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Eine überfällige Rubrik

Tata, ZACKBUM hebt aus der Taufe: die Leserverarschung.

In dieser Rubrik werden künftig in unregelmässigen Abständen wunderschöne Beispiele aus dem Schweizer Mediensumpf aufgespiesst; meistens erklären sie sich selbst oder durch einen angefügten Kurzkommentar.

Zum Einstieg:

Ein Angebot von «Blick+» für zahlungswillige Leser. Das ist offenbar so gut, dass es inzwischen fast eine Woche lang zuoberst in der Rubrik «Politik» beim «Blick» steht. Man sieht mal wieder: politisch ist in der Schweiz selbst im Wahlkampf nichts los. Jedenfalls in diesem Organ.

Das hatte schon so einen Bart, als der «Tages-Anzeiger» noch Schwarzweissfotos druckte. Der wichtigtuerische Aufruf an einen Politiker, einen Wirtschaftsführer, einen Trainer, einen Chef, an wen auch immer, irgend was zu «übernehmen». Das geht zwar dem Adressaten wie auch den Leser schwer am hier titelgebenden Körperteil vorbei. Aber der Journalist fühlt sich wenigstens einen Moment lang bedeutend. Sollte man ihm aber nicht gönnen.

Luzi Bernet, der abservierte Chefredaktor der NZZaS, hat den Schoggi-Job (oh, darf man ds noch sagen?) – Italien-Korrespondent der NZZ mit Sitz in Rom – gefasst. Natürlich nicht für das politische Tagesgeschäft, mehr so für das Spezielle und Schöne im Leben. Gut, auch Lampedusa und die Flüchtlingspolitik spielen eine Rolle, aber auch die zwei Intendanten der Oper von Neapel. Oder Schmonzetten wie «Räuber bringt gestohlenes Auto mit Brautkleid zurück». Oder eben das x-te Interview mit Saviano.

Diese aus «People» abgeschriebene Meldung bestätigt das Vorurteil, dass ein Gratisblatt wie «20 Minuten» halt auch nichts wert ist.

Natürlich gibt es ein digitales Blatt, das immer locker einen drauflegen kann. Passend zur Meldung aus der Welt der Schokolade ein Promotext von Fairtrade auf «watson», wie das Label Max Havelaar honduranischen Kaffeebauern helfe. Auch dazu gäbe es eigentlich einiges Kritisches zu sagen. Aber das wäre ja, pfuibäh, mit Recherche verbunden.

Schliessen wir mit dem Dreierschlag eines Blatts, das wir viel zu wenig berücksichtigen: Die «Südostschweiz». Ein Sonntagsquiz über Schlafen, eine launige Kolumne des CEO Masüger (dem halt keiner reinreden darf), und schliesslich eine Umfrage der Woche mit dem etwas kryptischen Titel «Ihr habt eure Nachbarn gern, aber verfolgt nicht die Uefa Champions League». Irgendwie ticken die Südostschweizer anders als der Rest der Welt.

 

Corona is back!

Entspannung auf den Redaktionen. Ukraine bekommt Konkurrenz.

Bislang fiel es nur Einzelnen auf, so der unermüdlichen Corona-Kreische Marc Brupbacher. Aber inzwischen erreicht es auch Qualitätsorgane wie «watson»: die Pandemie ist zurück. Die Seuche. Wenn sie uns schon das letzte Mal nicht alle ins Grab brachte, dann vielleicht diesmal?

Himmel, hilf. Nein, falsch, in solchen Zeiten ist es höchste Zeit für den Ratschlag des Fachmanns. Fast wäre man verleitet zu sagen, dass unsere Leichen noch leben. Aber das wäre natürlich unfair gegenüber einem der grossen Kriegsgewinnler bei Corona, Part I. Da schob sich nämlich in der Schweiz ein vorher völlig unbekannter Forscher plötzlich in die Pole Position und überstrahlte seine vielen Mitbewerber mit unermüdlichen Medienauftritten.

Wie ein Virus setzte er sich auf jedes Mikrophon, jede Kameralinse, infizierte unzählige Wortbeiträge. Mit dem Abklingen der Pandemie wurde es auch deutlich ruhiger um ihn. Aber dank der neuen Variation des Virus können wir aufatmen (natürlich nur hinter einer Mundmaske): Marcel Salathé is back!

Wir fragen uns natürlich: und wo ist Emma Hodcroft, die mit den Waffen einer Frau kämpfte und auch zum Inventar gehörte? Was ist mit Christian Althaus, der damals den Wettbewerb «wer sagt die meisten Toten voraus?» haushoch gewann? Nun, sie werden sich sicherlich noch melden.

Aber zurzeit gehört die Bühne Salathé:

Er gibt sich nun aber geläutert, was Zukunftsprognosen betrifft: «Die einzige Aussage, die ich mit grosser Sicherheit wage zu machen, ist, dass wir vom Coronavirus noch viel Neues erwarten dürfen.» Um zu einer solch luziden Erkenntnis zu kommen, muss man natürlich studiert haben und Professor an der ETH sein.

Leider bedeutet das, dass er für das Interview nicht allzu viel hergibt: «Aber ob das in absehbarer Zeit passiert, in zehn oder hundert Jahren, das lässt sich unmöglich sagen … Es ist noch früh, darüber gesicherte Aussagen zu treffen … Das kann man nicht abschätzen – es gibt zu viele unbekannte Faktoren.» Blöd auch, man spürt den Frust des Interviewers. Der steigt fast ins Unermessliche bei der Antwort auf die Frage, ob sich der Epidemiologe denn nun wieder impfen – vornehm «boostern» lasse: «Ich werde dieses Jahr wahrscheinlich darauf verzichten. Ich impfte mich bereits dreimal gegen das Coronavirus und fing mir insgesamt schon drei natürliche Infektionen ein.»

Das ist natürlich alles bedenklich frei von Endzeitstimmung. Aber bevor der Interviewer das Gespräch frustriert abbricht, hat Salathé noch ein Zückerchen parat, eine technologische Entwicklung, «die mir allerdings Bauchschmerzen bereitet.»

«Erzählen Sie», japst der Interviewer begeistert.

«Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber wir unterschätzen, wie einfach es in zehn oder zwanzig Jahren sein wird, neue und gefährliche Erreger im Labor heranzuzüchten.»

​Immerhin, ein Teufel ist da, wunderbar. Dann noch leicht Kritisches im Rückblick: «Es ist kein Geheimnis, dass die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Behörden nicht optimal verlief.»

Ds ist nun sehr vornehm ausgedrückt; die Task Force des Bundesrats verselbständigte sich und meinte, öffentlich allen haftungsfreie Ratschläge erteilen zu dürfen, sie wurde zum Ego-Booster für die beteiligten Wissenschaftler, die endlich auch mal einen Platz an der Sonne der öffentlichen Aufmerksamkeit erobern wollten.

Bei so viel Bescheidenheit gönnt die «Aargauer Zeitung», von wo «watson» das Interview übernommen hat, dem Wissenschaftler noch einen staatsmännischen Abgang: «Es ist schliesslich meine Pflicht als Wissenschafter und Bürger, mich mit meinem Wissen einzubringen.»

Da sind wir mal gespannt, wie der anschwellende Bocksgesang der von medialer Aufmerksamkeit längere Zeit depravierten Wissenschaftler sich zukünftig gestalten wird. Unsere sichere Prognose: mit so zurückhaltenden Worten gibt es da bald keinen Blumentopf mehr zu gewinnen. Alarmschreie, Todesgekreische, wilde Forderungen nach Zwang, Maskenschutz, Impfen, Separieren müssen her. Die Warnungen vor einem zusammenbrechenden Gesundheitssystem, überlasteten Notfallstationen, über Kämpfe um Atemgeräte müssen endlich wieder kommen. Wann wagt es der Erste, über Leichenberge vor den Spitälern zu fantasieren?

Diesmal kann man einfach in den Fundus vom letzten Mal greifen, das ist doch nicht so schwierig.

 

Dumm, dümmer, «watson»

Es soll Menschen geben, die ihre Weltsicht von diesem Organ beziehen.

Sie sind entweder zu beneiden oder zu bedauern. Solange «watson» pseudolustige Listicals macht («Diese 26 Tattoos lassen sich nicht mal mehr in der Badi verstecken» – wobei: wieso sollte das jemand wollen), ist ja noch alles in Ordnung. Brachialkomik für Minderbemittelte.

Bedenklicher wird es, wenn «watson» die grosse Politik erklären will:

Was ist denn «bekannt»?

«Die Entlassung Resnikows erfolgt im Zuge einer Reihe von Korruptionsskandalen, in die das ukrainische Verteidigungsministerium verwickelt ist. Obwohl Resnikow selbst in keinen dieser Skandale verwickelt ist, wird er dennoch mit diesen in Verbindung gebracht.»

Natürlich ist auch Resnikow selbst in Korruption verwickelt (Stichwort Winteruniformen). Dabei hat «watson» doch die vereinten Kräfte von «lak/sda/dpa»  angespannt, um diesen Unsinn zu texten: «Die Ausmerzung der Korruption in der gesamten ukrainischen Regierung ist für Selenskyj von entscheidender Bedeutung.»

Das kann so nicht stimmen, denn dann müsste der Präsident und Villenbesitzer bei sich selbst anfangen …

Im Anschluss an diesen Ausrutscher in die Weltpolitik kehrt «watson» wieder zu seinem Niveau zurück:

ZACKBUM ist einverstanden: wer sich für das ukrainische Verteidigungsministerium interessiert, interessiert sich auch für den chilenischen Nati-Goalie oder für 23 skurrile Bilder aus China, keine Frage.

Von der Klimafront ist nur Durchwachsenes zu vermelden:

Das ist grosse Breaking News. Die Ukraine hat fast gewonnen. Der Hürdenläufer hat fast gesiegt. «watson» ist fast ein Newsmedium. Die Meldung ist fast bescheuert. Nein, ganz.

Aber Achtung, auch vor dem Erhabenen und Musikalischen schreckt «watson» nicht zurück. Was, gibt es neues von Rammstein? Aber nein, Redaktor Peter Blunschi legt die Latte echt hoch:

Da soll noch einer sagen, «watson» sei eine Bande von Kulturbanausen: «Gerade erst habe ich wieder einmal die Festspiele in Bayreuth besucht und kam voll auf meine Kosten.» Wunderbar, obwohl: «Der «Holländer», inszeniert vom Russen (!) Dmitri Tcherniakov, gilt als vergleichsweise unproblematisch, aber er illustriert einen Teil des Problems. Richard Wagner bediente sich für seine Opern oder Musikdramen (er schrieb als einer von wenigen Komponisten die Texte selber) vorwiegend bei Stoffen aus dem germanisch-nordischen Kulturkreis.»

Das wird die Holländer freuen, dass sie neuerdings zum «germanisch-nordischen Kulturkreis» gehören, ebenso wie die Sage vom holländischen Kapitän, der verflucht ist, die Weltmeere ewig zu durchpflügen.

Nun war Wagner aber, auf diese Erkenntnis ist man schon vor Blunschi gekommen, Antisemit. «In seinem Pamphlet «Das Judentum in der Musik» behauptete er, Juden könnten keine eigenständige Kunst schaffen. Und er raunte über ihren «Untergang». Kein Wunder, sehen manche eine direkte Linie von Wagner bis Auschwitz. Kein Wunder, können Wagners Werke in Israel kaum gespielt werden.»

So weit, so banal. Und Adorno sagte, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, und Louis-Ferdinand Céline war ebenfalls Antisemit und Nazi-Kollaborateur, schrieb aber mit «Reise ans Ende der Nacht» und dem ikonisch geworden Buchtitel «Kanonenfutter» («Casse-pipe») zwei Antikriegsromane von seltener Eindringlichkeit.

Es gibt eine ganze Reihe von Künstlern, deren künstlerisches Werk überragend ist, die aber menschlich oder politisch versagten. In Zeiten von Gesinnungsöffentlichkeit wird es natürlich wieder einmal problematisiert, ob man der künstlerischen Leistung Bewunderung zollen darf oder den Künstler verurteilen muss. Dabei ist es doch ganz einfach: ein politisch korrekter, dem Guten, Schönen, Menschlichen, Humanen, der Solidarität zuschreibender Künstler wie Lukas Bärfuss (Kim de l’Horizon kann man ja nicht mal so bezeichnen) ist deswegen trotzdem langweilig, künstlerisch niveaulos, vermurkst mit guten Absichten, aber mangelhaften Fähigkeiten die deutsche Sprache. Um dennoch bejubelt zu werden.

Schliesslich, damit wollen wir die Quälerei des ZACKBUM-Lesers beenden, hat aber auch «watson» einen Bildungsauftrag. Nicht nur, dass sich das Online-Magazin für intellektuelle Kreise an Wagner abmüht. Es macht auch den hier:

Genau, ein «Quizzticle» ist die Steigerung eines «Listicles», schenkelklopf.

Das hier fängt schon recht ungebildet an:

««Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.» Das ist erstens in Form eines Wandtattoos ein sicheres Indiz dafür, dass die soeben betretene Wohnung schnellstmöglich zu verlassen ist. Zweitens – und das ist in diesem Fall wichtiger – ist es kein Buchanfang, sondern versteckt sich mitten in einem Gedicht des ewigen Selbstsuchers Hermann Hesse

Aber zum «Quizzticle», interaktiv, dynamisch, copy/paste und unsinnig.

Die Lösungen sind teilweise banal (Orwell, Kafka, Melville, Grass), teilweise mehr als abgelegen (Miranda July, Erich Hackl, Wolfgang Hermsdorf), und am Schluss wurde noch eine unüberwindbare Schikane eingebaut. Es wird jeweils nach dem Buchtitel gefragt, aber bei «Fahrenheit 451» wird nur als richtige Antwort akzeptiert, wenn man auch den Autor Ray Bradbury nennt.

Das kommt halt davon, wenn  man per copy/paste sich hier bedient, sozusagen Bildungsersatz aus dem Internet. Dort kann sich der Gewinnertyp natürlich auch die Antworten googlen, denn fünf der hier erwähnten Buchanfänge muss man wirklich nicht kennen. Aber netter Versuch.

 

Neid hat viele Töne

Mario Stäuble mag die SVP nicht.

Das ist zusammengefasst die Botschaft einer angeblichen «Glosse zum SVP-Wahlkampf». Ob Stäuble wohl weiss, was eine Glosse ist? Wenn ja, vermag er es gut zu verbergen. Der degradierte ehemalige Co-Chefredaktor Lokales vom «Tages-Anzeiger» musste sich zum Wahlkampfvideo der SVP äussern.

Wie in jedem Wahlkampf zeigen da die SVPler, angeführt von DJ Tommy, alias Thomas Matter, dass die Partei neben Verkniffenem und Schmallippigem auch zu selbstironischer Lockerheit in der Lage ist.

Wenn Bundespräsident Berset an der Street Parade in pinker Federboa teilnimmt und eine Bierdose an den Hut kriegt, dann ist das Tamedia keine böse Zeile wert. Wenn aber die ganze Mannschaft der SVP wie aus dem Feindbild von Stäuble ausgeschnitten zu einer Musik performt, die an «We are Family» erinnert, dann muss das Stäuble natürlich scheisse finden.

Gesteigert wird das nur durch die Dumpfpostille «watson»: «Damit du es nicht anhören musst: Das neue SVP-Tanzvideo in 13 Gifs.» Gesteigert wird das nur durch den angeblichen Humoristen «Karpi». Der wandte sich auf Twitter an den Komponisten Nile Rodgers mit der Behauptung, die SVP habe ihn doch sicher um Erlaubnis gefragt, «We are Family» verwenden zu dürfen. Dummerweise hat Rodgers noch nicht geantwortet.

Stäuble beginnt mit Einzelkritik: «Ems-Chemie-Chefin Magdalena Martullo-Blocher bewegt ihre Arme hin und her wie zwei Scheibenwischer.» Aber damit ist der satirische Muskel von Stäuble noch nicht erschlafft, er kann noch nachlegen: «Die Inszenierung sieht nach einer frühen Probe für die nächste Abendunterhaltung der Männerriege aus». Ist zwar Gefasel, hört sich aber irgendwie abwertend an, also hat’s Stäuble stehenlassen.

Er ist sich schmerzlich bewusst, dass das noch keine Glosse ist, nur Geholze. Also versucht er es auf einer abstrakteren Ebene. Der Clip sei ein Beispiel für die Entpolitisierung der Politik: «Weil man bei einem Segment des Publikums mit inhaltlichen Botschaften nicht mehr durchdringt, versucht man, gute Stimmung zu schaffen.»

Das ist geradezu unverschämt von der SVP. Aber Stäuble wird immer noch nicht den nagenden Verdacht los, dass er es der SVP noch nicht richtig gegeben hat. Also legt er nach: «Das Video lässt sich aber auch anders lesen: Keine andere Partei ist schambefreiter im Vortragen ihrer eigenen Botschaften.»

Das gälte für für «die harten Parolen wie «Ausländer raus!», für Beleidigungen an die Adresse der Freisinnigen – «das gilt aber auch für Matters Gute-Laune-Befehl». Befehl?

Den wenigen Lesern, die sich durch dieses Gestammel bis hierher gekämpft haben, gibt Stäuble dann noch ein letztes Rätsel mit auf den Weg: «Dass man dabei auch mal Minderheiten verunglimpft oder im Wahlsong einen Holperreim platziert? Gehört dazu. … Und ist der Ruf erst ruiniert, politisiert es sich ganz ungeniert.»

Das hingegen ist eine verblüffende Selbsterkenntnis. Oder auf Stäube übersetzt: ist der Journalist erst degradiert, lebt sich’s ungeniert.

Denn was uns Stäuble mit dieser angeblichen Glosse sagen will, was genau ihm an diesem Clip nicht passt (ausser, dass er von der SVP) ist, das bleibt sein süsses Geheimnis.

Wie schreibt er so  richtig: «Man fragt sich: Was ist noch geiler als geil? Noch steiler als steil? Das Ausfüllen der Wahlunterlagen? Antworten gibt es keine.»

Man wird den Verdacht nicht los, dass Stäuble meint, der Begriff Glosse sei die deutsche Übersetzung von Lippgloss. Oder komme von glotzen. Mit satirischem Sprachwitz hat das auf jeden Fall nichts zu tun.

Zum Beispiel Mansour

Oder wie man knapp einer öffentlichen Hinrichtung entgeht.

Das Geschäftsprinzip aller asozialen Plattformen und auch vieler Internetblogs ist die Haftungsfreiheit und Verantwortungslosigkeit. Normalerweise haften Medien nicht nur für ihre eigenen Aussagen, sondern auch für die von Kommentarschreibern oder freien Mitarbeitern.

Das ist bei Facebook, Twitter und Co. anders. Die haben sich durch geschicktes Lobbying eine Ausnahmeregelung im Rechtsstaat USA erkämpft, die sie als blosse Transporteure von der Haftung für Inhalte freistellt. Dafür verwendeten sie so absurde Argumente wie das, dass es gar nicht möglich sei, die Unzahl von täglichen Posts alle auf allfällig strafbare Aussagen zu überprüfen.

Ähnlich schwierig ist es, gegen Blogs vorzugehen, wenn die als Adresse eine ferne Jurisdiktion angeben. Wie zum Beispiel «Hyphen», ein englischsprachiges «News- und Kultur-Magazin, das Storys über Asien Amerika» erzähle, mit Sitz irgendwo in Kalifornien.

NZZ-Redaktor Oliver Maksan erzählt die Geschichte nach, wie beinahe ein Rufmord am deutsch-israelischen Autor und Wissenschaftler Ahmad Mansour gelang. Er hat sich mit seinen Postionen gegen islamischen Fundamentalismus, Islamismus und islamischen Antisemitismus viele Feinde gemacht.

Im vorher im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannten Blog «Hyphen» erschien im Juni 2023 eine umfangreiche publizistische Hinrichtung Mansours durch den britischen Autor James Jackson, der in Deutschland lebt. Auf Twitter fasste Jackson seine Anklagen zusammen: «Ein Grossteil seiner Hintergrundgeschichte ist übertrieben oder erfunden. Er war nie ein Muslimbruder, der Imam war kein Imam, er hat nicht Psychologie an der Universität Tel Aviv studiert». Dafür habe Jackson monatelang recherchiert, mit Familie und Weggefährten gesprochen sowie Mansours Heimatort besucht, fasst Maksan zusammen.

Das wäre ein Reissack gewesen, der in China umfällt. Wenn nicht ein FAZ-Redakteur diesen Tweet aufgenommen hätte und Mansour inquisitorisch aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen.

«Ein Sturm der Entrüstung entlud sich über Mansour. Mansour, der seit 2004 in Deutschland lebt, hat sich schliesslich viele Feinde gemacht. Universitäre Integrationsexperten rümpfen die Nase über den omnipräsenten Praktiker. Für Vertreter des politischen Islams und ihnen im Namen der Antidiskriminierung beispringende Unterstützer von links ist Mansour seit Jahren ohnehin ein rotes Tuch. Ein Araber, der gegen islamisch motivierten Antisemitismus und die Delegitimierung Israels kämpft, hat zudem die antizionistische BDS-Bewegung gegen sich», resümiert Maksen.

Mansour beginnt, sich zu verteidigen, räumt klitzekleine Ungenauigkeiten ein, verschickt schliesslich ein 21-seitiges Dossier an Medien und Kunden seiner Beratungsfirma, in dem er detailliert eine ganze Latte von Falschbehauptungen Jacksons richtigstellt. Das überzeugt dann die «Süddeutsche Zeitung». Nicht zuletzt, um der Konkurrenz FAZ eine reinzuwürgen, tischt sie die Vorwürfe Jacksons ab und stellt sie sich auf die Seite Mansours. Damit neigt sich Waage der öffentlichen Meinung nun auf dessen Position. Schwein gehabt, wenn man das in diesem Zusammenhang sagen darf.

Allerdings: «Hyphen» hat den entsprechenden Artikel immer noch nicht gelöscht oder richtiggestellt, trotz anwaltlicher Aufforderung. Denn da das Stück auch in Deutschland abrufbar ist, hat Mansour hier einen Rechtsstand. Aber: «Das Onlinemagazin hat das Entfernen des Artikels an eine Bedingung geknüpft: Mansour dürfte nicht mehr auf den Vorfall aufmerksam machen. Damit wären zwar die monierten Behauptungen aus der Welt. Mansour aber hätte einem Maulkorb in eigener Sache zugestimmt», schreibt die NZZ. Auf Anfrage sage «Hyphen» nur, man sei in Verhandlungen mit Vertretern Mansours.

Die NZZ schliesst:

«Epilog: Mansour selber ist bestürzt, wie bereitwillig den Behauptungen über ihn geglaubt worden ist. Er sitzt in einem italienischen Restaurant in Berlin-Charlottenburg und schaut auf die grösste Krise seines bisherigen Berufslebens zurück. «Das hätte auch böse enden können», sagt er dann.»

«Hyphen» ist übrigens der englische Ausdruck für Viertelgeviertstrich oder Kurzstrich, der als Binde- oder Trennstrich verwendet wird. Irgendwie zutreffend.

Ach, natürlich nimmt auch die Nonsens-Plattform «watson» das Thema auf. Im gewohnten Qualitätsniveau:

Das «vermeintliche Foto seines Diploms» – gemeint ist wohl «das Foto seines vermeintlichen Diploms», aber Deutsch und «watson», ein ständiger Auffahrunfall – ist von der Humboldt-Universität Berlin als echt bestätigt worden. Aber eben, recherchieren war gestern, behaupten ist heute.

Hat der Mann Mansour ein Glück, dass er nochmal knapp davonkam. Aber leider reiner Zufall, es hätte wirklich auch bös enden können.

Kopieren statt recherchieren

Auch «watson» leidet unter dem Sommerloch.

Der Grossanalyst und Weltstratege Philipp Löpfe präsentiert dem staunenden Leser einen Fund:

Schon der Titel des Kopierstücks ist, nun ja, angelehnt. Denn das Buch, das Löpfe hier nacherzählt, heisst «Der Sozialist vom Paradeplatz».

Nun muss ein Journalist ja nicht unbedingt originell sein. Es reicht manchmal auch, dass er aufmerksam andere Zeitungen liest.

Oder ist es gar so, dass sich Löpfe von ZACKBUM inspirieren lässt?

Man könnte hier vielleicht von Gebrauchsleihe sprechen. Wir wollen hingegen durchaus ein Lob aussprechen. Wenn Löpfe einem Gastbeitrag des Buchautors Urs Hafner in der NZZ nachschreibt, tut er etwas nicht: er «analysiert» nicht selbst das Weltgeschehen, die Geschichte, die Wirtschaft oder was auch immer nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Das ist eine Wohltat, für die man nicht genug danken kann.

Durchaus mehr Brainfood enthält normalerweise die «Weltwoche». Nein, das muss ZACKBUM nicht sagen, weil Redaktor René Zeyer gelegentlich auch dort publiziert. Aber hier fragen wir uns auch, wer das Huhn und wer das Ei ist:

Das ist sozusagen das Ei, und brav gackert die WeWo:

Man ist sich bekanntlich uneins, ob Neid (Wilhelm Busch oder Arthur Schopenhauer) oder Nachahmung (Oscar Wilde) die aufrichtigste Form der Anerkennung sei.

 

Unsere Leichen leben noch

Auch ZACKBUM spürt den Sommer.

Also fragten wir uns: gibt’s «bajour» eigentlich noch? Was das ist? Nun, für Zürcher und andere Nicht-Basler: das ist so eine Online-Veranstaltung, die von Hansi Voigt ins Leben gerufen wurde. Das sagt eigentlich schon alles.

Es hätte lediglich in den ersten drei Jahren mit den Millionen einer reichen Pharma-Erbin unterstützt werden sollen. Denn es ist sozusagen das Nachfolgeprojekt für die «TagesWoche», die auch mit den Millionen einer reichen Pharmaerbin … Bis das Blatt dann nach einer der grössten Bescheissereien um die Auflagenhöhe kläglich einging.

Nun wird «bajour» – quengeln kann Voigt – nach den ersten drei Jahren weitere Jahre mit den Millionen einer reichen Pharmaerbin … Putzige Begründung: verlängert wegen Erfolglosigkeit. Also nach dem Geldverrösten ist vor der Geldvernichtung, und das alles endet dann wohl dort, wo sich der Zürcher «Kosmos» heute schon befindet.

Früher, ja früher gab «bajour» noch gelegentlich Auskunft über die Entwicklung der Leserzahlen oder der «Member». Aber zu viel Transparenz ist auch nicht gut, Tempi passati.

Diese Zahlen sind wohl die aktuellsten:

Sie stammen allerdings – von 2021.

Grösste Mühe gibt sich «bajour», den paar Lesern jede Menge Möglichkeiten aufzuzeigen, ihr Geld loszuwerden:

Für welche Gegenleistung? Nun, die ist überschaubar, sehr überschaubar:

Das sind die letzten sechs Beiträge, visioniert am 24. Juli. Brandaktuell; bereits der 6. stammt vom 18. 7., aber immerhin 2023.

Ach, und dann gibt es noch das hier:

Das nennt sich das Barbie-Briefing, Pardon, das Basel-Briefing.

Aber man muss auch Nachsicht üben, während die Geldverschwendungsangebote munter spriessen und locken, ist hier eine ziemliche Schrumpfung festzustellen:

Während grossspurig «Herausgeber» und «Geschäftsleitung» ganze sieben Nasen umfassen, dabei Voigt gleich in einer Doppelfunktion, muss dieser Overhead genau gleich viele Journalisten leiten und lenken. Worunter zwei Trainees und eine Praktikantin verzeichnet sind. Also sozusagen erwachsene Redakteure gibt es genau vier.

Dieser Beitrag kann hingegen nur als gelungene Realsatire gewertet werden; er ist zudem so zeitlos, dass er seit April die Homepage ziert. April 2023, aber den Scherz hatten wir schon:

Sagen wir so: Liane oder Strick? Wenn es einen News-Dschungel gibt, dann ist «bajour» offenbar die Lichtung, die Leere, die Pause, der newsfreie Raum. Das ist ein interessantes Angebot. Aber wieso genau soll dafür bezahlt werden?

Bevor Voigt auch hier das passiert, was ihm schon bei «20 Minuten» und bei «watson» widerfuhr, sollte er sich vielleicht weniger um seine Präsidentschaft bei «Netzcourage» kümmern, sondern um diese Liane, bevor sie mangels Düngung eingeht.

Wird der Leser dumm gemacht?

Zumindest verkauft ihn «watson» für dumm.

Gut, das riecht nun etwas nach Sommerloch. Aber he, ganze Redaktionsmannschaften kratzen Newsreste zusammen, da darf die One-Man-Show ZACKBUM doch auch mal.

Und wer gibt immer einen Lacher oder zwei oder drei her? Genau, die Karikatur einer journalistischen Plattform namens «watson». Sagen wir mal so: was Hansi Voigt zur Welt brachte, kann ja nur eine Missgeburt sein.

Besonders lustig wird es, wenn «watson» ernst werden will. dafür ist die Allzweckwaffe Philipp Löpfe zuständig.Der weiss alles über alles, oder nichts über nichts:

Sagen wir mal so: es steht zu vermuten,  dass sein Geheimdienst Putins kleinstes Problem ist. Dann folgen zwei Beiträge zum Thema «das wollten wir schon immer wissen»:

Noch dringlicher ist der Informationsbedarf hier:

Wer ist Cachita, was ist ein Fondue-Interview, wieso ist sie am Handy betrunken, und wieso braucht es gleich drei Schreibkräfte für ein bescheuertes Interview? Das alles wollen wir nicht wissen.

Dann gleich ein Dreierschlag:

Und nun überschreiten wir alle Schmerzgrenzen:

Diese Parallelisierung ist an Geschmacklosigkeit wohl nicht zu überbieten. Oder doch, «watson» wird’s sicherlich schaffen.

Gut, hiermit nicht, das ist einfach nur bezahlte Werbung und unbezahlter Blödsinn:

Wie sagen wir immer so richtig: ZACKBUM hat fertig. Und ist fertig.

 

Kriegsberichterstattung, reloaded

Kann man absurd steigern? Die Medien probieren’s.

Neues vom Sändele im militärischen Sandkasten. Das Kriegsglück schwankt, die Meldungen sind widersprüchlich, aber energisch vorgetragen.

In der militärischen Kommandozentrale des «Blick», aka Samuel Schumacher, «Ausland-Reporter» mit Einsatzgebiet Newsroom, herrscht Konsternation:

Statt Triumphmeldungen von den tapferen Ukrainern muss Schumacher Trauriges vermelden: «Das Fiese am russischen Killer-Kopter: Er kann seine Raketen aus bis zu zehn Kilometern Entfernung abfeuern und sie mit seinem integrierten Laserstrahl auf jedes erdenkliche Ziel in seinem Blickfeld lenken – bei Tag und bei Nacht. Damit liegt der Alligator ausserhalb der Reichweite der allermeisten ukrainischen Flugabwehrgeräte an der Front. Ein verzweifelter ukrainischer Soldat sagte gegenüber der «Bild»: «Wir haben nichts, um die russischen Helikopter in acht Kilometern Entfernung zu bekämpfen

Ist ja wirklich fies von den Russen, eine neue Wunderwaffe einzusetzen, mit der niemand gerechnet hat. Wobei: «Seit 2008 wird der 310-Stundenkilometer schnelle Killer-Heli in Russland seriell hergestellt.» Also eher ein Oldie auf dem Schlachtfeld.

Schon am 21. Juni musste Chiara Schlenz, «Ausland-Redaktorin» mit Einsatzgebiete Bildschirm, Unerwartetes von der Front vermelden:

Da sind die fernen «Kriegsbeobachter» mal wieder «überrascht», diese schwankenden Gestalten. Sie können ja auch nur abschreiben, was geschrieben steht: «Berichte über eine heftige russische Gegenoffensive zur Gegenoffensive häufen sich in den letzten Tagen.» Und versuchen, das Beste draus zu machen: «Diese aufwendigen Verteidigungsanlagen zeugen aber nicht nur von guter russischer Vorbereitung – sondern auch von russischer Angst.»

Wechseln wir zu Organen, die wenigstens behaupten, Journalismus in langen Hosen zu betreiben. In der neu benannten Rubrik «Russlands Krieg» zeigt Tamedia Tierliebe («Tiere suchen nach der Flut von Cherson ein neues Zuhause», was man als Tierporno bezeichnen könnte). Dann erholen sich «Ukrainierinnen, die von Russen missbraucht worden sind, im Zistertienserinnenkloster in Freiburg». Putin gebe «sich ganz volksnah», und im «Ticker» wird auch nur Pipifax vermeldet. Alles ruhig an der Front, wenn man Tamedia glauben will.

Auch CH Media berichtet weitab vom Kampfgeschehen: «Rache ist süss – Putin liquidiert das Wirtschaftsimperium des Söldner-Chefs». Auch der «Ukraine-Newsblog» muss News zusammenkratzen: «Selenski will Ukraine für Basis für Rakentschutzschirm in Europa machen» und «Bedrohter Getreidedeal: EU -Staaten erwägen Zugeständnis an Europa». «Will» und «erwägen», die beiden Allheilverben für: alles reine Spekulation. Eine knallharte Reportage hingegen ist das hier: «Die besten Skiakrobaten der Ukraine trainieren in der Schweiz – was macht der Krieg mit ihnen

Ach, und: «Rätselhafter Angriff in der Wüste – der Druck auf die Wagner-Söldner ausserhalb von Russland steigt». Das haben wir noch vergessen: «Druck steigt», die Allerweltsformel für «nichts Genaues weiss man nicht».

Nun ein militärstrategischer Zwischenruf der Kriegsmaschine «watson»:

Das trifft sich gut; da Putin bekanntlich auch wahnsinnig ist, müssten sich die beiden ausgezeichnet verstehen.

«20 Minuten» hat die geheimen Operationskarten des ukrainischen und des russischen Generalstabs durchgeblättert und versucht es mit einer grafischen Darstellung der Lage:

Korrekt ist sicherlich Transnistrien eingezeichnet, der Rest ist allerdings gegendarstellungsfreier Vermutungsraum.

Weit in die Vergangenheit blickt hingegen die NZZ, um weit in die Zukunft zu schauen:

Tatsächlich korreliert der Rückzug aus Afghanistan mit der Auflösung der UdSSR, wieweit er auch kausal daran beteiligt sein soll, weiss nur Ulrich Schmid, der Russland-Experte auf allen Kanälen. Noch wilder ist sein Blick in die Zukunft: «Was geschieht mit dem Vielvölkerstaat Russland nach einer Niederlage in der Ukraine?» Wenn man das auch historisch sehen will: nichts. Abgesehen davon, dass es zu einer Niederlage noch weit, sehr weit hin ist. Und zur Voraussetzung hätte, dass auch Russland, wie die USA in Vietnam oder Korea, gegen den Ratschlag der Militärs auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten würde.

Aber die NZZ sorgt sich auch um die Heimatfront: «Die Schweiz wird als Spionage-Drehscheibe für Russland wichtiger – müssen die Behörden härter durchgreifen?» Die Frage stellen, heisst natürlich für die NZZ, sie auch beantworten.

Wer sich die Mühe machen würde, die Kriegsberichterstattung im Ersten oder Zweiten Weltkrieg durchzublättern, würde wenig überrascht zur Kenntnis nehmen: dass die Wahrheit im Krieg zuerst stirbt, ist eine ewig gültige Wahrheit.

Falscher Titel, macht aber nix

Löpfe ist der Mann fürs Doofe bei «watson».

Der Titel ist reisserisch: «Der seltsamste Fast-One-Night-Stand meines Lebens». Oh, Pardon, ZACKBUM meint natürlich diesen hier: «Was ist in China los?» Ja was denn nur, ist ein Reissack umgefallen? Nein, viel schlimmer, vermeldet Philipp Löpfe im Blatt für Intelligenzler und Freunde der Quantenphysik «watson». «Rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit und sinkende Konsumlust». Au weia. «Die Finanzgemeinde», also das Gemeindemitglied Löpfe, «wird durch die neusten Zahlen aus China aufgeschreckt».

Huch, welche Zahlen? Die Jugendarbeitslosigkeit sei auf «über 20 Prozent geklettert, ein trauriger Rekord der jüngeren Vergangenheit». Nun ja, in der jüngsten Vergangenheit, nämlich im Jahr 2022, kratzte sie auch schon mal an der 20-Prozent-Schwelle. Aber solche Hintergründe würden ja nur stören. Und woher hat Löpfe diese Zahl? Aus offiziellen chinesischen Quellen? Nein, sie sind von Goldman Sachs. Das ist etwa so intelligent wie neue Zahlen über die Schweizer Wirtschaft nicht vom Statistischen Bundesamt, sondern von einer Amibank zu beziehen.

Löpfe hat noch eine zweite Zahl auf Lager. Der «Index der Einkaufsmanager» sei von April auf Mai von «49,2 auf 48,8 Punkte gesunken». Das hat er von «Statista» abgeschrieben, samt der Erläuterung, dass ein Wert unter 50 Punkten eine «sich abschwächende Wirtschaft» anzeige. Nun beruht diese Zahl auf einer Meinungsumfrage, auf nicht mehr oder weniger. Auch da kommt es darauf an, wer sie macht und wem man glaubt. So sagt das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin, der Index sei von 50 auf 49,5 Punkte gefallen. Also auf einen Wert, der oberhalb des von Löpfe behaupteten liegt.

Nachdem er so zweimal den feuchten Finger in die Luft gehalten hat, zitiert er den «Chefökonom für China bei Goldman Sachs», der von «mangelndem Vertrauen» und «schwächelnden Investitionen» spricht. Was nicht wirklich verwundert, da er wohl den Zahlen seines eigenen Hauses schlecht widersprechen kann. Ob die zutreffen oder nicht, das ist eine andere Frage.

Letzter «Beweis»: der CEO der US-Bank JPMorgan «und der derzeit unbestrittene Star in der Banken-Szene» warne vor «Unsicherheiten» bei der chinesischen Regierungspolitik. Was der Chefökonom von «watson» dabei vielleicht übersieht: zwischen den USA und China wachsen die Spannungen, wirtschaftlich sehen die Amis China immer mehr als ihren Hauptkonkurrenten und -feind.

Also sind diese Aussagen ungefähr so objektiv, wie wenn man russische Quellen zur Beschreibung des wirtschaftlichen Zustands der Ukraine herbeiziehen würde. Aber damit kommt Löpfe erst in Fahrt: «Nicht nur die Investoren werden nervös, auch die Rohstoffpreise sind angesichts der sinkenden Nachfrage aus China ins Rutschen geraten

Öhm, also beispielsweise der Preis für ein Barrel Brent Rohöl ist tatsächlich von knapp 124 US-Dollar auf unter 76 gefallen. Allerdings in einem Jahr

Dann schwingt sich Löpfe zu den Begriffen «Decoupling» und «De-Risking» auf. Der erste soll ein Abkoppeln der westlichen Wirtschaft von China postulieren, der zweite eine Verminderung des Risikos einer Abhängigkeit. Beides ist Geschwätz, denn gerade die USA sind der grösste Schuldner Chinas, oder umgekehrt ist China der grösste Gläubiger der militärischen Supermacht. Dazu die Abhängigkeit von Lieferketten, der Absatzmarkt China, die Importe aus China: gerade die USA würden sich tief ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie einen Wirtschaftskrieg mit China beginnen würden.

Daher fallen auch die Kritiken daran, dass China auf Sanktionen gegen Russland pfeift und das Handelsvolumen stetig ausweitet, von US-Seite eher verhalten aus. Da prügelt man lieber auf die Schweiz ein; die ist klein und schwächlich.

Also kommt Löpfe zum Schluss: «Ein Abkopplung hingegen würde Firmen wie Apple vor kaum lösbare Probleme und die deutsche Autoindustrie ins Verderben führen. Und China hätte dann ebenfalls weit gravierende Probleme als arbeitslose Jugendliche.»

Ach, genau, da hat er ja seinen Blindflug durch die Welt gestartet, bei den arbeitslosen chinesischen Jugendlichen und der angeblich schwächelnden Wirtschaft. Um dann bei der Unmöglichkeit des Entkoppelns zu landen.

Aber schön, hat er darüber geredet. Verstanden hat’s nur niemand; er selbst wohl auch nicht.