Quengel, quengel
Raphaela Birrer hat mal wieder einen rausgehauen.
Selten meldet sie sich zu Wort. Aber wenn, dann gibt es rote Köpfe.
Zunächst ist zu bewundern, dass die Länge des Kommentars durchaus variabel sein kann. Hier im Tagi sind es haargenau 2658 A. Der «Bund» kommt mit 1751 A aus, noch rund 65 Prozent der ursprünglichen Textmenge. Da kommt es Birrer wohl nicht so aufs Wort an. Der Text ist mehr so eine Knetmasse. Passt nicht alles ins Förmchen, kann problemlos weggelassen werden.
Aber abgesehen von der flexiblen Form, was ist denn der Inhalt? Birrer begrüsst, dass «unliebsame Volksentscheide nicht via Justiz rückgängig gemacht werden können». Grüne und SP-Frauen waren ans Bundesgericht gelangt, um die Abstimmung über die Erhöhung des Frauenrentenalters wiederholen zu lassen. Das «war quenglerisch», urteilt Birrer mit leicht frauenfeindlichem Oberton. Fehlt nur noch, dass sie ihnen Hysterie vorwirft.
Die quengelnden Frauen hatten bemängelt, dass die sauknappe Abstimmung (50,6 Prozent dafür) auf fehlerhaften Berechnungen der Entwicklung der AHV beruht hatte, was durchaus seine Berechtigung hat. Dagegen wendet Birrer weibliche Logik an: «Dass der Bund sich verrechnete, ändert nichts daran, dass die AHV ohne diese Reform noch stärker in die roten Zahlen gerutscht wäre.» Das mag richtig sein, ist aber kein Gegenargument.
Apropos weibliche Logik, sich in einem Absatz diametral widersprechen, das schafft auch nicht jede(r)*:
«Mit seinem Urteil trägt das Bundesgericht nun zu einer verlässlichen Demokratie bei, in der missliebige Volksentscheide nicht via Justiz bekämpft werden.»
Einerseits. Andererseits: «Zwar hat das Gericht 2019 eine Abstimmung kassiert – jene zur Heiratsstrafe-Initiative. Der damalige Entscheid war aber richtig, weil die ausgewiesene Zahl der betroffenen Ehepaare viel zu tief und für den negativen Abstimmungsausgang wohl massgeblich war.»
Als alter weisser Mann muss man aufpassen, dennoch wagen wir zu widersprechen: Heiratsstrafe – gravierend falsche Zahlen. AHV – gravierend falsche Zahlen. Man suche den Unterschied.
Aber mit solchem Pipifax hält sich Birrer nicht auf, sie verlässt das kleine Feld der Widersprüchlichkeiten und erweitert den Blick: «Zu oft stimmen offizielle Zahlen des Bundes nicht, die dem Stimmvolk als Entscheidgrundlage dienen sollen. Bei der Unternehmenssteuerreform II wurden die Steuerausfälle im Vorfeld massiv unterschätzt. Und bei der Abstimmung zur Personenfreizügigkeit ging der Bundesrat von jährlich nur 10’000 EU-Einwanderern aus – ein Bruchteil der effektiven Zahlen.»
Ohä, das scheint also doch ein gravierendes Problem zu sein; was tun? Nun ist aber auch der grösste Platz für einen Kommentar mal zu Ende (ausser, Pietro Supino greift in die Tasten). Also mit quietschenden Reifen bremsen: «Glaubwürdigkeit ist das kostbarste Gut der direkten Demokratie. Der Bund muss sie sorgfältiger schützen.»
Also, mach was draus, lieber Bund, der Ratschlag ist doch glasklar; schütze gefälligst sorgfältiger. Oder sagen wir mal so: Stringenz und Widerspruchsfreiheit ist das kostbarste Gut eines Kommentars einer Oberchefredaktorin. Wenn sie gleichzeitig zu erkennen gibt, dass es ihr völlig wurst ist, ob ihr Kommentar um ein Drittel zusammengeholzt wird, erhöht das die Glaubwürdigkeit auch nicht wirklich.