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Es geht nur ums Geld

Liebeleien, Rotlichtspesen, öffentliche Schlammschlachten? Bei Raiffeisen wirken triebstarke Männer.

Über Jahre hinweg konnten gut angefütterte Journalisten eine Sottise nach der anderen aus dem Triebleben des gefallenen Raiffeisenstars Pierin Vincenz veröffentlichen. Spesenabrechnungen, die nur aus diesem Wort, einer fünfstelligen Zahl und einer Unterschrift bestanden. Durchgewinkt. Ein durch eine Terminkollision von zwei Damen des damaligen Oberbosses beschädigtes Hotelzimmer in Zürich: Reparatur auf Firmenkosten.

Als krönender Höhepunkt kommentierten die Medien die 368 Seiten umfassende Anklageschrift, bevor sie per Post die Angeschuldigten erreichte. Das Publikum fühlte sich gut unterhalten – und niemand fragte sich, wo denn die nie versiegende Quelle von Indiskretionen und Verletzungen des Amtsgeheimnisses sprudelte.

Dabei hätte ein einfacher Dreisatz geholfen. Diese Unterlagen kannten die Staatsanwaltschaft, die Angeschuldigten – und der Privatkläger Raiffeisen. Wer von diesen Drei hatte wohl ein Interesse daran, die letzten Reste von Reputation des Mannes zu zerstören, der aus einer verschnarchten Ansammlung von Bauernbanken die Nummer drei auf dem Finanzplatz Schweiz gemacht hatte?

Noch lange nicht das Ende einer Affäre.

Worin besteht denn dieses Interesse genau? Auf einem sowieso schon am Boden liegenden Vincenz weiter rumzutrampeln, das kann es ja nicht sein. Eine auf sehr wackeligen Füssen stehende Anklage wegen angeblicher ungetreuer Geschäftsbesorgung befördern: schon eher. Denn ein vorbestrafter Vincenz hat einen schwächeren Stand in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung, wo es wirklich um Kohle geht.

Es geht nicht um Spesenbetrug. Es geht um viel Geld

Genauer gesagt um rund 125 Millionen Franken. Dagegen sind Spesen, an beiden Seiten des Verhandlungstisches sitzen und Champagnerkorken im «Red Lips» knallen lassen, wahrlich Peanuts.

In Wirklichkeit ist die Öffentlichkeit mit all diesen Nebelpetarden und Blendgranaten getäuscht worden. In Wirklichkeit geht es darum, zwei Unternehmer um ihren Anteil an profitablen Geschäften zu prellen. Nämlich Vincenz und seinen Kompagnon.

Es ist in der Kriegsführung und in juristischen Schlachten nicht völlig entscheidend, aber entscheidend wichtig, mit seinem Narrativ die öffentliche Meinung zu beherrschen. Das ist Raiffeisen mitsamt ihren juristischen und publizistischen Hilfstruppen gelungen. Stellen wir dagegen eine Darstellung, die faktengestützt ist.

These: Raiffeisen ficht sogar feste Vereinbarungen und Verträge an, will sie wegen Grundlagenirrtum für nichtig erklären lassen. Einziger Zweck: Vincenz und seinem Kompagnon zustehende Millionenbeträge sollen ihnen vorenthalten werden.

Die Time Line der Ereignisse beweist eindeutig, wie planvoll und diabolisch dieses Vorgehen war. Von der Einreichung einer ersten Strafanzeige über eine weitere, die Provokation der U-Haft von über drei Monaten, um genügend Zeit zu haben, das Vorhaben ungestört auf den Weg zu bringen, bis hin zur öffentlichen Diskreditierung.

Im Januar 2018 nahm die Sache Fahrt auf

Am 22. Januar 2018 nahm die Staatsanwaltschaft (StA) zum ersten Mal Einsicht in die Untersuchungsakten der FINMA in Sachen Commtrain und Investnet. Die Ausweitung der Strafuntersuchung am 8. Februar 2018 erfolgte unverständlich schnell, da in dieser kurzen Zeit nicht nur FINMA-Dokumente, sondern zwei externe Gutachten von Deloitte und Prager Dreifuss gesichtet worden sein sollen, alleine hier schon 507 Seiten plus Tausende Seiten Beilagen.

Mit bedenklicher Geschwindigkeit kondensierte die StA ihre Strafthese: «Makro-Frontrunning von PV und BS mit verschiedenen Gehilfen. In der Dimension von volkswirtschaftlich schädlichen Auswirkungen».

Das ermöglichte der StA, ab Februar 2018 die Mobiltelefone der Beschuldigten rund um die Uhr zu überwachen. Offiziell informierte die StA Raiffeisen erst Ende Februar, dass gegen vier Beschuldigte ein Strafverfahren wegen mutmasslich ungetreuer Geschäftsbesorgung eröffnet worden sei.

Hier wird die eigentliche Absicht deutlich erkennbar: Das Gutachten der Kanzlei Prager Dreifuss im Auftrag von Raiffeisen brachte zwar keine strafrechtlich relevanten Erkenntnisse, aber in ihm musste auch abgeklärt werden, ob die Möglichkeit bestünde, einen Aktionärsbindungsvertrag u.a. mit Vincenz im Nachhinein aus wichtigem Grund für nichtig erklären zu lassen.

Gewaltiger Schaden – wofür?

In ihrer Untersuchungswut hinterliess die StA eine Schneise der Zerstörung. 12 Hausdurchsuchungen, Vermögensbeschlagnahmungen in Millionenhöhe, rund 145 GB elektronische Datensicherung, Abführen in Handschellen, Verwahrung im Polizeigefängnis Zürich, Kontaktverbote unter bis zu 80 Personen, mehr als 200 ganztägige Einvernahmen.

Aus all diesen Windungen und Wendungen entstand eine dreijährige Ermittlung, 9 Beschuldigte, 50 weiter Auskunftspersonen und Zeugen, über 85 GB Beweismaterial mit rund 25 Millionen PDF-Dokumenten, sieben verschiedene Sachverhalte und einer Betretung von Neuland mit dem Betrugsvorwurf, basierend auf nicht korrekt abgerechneten Spesen.

Mit allen Weiterzügen könnte das Verfahren locker bis 2025 dauern. Dabei hofft die StA wohl in erster Linie darauf, dass einer der Beschuldigten, angesichts von dann 7 Jahre gesperrten Vermögenswerten, das Handtuch wirft.

Und Raiffeisen hofft darauf, dass zwei verurteilte Straftäter, oder zumindest durch das jahrelange Verfahren zermürbte Menschen, deren Ruf, Reputation und Lebenswerk unabhängig vom Ausgang ruiniert wurden, keine nennenswerte Gegenwehr gegen die Entwendung von Gewinnbeteiligungen entfalten würden, durch die Nichtigerklärung von verbindlichen Verträgen.

Dass zwei Anwaltskanzleien dabei Millionen verdienten, weitere Millionen in vergleichbaren Prozessen in Aussicht haben, ist ein weiteres hässliche Ergebnis.

Oder wie schreibt der ermittelnde Staatsanwalt in einem anderen Zusammenhang so richtig:

Wenn genügend Empörung geschürt worden ist, wird die strafrechtliche Aufarbeitung davon beeinflusst, die «Schuldigen» zu bestrafen. Schuld oder Unschuld spielt dabei dann keine Rolle.

Natürlich ist auch das hier ein Narrativ, das zwar mit genügend Indizien untermauert ist, aber keinen Anspruch darauf erhebt, die einzige Wahrheit zu beinhalten.

Cui bono – wem nutzt es?

Aber die alte Frage bei dieser Art von öffentlichen Kampfhandlungen, cui bono, hilft auch hier. Es gibt nur zwei Nutzniesser bei dieser Affäre. Zum einen ein Staatsanwalt, der gegen Ende seiner Karriere ein einziges Mal ein Erfolgserlebnis einfahren möchte, nachdem er bei ähnlichen Strafuntersuchungen bereits fürchterlich in den Senkel gestellt wurde.

Der blutrote Raiffeisen-Platz beim Hauptsitz in St. Gallen.

Der Hauptnutzniesser ist aber Raiffeisen. Man konnte sich so aus dem Schatten des Übervaters Vincenz herausarbeiten, dessen unternehmerischer Leistung unbezweifelbar der Erfolg der Bank zu verdanken ist.

Indem sein Ruf völlig ruiniert ist, indem er im Ruch steht, ein moralisch verworfener Mensch zu sein, der zudem in den eigenen Sack wirtschaftete und kein treuer Diener seines Arbeitgebers war, wird seine Position im eigentlich entscheidenden Zivilprozess geschwächt.

Zudem hat diese ewig währende Strafuntersuchung den schönen Nebeneffekt, dass durch die Arretierung fast aller Vermögenswerte die beiden Hauptbeschuldigten immer stärker in eine finanzielle Bredouille geraten. Was sie weichklopfen könnte, auf die ihnen ihrer Meinung nach zustehenden 125 Millionen Franken zu verzichten, bzw. sich mit einem Trinkgeld abspeisen zu lassen.

Bevor sich dann ab Ende Januar wieder die volle Aufmerksamkeit auf den Strafprozess richten wird, wäre es für die vielen Wirtschaftsjournalisten in der Schweiz doch eine verdienstvolle Aufgabe, diesen Aspekt der Affäre endlich einmal in seiner ganzen Bedeutung zu würdigen.

Es geht nicht um zu Spesenbetrug geschrumpfte ungetreue Geschäftsbesorgung. Es geht nicht um eine Handvoll möglicherweise suspekter Hallodri-Spesen. Es geht um viel, sehr viel Geld, um einen dreistelligen Millionenbetrag. Dort liegt das eigentliche Schlachtfeld.

Verborgen hinter den medialen Nebeln der Reputationsvernichtung.

Ex-Press XLIV: Fütter, Futter, anfüttern

Blasen aus dem Mediensumpf. Für Enthüllungen gibt es nur noch eine Quelle: zugespieltes Material.

Der «Tages-Anzeiger» sonnt sich in einer aufregenden Enthüllung: «Schweizer Polizisten testeten verbotene Gesichtserkennungs-App». Immerhin ist das Blatt so aufrecht, dem voranzustellen: «Enthüllung eines US-Magazins».

Die NZZaS sonnt sich in einer Enthüllung: «Wie Raiffeisen den Millionenlohn von Vincenz kaschierte». Stolz publiziert es eine Seite aus dem Bericht der Untersuchungs-Task-Force, den Raiffeisen auf Anweisung der Strafverfolgungsbehörden anfertigte. Darauf basierend kann das Blatt enthüllen, dass der sich immer so bescheiden gebende Gutbanker Pierin Vincenz auf verschlungenen Wegen bis zu 14 Millionen Franken kassierte – pro Jahr.

Der «SonntagsBlick» vermeldet schadenfroh, dass die TX Group, zu der Tamedia gehört, ein kitzliges Problem hat: «Medienhaus TX droht Namensverlust». Denn das Kürzel wurde bereits von einem Anwalt ins Markenregister eingetragen, als TX zwar den neuen Namen herausgepustet hatte, diese Formalie aber verschnarchte. Der SoBli kam sicherlich nicht von selbst auf die Idee, mal die Einträge im Handelsregister zu überprüfen.

«Gedanken zum Secondo August», so war ein ganzseitiges Inserat überschrieben, in dem ein vom «Beobachter» wegen seiner Geschäftspraktiken Kritisierter  mit professioneller Unterstützung Gegensteuer gab. Für Die SoZ (und andere) gleich Anlass, ihm einseitig Plattformen für die Darstellung seiner Sicht der Dinge zu liefern.

Im Kleinen wie im Grossen: Abfüttern ist gross in Mode

Im grossen Massstab hat ein internationaler Zusammenschluss von Medien immer wieder ganze Datenbanken ausgeschlachtet, die ihm von unbekannten Quellen zugespielt wurden. Und als «Papers» oder «Leaks» veröffentlicht, was man Skandalöses darin gefunden haben wollte. Medien als Untersuchungsbehörde, Ankläger und Richter in einer Person. Um sich den Wind nicht aus den Segeln nehmen zu lassen, wurde konsequent darauf verzichtet, die Beute mit den Strafverfolgungsbehörden zu teilen.

Die Affäre Vincenz ist von Anfang bis zum nahenden Ende ein Skandal. Wegen seines Verhaltens sicherlich auch, denn mit dieser neuen Enthüllung ist auch noch sein Image als Gutbanker, der die Lohnexzesse bei den beiden Grossbanken kritisiert, dahin.

Aber vor allem, weil wohl noch nie mit der Unschuldsvermutung und dem Untersuchungs- sowie Amtsgeheimnis so ein Schindluder getrieben wurde. Mit dem Bankgeheimnis übrigens auch, denn angestossen wurde die Affäre durch eine Enthüllung des Finanzblogs «Inside Paradeplatz», der mit konkreten Kontoinformationen aus einer Bank heraus angefüttert worden war.

Als das anfänglich keine Wirkung erzielte, wurde Arthur Rutishauser, Oberchefredaktor bei Tamedia, zum willfährigen Empfänger immer neuer Dokumente, Unterlagen und Informationen, die er sofort und brühwarm mit der Öffentlichkeit teilte. Während die Staatsanwaltschaft den Verfahrensbeteiligten einen Maulkorb verpasste.

Anschliessend wurde über Jahre Intimes und Internes und als krönender Höhepunkt zum Schluss sogar der Inhalt der 368 Seiten umfassenden Anklageschrift der Öffentlichkeit serviert. Die war sogar schneller als die Betroffenen informiert, da solche Werke heutzutage immer noch per Post auf den Weg gebracht werden.

Aber wenn sich jemand die Mühe macht, das schnell zu digitalisieren und enthüllungshungrigen Medien zuzuspielen …

Auch die Jagdszenen in der Nähe der Bahnhofstrasse, die am Schluss zum Rücktritt des CEO der Credit Suisse führten, kamen nicht als Ergebnis einer knallharten Recherche ans Tageslicht.

Damit soll natürlich nichts gegen das Verwenden zugespielter Informationen gesagt werden. Auch ZACKBUM profitiert davon, wenn beispielsweise abfällige Bemerkungen der redaktionellen Leiter nach unten von CH Media von Ohrenzeugen berichtet werden. Nach denen hatte Pascal Hollenstein seine zahlende Printleserschaft übel beschimpft, als Milchkühe abgestempelt.

Aber von den Leaks abwärts gilt es immer abzuwägen, welche Absichten die anonyme Quelle verfolgt, die gerne streng vertrauliche Informationen gratis und ohne Rücksichten auf strafrechtliche Folgen an die Öffentlichkeit bringen möchte. Das weiss der Lautsprecher nicht, also die Plattform, die den «primeur» rausposaunt. Das weiss die Leserschaft noch viel weniger.

In diesem Sinne ist das einleitende Beispiel von Tamedia noch relativ harmlos. Die haben einfach die US-Blog «BuzzFeed» aufmerksam gelesen und die Ergebnisse von deren Recherche ausgeschlachtet. Ist ja erlaubt, aber die Eigenleistung, die entsprechenden Polizeidienststellen nochmals mit den gleichen Frage zu belästigen, die bereits BuzzFeed stellte, ist eher überschaubar.