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Wie Birrer die Welt sieht

Es ist eine kleine Welt, seziert mit kleinem Besteck.

Tamedia ist immerhin ein Teil des Duopols der öffentlichen Meinungsbildung im Tageszeitungsbereich. Also hat es schon Wirkung und Einfluss, wenn die Oberchefredaktorin Raphaela Birrer das Wort ergreift und staatsfraulich etwas zu den nächsten Wahlen sagt.

Könnte man meinen. Aber vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass ihre Wahlprognose so gehaltvoll wie ein Schluck Wasser ist. Somit kann man Tamedia wenigstens einmal keine Parteinahme vorwerfen. Wobei, dass die SVP die grosse Wahlsiegerin werden soll, das passt Birrer schon nicht wirklich.

Gleich am Anfang verwirrt sie den Leser (und auch die Leserin, von den Leser*Innen ganz zu schweigen): Die «SVP piepst – und die (sozialen) Medien machen Lärm. Keine andere Partei hält sich derzeit konsequenter im Gespräch als die Volkspartei. Keine ihrer Provokationen ist offenbar zu simpel, um auf Resonanz zu stossen.»

Gerade hat doch ein Meinungsbüttel unter ihrer Oberhoheit sogar das Verbot, mindestens die scharfe rechtsstaatliche Beobachtung der SVP gefordert. Und ist es nicht so, dass jeder Pieps der Partei zu schimpfendem Tschilpen bei Tamedia führt?

Mit etwas komplexeren Formulierung ist Birrer allerdings überfordert. So will sie wohl sagen: «… um nicht auf Resonanz zu stossen».

Aber gut, vielleicht ist das ja eine Selbstkritik, denn auch Birrer selbst, aber das wäre wohl zu kompliziert gedacht für sie. Dabei bemüht sie sich so um einen gepflegten Orgelton: «Die permanente Öffentlichkeit in allen diskursiven Räumen könnte nun handfeste Folgen haben.» Diskursive Räume, aber hallo. Was zum Henker hingegen ist die «permanente Öffentlichkeit» dort? Meint sie permanente öffentliche Präsenz? Und was für «handfeste Folgen»? Faustrecht à la SVP? Dunkel ist das Frauenwort.

Nachdem sie einen möglichen Zugewinn der SVP konstatiert, analysiert sie den möglichen Verlust der Grünen. Das sei besonders bitter, denn «immerhin erachten 42 Prozent der Stimmbevölkerung den Klimawandel als drängendstes Problem».

Schon, aber 70 Prozent sehen es bei den Gesundheitskosten, 53 Prozent bei der Altersvorsorge, 48 Prozent bei der Zuwanderung, 43 bei der Energieversorgung. Erst dann kommt abgeschlagen auf Platz 5 der Klimawandel. Also ist das ein Thema unter ferner liefen. Also ist die Analyse der Oberchefredaktorin grottenfalsch.

Das gilt auch für ihre Behauptung, die SVP «bewirtschafte Themen ausgiebig», sie könne «das eigene Lager meisterhaft mit einer proaktiven Themensetzung mobilisieren». Proaktive Themensetzung oder Bewirtschaftung? Beides zusammen geht halt nicht, das gebietet nicht männliche Logik, sondern reine Logik. Widersprüchlich ist das Frauenwort.

Und ob Bewirtschaftung oder produktive Themensetzung: könnte es nicht vielleicht so sein, dass die SVP Themen aufnimmt, die der Bevölkerung tatsächlich unter den Nägeln brennen und bei denen die anderen Parteien, vor allem die Linken und die Grünen, mit Vorstellungen aus dem Wolkenkuckucksheim – Multikulti, offene Grenzen und Asyl ist ein Menschenrecht, die 10-Millionen-Schweiz macht Spass – an den Wählern vorbeipolitisieren?

Wäre es also nicht angebracht, in den diskursiven Raum einzubrechen, wohin es führt, wenn Parteien die Interessen der Wähler negieren, sie vielmehr erziehen wollen, sie gar beschimpfen, wenn die sich angeblich fremdenfeindlich oder gar rassistisch äussern? So wie der Konzernjournalist, dessen Namen hier nicht mehr genannt werden soll, die SVP und damit ihre Wähler beschimpft und meint, sie damit erziehen zu können. Aber vielleicht ist er nicht so blöd und will sich einfach wohlfeil den Applaus aus dem eigenen Lager, das sowieso niemals SVP währen würde, abholen.

Aber es hat alles sein Gutes. Mit einer so analyse- und schreibschwachen Oberchefredaktorin wird Tamedia zu einem Es der politischen Meinungsbildung. Und das ist gut so.