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Wohin treiben wir?

Im Meer der Dummheit auf dem Rücken schwimmen.

Vorverurteilung ist der neue Volkssport der serbelnden Massenmedien. Das gehört zur Erregungsbewirtschaftung, mit der sinkende Lesereinnahmen kompensiert werden sollen. Was da der «Spiegel» in vorderster Linie anstellt, müsste eigentlich Augstein aus dem Grab und Aust die Wände hoch treiben.

Groupies beschweren sich darüber, dass ihr Kontakt mit dem angehimmelten Popstar nicht aus einem schlaffen Händedruck besteht? Sie ziehen sich gerne wie verlangt an, kreischen in der ersten Reihe um die Wette, kommen ans Ziel ihrer Träume. Um dann eine Portion vergänglichen Ruhm abzuholen, indem sie belegfrei angebliche Übergriffe behaupten. Sofort finden sich Trittbrettfahrerinnen, Bloggerinnen und andere öffentlichkeitsgeile Weiber, die auf der Welle mitsurfen wollen. Und Massenmedien wie das einstmals angesehene Nachrichtenmagazin «Spiegel» machen eine Coverstory draus. Ein berühmter und begabter Schauspieler wird mit uralten Anschuldigungen fertiggemacht, willig kolportiert von den Medien. Wird er auf ganzer Linie freigesprochen, gibt’s nicht mal eine leise Entschuldigung. How low can you go?

Fürsorgepflicht für öffentlich hingerichtete Mitarbeiter? Ein Fremdwort für Tamedia. Transparenz bei der Personalpolitik? Ein Fremdwort für Ringier. Beförderung nach Qualifikation und Kompetenz, statt nach Nachnamen? Zwei Fremdwörter für das Wanner-Imperium. Eine nachvollziehbare Begründung für das Feuern eines Chefredaktors liefern? Nicht bei der NZZ.

Früher konnte man sich noch darüber beklagen, dass Mittelmass an die Macht kam. Heutzutage sind es Würstchen, die als erstes den Senf rationieren. Eine Literaturchefin, die von Literatur nur wenig Ahnung hat. Kolumnisten, die die Sprache und den Leser quälen. Figuren in leitenden Positionen, die einzig durch den Besitz eines bestimmten Geschlechtsorgans in diese Position kamen. Pimmelträger, die frustriert aufgeben und sich anderswo umschauen, nur nicht im Journalismus.

Das staatliche Farbfernsehen, Pardon, die zwangsgebührenfinanzierte, staatsunabhängige SRG, die entschieden mehr Sesselfurzer als journalistisch Tätige beschäftigt und von einer Frau ohne Vision, aber mit gut ausgebautem Machtinstinkt geführt wird.

Leitartikelschreiber(innen), die den Leser leiden lassen, ausser er gehöre zur Gesinnungsblase und hat weitgehend die Gehirnfunktionen eingestellt. Geschichtsbetrachtungen, die es schrecklich und schmerzlich an historischen Kenntnissen mangeln lassen. Philosophische Weltbetrachtungen, bei denen es von Ockham (1288 – 1347) aufwärts allen Philosophen den Magen umdreht, angesichts solch geistigen Wüstengebieten.

Sandkastengeneräle, Kriegsgurgeln, Militäranalysten, deren Analysen so falsch sind, dass nicht mal das Gegenteil stimmen würde. Prognostiker, die lieber das Wetter von gestern als das von morgen vorhersagen sollten. Interviewer ohne die geringste Sachkenntnis, denen ein Multiversager wie Mark Pieth oder eine durchgeknallte Kreischfeministinnen wie Emilia Roig jeden Mumpitz ernsthaft und unwidersprochen verzapfen können.

Alles Russische wird verteufelt, Kunst und Kultur wird geächtet, das Unwort Putin-Versteher wird jedem angeklebt, der nicht im hysterischen Gejapse der Verdammnis mitkreischt.

Kaum getarnte Publireportagen, bezahlte Inhalte, schamvoll klein als solche ausgezeichnet oder als «Zusammenarbeit» camoufliert, womit sich der Journalismus endgültig als Nuttenboulevard outet. Wirtschaftsjournalisten, die auf Zuruf nicht mal anzugeben wüssten, wo in einer Bilanz das Eigenkapital verbucht wird und was genau der Unterschied zwischen Aktiven und Passiven ist. «Datenjournalisten», die unlauter aus Daten Resultate heraussaugen, die in ihr Weltbild passen.

Genderkreischen, Klimawarner, Heuchler, die Verhaltensänderungen fordern, ausser bei sich selbst. Unbelehrbare Fehlanalysten, grosse Kenner der US-Politik, der Türkei, von eigentlich allem, bloss: meistens liegen sie krachend daneben. Nur: nach kurzem Schweigen oder einem zerknirschten Eingeständnis kommt die nächste «Analyse», vorgetragen mit dem strahlenden Selbstbewusstsein, mit der strahlenden Dummheit eines Wiener Walzers.

Rechthaber, die der Welt leidend vorgreinen, wie sie zu sein hätte, aber leider, leider, niemand hört auf sie. Oberlehrer mit ewig gezücktem Zeigefinger, prustend vor moralgeschwängertem Geschwurbel. Sie haben Antworten auf alle Fragen, nur ist sie nicht 42. Kindersoldaten, denen der Zweite Weltkrieg noch dunkel ein Begriff ist, aber ja nicht fragen, wann der war.

Ach so viele machen zudem bei der Verhöhnung der wahren Opfer des Nationalsozialismus mit. Sie bezeichnen alles und jeden, der einen Millimeter rechts von ihnen steht, als Nazi. Mindestens als Proto-Nazi, weniger Wagemutige werfen mit «faschistoid» um sich, schnell ist man mit der «Erinnerung an dunkle Zeiten» zur Hand, obwohl sich keiner mehr daran selbst erinnern kann.

Abhold sind diese verunsicherten Rechthaber jeglicher ernsthafter Debatte: ein Gegenargument könnte fatale Auswirkungen haben, die Konfrontation mit einem intellektuell überlegenen oder gebildeten Geist könnte der psychischen Gesundheit abträglich sein. Denn niemals würden diese Karikaturen von Journalisten zugeben, dass sie eigentlich kleine Lichter sind. Übrig geblieben aus einer Negativauslese. Denn wer zu teuer ist, zu kantig, zu aufmüpfig, wer es gar wagt, eine eigene Meinung zu haben, muss bei der nächsten Sparrunde als Erster über die Klinge springen.

Was diese Mietschreiber der deutschen Sprache antun, müsste strafrechtlich abgeurteilt werden. Nicht nur, dass sie sie mit Gender-Sternchen, absurden angeblich inkludierenden Formen vergewaltigen. Selbst ohne diesen Mumpitz zeigen ach so viele, dass sie nicht mal die Grundregeln beherrschen. Von eleganten Formulierungen, einem überzeugenden Aufbau, Leserführung, Komprimierung ganz zu schweigen. Da werden «Reportagen» geschrieben, die aus ein paar Gesprächsfetzen bestehen, da werden «Analysen» gemacht, die überhaupt kein Ganzes in seine Bestandteile zerlegen, sondern Gehacktes, Geschnetzeltes, Gedankensplitter feilbieten.

Der Journalismus ist so auf den Hund gekommen, dass sogar seit einiger Zeit keine neuen «Leaks» oder «Papers» veröffentlicht werden. Das sind zwei Euphemismen für das Ausschlachten von Hehlerware. Von gestohlenen Geschäftsunterlagen, bei denen die Ausschlachter keine Ahnung haben, aus welchen Motiven sie gestohlen und gratis verschleudert werden.

Das hält sie aber nicht davon ab, Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person zu spielen; nach Belieben ausgewählte Personen an den medialen Pranger zu stellen. Dass darunter auch Tote, Unschuldige, durch diese Enthüllungen in Lebensgefahr geratene Menschen sind, dass hier Existenzen vernichtet werden wie die eines schweizerisch-angolanischen Geschäftsmanns, was soll’s. Dass einem verstorbenen Playboy völlig zu Unrecht üble Vorwürfe gemacht werden, die sich in Luft auflösen: na und? Man suhlt sich ein Weilchen in der künstlichen Sonne der angeblichen Enthüllung und Aufklärung. Hinterlässt ein Trümmerfeld und zieht weiter.

Viele Journalisten haben so wenig zu tun, dass sie zu den fleissigsten Fütterern der asozialen Plattformen gehören. Twitter ist ihr Lieblingskanal, ältere Semester verwenden Facebook, jüngere Instagram oder TikTok. Dort weisen sie gackernd wie Hühner über ein gelegtes Ei auf ihre eigenen Artikel hin und beschimpfen alle anderen, die nicht ihrer Meinung sind.

Kompetenz im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Selbstbewusstsein. Einbildung als Ersatz für Bildung. Schweigen als Reaktion auf Kritik. Gross im Austeilen, ganz, ganz klein im Einstecken. Der eigene Bauchnabel als Weltersatz. Das eigene Empfinden als Empathie-Ersatz. Geklautes Leiden, geheuchelte Betroffenheit, moralische Unfehlbarkeit wie früher beim Papst, ein unstillbares Bedürfnis, der Welt die eigene Meinung aufzudrängen, als ob die auch nur schon die eigenen Leser interessieren würde.

Das ist das jammervolle Bild, das der Journalismus heute abgibt. Er wird unbeeindruckt von solchen Beschimpfungen in die Grube fahren. ZACKBUM begleitet ihn dabei als Ein-Mann-Orchester.

 

 

Menschenverachtend

Die Gutmenschen sind Bösmenschen.

«Kevin Spacey im freien Fall. Seit Jahren hat der Schauspieler junge Männer belästigt und genötigt.» Tamedia, November 2017.

«In London laufen polizeiliche Ermittlungen gegen Spacey, der sich einer Sprecherin zufolge in therapeutische Behandlung begeben hat.» Tamedia, Dezember 2017.

«Soeben hat Scotland Yard Ermittlungen gegen Kevin Spacey aufgenommen, der als künstlerischer Leiter des «Old Vic» einen anderen Mann sexuell angegriffen haben sollTamedia, November 2017.

«CNN hatte von acht aktuellen oder früheren Mitarbeitern am Set von «House of Cards» berichtet, die Spacey mit Blick auf sexuelle Annäherungen ein «räuberisches» Verhalten vorwerfen. Sie beschuldigten ihn unter anderem, ein giftiges Arbeitsklima erzeugt zu haben.» Tamedia, November 2017.

«Kevin Spacey hat sich für einen sexuellen Übergriff auf einen 14-Jährigen entschuldigt – und zur Ablenkung sein Coming-out bekannt gegeben.» Tamedia, Oktober 2017.

Vorsicht vor Beschädigungen, Respekt vor der Unschuldsvermutung? Klarer Hinweis darauf, dass es sich um unbewiesene, teilweise Jahrzehnte zurückliegende Anschuldigungen handelt, deren Motivation nicht zuletzt Ruhm- und Geldgier ist?

Ach was. Nun Freispruch auf ganzer Linie in London. Sämtliche Anschuldigungen in den USA hatten sich schon zuvor in Luft aufgelöst. Nein, nicht in Luft. Spacey, einer der begabtesten Schauspieler unserer Zeit, der in «House of Cards» die Rolle seines Lebens gefunden hatte, wurde geächtet, von Hollywood ausgespuckt, aus fertigen Filmen geschnitten, in der Erfolgsserie gefeuert. Er hat sieben Jahre seines Lebens verloren – und all sein Geld, das für Anwälte draufging.

Hört man da bei Tamedia und bei allen anderen Blätter, die die damalige Hetze befeuerten und willig mitmachten, mit dem moralischen Zeigefinger wackelten, Behauptungen als Tatsachen darstellten, hört man da ein leises Wort des Bedauerns, der Entschuldigung gar?

Schlimmer noch, hat man gelernt? Wie der Fall Rammstein beweist: null und nichts wurde gelernt. Dem «Blick» wurde eine Verfügung um die Ohren gehauen, einen Schmierenartikel zu löschen. Selbst die NZZ vergriff sich und schrieb nassforsch vom Sänger als «Täter». Das wurde dann immerhin schnell korrigiert, aber der Fleck bleibt.

Inzwischen gehen Lindemanns Anwälte weiterhin konsequent gegen Kolporteure, Schmierer und Hetzer vor. Dem «Spiegel» – inzwischen einschlägig für solche Unterleibsstorys bekannt – wurden diverse Aussagen verboten. Einer Videobloggerin, die auch die Welle reiten wollte, um bekannter zu werden, wurden diverse kolportierte Aussagen untersagt.

Aber gibt es Anzeichen von Lernfähigkeit? Bei den grossen Medienkonzernen in der Schweiz null. Noch viel weniger bei «Republik», WoZ und Konsorten. Mit einer lobenswerten Ausnahme – wie meist. richtig, natürlich die NZZ.

Claudia Schwartz nimmt sich die Berichterstattung nach dem Freispruch Spaceys vor. Und urteilt so scharf wie richtig:

«Auch am Dienstag hielten manche Medien nicht inne. Freispruch vor Gericht? Das gilt jedenfalls für Prominente wie Kevin Spacey offenbar nicht mehr, ist die Meinung einmal gemacht. «Kein üblicher Verdächtiger» titelte das deutsche Magazin «Stern» wenige Stunden nach Prozessschluss, um dann, fett hervorgehoben, nochmals die Anschuldigungen in voyeuristischen Details aufzuwärmen. Dass Spacey bereits im vergangenen Oktober in einem ersten Zivilprozess von dem Vorwurf freigesprochen worden ist, den damals vierzehnjährigen Schauspieler Anthony Rapp sexuell belästigt zu haben: Wen interessiert’s?»

Schwartz geht noch weiter und sieht Anlass, «sich die Frage zu stellen, wie eine Gesellschaft zugerichtet ist, in der manche die Vorverurteilung höher gewichten als ein gerichtliches Urteil. «Ich verlor meinen Job, ich verlor meinen Ruf, ich verlor alles in nur wenigen Tagen. Noch bevor eine einzige Frage gestellt wurde», sagte Spacey zum Auftakt des Strafprozesses.»

Dann kommt sie zur einzig richtigen Schlussfolgerung: «Die Cancel Culture stösst nicht nur historische Figuren vom Sockel und verbannt Bücher, sondern sie geht – Kevin Spacey ist ein mahnendes Beispiel dafür – ans Lebendige und zerstört in moralischer Überheblichkeit Menschen, Karrieren, Existenzen. Deshalb sollte man auch das Urteil in derzeit diskutierten Fällen wie Til Schweiger oder Till Lindemann den Gerichten überlassen

So gut auch eine Stimme der Vernunft tut: sie geht unter im wilden Gekreisch und Gehetze auf den sozialen Plattformen, wo die Mainstream-Medien aus billigen Gründen mitschwimmen, wo jeder Kurzdenker und Kleinredaktor sich zum moralischen Grossinquisitor aufschwingen kann, vor Entrüstung beben, vorverurteilen – um dann feige zu schweigen.

Das ist verantwortungslos, erbärmlich und ein weiterer der vielen Sargnägel für diese Art von Medien, die keinerlei Mehrwert mehr enthalten. Ausser, Erregungsbewirtschaftung und wohlfeile Vorverurteilungen, das Errichten von Schandmalen, an denen sich das Publikum gütlich tun kann, sei ein Mehrwert.

 

Kevin Spacey: unschuldig

Dennoch hat der Schauspieler «alles verloren».

Der zweifache Oscar-Preisträger hatte in «House of Cards» die Rolle seines Lebens gefunden. Frank Underwood katapultierte die Darstellung eines skrupellosen, aber gefühlvollen und genialischen Politikers in eine neue Dimension, die alles hinter sich liess, was in diesem reichen Genre vorher existierte.

2017 endete das alles abrupt, als im Rahmen der aufkommenden #metoo-Bewegung Vorwürfe über sexuelle Übergriffe gegen den homosexuellen Spacey bekannt wurden. Netflix beendete sofort die Zusammenarbeit, Spacey wurde sogar aus einem bereits fertig abgedrehten Film herausgeschnitten. «Alles Geld der Welt» wurde von Ridley Scott mit Christopher Plummer an Stelle von Spacey nachgedreht, ein grosser schmutziger Fleck auf der Weste dieses ansonsten genialen Regisseurs.

Die ersten Vorwürfe lagen 30 Jahre zurück; schnell meldeten sich weitere angebliche Opfer. Nicht nur in den USA, auch in England wurden Vorwürfe erhoben, da Spacey einige Jahre künstlerischer Direktor des «Old Vic» Theaters in London gewesen war.

In den darauffolgenden Jahren bekam Spacey keine Gelegenheit mehr, sein überragendes schauspielerisches Talent unter Beweis zu stellen. Er wurde zum Posterboy der #metoo-Bewegung, neben dem verurteilten Sexualstraftäter Harvey Weinstein wurde er als zweites, noch nicht verurteiltes Monster durch den Dreck gezogen. Wie bei solchen Anschuldigungen bis heute üblich, wurde auf die Unschuldsvermutung gespuckt.

2020 reichte ein angebliches Opfer Strafanzeige ein, wegen eines Vorfalls, der sich 1986 ereignet haben sollte. Sie wurde mangels Beweisen abgeschmettert. Dann fordere es in einem Zivilprozess 40 Millionen Dollar Schmerzensgeld. Abgeschmettert. Sämtliche weitere Klagen oder Anschuldigungen in den USA waren substanzlos.

Daraufhin konzentrierte sich die Meute der Vorverurteiler auf den Prozess in England. Hier habe der Schauspieler sicherlich nicht den gleichen Einfluss wie in den USA, hier werde endlich die Gerechtigkeit siegen, ein weiteres übergriffiges Monster werde seine gerechte Strafe erhalten.

Freispruch auf ganzer Linie.

Aber die ungerechte Strafe hat Spacey schon längst bekommen. Sieben Jahre Schauspielerleben gestohlen. Vom Olymp des angesehenen Hollywood-Stars in die Hölle des Sexualtäters. Horrende Kosten, kaum Einnahmen. Alle Prozesse gewonnen, alles verloren.

All diese pathetischen Weiber und ihre schleimigen Helfershelfer in den Gazetten, die sich das Maul zerreissen, aber nie vergessen, scheinheilig «es gilt die Unschuldsvermutung» dazuzuschmieren, all die kommen wieder mal straflos davon.

Schon wieder einen Unschuldigen erledigt, durch den Schlamm gezogen, erniedrigt, vorverurteilt. Mal eine Einsicht, eine geknirscht Entschuldigung, eine Selbstreflexion, dass es im öffentlichen Diskurs doch nicht so weitergehen darf? Wo jeder Mann gekeult werden kann, wenn es irgend jemandem einfällt, von einer Kussattacke von vor unzähligen Jahren zu schwadronieren, mit der frau aber erst heute an die Öffentlichkeit gehen könne, weil so traumatisiert. Aber leider ist alles verjährt, und oh Schreck, die sorgfältige Untersuchung des Vorfalls erweist: nichts dran, nicht belegbar, alles Unsinn, alles eine miese Masche, um in die Schlagzeilen zu kommen.

Dagegen ist nach wie vor kein Kraut gewachsen. Aber immerhin mehren sich die Stimmen, die ein Ende von diesen Hetzjagden fordern. Und vor allem, dass willige Helfershelfer in den Medien endlich in die Schranken gewiesen, abgemahnt und dann entlassen werden.

Wir könnten hier gerne Namen nennen, aber die Prozesskasse ist leider gerade leer.

Canonica streckt die Waffen

Moderner Schmierenjournalismus siegt.

Die Methode ist bis zum Erbrechen bekannt. Eine Frau greift tief in die Vergangenheit und stellt eine Reihe von unbewiesenen, unbelegten, rufschädigenden Behauptungen über – wenn überhaupt – längst verjährte angebliche Übergriffe auf.

Sie sei verbal sexuell belästigt, erniedrigt, beleidigt, gemobbt worden. Diese angeblich unerträglichen Zustände habe sie zwar viele Jahre ausgehalten, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber nun reiche es; so wie die Opfer von Weinstein ihre Stimme fanden, habe sie nun auch den Mut gefunden, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dann findet die Frau ein «#metoo»-besoffenes Organ, das diese Anschuldigungen abdruckt und damit eine öffentliche Hinrichtung des wahren Opfers, nämlich des Angeschuldigten, veranstaltet. Dass diese Behauptungen mehrfach untersucht und ins Reich der Fantasie verwiesen wurden, dass ausser dümmlichen Hakenkreuz-Kritzeleien als Kritik an germanischen Ausdrücken nichts belegbar ist, dass angebliche Augen- und Ohrenzeugen feige schweigen oder in den Untersuchungen die Behauptungen nicht bestätigt haben, was soll’s.

Dass sich diverse Behauptungen einfach widerlegen lassen – so hat eine angebliche beleidigende Äusserung des Chefredaktors an einer Weihnachtsfeier gar nicht stattfinden können, weil die Weihnachtsfeier nicht stattfand –, was soll’s.

Dass sich herausstellt, dass die Denunziantin sich – vergeblich – auf die Stelle ihres Vorgesetzten beworben hatte, obwohl der keinerlei Absichten hatte, sie zu verlassen, was soll’s. Dass es sich offensichtlich um die Rache einer beruflich verschmähten Frau handelt, die nicht gemobbt wurde, sondern ihren Chef wegmobben wollte, was soll’s. Das schaffte sie zwar, Tamedia trennte sich von ihm. Aber statt Triumph – endlich selber Chef werden – kam die Tragödie, auch sie wurde gefeuert.

Was bleibt? Der Ruf des Mannes ist unrettbar ruiniert, auf Jahre hinweg, wohl lebenslänglich findet er keinen Job mehr im Journalismus. Das gilt natürlich auch für die Denunziantin. Zurück bleiben – unter Mithilfe des einschlägig bekannten «Spiegel» – zwei beschädigte Menschen.

Dass die übrige Medienmeute wie meist mithetzte, losraste, belegfrei mit angeblichen weiteren «Zeugen» operierte, die natürlich anonym bleiben mussten und höchstwahrscheinlich erfunden sind, was soll’s. Dass sich neben dem «Spiegel» auch die «Zeit» von der Denunziantin via eine einschlägig bekannte, schlechte Journalistin für den Rachefeldzug einspannen liess, was soll’s.

Der Betroffene versuchte, mit einer Klage zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Auch Tamedia setzt sich juristisch zur Wehr, der Big Boss ist etwas angefasst, dass er in die Nähe von Harvey Weinstein, einem verurteilten Sexualstraftäter, gerückt wurde. Das Schicksal seines ehemaligen Chefredaktors ist ihm hingegen, pfeif auf die Fürsorgepflicht, schlichtweg egal.

Der lässt nun via Anwalt ausrichten, dass er seine Klage gegen den «Spiegel» zurückzieht. Die Belastung sei «sowohl finanziell wie psychisch» zu gross geworden. Das vermeldet «Inside Paradeplatz», der Finanzblog, der auch im Medienbereich die Konkurrenz abtrocknet. So kann das Schmierenblatt aus Hamburg triumphieren. Auch ein weiterer übler Denunziant, der immerhin den Journalismus verlassen hat, kann aufatmen.

Hat jemand gesiegt? Alle haben verloren.

Zunächst die Anklägerin; zu offensichtlich ist ihr Motiv, so unglaubwürdig ihre Erzählung, zu erfunden, konstruiert, zumindest nicht belegbar sind fast alle ihrer Vorwürfe.

Dann der Beschuldigte. Er konnte sich zwar erklären und fand einen Journalisten, dessen Reflexe noch funktionieren und der sich nicht von Narrativen leiten liess, sondern das tat, was ein Journalist tun muss: recherchieren, konfrontieren, analysieren. Aber er – und seine Familie – sind beschädigt, Opfer einer Kampagne geworden, öffentlich hingerichtet, gevierteilt und geteert und gefedert.

Dann das einmalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, das sich in letzter Zeit nicht entblödet, eine angebliche Enthüllungsgeschichte nach der anderen im besten #metoo-Framing zu veröffentlichen. Storys, die unter Augstein, unter Aust niemals erschienen wären. Aber die Würstchen, die sich seither in der Chefredaktion die Klinke in die Hand geben, haben jeden Massstab, jedes Niveau, jede Klasse verloren.

Schliesslich die übrigen Medien, hier zuvorderst CH Media und die «Zeit», die mit unbewiesenen Behauptungen, üblen Vermutungen, anonymen und erfundenen Zeugen («es war alles noch viel schlimmer») sich an der Hetze beteiligten und sogar einen Nasenstüber einfingen. CH Media musste einen Schmierenartikel löschen und sich öffentlich entschuldigen.

Entschuldigt sich jemand beim Betroffenen? Wird wenigstens dieser Fall zum Anlass genommen, über Vorverurteilungen, über den Verlust aller journalistischen Massstäbe, über das Kolportieren unbewiesener Behauptungen, über die Rolle angeblicher anonymer Zeugen nachzudenken?

Niemals. Schlamm drüber, die nächsten Säue sind schon längst durchs Dorf getrieben, Til Schweiger, Rammstein, ein Koch, der Sänger einer Brachialband, keiner ist heutzutage vor dieser Meute sicher.

Welch ein beschämender Anblick. Die Medien verwandeln sich in eine Horde von kläffenden, japsenden, geifernden Kötern, die einem Popanz nachrennen, jagen, zur Strecke bringen, sich verbeissen. Um dann plötzlich von der Beute abzulassen, um einer neuen Schimäre nachzujagen. Auf ein Neues. Auf ein Neues, bis Ruf, Ansehen, Renommee, Image genauso ramponiert, ruiniert sind wie die der Opfer dieser Hetzjagden.

Lang lebe die Unschuldsvermutung. Was für ein schaler Witz.

Keine mildernden Umstände

Es darf gelacht werden. Wie man um entscheidende Fragen herumrudert.

Die Ausgangslage war vertrackt. Bianca Lüthi, in der Wirtschaft zuständig für «Tourismus, Detailhandel und Immobilienmarkt», interviewt den Medienprofessor Urs Saxer zum Vincenz-Urteil. Nicht nur, dass sie frei von Sachkenntnissen ist. Es gibt noch ein zweites Problem. Denn das Thema ist die Frage, ob der Strafabzug von neun Monaten wegen medialer Vorverurteilung  zu recht erfolgte.

Klares Verdikt Saxers:

«Ich finde die neun Monate Strafmilderung nicht angemessen»

Er fügt zwar hinzu: «Gewisse Medien hätten in der Berichterstattung zurückhaltender sein können und sich das eine oder andere genüssliche Detail sparen können.» Auf der anderen Seite habe aber Vincenz selbst als Prominenter immer das Licht der Öffentlichkeit gesucht. Es ist allerdings schon ein kleines Kunststück, um die entscheidenden Fragen in einem längeren Interview herumzureden.

Aber wir verstehen das als Arbeitsplatzsicherung von Lüthi, bei der anhaltenden Sparwelle bei Tamedia. Zunächst einmal hatten die beiden Hauptangeklagten von der Staatsanwaltschaft einen Maulkorb bekommen; sie durften sich während der ganzen Strafuntersuchung und sogar noch nach Einreichung der Klage vor Gericht nicht zu den Vorwürfen öffentlich äussern. Ein absolutes medien- und prozessrechtliches Unding.

Erst kurz vor dem Prozess traute sich Beat Stocker aus der Deckung und gab der NZZaS ein eher verunglücktes Interview; Vincenz schwieg die ganzen vier Jahre lang, abgesehen von einem kurzen Statement nach der drakonischen U-Haft. Da hätte doch interessiert, was der Medienrechtler dazu gesagt hätte. Aber man müsste ihn halt fragen.

Um den ganz grossen Elefanten im Raum wird auch herumgeredet. Denn das Thema in diesem Fall ist ja nicht eine allfällige Vorverurteilung durch breite mediale Berichterstattung. Angesichts der Person des Angeklagten und seiner ehemaligen Position ist es klar und selbstverständlich, dass ausführlich berichtet wird.

Aber was überhaupt nicht thematisiert wird: wie steht es denn mit der kontinuierlichen Veröffentlichung von strikt vertraulichen Dokumenten aus der Strafuntersuchung? Die unter Bruch von Amts- und Geschäftsgeheimnis an die Öffentlichkeit gelangten? Was könnte ein Medienprofessor dazu sagen, dass selbst die Anklage vollumfänglich schneller in den Medien war als bei den Angeklagten?

Dazu könnte er sicherlich einiges sagen. Hätte man ihn gefragt. Kleines Problem für Lüthi: Ihr Oberchefredaktor Arthur Rutishauser war an vorderster Front, wenn es um die Veröffentlichung möglichst saftiger Details, Dokumente, Verhaltensweisen, Spesenabrechnungen von Vincenz ging. Genüsslich zitierte er Mal um Mal aus Unterlagen, die ihm zugespielt worden waren.

Dabei fragte er sich nicht einmal, in wessen Interesse es denn liegen könnte, damit den Ruf von Vincenz schon vor der Verhandlung restlos zu ruinieren. Denn in der ganzen Strafuntersuchung hatten ja nur drei Parteien Zugang zu diesen Akten. Die Staatsanwaltschaft, die Angeklagten – und Raiffeisen als Zivilkläger im Prozess. Nebenbei ist da noch ein Zivilprozess zwischen Raiffeisen und Vincenz/Stocker im Gange, bei dem es um richtig viel Geld geht; um über 100 Millionen Franken.

Das wären doch interessante Fragen an einen Medienrechtler gewesen; wie einfach sich heutzutage Medien instrumentalisieren lassen. Wie leicht sie sich anfüttern lassen. Wie hemmungslos sie aus ihnen zugespielten, eigentlich strafbewehrten Dokumenten zitieren. Aber eben, auch das hätte die interessante Medienfrage aufgeworfen, ob sich eine Redaktorin trauen darf, solche Fragen zu stellen – und das im Amt überlebt.

Verständlich, wenn auch bedenklich, dass Lüthi das nicht gewagt hat.

Vincenz: die andere Seite

Jahrelang krochen ihm die Medien überall rein. Zu Recht.

Kein Organ zu klein, um Scharfrichter zu sein. Eigentlich könnte sich die Justiz den heute beginnenden Prozess auch sparen. Er findet nicht zu Unrecht in einem Theatersaal statt. Unsere Schwarzweiss-Medien haben schon lange von Weiss auf Schwarz umgeschaltet.

Drei Jahre dauerte die quälende Untersuchung durch einen Staatsanwalt, bis der endlich eine Anklage hingewürgt hatte. Noch nie in der jüngeren Geschichte wurde die Öffentlichkeit so rundum und kontinuierlich mit allen saftigen Details der Untersuchung bespasst.

So ziemlich jedes Dokument, das dazu dienen konnte, den Ruf des gefallenen Starbankers zu ruinieren, wurde an die Medien durchgestochen. Herausragend dabei der Oberchefredaktor von Tamedia, der sich nicht zu schade war, immer wieder als Lautsprecher zu dienen. Ohne sich ein einziges Mal zu fragen, in welche Dienste er sich da stellte.

Selbst die dicke Anklageschrift fand schneller den Weg in die Öffentlichkeit als zu den Angeklagten. Um den Medien genügend Zeit zur Nachbearbeitung zu lassen, brütete dann das Bezirksgericht Zürich ein Jahr lang über einem Prozesstermin. Nun ist’s so weit, und als weiterer Höhepunkt juristischen Schaffens stellt sich heraus, dass nicht genügend Prozesstage eingeplant wurden.

Nun ist’s endlich so weit, der Prozess beginnt

Denn überraschenderweise wird bei einen Staatsanwalt, sieben Angeklagten und einem Privatkläger länglich das Wort ergriffen, Plädoyer gehalten. Wer konnte das auch ahnen.

In einer letzten Climax geben die Qualitätsmedien nochmal alles und kehren  die letzten Krümel aus ihren Archiven. Denn sie wissen: dann ist’s mal vorbei, endet der Prozess mit einem Urteil und garantiert mit einem Weiterzug ans Ober- und dann ans Bundesgericht. Aber das dauert wieder.

Der «Blick» gerät ins Stottern und bringt den gleichen Artikel zweimal …

Vincenz hat tatsächlich dermassen viele Angriffsflächen geboten, mit seinem unseligen Hang zum Halbseidenen und mit Rotlicht Beschienenen, mit seinem Hang zum Spesenrittertum und mit seinen Versuchen, sich die Taschen zu füllen, dass jeder Kleinschreiber genügend Anlass findet, moralisch mit dem Zeigefinger zu wackeln und sich zu entrüsten.

Welch ein Leistungsausweis des gefallenen Starbankers

Dabei geht völlig vergessen, dass Vincenz auch was geleistet hat. Als er 1999 bei Raiffeisen antrat, war das ein Verbund meist verschnarchter Bauernbanken. Provinz- und Lokalfürsten wachten eifersüchtig über ihre Herrschaftsgebiete. Moderne IT, modernes Banking, Anlagemöglichkeiten, selbst banale Sicherheitsmassnahmen: alles unbekannt. Es gab noch Filialen, da wurde das Bargeld in der Schublade eines Holzschranks aufbewahrt.

Als Vincenz 2015 abtrat, war er zur nationalen Berühmtheit geworden und Raiffeisen zur Nummer drei im Schweizer Finanzmarkt, zur Nummer eins bei der Hypothekenvergabe. Mit Geschick, jovialem Charme und der ewigen Aussage, dass er nicht etwa der Boss sei, sondern sogar 300 Chefs habe, hatte Vincenz ein kleines Wunder vollbracht.

Finanzkrise, Steuerstreit, Schwarzgelder, Skandale: als wäre er (und seine Bank) aus Teflon, alles perlte von Raiffeisen ab. Er konnte sogar, im Sinne seiner Bündner Bundesrätin, offen das damals noch heilige Schweizer Bankgeheimnis in Frage stellen.

Er wurde nicht nur von den Boulevardmedien gehätschelt, als Gast an allen Promi- und Cervelat-Anlässen, immer zu einer Homestory bereit, immer bereit, den einfachen Bündner Wandersmann zu geben, den Naturburschen mit Berglercharme.

Dabei pfiffen es damals schon die Spatzen von den Dächern in St. Gallen, dass er eine unselige Vorliebe für Stripclubs und leichte Damen hatte.

Aber wer Erfolg hat, ist unantastbar. Im schreienden Kontrast dazu wirtschafteten seine Kollegen die einstmals grossen Traditionsbanken UBS und CS an den Rand des Abgrunds. Vernichteten Milliardenwerte, zerstörten Reputation und Renommee, beschmutzten den Namen mit einer Kette von Skandalen, Flops, sogar kriminellen Handlungen.

Sie fuhren die Banken fast gegen die Wand und den Börsenwert in den Keller – während sie obszöne Gehälter abkassierten, Boni im geschmacklosen Bereich.

Seine Kollegen schaufelten Millionen – er schuf Mehrwert

Demgegenüber wurde das Gehalt von Vincenz gedeckelt. Er schuf dann für ein Zehntel des Einkommens seiner Versagerkollegen echten Mehrwert – was ihn kräftig angurkte. Ob er dann für die Selbstbereicherung zu unerlaubten Mitteln griff, das wird der Prozess erweisen.

Was die aktuelle Berichterstattung über ihn allerdings mit ausgewogener Information, Faktentreue und allen Qualitätsmerkmalen zu tun haben soll, mit denen die Mainstreammedien dafür werben, mit einer Milliarde Steuergelder unterstützt zu werden?

Nichts hat sie damit zu tun, einfach nichts. Skandalisierung, Einseitigkeit, Hetzjagd, rumtrampeln auf einem, der schon am Boden liegt, vorverurteilt wurde und sich niemals mehr von dieser Rufschädigung erholen wird. Völlig unabhängig davon, ob er am Schluss verurteilt oder freigesprochen wird.

Noch zwei Monate, bevor Vincenz als bislang einziger Bankenlenker in U-Haft kam, bekam er vom heutigen Oberchefredaktor der «Blick»-Gruppe Christian Dorer Gelegenheit, sich in einem «was wollten Sie schon immer mal sagen»-Interview reinzuwaschen und gegen alle Vorwürfe zu verteidigen. Mit diesen typisch kritisch-unkritischen Fragen, die in solchen Fällen gestellt werden.

Müsterchen: «Haben Sie sich bereichert?» – «Das stimmt absolut nicht.»

Es gilt bis heute die Unschuldsvermutung. Was für ein Witz. Für die Schweizer Massenmedien gilt sie garantiert nicht.

Wer stoppt Rutishauser?

Ein seltener Fall von medialer Selbstjustiz. Über Jahre hinweg.

Auf einer Wand stand: «Ich hasse dich.» Zudem sei Abfall herumgelegen, und weitere Wände seien mit Flüssigkeiten verschmiert gewesen. Diese unappetitlichen Details serviert Arthur Rutishauser zum Gipfeli den Lesern der «SonntagsZeitung».

Wer meinte, dass er nach drei Jahren und der Einreichung der Anklageschrift seine Position als Lautsprecher der Staatsanwaltschaft und als rücksichtsloser Enthüller von eigentlich strikt vertraulichen Ermittlungsakten aufgegeben habe, hat sich ein weiteres Mal getäuscht.

Es ist schon drei Monate her, dass allgemeiner Wahnsinn in den Medien ausbrach, ein Wettlauf begann, wer am schnellsten die saftigsten Stellen aus der Anklage zitieren kann. Ein weiteres Mal wurde die Unschuldsvermutung ad absurdum geführt. Die Eröffnung einer Strafanzeige gegen Unbekannt, wegen fortgesetztem Bruch des Amtsgeheimnisses, beeindruckt den Oberchefredaktor von Tamedia offenbar überhaupt nicht.

Mit der gleichen Munition nochmal nachladen

Die Anklageschrift gegen den gefallenen Bankerstar Pierin Vincenz ist bis auf den letzten Tropfen ausgewrungen; das letzte Wort hatte hier die NZZ, die nassforsch bekannt gab, dass sie im Besitz aller 364 Seiten der Anklageschrift sei. Ohne, dass ihr bislang eine Strafanzeige ins Haus flatterte.

Nun konnte aber Rutishauser endlich mal wieder nachlegen. Schon seit drei Jahren haut er jedes Dokument, mit dem er angefüttert wird, ohne Rücksicht auf Anstand, Amtsgeheimnis, Vorverurteilung, Unschuldsvermutung einfach raus. Geradezu zwanghaft. Nun kann er wieder einen besonderen Leckerbissen servieren: «Vincenz’ Ausflüge ins Rotlichtmilieu waren vom Raiffeisen-Präsidenten abgesegnet».

Das ist nun aber Schnee von vorgestern, längst bekannt, längst beklagt, längst kritisiert. Nicht zuletzt in der «Ostschweiz» wurde schon seit Längerem die Frage gestellt, wieso der damals amtierende Johannes Rüegg-Stürm nicht schon längst wegen ungetreuer Geschäftsführung, wegen sträflich-fahrlässiger Vernachlässigung seiner Aufsichtspflichten angezeigt und in Regress genommen wurde.

Der lächerliche Professor ist nur ein Vorwand

Wobei zur Lächerlichkeit ungemein beiträgt, dass er bis heute an der HSG Studenten in richtiger Geschäftsführung professoral unterrichten darf. Aber das ist eigentlich nur ein Vorwand für Rutishauser. Um nochmals in unappetitlicher Detailversessenheit wie einleitend erwähnt aus einem Polizeirapport über den Zustand der Suite im Zürcher Hyatt zu berichten. Dort war ein kleiner Fehler in der Terminplanung von Vincenz etwas ausgeartet und hatte zu einigen Beschädigungen im Hotelzimmer geführt.

Die Reparaturrechnung setzte Vincenz laut Anklageschrift auf seine Spesenrechnung. Die, wie alle anderen auch, von Rüegg-Stürm angeblich sorgfältig geprüft, für rechtens befunden und abgezeichnet wurde. Dieser Skandal ist längst bekannt, ebenso die unverständliche Entscheidung der Uni St. Gallen, dennoch den Lehrauftrag von Rüegg-Stürm bis zu seiner Pensionierung zu verlängern.

Nachdem die Anklageschrift nichts mehr hergibt, wurden Rutishauser offensichtlich das Einvernahmeprotokoll von Rüegg-Stürm durch die Staatsanwaltschaft und mindestens ein Polizeirapport zugespielt. Eine Einvernahme, in der sich der Professor nochmals bis auf die Knochen blamiert, wie er naheliegenden Fragen nach seiner Aufsichtspflicht gelenkig wie ein Schlangenmann auszuweichen versucht. Wieso es ihm nicht aufgefallen sei, dass Vincenz angeblich mehr als 100’000 Franken an Spesen in Striplokalen und anderen einschlägigen Etablissements eingereicht habe.

Nichts Neues, aber die Wiederholung saftiger Details hilft bei der Vorverurteilung

Das gibt Rutishauser nochmals Gelegenheit, unter dem Deckmäntelchen der Berichterstatterpflicht die saftigsten Details dieser Spesen wieder auszubreiten. Auch hier gibt’s nichts Neues, aber es hilft natürlich bei der medialen Vorverurteilung, bei einer Art öffentlicher Selbstjustiz, mit der Rutishauser auch noch die letzten lächerlichen Reste der Unschuldsvermutung in die Tonne tritt.

Es ist ein Stück aus dem Tollhaus. Die einzigen bislang einwandfrei begangenen Straftaten sind Verletzungen des Amts-, Geschäfts- und Bankkundengeheimnisses. Und zwar wiederholt und ohne dass es der Staatsanwalt in den quälend langen Jahren seiner Untersuchung für nötig hielt, wenigstens Strafanzeige einzureichen.

Das holte nun als eine seiner ersten Amtshandlungen das Bezirksgericht Zürich nach, nachdem es durch die Einreichung der Anklageschrift die Hoheit über das Verfahren bekommen hat. Viel mehr Aktivität hat es allerdings bislang auch nicht entfaltet. Es brütet offensichtlich noch über der Frage, ob es – unter welchem Vorwand auch immer – die Anklage zwecks Verbesserung abschmettern will, sich für nicht zuständig erklären – oder in den sauren Apfel dieses Riesenprozesses beissen.

Behauptungen der Anklageschrift werden im Indikativ erzählt, als Tatsachen

Natürlich wurde die angebliche «Enthüllung» der SoZ in der dürftigen Nachrichtenlage des Sonntags fleissig kolportiert und weiterverbreitet. Manchmal im Konjunktiv, häufig aber auch, wie in der Darstellung Rutishausers, im Indikativ.

Das ist eine weitere Verluderung der Sitten. Unschuldsvermutung? Selten so gelacht. Zitate aus einer Anklageschrift, die schliesslich nur die Sicht der Staatsanwaltschaft wiedergibt, als Tatsachen darstellen? Ausrisse aus angeblichen Spesenabrechnungen publizieren? Ohne den geringsten Hinweis darauf, dass es sich hier bislang lediglich um Anschuldigungen handelt? Ohne Hinweis, dass nicht einmal die Anklage vom Gericht angenommen wurde? Ohne Hinweis darauf, dass ein Urteil noch in weiter Ferne liegt und Freispruch oder Schuldspruch sein kann?

Ohne Rücksicht darauf, dass Pierin Vincenz, unabhängig davon, ob er sich etwas hat zuschulden kommen lassen oder nicht, seit nun drei Jahren durch dieses Schlammbad von Indiskretionen geschleift wird? Also an seiner Vorbildfunktion müsste der Oberchefredaktor noch etwas arbeiten; da ist noch viel Luft nach oben.

Vorverurteilung

Auch für Markus Somm gilt die Unschuldsvermutung nicht.

Als Tamedia auch noch die «Basler Zeitung» schluckte, hielt sich das öffentliche Bedauern in engen Grenzen. Im Gegenteil, endlich ist er weg. Der Schriftleiter von Blochers Gnaden. Das Sprachrohr der SVP. Der schlimme rechtsbürgerliche Finger. Der Streiter an Köppels Seite.

Zudem habe Markus Somm ja die BaZ auch finanziell in den Boden gefahren, die Auflage fast halbiert, also in einem Wort: ein rechter Hetzer hat versagt, gut, dass er verstummt.

Dass gleichzeitig die grosse linke Alternative, das Auffangbecken für viele gefrustete BaZ-Redaktoren, die mit Millionen einer Pharma-Erbin gepäppelte «TagesWoche» elend verröchelte, nach Intrigen, Auflagenbeschiss, Blubbern in der eigenen Gesinnungsblase, das machte weniger Schlagzeilen.

Das haben die Basler nun davon

Auch nicht, dass Basel heute einerseits mit der Einheitssosse aus Zürich zugeklatscht wird, andererseits in «Bajour» schon wieder ein Medium hat, dass keine 2000 zahlende Leser findet und ebenfalls eingehen wird, wenn die neuerlich gespendeten Millionen versiegt sind.

Während nicht zuletzt dank dem grossen Portemonnaie von Blocher die BaZ saniert, ihre Pensionskasse gerettet wurde und das Blatt zum ersten Mal seit Jahren schwarze Zahlen schrieb.

Abgesehen davon, dass die «SonntagsZeitung» – zum grossen Unverständnis vieler angeblich am Widerstreit der Meinungen interessierter Linken – Somm eine Kolumne gab, herrschte allgemeines Aufatmen. Jetzt ist im Duopol auf dem Zeitungsmarkt, mit CH Media und Tamedia, wieder Ordnung und Anstand eingekehrt. Aber auch gähnende Langeweile, weiterer Auflagenschwund, ein zum Skelett abgemagerter Journalismus, was dem Leser als Konzentration auf das Wesentliche verkauft werden soll.

Wer stört noch die Friedhofsruhe der Einheitsmeinung?

Da stört den Konsens nur noch die NZZ, die dementsprechend schrill beschimpft wird; sie schmeisse sich den deutschen Rechten an den Hals, sei AfD-nah, also im strengen Verdacht, rechtspopulistische Hetze zu betreiben.

Zunächst: Ich habe in der BaZ unter Somm über 100 Artikel veröffentlicht. Niemals, kein einziges Mal bekam ich dafür Direktiven, Anweisungen, wurde Kritik selbst an Somm zensuriert. Der regelmässige Mitarbeiter der BaZ, der leider verstorbene grosse Helmut Hubacher, lobte die Liberalität von Somm, seine Bereitschaft, mehr noch, sein Bedürfnis nach Debatte. Ich schreibe auch gelegentlich für die «Weltwoche» und die NZZ. Dort herrscht der gleiche Esprit.

Ich schreibe schon lange nicht mehr für Tamedia oder CH Media. Nicht, dass ich’s nicht ab und an versuchen würde. Aber seitdem sich der Oberchefredaktor von Tamedia fast eine ganze Seite lang über mich öffentlich geärgert hat, weil ich ihn zu kritisieren wagte, bekomme ich nicht mal mehr einen Lacher als Antwort, wenn ich einen Artikel anbiete.

Bei CH Media ist es mehr so, dass sich sowieso schon zu viele Redaktoren in der Zentralredaktion in Aarau auf den Füssen stehen. Und beim zunehmenden Schrumpfen wäre es ein ganz falsches Signal, von aussen selbst saftige Skandalgeschichten anzukaufen. Das gilt übrigens auch für den «Blick».

In diesem ganzen Elend eine gute Nachricht?

In diesem ganzen Elend verdichteten sich die Gerüchte zur Tatsache: Somm hat den «Nebelspalter» gekauft. Himmels willen, wird da und dort aufgeheult, nach der «Weltwoche» nun auch das. 145 Jahre Tradition, Bö, gezeichnet von einem sanften, selten bissigen Wohlfühlhumor, eigentlich nur noch aus Wartezimmern nicht mehr wegzudenken. Für die meisten ohne dritte Zähne gar nicht mehr auf dem Schirm.

Hätte doch einfach sang- und klanglos irgendwann verschwinden sollen, dann hätte man noch einige bewegte Nachrufe geschrieben, und tschüss. Aber jetzt das. Somm, Hummler, reiche Säcke, die mal so 100’000 Franken auf den Tisch legen können; mehr als der Durchschnittsschweizer im Jahr verdient.

Mit Müh und Not konnte Somm noch als Chefredaktor der NZZ verhindert werden, auch wenn man René Scheu als Feuilletonchef akzeptieren musste. Schon jaulen die ersten Karikaturisten als Karikatur ihrer selbst auf; sie seien vom bisherigen Besitzer brandschwarz belogen worden, sie seien nicht willig, die Garnituren für rechte Hetze zu zeichnen.

Somm hat natürlich völlig recht

Da hat Somm leider recht. Die Linken sind behäbig, unleidlich, denkfaul, unfähig zur Debatte geworden. Der weichen sie schon lange mit moralinsauren Totschlagargumenten aus, mit den ewig gleichen Etiketten, mit den ewig gleichen Klischees. Wer die Andacht der Gutmenschen stört, ihr Leiden an sich, der Welt, so viel Unrecht, so viel Schuld, der stört.

Im Sinne der Inquisition werden nicht Meinungen, sondern Meinungsträger bekämpft. Ab dem ersten Mal, ein Wiederholungstäter wie Somm ist natürlich vorverurteilt, bevor er überhaupt den Mund aufmacht. Was will er mit dem «Nebelspalter», wo soll die Reise hingehen, was haben die Financiers und er vor? Egal, das soll sicher eine überhaupt nicht witzige neue Speerspitze der rechtspopulistischen Hetzer werden. Sozusagen ein Zweizack mit dem anderen Gottseibeiuns.

Boykottieren, abbestellen, ignorieren

Es riecht nach Schwefel, nach etwas Teuflischem, nach üblen Absichten. Das weiss der liberale Gutmensch schon vorher und wendet sich mit Grausen ab, boykottiert, kann sich in einer solchen Umgebung nicht vorstellen, ist enttäuscht, erschüttert, kündigt das Abo, schreibt und zeichnet nicht mehr, so wie weiland beim Verkauf der BaZ.

Auch wenn der «Nebelspalter» wohl kaum ein «Le Canard enchainé» oder ein «Private Eye» werden kann: durchlüften und mit genügend Finanzen Schub geben, wunderbar. Ausbau statt Abbruch, wunderbar. Versuch, Irrtum, neuer Versuch. Wunderbar. Kein Gejammer, sondern Geklotze. Wunderbar.

Vielleicht haben ja ein paar linke Reiche noch Geld und Lust, ein weiteres Mal Millionen zu verrösten, indem sie ein aufrechtes, aber zum Scheitern verurteiltes linkes Experiment finanzieren. Den «Sommspalter», den «Hummibrummi», den «Frey-Anzeiger». Oder: Die «Republik», neu auch mit witzig.