Der Marty-Skandal
Das ist wirklich nur beim Staat möglich. Ein Mediensprecher hat eine Strafanklage am Hals – und wechselt einfach zum nächsten Arbeitgeber im Staatskonglomerat.
André Marty ist von Haus aus Journalist. Zuerst im Print, dann bei SRF. Italien- , dann Korrespondent für den Nahen Osten. Dann der finanziell lukrative Wechsel auf die andere Seite und noch direkter zum Staat. «Kommunkationsbeauftragter» der «Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit», ab März 2015 Informationschef der Bundesanwaltschaft (BA). Zudem auch Mitglied deren Geschäftsleitung.
Das nennt man eine umsichtige Karriereplanung des inzwischen 55-Jährigen. Als Sprecher der BA hielt sich sein Arbeitspensum in engen Grenzen. Jeder, der sich mal mit dieser Skandalveranstaltung innerhalb des Schweizer Rechtssystems beschäftigt hat, kennt Martys Antworten, dass er leider wegen «laufendes Verfahren», aus «ermittlungstaktischen Gründen», aus «Gründen des Persönlichkeitsschutzes» oder was auch immer nichts sagen könne.
André Marty: Wie geht’s seinem Gedächtnis?
Eigentlich wäre nur noch der Wechsel zur FINMA eine Möglichkeit gewesen, ein angenehmes Gehalt mit wenig Aufwand einzukassieren. Besonders eng war Martys Verhältnis zum letzten Bundesanwalt Michael Lauber. Er war ihm direkt unterstellt. Als auch Lauber – wie seine Vorgänger – wegen eigener Unfähigkeit und halsstarriger Uneinsichtigkeit seinen Posten aufgeben musste, blieb Marty weiterhin im Amt.
Die Untersuchung des FIFA-Skandals holte Marty ein
Allerdings sorgte die unglaublich dilettantische Handhabung des Falles FIFA durch Lauber dafür, dass ein ausserordentlicher Staatsanwalt eingesetzt wurde, um die Vorfälle wie Treffen mit dem FIFA-Boss Gianni Infantino während den damals laufenden Untersuchungen zu überprüfen.
An diese Treffen konnte sich verblüffenderweise niemand der Beteiligten nachträglich erinnern. Was umso verblüffender ist, weil auch Marty daran teilgenommen haben soll. In diesem Zusammenhang ist nun ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet worden. Natürlich gilt auch hier die Unschuldsvermutung.
Allerdings ist das für den Mediensprecher der obersten Schweizer Strafverfolgungsbehörde nicht so gut, selbst wenn er später freigesprochen werden sollte. Da gäbe es normalweise die üblichen drei Möglichkeiten:
- André Marty lässt seine Funktion ruhen, bis die Strafuntersuchung abgeschlossen ist.
- André Marty tritt von seinem Posten zurück, um seine Behörde vor weiterem Schaden zu bewahren.
- André Marty beruft sich auf die Unschuldsvermutung, beteuert diese und kündigt an, neben der Gegenwehr gegen völlig unberechtigte Vorwürfe weiterhin sein Amt auszuüben.
Aber offenbar hat er sich für Variante 4 entschieden. Er scheidet aus der Geschäftsleitung der BA aus, verlässt diesen Staatsbetrieb – und heuert gleich beim nächsten an. Laut «SonntagsZeitung» habe ein Sprecher der SBB bestätigt: Marty übernimmt die Leitung Kommunikation beim Personenverkehr. Das kann man nicht anders als eine sehr fürsorgliche Massnahme der präventiven Resozialisation bezeichnen. Es zeugt auch von einem sehr grosszügigen Verständnis des neuen Arbeitgebers.
Sehr liberale Einstellungssitten bei den SBB
Es dürfte nicht so häufig vorkommen, dass sich jemand für eine Kaderposition bewirbt, zudem als Aushängeschild gegen aussen, und dabei erwähnt: ach, übrigens, im Zusammenhang mit der gleichen Position bei meinem vorherigen Arbeitgeber läuft ein Strafverfahren gegen mich. Wie einfühlsam, wenn darauf erwidert wird: Aber das macht doch nichts. Weswegen denn? Daraufhin konnte Marty offensichtlich alle Zweifel mit der Erklärung ausräumen: ach, ich bin halt vergesslich.
Da waren dann die SBB offenbar überzeugt, den richtigen neuen Leiter der Kommunikation gefunden zu haben. Strafverfahren und vergesslich, das passt, das qualifiziert, da kann es keinen anderen geben.
Selbstverständlich sind wir – nicht nur im Fall Vincenz – für die strikte Beachtung der Unschuldsvermutung. Aber was dort wie hier passiert, ist schon ein rechter Skandal.