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Notrecht – und keiner schaut hin

Ukraine, Putin, russische Zensur. Und Notrecht in der Schweiz. Hä?

Kennen Sie das «Bundesgesetz für wirtschaftliche Landesversorgung»? Nein? Dieses Notrecht ist seit dem 23. September in Kraft. Kein Gerücht, denn das wäre strafbar.

Medienecho: nahe null.

In der Schweiz wird wieder einmal Notrecht angewendet. Das letzte Mal wurde damit die UBS im Steuerstreit mit den USA gerettet. Denn nur so war es möglich, am geltenden Bankgeheimnis vorbei Kundendaten an die grösste Wirtschafts- und Militärmacht der Welt auszuliefern, ohne dass sich die verantwortlichen Bankführer strafbar machten. Inzwischen ist das Bankkundengeheimnis geschleift, nur noch ein Papiertiger. Ohne dass das einer Volksabstimmung unterstellt worden wäre.

Tempi passati. Aktuell ist zwar der Zustand der Credit Suisse besorgniserregend, aber eigentlich hat die Schweiz andere Probleme. Versorgungsprobleme. Dafür, bzw. dagegen gibt es das «Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung». Ein harmloser Name, und auch die Zweckbestimmung kommt ganz freundlich daher:

«Dieses Gesetz regelt Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selber zu begegnen vermag.»

Also wie gemacht für die aktuelle Situation. Am 26. September vermeldete die NZZ, und nur sie: «Ohne dass es jemand bemerkt hat: Der Bundesrat hat eine drohende Strommangellage ausgerufen».

Das mag ja nun ein bürokratischer Akt gewesen sein, der halt nur den aufmerksamen Bundeshaus-Redaktoren der alten Tante auffiel. Allerdings heisst es dann am Anfang des Artikels: «Seit Freitag gilt verstecktes Notrecht, zum Beispiel ein Verbot, Gerüchte zu verbreiten. Ein Staatsrechtsprofessor bezeichnet das Vorgehen des Bundesrates als gesetzeswidrig.»

Hoppla. Was stört den Juristen? «Aus Sicht des Zürcher Staatsrechtsprofessors Giovanni Biaggini ist der Entscheid des Bundesrats allerdings äusserst heikel: «Entweder es liegt derzeit tatsächlich eine unmittelbar drohende schwere Mangellage vor. Oder der Beschluss ist gesetzwidrig.»

Gut, das mag nun eine typische Feinheit für einen Strafrechtsprofessor sein, das muss uns doch nicht wirklich beunruhigen. Das hier aber schon. Wir zitieren aus Kapitel 7: «Strafbestimmungen». Da heisst es zum Beispiel in Artikel 54:

«Wer in Zeiten einer unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden schweren Mangellage vorsätzlich und in der Absicht, sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, unwahre oder entstellende Behauptungen über geltende oder bevorstehende Massnahmen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Landesversorgung äussert oder verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Auf Deutsch: Das Verbreiten von Gerüchten wird bestraft. Wobei wer entscheidet, was eine freie Meinungsäusserung (erlaubt), was ein Gerücht (strafbewehrt) ist?

Auch Artikel 49 «Widerhandlungen gegen Massnahmen» oder 50 «Verletzung der Auskunftspflicht» haben es in sich. Widerhandlungen können «mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen» geahndet werden. Zum Beispiel: wer «trotz Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels eine Verfügung nicht befolgt, die sich auf dieses Gesetz oder darauf beruhende Ausführungsbestimmungen stützt».

Das heisst auf Deutsch: Sollte der Bundesrat tatsächlich verfügen, dass die Raumtemperatur nicht über 17 Grad geheizt werden darf, Saunen oder Heizstrahler ausser Betrieb zu nehmen sind, und jemand käme auf die Idee, das vorsätzlich zu ignorieren, kann er im Knast landen. Ob auch schon ein Vollbad dafür reicht, müsste im Einzelfall geprüft werden.

Man mag sich nun fragen, wie denn kontrolliert wird, ob ein «Heiz-Sünder» («Blick») sich nicht den Hintern anfrieren will, sondern wohlige 23 Grad im Wohnzimmer befürwortet. Da käme dann eine der ältesten Geisseln der Menschheit ins Spiel: der Denunziant. Denn keiner zu klein, Kontrolleur zu sein.

Nun mag der liberal gestimmte Mitbürger einwenden, dass es doch seine Privatangelegenheit sei, was sich innerhalb seiner vier Wände abspiele. Ob er dort eingemümmelt in zwei Pullover, Handschuhe und dreifachen Satz Wollsocken ein Zeichen für den Frieden setzen will. Oder sich lieber leichtbekleidet auf dem Fell vor dem knisternden Cheminée hinfläzt, in wohligen 23 Grad. Um dann die auf 80 Grad vorgeheizte Sauna im Keller zu benützen. Anschliessend einen Tee zubereitet, ohne dass ein Deckel den Wassertopf beim Kochen verschliesst. Und aus Bequemlichkeit lässt dieser Sünder auch noch überall das Licht brennen.

Damit stünde er allerdings bereits mit einem Bein im Gefängnis. Oder müsste neben einer gesalzenen Energierechnung auch noch mit einer empfindlichen Busse (Tagessätze bis Fr. 3000.-) rechnen. Aber mindestens so schlimm wird die soziale Ächtung. Wahrscheinlich wird ein alter Begriff neubelebt werden: Kalter Krieg. Wann werden wir die ersten Plakate sehen: «Hier wohnt ein Energie-Frevler»? Die anonyme Schmiererei an der Haustüre: «Sie Putin-Freund, Sie Heiz-Sünder»?

Müssen bedauernswerte Gesetzesbrecher mit einem Schild auf der Brust herumlaufen: «Ich habe zu heiss geduscht und schäme mich»? Kommt die Polizei auf Anzeige des lieben Nachbarn und sichert Beweismittel, dass die Badewanne tatsächlich gefüllt wurde? Der Deckel zwar neben dem Topf liegt, aber keine Spuren erkennbar sind, dass er auch auf dem Topf war? Gibt das verräterische Geräusch eines Föns schon Anlass zu einer Hausdurchsuchung? Zeigt das geeichte Polizeithermometer mehr als 17 Grad? Wird bei 17,1 noch ein Auge zugedrückt?

Aufmerksamen Lesern von ZACKBUM mögen diese Absätze bekannt vorkommen. Das liegt daran, dass wir bereits am 7. September – damals alleine auf weiter Flur – auf dieses Gesetz aufmerksam machten.

Sind das Übertreibungen, ist das eine satirische Überspitzung? Kann man darüber lachen – oder wird uns das Lachen im Hals steckenbleiben?

Zumindest zwei Tatsachen stimmen bedenklich. Die überwältigende Mehrzahl der Leser haben von diesem Gesetz noch nie etwas gehört. Der überwältigenden Mehrheit der Leser ist es entgangen, dass dieses Gesetz bereits seit einigen Wochen in Kraft ist. Der grossen Mehrheit der Leser ist nicht bekannt, dass bereits die Verbreitung von Gerüchten, das Nicht-Befolgen von bundesrätlichen Anordnungen mit hohen Bussen und sogar mit Gefängnis bestraft werden kann.

Das ist kein guter Zustand in einem Gemeinwesen, bei dem die öffentliche Information über hoheitliche Anordnungen ein so wichtiges Gut ist. Selber schuld, man hätte es ja spätestens am 27. September in der NZZ lesen können? Nein, das ist kein tragendes Argument. Es gab und gibt keine öffentliche Debatte über diese potenziell einschränkenden und repressive Anwendung eines Notrechts.

Damit die Kirche im Dorf bleibt: Das ist nicht der Anfang des Endes der direkten Demokratie und der Mitbestimmung des Schweizer Staatsbürgers. Aber es ist beunruhigend.

Knüppel aus dem Sack

Vorsicht. Hier können Gerüchte verbreitet werden. Ist strafbar.

Schon mal etwas vom «Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung» gehört? Wäre nicht schlecht, denn bekanntlich schützt Unwissenheit vor Strafe nicht. Der Zweckartikel kommt recht harmlos daher: «Dieses Gesetz regelt Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selber zu begegnen vermag.»

Es regelt zunächst sinnvolle Vorbereitungshandlungen wie das Anlegen von Pflichtlagern oder die Berechtigung des Bundesrats, in allen möglichen Formen in die Lagerung, Verteilung oder Preisgestaltung von lebenswichtigen Produkten einzugreifen.

Richtig spannend wird es ab Kapitel 7: «Strafbestimmungen». Da heisst es zum Beispiel in Artikel 54:

«Wer in Zeiten einer unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden schweren Mangellage vorsätzlich und in der Absicht, sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, unwahre oder entstellende Behauptungen über geltende oder bevorstehende Massnahmen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Landesversorgung äussert oder verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Auch Artikel 49 «Widerhandlungen gegen Massnahmen» oder 50 «Verletzung der Auskunftspflicht» haben es in sich. Widerhandlungen können «mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen» geahndet werden. Zum Beispiel:  wer «trotz Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels eine Verfügung nicht befolgt, die sich auf dieses Gesetz oder darauf beruhende Ausführungsbestimmungen stützt».

Das heisst auf Deutsch: Sollte der Bundesrat tatsächlich verfügen, dass die Raumtemperatur nicht über 17 Grad geheizt werden darf, Saunen oder Heizstrahler ausser Betrieb zu nehmen sind, und jemand käme auf die Idee, das vorsätzlich zu ignorieren, kann er im Knast landen. Ob auch schon ein Vollbad dafür reicht, müsste im Einzelfall geprüft werden.

Man mag sich nun fragen, wie denn kontrolliert wird, ob ein «Heiz-Sünder» («Blick») sich nicht den Hintern anfrieren will, sondern wohlige 23 Grad im Wohnzimmer befürwortet. Da käme dann eine der ältesten Geisseln der Menschheit ins Spiel: der Denunziant. Denn keiner zu klein, Kontrolleur zu sein. Ob aus Sozialneid, aus Rechthaberei, in der Befolgung von Ordnung und Gesetz, der Mensch neigt dazu, eifrig das Einhalten von Vorschriften zu kontrollieren.

Nun mag der liberal gestimmte Mitbürger einwenden, dass es doch seine Privatangelegenheit sei, was sich innerhalb seiner vier Wände abspiele. Ob er dort eingemümmelt in zwei Pullover, Handschuhe und dreifachen Satz Wollsocken ein Zeichen für den Frieden setzen will. Oder sich lieber leichtbekleidet auf dem Fell vor dem knisternden Cheminée hinfläzt, in wohligen 23 Grad. Um dann die auf 80 Grad vorgeheizte Sauna im Keller zu benützen. Anschliessend einen Tee zubereitet, ohne dass ein Deckel den Wassertopf beim Kochen verschliesst. Und aus Bequemlichkeit lässt dieser Sünder auch noch überall das Licht brennen.

Damit stünde er allerdings bereits mit einem Bein im Gefängnis. Oder müsste neben einer gesalzenen Energierechnung auch noch mit einer empfindlichen Busse (Tagessätze bis Fr. 3000.-) rechnen. Aber mindestens so schlimm wird die soziale Ächtung. Wahrscheinlich wird ein alter Begriff neubelebt werden: Kalter Krieg. Wann werden wir die ersten Plakate sehen: «Hier wohnt ein Energie-Frevler»? Die anonyme Schmiererei an der Haustüre: «Sie Putin-Freund, Sie Heiz-Sünder»?

Müssen bedauernswerte Gesetzesbrecher mit einem Schild auf der Brust herumlaufen: «Ich habe zu heiss geduscht und schäme mich»? Kommt die Polizei auf Anzeige des lieben Nachbarn und sichert Beweismittel, dass die Badewanne tatsächlich gefüllt wurde? Der Deckel zwar neben dem Topf liegt, aber keine Spuren erkennbar sind, dass er auch auf dem Topf war? Gibt das verräterische Geräusch eines Föns schon Anlass zu einer Hausdurchsuchung? Zeigt das geeichte Polizeithermometer mehr als 17 Grad? Wird bei 17,1 noch ein Auge zugedrückt?

Lachhaft? Uns wird das Lachen noch vergehen. Schon alleine die pseudoreligiösen Begriffe Sünder und Frevler sind immer ein ganz schlechtes Zeichen. Ein Sünder verstösst nicht einfach gegen Gesetze. Er überschreitet Gebote, die von überirdischer Allmacht erlassen wurden. Ein Frevel ist eine Schandtat gegen etwas Heiliges, nicht etwa eine lässliche Sünde.

Breaking News: Knast für Vincenz

Drakonische Strafen für den Starbanker und seinen Kompagnon.

45 Monate Gefängnis für Pierin Vincenz, gar 48 Monate für seinen Kompagnon Beat Stocker.

Das liegt zwar unterhalb der vom Staatsanwalt geforderten 6 Jahre. Hinzu kommen Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Plus die Gerichtskosten von über 200’000 Franken. Plus die Anwaltskosten.

Das bedeutet, dass die Verteidigungsstrategie der beiden Hauptangeklagten krachend gescheitert ist. Ihre Verteidiger hatten die Anklageschrift in der Luft zerrissen und vollumfängliche Freisprüche gefordert. Das Gericht sprach aber die Angeklagten des Betrugs und weiterer Delikte für schuldig; nur in Nebenpunkten gab es Freisprüche.

Damit ist natürlich nicht das Ende der Affäre erreicht. Wäre das Urteil milde ausgefallen, hätte die Staatsanwaltschaft sicherlich weitergezogen. Nun wird die Verteidigung die nächste Instanz anrufen, das Obergericht Zürich. Danach kommt noch das Bundesgericht. Das bedeutet, dass eine Schlacht, aber noch nicht der Krieg für die Angeklagten verloren ist.

Allerdings ist ihre Reputation, ihre soziale Stellung – und auch ihr Finanzhaushalt – unrettbar beschädigt und zerstört. Dass weiterhin, bis zu einem rechtsgültigen Urteil, die Unschuldsvermutung zu gelten hätte, ist nicht mehr als ein schlechter Scherz.