«Die Schweiz braucht einen Lockdown»
Fordert eine mediengierige Virologin, macht der «Blick» zum Aufmacher.
Wenn man aus fernerer Zukunft auf die Pandemie und das Jahr 2020 zurückblickt, wird man unabhängig von allen Meinungen, Positionen, Analysen in einem Punkt übereinstimmen: Die Unfähigkeit der Massenmedien wurde nur durch die Unfähigkeit der Wissenschaftler übertroffen. Die Regierenden können sich irgendwo dazwischen einreihen.
Schreiten wir zur Beweisführung. Isabella Eckerle leitet seit 2018 die Abteilung Infektionskrankheiten an den Universitätskliniken in Genf. Sie habe zuvor mit dem «deutschen Virologen-Star» Christian Drosten zusammengearbeitet.
Dadurch über alle Massen qualifiziert, findet es Eckerle dem Ausmass ihrer Forderung angemessen, sie als Tweet abzusetzen. Das limitiert sie nun ein wenig in der Ausführlichkeit von Forderung und Begründung.
Schauen wir uns doch diese geballte, konzentrierte Fachkompetenz im Original an:
Falls nicht dringlich ein erneuter Lockdown ausgerufen wird, kämen wir nicht durch den Winter, ohne «eine enorme Anzahl von Todesopfern und ohne gewaltigen wirtschaftlichen Schaden».
Kleine Widersprüche in der Kakophonie
Das widerspricht ein kleines bisschen der Einschätzung des Schweizer Star-Virologen Marcel Salathé, der noch vor Monatsfrist die Lage als sehr, sehr gut bezeichnete. Diese Forderung, der Schweiz zumindest nochmals gewaltigen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, widerspricht auch ein wenig dem Chemie-Nobelpreisträger Michael Levitt, der die Wirkung von Lockdowns schon von Anfang an bezweifelte.
Ein zweiter Lockdown widerspricht auch ein wenig der fundamentalen Kritik am «gescheiterten» schwedischen Sonderweg, wo aktuell nichts für einen zweiten Lockdown spricht. Der auch eigentlich der erste wäre.
Öffentliche Erregungsbewirtschaftung von ansonsten Unbekannten
Damit sind auch interessante Fragen wie die, dass drakonische Massnahmen in Spanien genau nichts nützten, während vergleichbare Einschränkungen in Südkorea erfolgreich waren, weiterhin unbeantwortet. Aber wir wollen hier keinesfalls noch unser Urteil darüber abgeben. Wir halten nur fest: Sobald man zwei Virologen oder Epidemiologen für länger als 30 Minuten in einen Raum sperrt, kommen sie mit drei verschiedenen Meinungen wieder heraus.
Gut, dass es da die vierte Gewalt gibt, die als Filter zwischen dieser wissenschaftlichen Kakophonie dienen muss, zudem alle weiteren Informationen zur Verfügung stellen, damit sich der Leser eine eigene Meinung bilden kann. Soweit die Theorie. In der Praxis haben die beiden grossen Medienkonzerne Tamedia und CH Media, ergänzt durch den «Blick», bereits klar Position bezogen.
Die Warnungen der Wissenschaftler sind todernst zu nehmen, wer dem widerspricht, ist ein Corona-Leugner oder sonstwie krank, und die Regierung zu Bern soll endlich mal den Finger aus einem dafür nicht vorgesehenen Körperteil nehmen und handeln.
Solche Warnungen brauchen wir so dringend wie einen Tritt in den Unterleib
Diese ganze Haltung, daran kommt nicht vorbei, hat etwas zutiefst Masochistisches. Man möchte gequält werden und dafür sogar noch Geld ausgeben. Natürlich nicht sofort und aus dem eigenen Sack, sonst wäre die Zustimmung vielleicht nicht so gross. Aber wenn der erste Lockdown mit allen Folgewirkungen bislang so rund 100 Milliarden gekostet hat, wie viel wird dann ein zweiter kosten? Wenn man berücksichtigt, dass es viele KMU, viele Kurzarbeiter gibt, die sich bislang nur noch knapp über die Runden schleppen konnten, hat man eine ungefähre Ahnung, wie dringend die Schweiz einen neuen Lockdown braucht.
Ungefähr so dringend wie eine weitere Meinung in der Kakophonie der Expertensprüche. So dringend wie eine Wiederholung des Alarmismus, dass es unerträglich viele Todesopfer geben wird, sollte Wirtschaft und Gesellschaft nicht sofort wieder ins Wachkoma geschickt werden.
Lockdown per Tweet? Das würde sich nicht mal Trump trauen
Oder sagen wir so: Eine Wissenschaftlerin, die diese Bezeichnung verdient, stellt ganz sicher nicht per Twitter eine dermassen einschneidende Forderung auf. Es reicht schon, wenn selbsternannte Wissenschaftler in den Medien in Regierungsverantwortung Stehende mit ungebetenen Ratschlägen belästigen. In der wohligen Gewissheit, dass diese Journalisten noch nie auch nur den Hauch einer Verantwortung für ihre Werke übernehmen mussten.