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Rechtsverluderung

Amateure am Gerät, auch in den Medien.

Die hochwohllöbliche NZZ trötet: «Das Obergericht bestätigt, dass keine Verjährung eintritt.» Das wüsste das Obergericht aber. Denn es hat den Fall wieder bei der Staatsanwaltschaft rechtshängig gemacht. Und während deren Walten laufen selbstverständlich die Verjährungsfristen. Einleitend schreibt André Müller wichtigtuerisch, dass das Obergericht diese vernichtende Klatsche «auf Anfrage bestätigt». Also hat er angefragt, weil er offenbar weder die Medienmitteilung noch das Urteilsdispositiv einsehen konnte, obwohl das öffentlich erhältlich ist. Zählen kann er nebenbei auch nicht, die Begründung umfasse 40 Seiten, behauptet er, es sind aber 38.

Immerhin 173 Treffer erzielt man in der Datenbank SMD, wenn man am aktuellen Tag mit dem Stichwort Vincenz sucht. Natürlich sind viele Mehrfachtreffer dabei, da die Schweizer Medienlandschaft der Tageszeitungen im Wesentlichen von zwei Kopfblattsalaten bespielt wird. Aber immerhin, der Fall ist wieder präsent.

Mit solchen Schludrigkeiten und Merkwürdigkeiten ist er nicht alleine. Die geohrfeigte Staatsanwaltschaft kann’s nicht lassen und will beim Bundesgericht Beschwerde gegen diesen Entscheid einlegen. Die entspricht allerdings überhaupt nicht dem Bild, das NZZ-Müller von ihr malt:

«Bei der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich arbeiten schliesslich keine Anfänger. Es handelt sich, was den Kampf gegen Wirtschaftskriminalität anbelangt, um die wohl kompetenteste und am besten ausgerüstete Strafverfolgungsbehörde der Schweiz

Vielleicht sollte man seinem Kurzeitgedächtnis auf die Sprünge helfen und ihn daran erinnern, dass diese unglaublich kompetente Strafverfolgungsbehörde schon den Prozess gegen die Verantwortlichen für das Swissair-Debakel in den Sand setzte. Er endete mit Freisprüchen für alle auf ganzer Linie.

Völlig absurd ist dann Müllers Schlussfolgerung: «Zweitens zeigen Verfahren wie der Vincenz-Prozess der Schweizer Öffentlichkeit, dass der Staat den Kampf gegen Wirtschaftskriminelle ernst nimmt.» Ach ja? Indem er sich komplett lächerlich macht, vertreten durch eine unfähige, stümperhafte, überforderte Staatsanwaltschaft?

Auch der «Ressortleiter Wirtschaft» Ulrich Rotzinger vom «Blick» glänzt durch juristische Kernkompetenzen: «Die angelasteten Vergehen verjähren durch die Verzögerung auch nicht.» Er watscht dann noch das Bezirksgericht ab: «Es hätte die Anklageschrift im Plauderton zurückweisen müssen, anstatt das Urteil nonchalant und in aller Schnelle zu fällen.» 9 Monate für die schriftliche Urteilsbegründung auf 1200 Seiten sei nonchalant in aller Schnelle? Was ist dann für diesen Mann langsam?

«20 Minuten» versichert sich der Fachkenntnis eines Anwalts, der gerne die Gelegenheit benutzt, seinen Namen in den Medien zu sehen, indem er das wiederholt, was im Beschluss des Obergerichts steht – und was man auch einfach dort hätte abschreiben können.

Auch Tamedia schreibt (ab), dass es sich bei dem Beschluss des Obergerichts um 40 Seiten handle. Hier darf der Anwalt für solche Fälle zu Wort kommen, natürlich der «Professor für Strafrecht und Zivilprozessrecht» Daniel Jositsch. Der glänzt mit Erkenntnissen wie: «Dass eine Anklageschrift zurückgewiesen wird, kommt immer wieder vor, gerade bei solch komplexen Fällen wie diesem». Beruhigt aber: «Mit Ausnahme einer zeitlichen Verzögerung habe der heutige Entscheid des Obergerichts aber keine inhaltlichen Auswirkungen auf das Verfahren.»

Vielleicht zum Mitschreiben für den Professor: Wenn ein Urteil aufgehoben wird und der Fall wieder bei der Staatsanwaltschaft rechtshängig gemacht wird, unterbricht das die Verjährung keinesfalls, da somit kein Urteil vorliegt.

Interessant dann auch diese Formulierung bei Tamedia, die Rechtsexperten Jorges Brouzos und Beatrice Bösiger behaupten: «Laut dem Obergericht können sie jedoch nicht auf eine Verjährung der ihnen vorgeworfenen Taten hoffen. Es stützt sich auf die Rechtssprechung des Bundesgerichtes, wonach auch nach der Aufhebung eines Urteils in der ersten Instanz die Verjährung unterbrochen bleibe.»

Das Obergericht deutet so etwas in seinem Beschluss tatsächlich an. Ob aber das Bundesgericht sich darüber hinwegsetzen will, dass die Aufhebung eines Urteils bedeutet, dass es schlichtweg nicht mehr vorhanden ist? Und wenn die Staatsanwaltschaft neuerlich eine Anklageschrift basteln muss, dabei die Verjährung nicht weiter laufe, wie das zwingend vorgeschrieben ist?

Überboten wird all da nur noch durch die Staatsanwaltschaft selbst. Nach diesem Tritt in die Weichteile sollte sie sich eigentlich in ihre Amtsstuben zurückziehen, Büroschlaf halten und hoffen, dass möglichst schnell Gras über die Sache wächst. Denn was ihr widerfuhr, ist die Höchststrafe, ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. und kommt keineswegs alle Naselang vor, wie der Rechtsprofessor behauptet.

Stattdessen kündigt sie nassforsch an, sich beim Bundesgericht zu beschweren. Dabei haben die Oberrichter fast eine Seite in ihrem Beschluss darauf verwendet, der Staatsanwaltschaft haarklein zu erklären, wieso Folgendes gilt: «Der vorliegende Beschluss ist damit aus Sicht des Obergerichts nicht anfechtbar». Die Begründung dafür leuchtet auch einem Laien ein. Dem Staatsanwalt hingegen nicht.

War die als untauglich zurückgewiesene Anklageschrift schon peinlich genug, ist dieses Nachmopsen eigentlich ein Entlassungsgrund.

CH Media stellt immerhin die naheliegende Frage an einen Rechtsanwalt, wie lange es denn nun bis zu einem rechtsgültigen Urteil ab heute dauern werde:

«Vom Zeitpunkt des Einreichens der Anklageschrift an das Bezirksgericht bis heute sind rund dreieinhalb Jahre vergangen. Es muss mit mindestens weiteren vier Jahren gerechnet werden, bis das Obergericht wieder zum Zug kommt. Bis dann eine Verhandlung vor Obergericht durchgeführt ist und ein Urteil schriftlich vorliegt, wird es mindestens zwei Jahre dauern. Dann geht es ans Bundesgericht und dort ist ebenfalls mit mindestens zwei Jahren zu rechnen. Wenn das Bundesgericht einen Entscheid fällt, der das Verfahren abschliesst, rechnen wir also mit rund 8 Jahren. Wenn das Bundesgericht (oder allenfalls sogar bereits das Obergericht) das Verfahren zurückweist, noch einige Jahre länger

Oder auf Deutsch: solange gilt die Unschuldsvermutung. Oder deutsch und deutlich: es ist ein Hohn, eine Verluderung der Rechtsprechung, verursacht durch einen inkompetenten Staatsanwalt, der sich nach bitteren Niederlagen in seinen letzten Fall so verbissen hat, dass er ihn peinlich vergeigte.

Tagi banal

Platz für ein Winsel-Interview mit dem Versagerrat von Julius Bär.

Ist ein richtiges Schlamassel passiert, halten sich zunächst alle Verantwortungsträger krampfhaft an ihrem Sessel fest und wollen Teil der Lösung sein. Wenn ein Riesenschlamassel wie bei der Bank Julius Bär passiert und über 600 Millionen Franken zum Fenster rausgeschmissen wurden, dann klammern sich alle an ihr Pöstchen und sagen «ich war’s nicht».

Dabei ist es völlig unerklärlich, wie gestandene Banker einem Hochstapler und österreichischen Strizzi wie René Benko diesen gigantischen Betrag leihen konnten – auf windige Sicherheiten hin, die das Papier nicht wert sind, auf das sie geschmiert wurden.

Das Loch ist dermassen gigantisch, dass dann doch Köpfe rollen mussten. Verantwortlich für ein solches Desaster ist in erster Linie der Verwaltungsratspräsident, insbesondere, wenn er wie bei Bär auch noch im sogenannten Risk Committee sitzt, also in dem Organ, das die Risiken der Geschäfte beurteilen sollte – und alle Kredite durchwinkte.

Aber hier hat der VRP gegenüber dem CEO einen entscheidenden Vorteil. Er kann den CEO feuern, umgekehrt geht nicht. Der VRP könnte höchstens durch eine ausserordentliche Aktionärs-GV gekübelt werden, und das findet praktisch nie statt. Also durfte sich Versager Philipp Rickenbacher selbst verabschieden, mit dem üblichen Blabla: «it has been an honour for me … I am immensely grateful for all that». Damit hat er allerdings recht. Für sein viereinhalbjähriges Wirken kassierte er happige 27 Millionen.

Eigentlich Peanuts, so gerechnet. Bloss 4,5 Prozent von 600 Millionen Miese, aber genauso rausgeschmissenes Geld. VRP Romeo Lacher kassierte in der gleichen Zeit läppische 4 Millionen, rechnet «Inside Paradeplatz» vor.

Nun hat Lacher, wie weiland Versager-VRP Urs Rohner den Versager Tidjane Thiam feuerte, sich seines CEO entledigt. Rettet das seinen eigenen Kopf? In solchen Fällen muss man für gut Wetter sorgen. Am besten in Form eines Interviews. Dafür kommt am ehesten die NZZ in Frage. Will die nicht, oder würde die zu kritische Fragen stellen, geht’s die Leiter runter. Dann halt der «Tages-Anzeiger». im schlimmsten Fall «Blick» oder «SonntagsBlick», die ehemaligen Hoforgane des gefallenen Bankerstars Pierin Vincenz. Hier ist’s nun der Tagi.

Solche Interviews haben nichts mehr mit Frage und Antwort in freier Rede zu tun. Jedem angelsächsischen Journalisten würde es dabei den Magen umdrehen, aber hier müssen die Fragen zuvor genehmigt werden, unpassende werden aussortiert. Dann hat Corporate Communication den VRP entweder bis aufs i-Tüpfelchen gebrieft, was er sagen soll, oder es wird beim Autorisieren noch nachgeschliffen. Heraus kommt dann gebackene Luft.

Reines Gesäusel: «Wir mussten eine ganze Reihe von Abklärungen treffen … Wir haben sofort veranlasst … wir die volle Verantwortung übernehmen …» Das sieht dann so aus: «Mit Philipp Rickenbacher haben wir uns im gegenseitigen Einvernehmen darauf geeinigt, dass er zurücktritt.» Zum Totlachen.

Nun stellt Beatrice Bösiger die knallharte Frage, ob denn der VRP als oberster Verantwortungsträger nicht auch hätte zurücktreten müssen. In solchen Fällen erfolgt die Antwort aus dem bewährten Stehsatz für solche Fälle und Fragen: «... selbstverständlich auch meine Funktion diskutiert … Entschluss, dass es keinen Sinn macht … die Stabilität der Bank sicherstellen müssen … alles daranzusetzen, dass wir wieder zurück auf den richtigen Weg kommen.» Auch zum Totlachen. Wie es der Stabilität der Bank geschadet hätte, wenn der oberste Verantwortliche für das Schlamassel die Verantwortung übernommen hätte, keine Nachfrage.

Habe die Bankenaufsicht Finma etwas mit dem Abgang des CEO zu tun (natürlich hat sie das, aber): «Wir haben diese Entscheide gefällt, und sie sind nicht auf Druck der Finma gefällt worden.» Keine Nachfrage, ob Lacher das wirklich erzählen könne, ohne rot zu werden.

Wie kann es eigentlich sein, dass Bär auf wertlose Luftnummern, Luftschlösser Multimillionenkredite schüttete? «Wir werden über die unterliegenden Werte der Kredite keine öffentliche Auskunft geben.» Keine Nachfrage.

Aber immerhin, einen wohldosierten Hauch einer Selbstkritik  räumt Lacher ein: «Wir müssen eingestehen, dass wir eine Fehleinschätzung gemacht haben. Das ist nicht gut.Wir nehmen das sehr ernst und übernehmen als Verwaltungsrat und Geschäftsleitung die Verantwortung dafür.» Wie sich das im Verwaltungsrat äussert? Keine Nachfrage.

Das ist nun nicht die Schuld von Bösiger. Es ist aber so, dass der Tagi wohl eher auf dieses Weichspüler-Interview hätte verzichten sollen, da kritische Nachfragen offensichtlich nicht erlaubt waren. Aber immerhin, Bösiger lässt ihrem Frust freien Lauf, indem sie in einem Kommentar nachtritt: «Jetzt sollte auch der Präsident zurücktreten». Denn schliesslich bestimme der die Regeln der Kreditvergabe, habe hier ein gewaltiges Klumpenrisiko zugelassen und sitze schliesslich im Risikoausschuss.

Das ist nun für Lacher blöd gelaufen. Da wollte er sich mit einem glattgefönten Interview salvieren, und dann wird ihm nebendran der Rücktritt empfohlen. Künstlerpech.

Wie meistens eleganter löste das die NZZ. Die sprach auch mit Lacher, fand dessen Aussagen aber offensichtlich so inhaltsleer, dass sie einen Lauftext mit wenigen Quotes von ihm bastelte. So macht man das.

Vorsicht, Tiefflug

Früher war ein Kommentar noch was.

Heute ist Beatrice Bösiger. Sie wurde bereits in ihrer Berichterstattung übers WEF verhaltensauffällig. Jetzt darf sie noch den grossen Schlusskommentar für Tamedia in den  Sand setzen.

Warnhinweis und Packungsbeilage für empfindliche und gendersensible Leser: ab hier wird es leicht toxisch. Das liegt aber nicht am Schreiber, sondern am zu Beschreibenden.

Denn wenn ein Kleingeist versucht, die grosse Welt in Worte zu fassen, dann wird es eher peinlich; das Wort fremdschämen stösst in neue Bedeutungsdimensionen vor.

Bösiger kommt zunächst zur umwerfenden Erkenntnis, dass «viele Teilnehmende Aufmerksamkeit statt Austausch suchten». Dabei war das WEF doch bislang dafür bekannt, dass niemand, vielleicht mit der Ausnahme von Donald Trump, hier nach Aufmerksamkeit giert, sondern alle haben früher ihr Ego zu Hause gelassen und sich in den Dienst der Sache gestellt.

Das WEF war und ist schon immer ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem jeder Teilnehmer nur zwei Pendenzelisten abarbeitet. Wie bekomme ich grösstmögliche Performance in den Medien, und wie viele Kontakte kann ich in den wenigen Tagen knüpfen. Ist schliesslich ein sauteurer Spass.

Bösiger hingegen scheint nur eine Pendenzenliste zu haben: wie mache ich mich mit möglichst wenig Worten maximal lächerlich. Das fängt schon mit der mangelhaften Sprachbeherrschung an: «Davos hat seinen normalen Aggregatzustand zurück.» Fest, flüssig, gasförmig oder als Plasma?

«Zu unterschiedlich ging es auf der Bühne zu und her.» Unterschiedlich zu was? Meint sie vielleicht kontrovers, verschiedenartig? Man weiss es nicht, sie weiss es nicht. Wie ging es denn auf der Bühne zu und her? «So warnte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski zwar eindringlich vor dem russischen Aggressor.» Zwar, aber? «Zuvor hatte er … einen Friedensgipfel für die Ukraine angekündigt.» Wir üben den Gebrauch des Adverbs «zwar». Oder nein, wir lassen es, hoffnungslos.

«Und auch der israelische Präsident Isaac Herzog verdammte bei seinem Auftritt den Terror der Hamas.» Wir üben den Gebrauch der Konjunktion «und auch». Oder nein, wir lassen es.

Das war dann doch recht kontrovers, oder nicht? Nicht: «Zwischendurch wurde es jedoch deutlich kontroverser.» Noch kontroverser? Ach ja, Auftritt Lieblingsfeind von Bösiger, Präsident Milei aus Argentinien. Der habe seine erste Reise ins Ausland dazu genutzt, «den Sozialismus im grossen Saal des Kongresszentrums nach Kräften zu verdammen und sämtliche staatlichen Eingriffe zu verteufeln.» Nach den Fake News über seinen Auftritt nun eine hochklassige Zusammenfassung des Inhalts seiner Rede.

Dann noch der polnische Präsident, also genauer der «rechtskonservative Duda» und der abstreitende iranische Aussenminister. «Ob derartige Auftritte dem Motto des Forums entsprechen, darf getrost bezweifelt werden.» Tja, auch wenn die Kommentatorin nicht recht bei Trost ist …

Aber immerhin, das scheint doch eine klare Position zu sein. Selenskyj und Herzog gut, Milei und iranischer Aussenminister Amir-Abdollahian schlecht. Das dürfte auch Bösiger unangenehm aufgefallen zu sein, also verwedelt sie: «Dass es in Davos Platz für unterschiedliche Ansichten und Positionen geben muss, ist klar.»

Das ist ein edler Gedanke; noch schöner wäre es, wenn die Berichterstatterin in der Lage wäre, diese unterschiedlichen Ansichten wenigstens korrekt wiederzugeben. Aber lieber mäkelt sie: «Doch das Agenda-Hopping macht das Forum beliebig. Im Kongresszentrum folgt Rednerin auf Redner, die Themen wechseln andauernd. Echter Austausch kommt bei einer solchen Übungsanlage schwerlich zustande.»

Ähm, ist es nicht Sinn der Sache, dass bei einer solchen Veranstaltung Redner auf Redner folgt? Sollte es zwischendurch Momente geben, in denen sich alle auf der Bühne umarmen? Gemeinsam den «Schacher Sepp» singen? Oder «Freude schöner Götterfunken»?

Aber gut, nun zum Wesentlichen, also zur Schweiz. Auch da hat Bösiger vielleicht eine klare Ansicht, die kann sie aber nur unklar formulieren: «Der Schweiz ist es gelungen, während des  Forums wieder eine stärker wahrnehmbare Rolle zu spielen als auch schon. Im vergangenen Jahr geriet die Schweiz wegen ihrer Haltung, die Weitergabe von Munition in die Ukraine zu ermöglichen, in die Defensive.» Ähm, mit der Ankündigung einer Friedenskonferenz, an der höchstens ein Kriegsteilnehmer anwesend sein wird? Und war es nicht die Haltung der Schweiz, die Weitergabe nicht zu ermöglichen, mit der sie in die Defensive geriet? Beziehungsweise sich gegen Anschläge auf die Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung Schweizer Gesetze zur Wehr setzen musste?

«Gegen den Friedensgipfel, den die Schweiz für die Ukraine organisieren will, kann zumindest öffentlich niemand anreden.» Ähm, doch, Russland bezeichnet ihn als «Farce», China und die USA sagen überhaupt nichts dazu, und die Schweiz ist schon längst als neutraler Ort für Konferenzen ausgefallen, weil sie sich ohne Not an den absurden Sanktionen gegen Russland beteiligt.

Nach diesen Ritten durch holpriges Sprachgelände, bei denen die Reiterin mehrfach vom Pferd fiel, kommt nun noch die grosse Schlussbilanz, Posaunen und Trompeten, schmettert los: «Es zeigt sich, dass das Forum – auch ohne genuin wirtschaftliche Themen ganz oben auf der Agenda – ein kommerzieller Anlass ist und bleibt. Andere Erwartungen sind da schlicht zu hoch gegriffen.»

Mit dieser originellen, tiefschürfenden und geradezu vernichtenden Analyse entlässt Bösiger den verwirrten Leser. Der fragt sich nur, ob er hier absichtlich gequält wurde – oder aus Unfähigkeit. ZACKBUM ist gnädig und plädiert fürs zweite.

Qualitätskontrolle? Sprachbeherrschung? Niveau? Originalität? Widerspruchsfreiheit? Verständlichkeit? Flughöhe? Auf alle diese Fragen gibt es leider bei Tamedia eine einfache Antwort: Frau.

Fake News

Aus den Niederungen des Tagi.

Dass das Qualitätsorgan «Tages-Anzeiger» die Ansichten des neuen argentinischen Präsidenten nicht mag, ist offensichtlich. «Anarcho-Kapitalist», «Kettensäge», das Framing ist gesetzt und muss bedient werden. Für die Gesinnungsblase, für die der Tagi schreibt, mag das okay sein.

Allerdings ist doch eine immer tiefergehende Veränderung zu verzeichnen. Das fängt beim neutralen Titel an «Milei poltert in Davos gegen Feministinnen und Politiker». Ist das eine journalistisch zurechnungsfähige Zusammenfassung dessen, was er gesagt hat?

Das ist übrigens hier nachzulesen, bzw. nachzuhören. Das muss der Tagi nicht unbedingt liefern, aber es entlarvt seine Berichterstattung als Fake News.

Schon der erste Satz der Fachkraft Beatrice Bösiger ist schlichtweg falsch: «Auf die warmen Begrüssungsworte von WEF-Gründer Klaus Schwab geht Javier Milei nicht ein.» Damit will sie ihn als ungehobelten Rüpel hinstellen. In Wirklich begann Milei so: «Schönen guten Nachmittag und vielen Dank für diese Worte.» Und am Schluss behauptet Bösiger: «Mit dem Ruf «Es lebe die Freiheit, verdammt nochmals», verschwindet er von der Bühne. Zeit für Nachfragen bleiben keine.»

«Muchas gracias y vive la libertad, carajo», sagte Milei am Schluss; das ist eine seinem Wahlkampf geschuldete Floskel, ungefähr so kritisierbar wie «let’s make America Great again» oder «wir schaffen das». Damit verschwindet er auch nicht «fluchend von der Bühne», sondern beendet seinen Vortrag und lässt sich, wie alle anderen Redner auch, von der Bühne führen und verabschieden. Vielleicht hätte sich Bösiger lieber um so Details wir die richtige Konjugation eines Verbs kümmern sollen.

Was ist nun von der Berichterstattung über den Inhalt seiner Rede zu halten, wenn schon der erste Satz schlichtweg Fake News ist, so wie der letzte? Wo die Autorin zwischendurch beckmessert: «Offen bleibt allerdings, woher er die Zahlen hat», als wäre es der Sinn einer programmatischen Rede, mit Quellenangaben und Fussnoten zu arbeiten? Genau; nichts. Und dafür soll noch etwas bezahlt werden? Lachhaft. «Beatrice Bösiger ist seit 2023 bei Tamedia», heisst es über die Autorin. Ein Gewinn für das Blatt ist sie nicht.

Es ist allerdings auch nicht die feine Art, dass die «Weltwoche» in ihrer Dokumentation der Rede das Wort «carajo» am Schluss weglässt; ein kleiner Fleck auf der weissen Weste der Berichterstattung.

Ähnliches lässt sich über den Kommentar zum abrupten Abgang des SRG-Chefs Gilles Marchand sagen. Der überbezahlte und bislang mehr als unglücklich kommunizierende Boss wirft das Handtuch. Warum? Ganz einfach, der kommende Abstimmungskampf über die Initiative, die die Zwangsgebühren auf 200 Franken deckeln will, würde etwas provozieren, was sich Marchand eher nicht gewohnt ist: Arbeit und Engagement. Also stattdessen Frühpensionierung und Verzehren einer gewaltigen Pension.

Aber nein, meint die von der abserbelnden Journalistenpostille «Edito» zum Tagi eingewechselte Nina Farghani. Sie spannt ihren dialektischen Schönschwatzmuskel an und meint: «Ist er ein Schönwetterkapitän, der die SRG im Stich lässt, sobald ein Sturm aufzieht? Mitnichten.» Schliesslich habe Marchand «in seiner Zeit als Generaldirektor weitreichende Sparprogramme» angekündigt. Die sich allerdings als reines Geschwätz erwiesen, statt gespart wurde mehr ausgegeben.

Dann schlaumeiert Farghani noch: «Den Medien, insbesondere der SRG, kommt in der direkten Demokratie der Schweiz eine existenziell wichtige Bedeutung zu.» Das mag ja sein, aber Medien wie der Tagi verabschieden sich von jeder Bedeutung mit solchen Fake News …

 

 

 

Weg nach unten

Obwohl nicht schwindelfrei, blicken wir in den Abgrund «Tages-Anzeiger».

Eigentlich ist es eine rührende Idee. Nachrufe veröffentlichen auf x-beliebige Personen. Das ist eine gute Idee für einen Dorfanzeiger, der damit die Leser-Blatt-Bindung verstärkt und sich in seiner überschaubaren Umgebung gut platziert.

Ist es auch eine gute Idee für eine sogenannte «Qualitätszeitung», die wegen schrumpfenden Umfängen eigentlich um jeden Zentimeter redaktionellen Raum kämpfen sollte? Obwohl sie schon genug Platz von der «Süddeutschen Zeitung» aus München füllen lässt.

Nun aber die Serie «Nachrufe». Nichts gegen die hier porträtierte Person, die allerdings schon vor einem Jahr mit Exit aus dem Leben schied, wie man dem Schulaufsatz von Artikel entnehmen kann. Aber ist das ein Angebot, mit dem man den zahlenden Leser bei der Stange hält? Sicher nicht, muss man sagen.

Aber hier geht es sicher zur Sache:

Das ist ein Interview mit dem Ökonom Aymo Brunetti. Der Professor war Präsident der Expertenkommission, die zuhanden des Bundesrats Lösungsvorschläge bezüglich der «too big to fail»-Problematik erarbeiten sollte. Nach der grossen Finanz- und Bankenkrise von 2008.

Die Vorschläge waren so überzeugend, dass sie bei der CS-Krise nicht mal aus der Schublade genommen wurden. Offensichtlich völlig untauglich. Das wäre nun tatsächlich die Gelegenheit für ein munteres, angriffiges Interview gewesen. Aber auch Brunetti weiss, wieso er ausgerechnet dem Tagi Red und Antwort steht.

Weil auch bei ihm von Beatrice Bösiger die inzwischen gewohnte Tagi-Nummer angewendet wird: was wollten Sie Bitteschön immer schon mal sagen?

Da darf Brunetti zunächst markig verkünden: «Eine Bank muss in Konkurs gehen können. Die staatliche Rettung einer Bank widerspricht jeglichen marktwirtschaftlichen Regeln und ist total unfair.»

Dann wagt sich Bösiger an die Frage, wieso denn das von ihm ausgearbeitete Vorgehen nicht mal abgestaubt wurde, sondern im Papierkorb, Pardon, in der Aktenablage blieb: «Wir wissen nicht, ob und wie es funktioniert, weil die Bank eben nicht gemäss diesen Regeln abgewickelt wurde.»

Das ist ein «Schlange beisst sich in den Schwanz und frisst sich auf»-Argument. Die Frage ist doch genau, warum diese Regeln nicht angewendet wurden. Wohl doch deswegen, weil sie völlig untauglich waren und sind. Also hat der Herr Professor Pfusch abgeliefert.

Aber das wären ja harte Fragen gewesen, wir verliessen den Komfortbereich des Tagi. Da darf Brunelli noch zudem sagen: «Für mich ist noch nicht bewiesen, dass man die Credit Suisse nicht hätte in Konkurs gehen lassen können.»

Also, die von ihm entwickelten Rezepte sind untauglich. Die Nationalbank hätte – wie andere kompetente Koryphäen wie beispielsweise Ossi Grübel fordern – problemlos die Liquidität zur Verfügung stellen können, die unfähigen Manager auswechseln und anschliessend die CS, wahrscheinlich sogar mit Gewinn an die Börse bringen. Auch dem widerspricht Brunetti: «Es ist nicht die Aufgabe der Nationalbank, ins Risiko zu gehen und eine Bank vor dem Konkurs zu retten.»

Genau das hat aber die SNB gemacht, nur hat sie gleichzeitig damit der UBS ein Riesengeschenk gemacht. Auch bei dieser Antwort hätten sich eigentlich zwei Fragen anschliessen müssen. Aber stattdessen lässt Bösiger den Professor weiter klugscheissen: «Die Bilanz der UBS ist nach der Übernahme der Credit Suisse gemessen an der Wirtschaftsleistung viel zu gross für die Schweiz.»

Während der Finanzkrise eins war die Bilanz der UBS noch viel grösser, das hat Brunetti damals aber nicht zu dieser Einsicht gebracht. Wenn schon, war die Bilanz der UBS auch schon vor diesem Geschenkverkauf zu gross für die Schweiz, was Brunetti aber nicht hörbar störte.

Selbst der Laie als Leser kommt auf diese oder jene Frage, die man Brunetti hätte stellen sollen, müssen. Aber eben, heutzutage kann man sich seine Interviewpartner aussuchen. Will man ungestört von kritischen Fragen Öffentlichkeit erreichen, sozusagen präventiv verhindern, dass die Frage aufkommt, was denn eigentlich der Versager, der die «too big to fail»-Regeln entwickelte, dazu sage, dass sie so untauglich sind, dass sie nicht mal beim nächsten Fall angewendet werden.

Das wäre andernorts Gelegenheit für einen Schwitzkasten gewesen. Aus dem sich Brunetti vielleicht mit guter Rhetorik hätte befreien können. Das wäre auf jeden Fall für die Leser interessant geworden. Aber eben, wir sind hier beim Genderstern-Tagi, wo das Wort «Qualität» zwar in den Mund genommen wird – und erst noch weiblich ist –, aber dann sofort ausgespuckt, wenn keiner hinguckt.

Aber nicht nur bei dieser nicht abreissenden Reihe von Weichspüler- und Federstreichel-Interviews tritt es dann doch offen zu Tage: weniger Genderwahnsinn, mehr journalistischer Einsatz, mehr Sichtbarkeit für handwerklich niveauvolle Leistungen, das wäre doch was. Das wird aber nix.

Das hat man halt davon, wenn das Geschlecht als Beförderungskriterium (40 Prozent Frauenanteil auf allen Hierarchiestufen) wichtiger wird als die Qualifikation, die Kompetenz. Damit ist dann niemandem gedient, nicht mal den so beförderten Quotenfrauen. Die Qualität leidet, der Leser leidet, die Mitarbeiter leiden, die Einnahmen leiden. Unterwegs nach unten, aus eigener Schuld und Unfähigkeit.