echte Auseinandersetzung? Sollen Redaktoren überhaupt auf andere Meinungen als ihre eigenen eingehen? Vielleicht im Sinne des Konsumenten, der gerne mal etwas anderes als die Befindlichkeiten der Schreiber und ihr Echo bei dazu ausgewählten Fachleuten lesen möchte? Damit er einen Grund sieht, für den Konsum weiterhin etwas zu bezahlen?

Ach was, sagen sich die Tagi-Redaktoren, lieber über die garstigen Zeiten jammern, das eigene Haus wüst kritisieren, sich um gendergerechte Sprache kümmern – als der eigentlichen Aufgabe nachgehen: geistige Nahrung zu liefern. Aber woher nehmen, in der Wüste.