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Einerseits – andererseits

Kann man so oder so sehen. Und Analyse nennen.

Ein unbedarfter und mit wenig Fachkenntnis beleckter Journalist ist die Pest. Vor allem, wenn er kräftig austeilt, Regierende, Handelnde und Verantwortungsträger wohlfeil belehrt, was sie alles falsch machen, was sie stattdessen tun sollten. Dabei wird der Redaktor von seiner zunehmenden Bedeutungslosigkeit geschützt. Er gibt zwar haftungsfrei und verantwortungslos seinen Senf zu allem. Wie der Chefredaktor des St. Galler «Tagblatts» mit seinem Stinkefinger-Kommentar. Aber keiner hört auf ihn.

Eine andere Variante ist, sich in ein Einerseits-Andererseits zu flüchten und das dann «Analyse» zu nennen. Damit ist der Redaktor dann für alle Eventualitäten gerüstet. Geht’s tatsächlich in die eine Richtung: er hat’s analysiert. Geht’s aber in die andere Richtung: kein Problem, hat er ja analysiert. Ein schönes Mängelexemplar dieser Methode bietet, wer denn sonst, das Intelligenzblatt «watson».

Denn neben Listicals, den lustigsten Irgendwas und schlüpfrigen Sex-Tipps will «watson» ja auch feste Nahrung anbieten. Also auch etwas zum Ukrainekrieg sagen. Nur ist es da, wie meist bei Kriegen, etwas unübersichtlich. Also ist «die Ukraine gerade im Aufwind». Einerseits. «Aber das muss dennoch nicht die Wende bedeuten», andererseits.

Die Bezeichnung «Analyse» für das, was dann folgt, ist allerdings eine Mogelpackung. Denn es ist einfach ein Zusammenschrieb längst bekannter Meldungen aus teilweise trüben Quellen. «Ein in den sozialen Medien verbreitetes Video soll zeigen, wie sich Soldaten eines LNR-Bataillons weigern, weiterzukämpfen», eine mit Russland verbündete Miliz. Einerseits. «Gleichzeitig wird die Ost-Offensive der russischen Armee unvermindert weitergeführt.» Andererseits.

«Auf dem Süden ruhen die Hoffnungen der sich erbittert verteidigenden Ukrainer.» Einerseits. «Experten sind sich jedoch weitgehend einig, dass der Ukraine sowohl Waffen als auch Soldaten fehlen, um eine gross angelegte Gegenoffensive zum Erfolg zu bringen.» Andererseits.

Analytischer Höhepunkt zum Schluss: «Kiews Truppen rücken zwar vor, aber nur sehr langsam. Beobachter vor Ort berichten, dass seit Wochen und vonseiten beider Kriegsparteien kaum relevante militärische Geländegewinne gab. Die Gefechte bestehen aus einem langwierigen Abnützungskampf. Dieser könnte sich weiter hinziehen, nachdem Russland fortwährend Truppen in den Süden verlegt.»

Nun kann «watson» natürlich als mildernden Umstand anführen, dass dieser analytische Wackelpudding von der «Aargauer Zeitung» hergestellt wurde. Also ein Qualitätsprodukt aus dem Hause CH Media sei. Vielleicht sollte der Wanner-Clan weniger Geld in den eigenen Weinberg, dafür mehr Kohle in die Qualität seiner Redaktion stecken.

Sonst muss der Leser leider Goethes Faust zitieren (kann man googeln, keine Panik): «Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.»