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Sind wir Masochisten?

Chaos im Reiseverkehr. Dramatisch steigende Preise. Treibstoff rekordteuer. Na und?

Es sind realsozialistische Zustände. Die zentral gelenkte Planwirtschaft bewirkte unter anderem, dass Konsumgüter und Dienstleistungen ein so knappes wie begehrtes Gut waren. Es hatte verheerende volkswirtschaftliche Auswirkungen, wie viele Stunden der Teilhaber am Versuch, eine gerechtere und in den Kommunismus mündende Gesellschaft aufzubauen, in Warteschlagen verbrachte. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Manchmal mit Erfolg, häufig auch ohne.

Die freie Marktwirtschaft mit ihren konkurrenzierenden Angeboten kann sich eine solche Misshandlung des Konsumenten nicht leisten. Denn die Konkurrenz schläft nicht. Heisst es in der Theorie.

In der Praxis sieht das zurzeit ziemlich anders aus. Beim wichtigsten Treibstoff der Gesellschaft, Benzin, Diesel, Gas, Öl, herrscht null Konkurrenz, dafür ein Kartell von Anbietern, die zum Beispiel in Deutschland sehr gerne staatliche Preissubventionen in Milliardenhöhe einsacken, ohne den Endverbraucherpreis auch nur um ein Mü zu senken.

Als wäre es Planwirtschaft, konnte sich offensichtlich ein ganzer Sektor der Tourismusindustrie nicht vorstellen, dass es diesen Sommer zu einer erhöhten Nachfrage nach Ferienreisen, insbesondere Ferienflügen, kommen könnte. Auf diversen Flughäfen, nicht nur in Europa, dürfen die Passagiere inzwischen schon in Schlangen anstehen, um überhaupt im Flughafen selbst dann in die nächste Schlange einzutreten.

Trotz üppiger Staatshilfen hatten viele privat oder halbstaatlich betriebene Flughäfen während Corona beschlossen, kräftig beim Personal abzubauen. Was nun zu chaotischen Szenen führt. Die alte Regel, bei Kurzflügen eine Stunde, bei Langstreckenflügen zwei Stunden vorher am Flughafen zu sein, hat sich längst als obsolet erwiesen. Auch drei oder vier Stunden reichen häufig nicht aus, um das Prozedere des Eincheckens und des Sicherheitschecks über sich ergehen zu lassen.

Häufig rettet den Passagier aber, dass der Flug sowie Verspätung hat. Wenn er nicht kurzfristig ganz gecancelt wird. Pünktlich abfliegen, pünktlich ankommen, das war einmal. Mit Gepäck ankommen, auch das ist heutzutage häufig zu viel verlangt. Anschlussflug erwischen, eine Lotterie. Mit Nahrungsmitteln und einem Hotelzimmer versorgt werden, falls die Airline aus Selbstverschulden den Passagier stranden lässt: Glücksache.

In der Schlange warten nervt und strapaziert. Umso erstaunlicher, dass es weder an Flughäfen noch an Bord von Fliegern kaum zu Aufständen, Randale oder gar Gewalt kommt. Erstaunlich, wie gefasst es Hunderte von Ferienfliegern nehmen, dass sie nicht wie vorgesehen an einem Strand liegen, sondern in einem überfüllten Flughafen gestrandet sind, wo nacktes Chaos herrscht und der Blick auf ganze Koffergebirge die Vorahnung entstehen lässt, dass man selbst vielleicht irgendwann doch noch ans Ziel kommt, sein Gepäck aber sicher nicht gleichzeitig dort sein wird.

Aber mit Gleichmut und Beherrschung, wie sie auch den Untertanen in realsozialistischen Ländern auszeichnete, werden solche Schicksalsschläge ertragen. Preisschock beim Volltanken, Quälerei beim Fliegen, düstere Ankündigungen von kalten Wohnungen und eisigen Duschen: der Mitteleuropäer macht keinen Wank, keinen Aufstand, lässt sich von den Medien auf harte Zeiten einstimmen und zuckt gleichmütig die Schultern. Erstaunlich.

Tanken für den Frieden

Steigt der Spritpreis auf 3 Franken, hört der Spass auf.

Sanktionen? Unbedingt. Ausschluss russischer Banken aus internationalen Zahlungssystemen? Sofort. Schliessung der Filialen westlicher Multis in Russland? Genau, Schluss mit Ikea, McDonald’s und Co.

Beschlagnahmung von Jachten, Villen, Bankkonten russischer Oligarchen? Unbedingt. Die sollen wissen, wie wendehalsig wir im Westen sind. Zuerst in London, Genf, Paris, Berlin und auch Zürich mit offenen Armen empfangen. Schweizer Gnome strapazierten ihre Leber und schütteten literweise Wodka in sich rein, um russische UHNWI, also die Reichsten der Reichen, als Kunden an Land zu ziehen.

Kein Bückling zu tief, kein Weg zu weit, immer mindestens eine Dose Beluga-Kaviar, und dazu vielleicht einen «Legend of Kremlin Premium Wodka» im neckischen Buchversteck zum Verschenken im Kühlschrank. Plus natürlich mindestens zwei Flaschen «Beluga Gold Line» für schlappe 430 Franken. Dafür gibt’s aber 1,5 Liter und ein Extrahämmerchen zum Entfernen des Siegels.

Alles vorbei, auch die russische Zobelmütze wird verschämt im Keller eingemottet. Ganz dreckig geht es bereits den grossen Rohstoffhändlern in der Schweiz. Die neuen Masters of the Universe, unkaputtbar, mit dem einfachen Prinzip »verkaufe teurer, als du einkaufst» zu Multimillardären geworden – nun dank senkrecht fallenden Kursen am Verlumpen.

Die Volksseele applaudiert und kocht

Das alles findet unter grossem Beifall der Bevölkerung statt. Gelegentlich rastet auch der Volkszorn etwas aus und beschädigt Ladenfronten von russischen Geschäften und Lokalen, als seien die Besitzer persönlich für die Politik Putins verantwortlich. Russische Künstler, Sportler, Schauspieler, überhaupt alles, was blondgefärbt dieses unannachahmliche «äh» wie in «russischä Sääle» ausspricht, muss mit Repressionen rechnen.

Das nannte man früher Sippenhaft, das nennt man heute Zeichen setzen.

Aber es gibt ein Thema, da wird’s etwas schwierig mit den Zeichen gegen und dem Kampf für und «stoppt Putin». Bei allem, was mit Energie zu tun hat. Deshalb haben bislang erst die USA angekündigt, auf den Import von russischem Erdöl und -gas zu verzichten. Deshalb tänzeln alle europäische Staaten um dieses Thema herum.

Denn fast die Hälfte aller russischen Exporte bestehen aus diesen beiden Produkten, rund ein Drittel des BIP wird damit erwirtschaftet. Ein Boykott würde Russland massiv, schnell und viel schmerzlicher treffen als alle bisherigen Sanktionen.

Wollen wir boykottieren, wo’s weh tut?

Auf der anderen Seite stammt rund die Hälfte des in die Schweiz importierten Erdgases – aus Russland. Beim Erdöl ist’s nicht so dramatisch, aber der russische Anteil ist auch bedeutend. Natürlich wäre es möglich, russische Produkte durch andere Quellen zu ersetzen. Gas kann in flüssiger Form importiert werden, neben Russland gibt es die arabische Welt, die USA und sogar Venezuela als mögliche Exporteure.

Nur: das kostet. Schon jetzt steigt der Benzinpreis und steigt und steigt. Gelenkig hat er die Schwelle von 2 Franken überschritten, bewegt sich auf 2.25 zu, auf 2.50, auch 3 Franken liegt durchaus drin. Das trifft den Schweizer, auch den friedensbewegten, falls sich der nicht prinzipiell mit Velo und ÖV fortbewegt, ins Mark.

Wenn das Befüllen einen 70-Liter-Tanks mal 200 Franken kostet, sieht das mit «Zeichen der Solidarität setzen, Boykott russischer Produkte» schon etwas anders aus. Da wird’s dann ganz schräg. Da könnte sich der Volkszorn plötzlich nicht länger gegen Russland, sondern gegen die eigene Regierung richten.

Denn, was schamvoll im Kleingedruckten erwähnt wird, rund die Hälfte des Spritpreises landet in Form von Steuern und Abgaben nicht etwa in Russland, sondern beim jeweiligen Staat.  Das regelt in der Schweiz das «Mineralölsteuergesetz», abgekürzt MinöStG. Für Motorenbenzin und Diesel ist zusätzlich ein Mineralölsteuerzuschlag fällig.

Das bedeutet, wenn die Eidgenossenschaft auf knapp 5 Milliarden Steuereinnahmen verzichten würde, käme der Spritpreis auf idyllische 1.20 oder so runter. Dann würde friedlich Tanken für den Frieden in der Ukraine und der ganzen Welt wieder richtig Spass machen.

Wer übrigens meint, die steil nach oben schiessenden Spritpreise hätten wir dem Unmenschen Putin zu verdanken: stimmt auch nur teilweise. Denn richtig absahnen tun, wie immer in solchen Krisen, die Raffinerien. Denn die Preiserhöhungen beim Endprodukt stehen mal wieder in keinem Verhältnis zu den Preiserhöhungen pro Barrel Rohöl …

Oder aber, ZACKBUM mit hohem Nutzwert, wie wär’s, dieses Angebot auszunutzen? Gut, ist nicht gerade zentral gelegen, aber diese Preise sind unschlagbar …

Diesel Fr. 1.61 (wenn man in Euro zahlt), Bleifrei 1.624. Das sind Zahlen aus dem Automobilistenhimmel …