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Die Hunger-Kreische

Andrea Bachstein trägt das Leid der Welt auf den Schultern – und ins Blatt.

Ein ungeheuerlicher Massenmord spielt sich ab auf der Welt. «Ein Mord an 811’000’000 Menschen», knallt Tamedia ihren Lesern vor den Latz. Was, Sie indolenter Unmensch, noch nie davon gehört?

Dabei ist es eine «einzige Anklage an die Menschheit», erhoben von der «Welthungerhilfe». Das treibt Andrea Bachstein die Wände hoch. Nicht länger mehr kann sie sich um eher putzige Themen kümmern:

Atempause vorbei, tief Luft geholt und …

Nein, die Autorin der «Süddeutschen Zeitung» ist ausser sich. Das müssen die Leser der SZ aushalten, und auch die Konsumenten der Qualitätsmedien von Tamedia bekommen diese Anklage aus München serviert.

811 Millionen Menschen hungern, 41 Millionen stehen am Rande einer Hungersnot, weiss Bachmann. Ursachen? Logisch, Kriege und Konflikte, aber auch Naturkatastrophen:

«Es geht da längst nicht mehr um Einzelereignisse. Die Naturkatastrophe heisst Klimawandel, mal zeigt er sich in einer Flut, mal in einer Dürre.»

Nun sind die Ursachen von Hunger seit Thomas Malthus (1766 bis 1834) umstritten. Der englische Ökonom stellte das Axiom auf, dass die Menschen in geometrischer Progression und die Lebensmittel in arithmetischer Progression zunehmen. Wodurch Überbevölkerung zwangsläufig zu gravierenden Hungersnöten führen müsse.

Schon einige Theorien über Hunger scheiterten 

Als er diese Erkenntnis 1820 publizierte, lebte rund eine Milliarde Menschen auf der Erde. Inzwischen sind es acht mal mehr. Was seine Theorie widerlegt. Es ist längst bekannt, dass die Nahrungsmittelproduktion problemlos 8, sogar 10 oder 12 Milliarden Menschen ernähren könnte. Also sind die Probleme nicht naturgemacht, sondern von Menschen verursacht.

Schaut man sich den «Welthungerindex» an, fällt sofort auf, dass fast alle Länder mit «ernstem bis gravierendem» Schweregrad von Hungerproblemen in Afrika liegen. Obwohl Afrika problemlos in der Lage wäre, sich selbst zu ernähren und noch die Hälfte der übrigen Weltbevölkerung dazu.

Elendsregimes, Potentaten, mangelhafte Infrastruktur, kaum funktionierende Transportwege, Systeme, die durch sinnlose Entwicklungshilfe in Multimilliardenhöhe funktionstüchtig gehalten werden, das sind die Ursachen dieses Verbrechens, dieses «Menschheitsskandals», wie ihn Bachmann nennt.

Sind wir alle daran schuld?

Wenn es ein Menschheitsskandal ist, dann ist die Menschheit insgesamt daran schuld. Natürlich vor allem wir vollgefressenen Teilhaber an den Überflussgesellschaften der Ersten Welt, suggeriert die Autorin.

Es ist richtig: In der Schweiz fallen jedes Jahr 2,8 Millionen Tonnen «Lebensmittelverluste» an. 330 kg pro Kopf und Jahr wandern nicht in die Mägen, sondern in die Mülltonne. Eine verdammte Schweinerei, unbestritten.

Aber: wie belastbar ist diese Zahl von 811 Millionen hungernden Menschen? Wenn es um solche Schreckensthemen geht, ist der Vorwurf immer nahe, dass jedes kritische Hinterfragen der Ausdruck von kaltherzigem Zynismus sei. Das Gegenteil ist richtig: wer mit solchen Zahlen hantiert und die nicht wirklich belegen kann, ist ein verdammter Zyniker.

Wer mit solchen Zahlen und Ursachen hantiert, ist inkompetent

Wer sie zum Anlass zu Aufschrei, Verurteilung und wilden Behauptungen über den Klimawandel als Ursache verwendet, ist zudem inkompetent. Wie Bachmann, die lieber bei der Gartenpflege bleiben sollte.

Der ihrer Anklage zugrunde liegende Welthungerindex wird von der deutschen «Welthungerhilfe» und der NGO «Concern Worldwide» erstellt. Ohne Zweifel honorige Intstitutionen, die nur das Beste wollen. Aber können sie es auch?

Nicht einfach zu durchschauen, die «Komponenten».

Die Berechnungsgrundlagen für Hunger zeigen ein multifaktorielles Bild. Komplex, kompliziert, schwer praktikabel. Noch schlimmer sieht es bei den verwendeten Indizes, Faktoren, Massstäben zur Beurteilung des Hungerniveaus aus. Da werden – natürlich im Kleingedruckten – so sinnvolle Quellen wie «Schätzungen der Autor*innen» verwendet.

Denn in vielen Elendslöchern der Welt, wo kaum staatliche Einrichtigungen existieren, sind Statistiken oder Erhebungen nicht mehr als kühne Schätzungen, Ferndiagnosen. Noch unzuverlässiger als die Durchführung von Wahlen in Berlin, also sehr unzuverlässig.

Ein Ausschnitt aus der Berechnungsmethode …

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass gravierender Hunger in der Welt nicht existiert. Natürlich verursacht Hunger schwerste Beeinträchtigungen bei der Entwicklung von Kindern. Also ist die wodurch auch immer verursachte Mangel- oder Unterernährung, weil unnötig, ein Versagen. Ein Verbrechen. Also menschengemacht.

Entwicklungshilfe ist eine der Hungerursachen

Perverserweise ist eine der Ursachen falsch verstandene Hilfe. Exemplarisch ist das Beispiel Äthiopien. Ein Land, das immer wieder von Hungersnöten heimgesucht wird. Die immer wieder mit freigiebigen Lebensmittelspenden bekämpft werden. Die immer wieder die gleichen verheerenden Auswirkungen haben. Menschen leben und vermehren sich in Gegenden, die aus verschiedenen Gründen nicht dazu geeignet sind, autonom eine so grosse Anzahl von Menschen zu ernähren.

Noch schlimmer: Lebensmittelnothilfe zerstört regelmässig die landwirtschaftliche Infrastruktur. Denn lokale Bauern müssen für ihre Produkte Bezahlung einfordern, sonst verhungern sie selbst. Wenn aber Gratis-Lebensmittel bezogen werden können, wer ist dann so dumm, dafür zu bezahlen? Solche Teufelskreise – neben Staatsversagen – verursachen Hungernöte. Kein «Schachern um CO2-Kontingente», wie die Autorin einäugig fixiert auf ihr Lieblingsthema behauptet.

Wozu hat Tamedia noch eine Auslandredaktion?

Wer die Menschheit, also uns alle anklagt, beim Mord an 811 Millionen Menschen einfach zuzuschauen, sollte diesen Vorwurf schon untermauern und begründen können. Es werden nicht 811 Millionen durch Hunger ermordet, es sind geschätzt 811 Millionen, die an Hunger leiden. Nun bewirkt weder der Klimawandel zunehmende Hungersnöte, noch mildert Entwicklungshilfe sie. Im Gegenteil, dadurch werden Hungersnöte perpetuiert.

Angeblich verfügt Tamedia noch über eine Auslandredaktion. Statt solchen Unsinn ungefiltert von der SZ zu übernehmen, könnten sich die Sesselfurzer doch einmal um Faktencheck und andere sinnvolle Tätigkeiten kümmern. Dann würden die Leser vielleicht einsehen, dass es Sinn macht, dafür auch Hunderte von Franken im Jahr zu bezahlen.

Die SZ titelt viel vorsichtiger als Tamedia.