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Schmatzbude

So tief kann Qualitätsjournalismus noch sinken.

Yann Cherix ist «Redaktor des hintergründigen und einordnenden Reportagegefäss Seite 3 von Tamedia». Rettet des Genitivs gehört offenbar nicht dazu.

Auf jeden Fall «glaubt er an konstruktiven Journalismus». Das ist wunderbar. Und wie äussert sich das? «Wie ich mich gratis durch Davos ass», der Hammer. Die Recherche. Hintergründig, einordnend, einfach spitze.

«Der Autor hat alles durchprobiert», behauptet der Lead. Offensichtlich ist nicht nur bei Ideen Ebbe im Hause «Tages-Anzeiger», sondern auch das Spesenkonto ist leer. Denn: «Ich habe Hunger und hoffe auf Essen. Meine Möglichkeiten sind aber begrenzt, ebenso mein Wille zu investieren.»

Nun denn: «Lachs-Canapés, arabischer Kaffee, Safran-Madeleines, Bulgur mit Gemüse, heisse Schokolade, Sayadiya Rice, irgendwas mit Hirse, Pierogi, Wodka (polnisch), leichter Weisswein (aber aus, typisch Griechen), Momos».

Die Einordnung am Schluss: «Ich fühle mich überfressen, überzuckert – und schuldig

Einerseits ist es verständlich. Ans WEF geschickt werden, aber nirgends reinkommen und keiner will mit Dir reden (also keiner oberhalb von Security oder Kellner). Das ist natürlich bitter, dagegen muss Süsses ran.

«Savoy Truffle» von den Beatles war wenigstens noch lustig – und musikalisch. Aber ob Cherix das Werk von 1968 kennt? Wahrscheinlich nicht. Aber immerhin, er fühlt sich schuldig. Gegenüber den Lesern, hoffentlich.

Nun kostet ein Billett Zürich – Davos retour, 2. Klasse mit Halbtax, 59 Franken. Das ist heutzutage nicht nix im Elendsjournalismus, und dafür möchte die Chefetage schon Leistung sehen. Also zerbrach sich der Redaktor des Reportagegefässes den Kopf. Ein Wetterbericht aus Davos? Vielleicht doch etwas banal. Eine Beschreibung der luxuriösesten Karren beim WEF? Etwas eindimensional. Gespräche mit Polizisten, die sich die Beine in den Bauch stehen? Gab es schon. Ein kühner Versuch, ohne Berechtigung in die Sicherheitszone einzudringen? Keine gute Idee.

Aber wieso nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden? Statt zu McDonald’s, denn mehr läge sicher nicht auf Spesen drin, futtern wir uns doch mal durch die Pavillons. Und missbrauchen die Gastfreundschaft von Firmen und Ländern. Als Mitesser.

Ist das vielleicht originell. Lesern, die das nicht so lustig finden, gibt Cherix dann in der Kommentarspalte Saures. Schliesslich lässt er es an sanfter Kritik auch nicht mangeln: «Ich notiere: Saudiarabien – ein Land mit schwieriger Geschichte. Ein etwas bitterer Nachgeschmack. Aber kulinarisch ein sicherer WEF-Wert.»

Schwierige Geschichte? Schwierige Gegenwart; ein Herrscher, der einen Oppositionellen in der Botschaft des Landes zerstückeln lässt und seit Jahren einen blutigen Krieg im Jemen führt. Unterdrückte Frauen, eine absonderliche Spielart des Islam. Wenn man sich das so vorstellt, wenn man einen «Reis mit Meeresfrüchten» verzehrt, ohne sich zu fragen, was da vielleicht sonst noch verwendet wurde, oh je.

Ach, und dann noch den Vorteil des Internets ausgenützt. Denn der ursprüngliche Titel lautete: «Wie ich mich gratis durch Davos frass». Schön, dass (fast) niemand merkt, dass das noch schnell abgesoftet wurde. Denn zwischen fressen und essen besteht schon ein kleiner Unterschied. Aber wieso sollte den ein verfressener Journalist kennen …

PS: Nicht mal die Idee des abgründigen, äh hintergründigen Journalisten ist neu. Schon 2022 frass, Pardon, ass er sich im Saudi House gratis durchs Angebot. Launiger Text schon damals: «Natürlich ist hier der Mord am Journalisten Kashoggi kein Thema … Im Davoser Saudi-House soll es aber leicht bleiben. Und fröhlich.» War damals schon echt widerlich, ist es in der Wiederholung erst recht.

Vorsicht, Tiefflug

Früher war ein Kommentar noch was.

Heute ist Beatrice Bösiger. Sie wurde bereits in ihrer Berichterstattung übers WEF verhaltensauffällig. Jetzt darf sie noch den grossen Schlusskommentar für Tamedia in den  Sand setzen.

Warnhinweis und Packungsbeilage für empfindliche und gendersensible Leser: ab hier wird es leicht toxisch. Das liegt aber nicht am Schreiber, sondern am zu Beschreibenden.

Denn wenn ein Kleingeist versucht, die grosse Welt in Worte zu fassen, dann wird es eher peinlich; das Wort fremdschämen stösst in neue Bedeutungsdimensionen vor.

Bösiger kommt zunächst zur umwerfenden Erkenntnis, dass «viele Teilnehmende Aufmerksamkeit statt Austausch suchten». Dabei war das WEF doch bislang dafür bekannt, dass niemand, vielleicht mit der Ausnahme von Donald Trump, hier nach Aufmerksamkeit giert, sondern alle haben früher ihr Ego zu Hause gelassen und sich in den Dienst der Sache gestellt.

Das WEF war und ist schon immer ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem jeder Teilnehmer nur zwei Pendenzelisten abarbeitet. Wie bekomme ich grösstmögliche Performance in den Medien, und wie viele Kontakte kann ich in den wenigen Tagen knüpfen. Ist schliesslich ein sauteurer Spass.

Bösiger hingegen scheint nur eine Pendenzenliste zu haben: wie mache ich mich mit möglichst wenig Worten maximal lächerlich. Das fängt schon mit der mangelhaften Sprachbeherrschung an: «Davos hat seinen normalen Aggregatzustand zurück.» Fest, flüssig, gasförmig oder als Plasma?

«Zu unterschiedlich ging es auf der Bühne zu und her.» Unterschiedlich zu was? Meint sie vielleicht kontrovers, verschiedenartig? Man weiss es nicht, sie weiss es nicht. Wie ging es denn auf der Bühne zu und her? «So warnte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski zwar eindringlich vor dem russischen Aggressor.» Zwar, aber? «Zuvor hatte er … einen Friedensgipfel für die Ukraine angekündigt.» Wir üben den Gebrauch des Adverbs «zwar». Oder nein, wir lassen es, hoffnungslos.

«Und auch der israelische Präsident Isaac Herzog verdammte bei seinem Auftritt den Terror der Hamas.» Wir üben den Gebrauch der Konjunktion «und auch». Oder nein, wir lassen es.

Das war dann doch recht kontrovers, oder nicht? Nicht: «Zwischendurch wurde es jedoch deutlich kontroverser.» Noch kontroverser? Ach ja, Auftritt Lieblingsfeind von Bösiger, Präsident Milei aus Argentinien. Der habe seine erste Reise ins Ausland dazu genutzt, «den Sozialismus im grossen Saal des Kongresszentrums nach Kräften zu verdammen und sämtliche staatlichen Eingriffe zu verteufeln.» Nach den Fake News über seinen Auftritt nun eine hochklassige Zusammenfassung des Inhalts seiner Rede.

Dann noch der polnische Präsident, also genauer der «rechtskonservative Duda» und der abstreitende iranische Aussenminister. «Ob derartige Auftritte dem Motto des Forums entsprechen, darf getrost bezweifelt werden.» Tja, auch wenn die Kommentatorin nicht recht bei Trost ist …

Aber immerhin, das scheint doch eine klare Position zu sein. Selenskyj und Herzog gut, Milei und iranischer Aussenminister Amir-Abdollahian schlecht. Das dürfte auch Bösiger unangenehm aufgefallen zu sein, also verwedelt sie: «Dass es in Davos Platz für unterschiedliche Ansichten und Positionen geben muss, ist klar.»

Das ist ein edler Gedanke; noch schöner wäre es, wenn die Berichterstatterin in der Lage wäre, diese unterschiedlichen Ansichten wenigstens korrekt wiederzugeben. Aber lieber mäkelt sie: «Doch das Agenda-Hopping macht das Forum beliebig. Im Kongresszentrum folgt Rednerin auf Redner, die Themen wechseln andauernd. Echter Austausch kommt bei einer solchen Übungsanlage schwerlich zustande.»

Ähm, ist es nicht Sinn der Sache, dass bei einer solchen Veranstaltung Redner auf Redner folgt? Sollte es zwischendurch Momente geben, in denen sich alle auf der Bühne umarmen? Gemeinsam den «Schacher Sepp» singen? Oder «Freude schöner Götterfunken»?

Aber gut, nun zum Wesentlichen, also zur Schweiz. Auch da hat Bösiger vielleicht eine klare Ansicht, die kann sie aber nur unklar formulieren: «Der Schweiz ist es gelungen, während des  Forums wieder eine stärker wahrnehmbare Rolle zu spielen als auch schon. Im vergangenen Jahr geriet die Schweiz wegen ihrer Haltung, die Weitergabe von Munition in die Ukraine zu ermöglichen, in die Defensive.» Ähm, mit der Ankündigung einer Friedenskonferenz, an der höchstens ein Kriegsteilnehmer anwesend sein wird? Und war es nicht die Haltung der Schweiz, die Weitergabe nicht zu ermöglichen, mit der sie in die Defensive geriet? Beziehungsweise sich gegen Anschläge auf die Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung Schweizer Gesetze zur Wehr setzen musste?

«Gegen den Friedensgipfel, den die Schweiz für die Ukraine organisieren will, kann zumindest öffentlich niemand anreden.» Ähm, doch, Russland bezeichnet ihn als «Farce», China und die USA sagen überhaupt nichts dazu, und die Schweiz ist schon längst als neutraler Ort für Konferenzen ausgefallen, weil sie sich ohne Not an den absurden Sanktionen gegen Russland beteiligt.

Nach diesen Ritten durch holpriges Sprachgelände, bei denen die Reiterin mehrfach vom Pferd fiel, kommt nun noch die grosse Schlussbilanz, Posaunen und Trompeten, schmettert los: «Es zeigt sich, dass das Forum – auch ohne genuin wirtschaftliche Themen ganz oben auf der Agenda – ein kommerzieller Anlass ist und bleibt. Andere Erwartungen sind da schlicht zu hoch gegriffen.»

Mit dieser originellen, tiefschürfenden und geradezu vernichtenden Analyse entlässt Bösiger den verwirrten Leser. Der fragt sich nur, ob er hier absichtlich gequält wurde – oder aus Unfähigkeit. ZACKBUM ist gnädig und plädiert fürs zweite.

Qualitätskontrolle? Sprachbeherrschung? Niveau? Originalität? Widerspruchsfreiheit? Verständlichkeit? Flughöhe? Auf alle diese Fragen gibt es leider bei Tamedia eine einfache Antwort: Frau.

Die Selenskyj-Show

ER ist gekommen. Wahnsinn.

Deutsche schwadronieren in solchen Fällen vom Mantel der Geschichte, der weht. In der Schweiz hat man’s eine Nummer kleiner, aber man merkt deutlich, dass die Schweiz etwas aus dem Häuschen ist. Also die Eidgenossen nicht, aber viele Politiker und die Massenmedien.

Denn er ist gekommen, er ist da. Der grosse Freiheitsheld, der unerschrockene Kämpfer gegen Russland und gegen die Korruption. Auf beiden Gebieten ist Wolodymyr Selenskyj letzthin nicht sonderlich erfolgreich; vielleicht muss er bald seine Luxusvilla im Exil in Italien beziehen. Oder vielleicht sein Pied-à-terre in London.

Wie auch immer, nun ist er erstmal in der Schweiz. In Bern hat ihn unsere frischgebackene Bundespräsidentin Viola Amherd empfangen. Gemeinsame Pressekonferenz, der Mann in seiner gewohnten olivgrünen Kampfausrüstung, Bart, ernster, entschlossener Blick, von den besten PR-Profis der Welt gedrechselte Reden, super. Allerdings wollte sich der chinesische Ministerpräsident, obwohl auch in Bern, nicht mit ihm treffen. Blöd auch.

Das ändert nichts daran, dass die Schweiz und der ukrainische Präsident einen grossen Friedensgipfel ankündigen. Endlich kann die Schweiz wieder ihre Rolle als neutraler Vermittler wahrnehmen, oder nicht? Dass sie sämtliche US- und EU-Sanktionen gegen Russland mitmacht, obwohl sie dazu nicht verpflichtet wäre, kann doch wohl nicht hinderlich im Weg stehen, oder? Dass sie dabei sogar den Rechtsstaat aushebelt, indem von diesen Sanktionen in der Schweiz betroffene Russen keinerlei Möglichkeit haben, sich dagegen auf dem Rechtsweg zu wehren – macht doch nix, neutral ist neutral, Matterhorn, Heidi, Swiss Chocolate und die Rolex nicht vergessen.

Nun macht ein «Friedensgipfel» eigentlich nur Sinn, wenn alle Kriegsparteien sich an einen Tisch setzen. Nur fehlt hier Russland. 2021 trat Präsident Putin noch per Videoschaltung am WEF auf, darauf verzichtet er dieses Jahr.

Im Vorfeld des WEF fand schon mal eine Konferenz mit mehr als 80 Delegationen in Davos statt, bei der über ukrainische Vorschläge für einen «dauerhaften Frieden» palavert wurde. Immerhin fiel dem Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis ein und auf: «Es braucht einen Schritt, Russland auf die eine oder andere Weise einzubeziehen.» Denn die Kriegspartei nahm nicht an dieser Konferenz teil, ebenso wenig wie China.  Womit sie nur dem Motto genügte «Schön, haben wir drüber geredet». Russland bezeichnet die ganze Veranstaltung als «Farce», was nicht gerade nach einem Gesprächsangebot aussieht.

Grundlage für die Besprechung ist die sogenannte «Friedensformel», mit der Selenskyj bereits seit Ende 2022 hausieren geht. Sie beinhaltet zehn Punkte, darunter: Beendigung der Feindseligkeiten und der Abzug der russischen Truppen, internationaler Sondergerichtshof zur Untersuchung aller russischen Kriegsverbrechen, Wiedergutmachung, Schutz der Umwelt, internationale Garantien für die territoriale Integrität der Ukraine, Verhinderung einer weiteren Eskalation und Bestätigung des Kriegsendes.

Welche Gegenleistungen die Ukraine erbringen würde, ist nicht bekannt. Dass Russland das nicht als ernst gemeinte Einladung zu Friedensverhandlungen versteht, ist sonnenklar.

Während sich also die Schweizer Medien mit Berichten, verwackelten Videos von der Ankunft Selenskyjs mit dem Zug in Davos und überhaupt überschlagen, sieht die Lage in der Ukraine in Wirklichkeit ganz anders aus.

Nachdem die überlebenswichtige weitere US-Militärhilfe nach wie vor gesperrt ist, geht der ukrainischen Armee langsam, aber sicher die Munition, das Kriegsmaterial und die Mannschaft aus. Demgegenüber ist Russland weiterhin in der Lage, auch horrende Verluste auszugleichen, seine Kriegsproduktion läuft auf Hochtouren. Sollte Donald Trump wieder Präsident werden, ist es sowieso mit der militärischen Unterstützung der USA vorbei. Auch die EU hat zunehmend Mühe, Milliardenhilfsleistungen gegenüber der eigenen Bevölkerung zu vertreten.

Ein Beitritt der Ukraine zur EU oder gar zur NATO ist völlig illusorisch; das Land erfüllt keine der Voraussetzungen. Korruption, Meinungsfreiheit, Demokratie, Opposition, Legitimität des Regimes, der Schönheitsfleck, dass Selenskyj von einem reichen ukrainischen Oligarchen der Wahlsieg gekauft wurde, der sich dann mit einer Generalamnestie für begangene Milliardenbetrügereien bei ihm revanchierte – all das macht solche Schritte unmöglich.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass es Selenskyj immer schwerer fällt, neben dem Krieg im Gazastreifen mit seinen Wünschen und Bitten Gehör zu finden; möglicherweise hat er seine 15 Minuten Ruhm bereits ausgereizt. Einzig interessant wird sein, welche finanziellen Zusagen sich der ukrainische Präsident von der Schweiz und anderen Ländern abholt.

Und bislang ist der mediale Jackpot noch nicht geknackt: welches Medium schafft das Exklusivinterview?

Wumms: Markus Somm

Damit verabschieden wir uns von der Berichterstattung über den verpeilten Historiker.

Das Blatt, von dem er Chefredaktor ist, lesen im Schnitt 4000 Nasen. Oder haben’s zumindest abonniert. Höchstwahrscheinlich aus Mitleid. ZACKBUM hat mehr Leser …

Aber Markus Somm darf weiterhin in der «SonntagsZeitung» unter Beweis stellen, dass er sich nicht nur bis heute für seine linke Vergangenheit schämt, sondern der Meister der schrägen Geschichtsvergleiche ist.

Neuster Streich: «Wer sich aber gleicht, ist Kissinger & Co. und Neville Chamberlain, der glücklose britische Premierminister, der in den 1930-Jahren die Politik des Appeasements erfand.» Da sei dem Brachialvergewaltiger historischer Fakten doch einfach die Lektüre von «München» empfohlen. Das sehr genaue Werk von Robert Harris wurde auch verfilmt, da versteht man dann die Zusammenhänge noch besser.

Womit hat sich denn der uralte Henry Kissinger diesen Vergleich eingehandelt? Er empfahl am WEF, realpolitisch zu werden und die Annektion der Krim sowie des Donbass plus die Neutralität der Ukraine zu akzeptieren.

Oder in der Version von Somm: «Kurz, Herr Selenski, geben Sie endlich auf», sei der Ratschlag dieser Appeaser. Wahrscheinlich mag Somm den grossen deutschen Stückeschreiber Bertolt Brecht auch nicht besonders. Aber ein Zitat zum Thema des grossen Dialektikers könnte er sich hinter die Ohren schreiben:

«Das grosse Karthago führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr aufzufinden.»

König Pyrrhos I soll 279 v.u.Z. nach einer Schlacht gesagt haben: «Noch so einen Sieg über die Römer, dann sind wir vollständig verloren.» Vielleicht hätte hier ein guter Rastschlag auch Schlimmeres verhindern können.

Aber der Vorteil eines Historikers ist ein doppelter. Er kann beliebig mit den historischen Fakten spielen. Und er ist in keiner Form für seine Ratschläge verantwortlich zu machen. Allerdings: Irgendwann wird’s dann einfach zu blöd.

Angefütterter Journalist

Und dabei gibt’s sicher keinen Alkohol im «Saudi House» am WEF.

Dem Journalisten läuft das Wasser im Mund zusammen: «Kürbisstückchen mit Getreide, darüber zwei Streifchen Zwiebelsosse mit schwarzer Zitrone aus der Oase Al Ahsa, dazu Mangos vom Küstenort Jazan. Hebher Pumpkin Jereesh heisst das dampfende Gericht und ist der Hit im Saudi-House.»

Nein, das ist nicht Kashoggi nachempfunden …

Dazu noch die glutäugige Nourah Altubayyeb: «Sie ist keine Köchin, sondern Managerin, leitete bis vor kurzen einen Thinktank, der sich auf Innovationen spezialisiert hat.» Wahnsinn, und so nett ist sie auch: «Sie sagt: «Es macht mich glücklich, dass so viele Menschen zum ersten Mal mit unserer Kultur in Kontakt kommen.»»

Die Charme-Offensive aus Arabien. Schmackhaftes Essen, gratis, charmant serviert, eine Leiterin eines Think Tanks, da soll noch einer sagen, Saudi-Arabien sei im Mittelalter stehengeblieben. Gut, es gibt kurz ein paar Pflichtthemen abzuarbeiten:

«Natürlich ist hier der Mord am Journalisten Jamal Kashoggi kein Thema. Dass das Rechtssystem noch immer auf der erzkonservativen Scharia fusst ebenfalls nicht. Meinungsfreiheit, Menschenrechte in Saudiarabien? Schwierig.»

Aber he, shit happens, davon lassen wir uns doch nicht den Appetit verderben: «Im Davoser Saudi-House soll es aber leicht bleiben. Und fröhlich. Dafür sorgen Nourah Altubayyeb und ihr Team, mehrheitlich Frauen. Alle reden perfekt Englisch, geben sich weltoffen.» So wie ihr «Herrscher Mohammed Bin Salman». Gut, das war schon nicht nett mit diesem Kashoggi, da könnte einem glatt der «Rose Mamoul Crumble» wieder hochkommen, wenn man daran denkt, wie der Oppositionelle in der saudischen Botschaft in der Türkei bestialisch ermordet und in Einzelteile zerlegt wurde. Auf direkte Anordnung des Herrschers.

Aber denken wir positiver: der nette Scheich hat «ziemlich mutige Devisen angekündigt», was immer das Deutsch mit vollem Mund uns sagen will: «Dazu gehört die Abschaffung wesentlicher Teile der Geschlechtertrennung, die komplette Abschaffung des Verschleierungsgebots für Frauen. Auch soll es keine öffentlichen Auspeitschungen mehr geben.»

Was will man mehr, keine öffentlichen Auspeitschungen, dann ist Saudi-Arabien definitiv im 21. Jahrhundert angekommen. Schliesslich möchte die korrupte und dekadente Herrscherclique nun auch noch Touristen ins Land locken. Die kriegen für schlappe 140 Dollar ein Visum; auf Anfrage sichert man ihnen auch zu, dass sie nicht in Einzelteile zerlegt werden während der Ausstellung. Und wie sagt die nette Botschafterin des Landes: «Wir wollen, dass die Menschen zu uns kommen, sich ein eigenes Bild von unserem jungen Land machen.»

Gut abgefüttert rülpst der Journalist am Schluss:

«Es ist Marketing – immerhin ziemlich geschmackvoll.»

Nein, das ist ein jämmerlicher Artikel, ziemlich geschmacklos. Sicherlich unabsichtlich hat Jan Cherix völlig vergessen, den kriminellen, völkerrechtswidrigen seit acht Jahren andauernden Krieg der Saudis im Jemen zu erwähnen. Laut UNO immerhin die grösste humanitäre Katastrophe des Jahrzehnts.

Man stelle sich vor, wenn es den Russen erlaubt gewesen wäre, in ihrem Russia House Wodka, Kaviar und Blinis anzubieten. Auch das hätte der Journalist wohl runtergeschluckt, denn gratis ist gratis. Aber als Begleitartikel hätte er Gift und Galle gespuckt und in jedem zweiten Satz Ukraine, Verbrechen, kriminell und verabscheuungswürdig untergebracht.

Aber die Saudis werden sozusagen präventiv abgeknutscht, schliesslich möchte auch die Schweiz ihre Ölversorgung sicherstellen. Auch wenn dafür übelölige Artikel geschrieben werden müssen. Aber immerhin, wer ein Brechmittel braucht, wird hier gut bedient.

 

Die letzten Gläubigen

Das WEF ist ein Schatten seiner selbst. Selbst die Demos dagegen …

All das übliche Brimborium fehlt. Wichtige und Mächtige, die in schwarzen, gepanzerten Limousinen durch Davos pflügen. All die Begegnungen «kenne ich den oder muss der mich kennen?». Die Empfänge, Partys, das Come-Together, die prall gefüllten Agenden. Wer hat die beste Suite im ersten Hotel am Platz, wer muss in Zürich übernachten und anreisen?

Wie viele wichtige Präsidenten und Weltenlenker sind anwesend, wo stapeln sich die Privatjets und die ganz grossen Flieger? Alles fehlt, stattdessen haben wir einen Olaf Scholz, eine Christine Lagarde, eine von der Leyen als Ersatzstars. Nicht mal Schnee gibt’s.

Was macht noch Schlagzeilen? Klitschko: «Bleibt die Schweiz passiv, klebt auch Blut an ihren Händen». – «Davos im Metaversum: WEF-Gründer kündigt digitales Grossprojekt an.» – «Die Welt war naiv. Klaus Schwab auch.» – «Oxfarm fordert höhere Steuern für Konzerne und Vermögende

Russland ist ausgeladen, Selenskij hat eine seiner tollen Video-Ansprachen gehalten, bei denen alle ganz betroffen schauen. Und ein ehemaliger Box-Weltmeister bereitet schon das Terrain vor: «Wladimir Klitschko hat die Schweiz zu einem Verbot russischer Staatsmedien aufgefordert. Dort laufe anti-ukrainische Propaganda. «Die Gehirnwäsche findet auch in der Schweiz statt», sagte er in einem Interview mit dem «Blick» am Rande des WEF in Davos.» Gehirnwäsche in der Schweiz? Muss doch was dran sein, dass zu viele Kopftreffer nicht spurlos an Boxern vorbeigehen.

Soweit, so gähn. CNN, die grossen Medien, sie berichten mehr aus Gewohnheit und unter ferner liefen über das WEF. «Blick» ist es aber gelungen, dem «CNN-Starmoderator» Richard Quest in Davos ein Statement zu entlocken. Was erwarte er denn vom diesjährigen WEF? «Nothing

Nicht viel mehr als nichts war auch der erste Versuch eines Protests durch die Jusos: «Nur gerade 60 WEF-Gegner protestieren gegen das Forum. Juso-Präsidentin Ronja Jansen lässt sich von der kleinen Teilnehmerzahl nicht beirren.» (siehe Screenshot vom «Blick» als Artikel-Foto.)

Aber immerhin, in Zürich war wenigstens etwas Action:

Tränengas, Gummischrot, Doppelmoppel-Parole.

Aber die NZZ hält in alter Treue am WEF fest und gönnt dem 84-jährigen Klaus Schwab den grossen Bahnhof, bzw. das grosse Interview. Aber auch ihr fällt es schwer, Fragen zu stellen, die Antworten erhalten, die dem Leser nicht als Ersatz für Schafezählen zum Einschlafen dienen könnten.

Seine Lieblingspose seit gefühlten 100 Jahren.

Auch auf die Gefahr hin, dass der Leser hier wegschnarcht, einige Höhepunkte des Interviews:

  • Die globale Solidarität hätte grösser sein können, das stimmt. Ich glaube, Corona hat uns alle egoistischer gemacht, und die Staaten sind nationalistischer geworden.
  • Ich habe mich angepasst und war online sehr aktiv. 
  • Das Global Village soll zur ersten Metaversum-Anwendung mit einem echten «purpose» werden.
  • Wir erwarten über 50 Regierungs- und Staatschefs und über 200 Kabinettsmitglieder.
  • Als der Krieg ausbrach, erinnerte ich mich an dieses Gespräch. Nun war völlig klar: Der Versuch, Putin zu überzeugen, europäischer zu werden, ist gescheitert. Ich war traurig und entsetzt.
  • Ich glaube, wir erleben tatsächlich gerade Geschichte an einem Wendepunkt.
  • Die Welt wird fragmentierter, wahrscheinlich zerbrechlicher.
  • Ich habe Drohschreiben erhalten, unser Haus wurde fotografiert und das Bild ins Internet gestellt.

Ist noch jemand wach? Dann haben wir noch die endgültige Schlafpille. Denn Schwab wird gefragt, wie es mit den wirtschaftlichen Beziehungen zu China (auch mit der dritten Garnitur am WEF vertreten) stehe: «Das ist die Frage, die dieses fliessende System besonders beschäftigen wird. Wie wird das Verhältnis der neuen westlichen Werteallianz zu China sein? Militärisch, aber auch wirtschaftlich.»

Falls es irgendwelche Antworten auf diese Frage geben sollte, bei denen man nicht sofort wegschnarcht; ZACKBUM wird berichten.

Kleine Umnutzung des früheren Russia House in Davos.

 

 

WEF, waff, wuff

Nach der Lobhudelei nun die Häme. So ungerecht ist die Journaille.

Keiner machte sich am WEF so zum Affen wie der «Blick»-Oberchefredaktor Christian Dorer:

Aber lange Jahre war der Treff der Wichtigen und Mächtigen in Davos nicht nur Bonanza für die lokale Hotellerie. Auch Journalisten ballten sich dort und hetzten sehnsüchtig möglichen Interviewpartnern hinterher.

Die Einladung zu einem Apero riche war dann jeweils der Höhepunkt der Berichterstattung; in Tuchfühlung mit Präsidenten und Weltenlenkern, Bill Gates einmal dabei zuschauen, wie er sich Brotbrösel vom Mund wischt, nicht zu toppen.

Heraus kam ausser Verschwörungstheorien («The Great Reset»), viel Blabla, viel aufgeblasener Wichtigkeit – nichts. Corona machte dann Schluss mit dem fröhlichen Reigen; damit das WEF nicht völlig in Vergessenheit gerät, beschloss der geniale Entertainer Klaus Schwab, den Anlass in den Frühling zu verlegen.

Am Montag geht’s los, und nichts könnte die Unwichtigkeit des Anlasses besser beschreiben als die Tatsache, dass Klaus J. Stöhlker in der «Weltwoche» darüber schreiben darf. Denn das WEF ist nur noch eine Karikatur seiner selbst – genau wie der Autor.

Denn der schreibt über alles mögliche, am liebsten aber doch über sich selbst: «Ich war von Anfang an dabei. Für amerikanische Topmanager, die nicht einmal genau wussten, wo die Schweiz liegt, musste ich Broschüren anfertigen, damit sie sich während ihres Anflugs auf Zürich Kloten und Dübendorf orientieren konnten, wohin sie unterwegs waren. Schweiz und Schweden, Switzerland and Sweden, waren Synonyme, die immer wieder zu Verwechslungen führten.»

Aber es kam noch schlimmer für die Schweiz: «Bald tauchten die ersten sehr reichen Familien aus Asien auf, die vor ihrem Besuch des WEF eine kurze Geschäftsreise durch die Schweiz machten. Manches Souvenir aus Silber oder Gold erinnert mich an Vorträge, die ich vor extrem reichen Kleinfamilien halten musste, um in einer Stunde «Switzerland, this exceptional country» und seine Funktionsweise zu erklären.»

Immerhin, sollte das nicht wie üblich etwas übertrieben sein, haben wir nun eine Erklärung, wieso viele US-Topmanager und reiche Asiaten ein ganz falsches Bild von der Schweiz haben. Berge, Käse und Alpentrottel, die einen merkwürdigen Mix aus Deutsch mit schweizerdeutscher Betonung sprechen, das haben wir nicht verdient.

Denn Stöhlker lässt den Leser auch post festum noch an seinen Erkenntnissen teilhaben, die zwar kreuzfalsch sind, aber mit der Sicherheit eines alternden Grandseigneurs vorgetragen werden: «Es wurde übersehen, dass Wladimir Putin Russland, von Jahr zu Jahr mehr, sanierte. Und Xi Jinping machte aus China eine Erfolgsstory sondergleichen. Aus der ehemaligen Kolonie der Briten wurde die zweitgrösste Wirtschaftsmacht der Welt.»

Dabei übersieht allerdings Welterklärer Stöhlker, dass Putin Russland keineswegs sanierte, sondern vor allem die technologische Rückständigkeit zementierte, mit einer Autokratie alle Reformentwicklungen abwürgte. Und dass China mal Kolonie der Engländer gewesen sein soll, das wüssten die Chinesen ausserhalb von Hongkong aber.

Was weiss Stöhlker noch so? Die Chefin des IWF wolle über Digital- und Kryptowährungen am WEF sprechen: «Was für ein Mist; diese sind soeben zusammengebrochen. Kein vernünftiger Mensch interessiert sich für derlei.» Was für ein Quatsch, natürlich gehört diesen Währungen die Zukunft, nachdem sie ein paar Kinderkrankheiten ausgestanden haben. Sie sind der wohl wirkmächtigste Angriff auf die Herrschaft der staatlichen Notenbanken seit deren Gründung.

Dann driftet der Digital-Native noch in ein Thema ab, von dem er nun wirklich keine Ahnung, aber genau deswegen eine klare Meinung hat: «Das Metaverse hat einen der auffallendsten Showplätze in Davos. Ja, der freie Westen driftet in das Metaverase ab, während Russland, China, Indien und mehr als hundert weitere Staaten, die in Davos nicht mehr vertreten sind, die Zukunft planen.»

Metaverase? Gute Bezeichnung für die Wolke, auf der Stöhlker schwebt und auf das bunte Treiben der Welt hinabblickt. Leider ohne Altersmilde und ziemlich unverständig. Aber wenn man ihn lässt …