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Klugscheisser

Was passiert, wenn eine SZ-Journalistin Wolf Biermann interviewt?

Zunächst einmal freut sich Tamedia; schon wieder eine Seite gefüllt ohne eigenes Zutun:

Alles, inklusive Titel, ist von der «Süddeutschen Zeitung» übernommen. Dazu noch ein Riesenfoto aus der Vergangenheit Biermanns und den trügerischen Titel «Hintergrund» drübergestellt, schon wieder ist ein Produkt hergestellt, das den Tagi-Leser garantiert begeistert zurücklässt, dass er für sowas auch noch Geld ausgeben muss.

Wofür? Dafür, dass ein 86-jähriger ehemaliger Bänkelsänger und Possenreisser immer noch den Troubadour spielt: «Wolf Biermann ohne seine Gitarre – undenkbar. Er bringt sie zum Interview selbstverständlich mit. Immer wieder greift der bald 86-Jährige während des Gesprächs zum Instrument, zitiert nicht nur aus Texten seiner Lieder, sondern trägt die Passagen mit Inbrunst und voller Stimme vor.»

Für die jüngeren Leser: Biermann ist ein Liedermacher, der bis 1974 in der DDR lebte und dann während einer Konzerttournee im Westen ausgebürgert wurde. Vom überzeugten Kommunisten («so oder so, die Erde wird rot») wurde er zum rechtsradikalen Beschimpfer alles Linken, zum Befürworter des völkerrechtswidrigen Eingreifens der NATO im Kosovokrieg und der Invasion des Irak durch die USA. Die Kritik an der grossen Bespitzelung durch die NSA fand er eine «hysterische Propaganda-Idiotie». Inzwischen ein CDU-Wähler, nützte er jede Gelegenheit, die Partei «Die Linke» zu beschimpfen.

Er hat also einen weiten Weg zurückgelegt, ein richtiger Wendehals, aber immer mit Schnauzer und Pathos und für ein scharfes Wort gut. Wenn’s denn noch jemand hören will. Dieses Interview begann sicherlich mit dem Satz in München: «Lebt eigentlich Biermann noch?» Und als dann die stellvertretende Chefredaktorin den Mann mit Klampfe befragte, füllte auch die SZ damit mal eine Seite.

Her darf er zum x-ten Mal die Geschichte von seinem jüdischen, kommunistischen Vater erzählen, der von den Nazis umgebracht wurde. Von seiner Übersiedelung in die DDR mit 16, von seiner Abscheu gegen Hitler und Stalin, als hätte er den dummen Spruch von den roten und braunen Fäusten verinnerlicht: «Stalin wollte von seinem Volk auch so blind geliebt werden wie Hitler von seinem Volk. Deshalb hat er systematisch die Medien erobert und andersdenkende Leute getötet, vertrieben, liquidiert. Das ist eben die Pest der Diktatur. Und die kann links sein oder rechts.»

Dass der eine dem Rassenwahn verfallen war und mehr als sechs Millionen Juden tötete, bis Europa vom anderen von der Nazi-Herrschaft unter den höchsten Opfern aller beteiligten Alliierten befreit wurde, was kümmert’s.

Auch zum Ukrainekrieg hat Biermann eine klare Meinung: «Ich bin natürlich dafür, dass die Ukrainer unterstützt werden, auch mit Waffen, mit möglichst starken Waffen. Uns kostet es nur Geld. Aber die Ukrainer kostet dieser Freiheitskrieg das Leben.»

Kind eines Kommunisten, der wegen der Sabotage an Waffenlieferungen an den Faschisten Franco ins KZ und dort umkam. Selber überzeugter Kommunist, Befürworter und Unterstützer der Anti-Atom- und Friedensbewegung. Von ganz links nach ganz rechts unterwegs. Wen sollen seine Meinungen in der Abendsonne noch interessieren?

Die interessieren nicht mal in Deutschland mehr. Ganz zu schweigen von der Schweiz.