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Ach, Vik!

Ein ganz Grosser hört auf.

«Gerichtsreporter sollen über das, was vor, am und nach dem Prozess passiert, berichten. Damit die Leserinnen und Leser wissen, dass es Gerechtigkeit gibt. Gerechtigkeit für die Opfer – denn die Täter bekommen meistens ihre verdiente Strafe. Aber auch Gerechtigkeit für die Täter, denen an einem Prozess gezeigt wird, dass es in einem Rechtsstaat Konsequenzen gibt, davor aber ein fairer Prozess stattfindet.»

Da ist alles drin, was Viktor (Vik) Dammann ausmacht. Als Mensch und als Gerichtsreporter. Er spricht und schreibt unprätentiös, weil er es nicht nötig hat. Er ist gegen alle Versuchungen gefeit, weil er sein Handwerk wie kein Zweiter beherrscht. Er hat – trotz seiner souveränen Schreibe der überlegenen Distanz – nie das Wichtigste verloren, was einen guten Gerichtsberichterstatter ausmacht: Empathie.

Er wusste immer, wo sein Platz ist. Nicht hinter dem Richterpult mit billigen Verurteilungen. Sondern im Publikum. Er wollte immer das, was auch den wohl grössten Gerichtsreporter des 20. Jahrhunderts ausmachte. Wie Gerhard Mauz wollte Vik sich selbst und seine Leser tief in die Abgründe von Verbrechen hineinführen. Er wollte verstehen, verständlich machen, erklären. Ohne die Taten zu billigen, aber auch ohne billige Urteile abzugeben.

Wenn die Lobesworte fehlen, spricht man schnell von einer Legende. Das war Vik nie, dazu wurde er nie. Denn es ging ihm nie um sich, sondern um die Sache. Mehr als 1000 Prozesse hat er in den 40 Jahren seiner Karriere verfolgt. Die sind nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, aber er hatte immer genügend Distanz, dass er weder am Guten im Menschen verzweifelte, noch den Leser mit tiefschürfenden Gedanken über das Böse belästigte.

Vik als Reporter war in erster Linie eines: ungeheuer fleissig und hartnäckig. Er gab sich nie mit der Oberfläche oder dem Schein zufrieden, er fragte nach, hakte nach, ging Spuren nach, arbeitete Widersprüche heraus, hatte ein detektivisches Gespür, wie es Polizei und Staatsanwaltschaft gut angestanden wäre.

Dann hat Vik noch eine weitere Eigenschaft, die ihn unersetzlich macht: er ist ein anständiger Mensch. Vertraulich hiess für ihn immer vertraulich, nie hat er eine Quelle missbraucht, nie hat er um der Sensation willen etwas verwendet, was er nicht verantworten konnte. So kamen im Lauf der Zeit zu seinen vielen, vielen Artikeln auch viel Ungesagtes, Nicht-Publiziertes hinzu. Auch die Strafverfolgungsbehörden wussten, dass man Vik vertrauen kann, dass er zwar wie ein Trüffelschwein (verzeih den Vergleich) der Story nachschnüffelt, aber niemals unlautere Methoden dabei verwendet.

Das führte einmal immerhin bis nach Strassburg, als das Schweizer Bundesgericht ihn verurteilt hatte, er habe sich der Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung schuldig gemacht, weil er sich bei der Staatsanwaltschaft nach den Vorstrafen eines Täters erkundigt hatte – und Auskunft erhielt. Aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab Vik recht – das Bundesgericht revidierte sein Urteil.

Gerichtsberichterstattung muss neben allem anderen exakt, genau und juristisch unangreifbar sein. Dafür muss der Berichterstatter im Recht und in seiner Anwendung sattelfest sein. Bei Vik könnte mancher Anwalt, mancher Kriminalist, mancher Staatsanwalt noch was lernen.

Eigentlich hätte er schon längst in Pension gehen können. Aber es war nie sein Beruf, es war immer seine Berufung, deshalb hat er bis 73 weitergemacht. Nicht zuletzt wegen einer schweren Erkrankung hört er nun auf. Der «Blick» wird noch leerer ohne ihn. Er wird keinen Nachfolger finden.

Nicht nur, weil der «Blick» nicht mehr ist, wie er sein sollte. Sondern in erster Linie, weil Vik halt Vik ist. Einmalig, unverwechselbar, unersetzlich. Wer sich für sein Wirken interessiert, «Das Böse im Blick», 14 Kriminalgeschichten aus seiner langen Karriere, ist im Orell Füssli Verlag erschienen. Es ist ein weiteres Armutszeugnis für diesen Verlag, dass es zurzeit vergriffen ist und antiquarisch besorgt werden muss.

Nun wird es – aller Wahrscheinlichkeit nach – keine neuen Gerichtsreportagen von Vik mehr geben. Schon 2016, viel zu früh, verstarb Attila Szenogrady, der rasende Gerichtsreporter mit Hut, der unablässig und ameisenfleissig und tadellos eine Reportage nach der anderen ablieferte.

Nun bleiben noch Thomas Hasler von Tamedia und Tom Felber von der NZZ. Aufrechte Kämpfer, aber sie werden wohl nie aus dem grossen Schatten heraustreten können, den Vik wirft.

Alles Liebe und Gute auf Deinem weiteren Weg, viel Kraft und dass Du das Leben noch so lange wie möglich und in kräftigen Zügen geniessen magst, mein Lieber. Denn Du hast Dich nicht versauern und verbittern lassen, sondern die Liebe für die schönen Seiten des Lebens bewahrt, obwohl Du so viel Schreckliches gesehen hast.

Du bist ein feiner, anständiger, kompetenter Mensch, damit gehörst Du im Journalismus leider einer aussterbenden Rasse an.

Tschanuns Auferstehung

Es gibt wenige Bluttaten, die so in Erinnerung bleiben wie der Amoklauf von Günther Tschanun.

Es geschah am helllichten Tag und am 16. April 1986. Als wären wir in den USA, lief Günther Tschanun durch das Zürcher Amtshaus IV und erschoss gezielt vier seiner Mitarbeiter. Einen fünften verletzte er schwer.

Nach kurzer Flucht wurde er verhaftet und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen guter Führung kam er im Jahr 2000 frei. Spätestens hier verlor sich seine Spur, bis die Journalistin Michèle Binswanger sich Einsicht in die Fallakten erzwang. In einer grossen Story zeichnete sie das Leben, die Bluttat, den Gefängnisaufenthalt und schliesslich das Leben unter Pseudonym im Tessin nach. Im Februar 2015 beendete ein Velounfall Tschanuns Leben. 

Natürlich beschäftigt alle bis heute, wie es zu einer solchen Bluttat kommen konnte. Die in der Schweiz eher singulär dasteht. Vergleichbar: Im Juli 2004 verletzte ein Kadermitglied der ZKB in der Filiale Enge durch Schüsse zwei Vorgesetzte so schwer, dass sie anschliessend im Spital verstarben, Dann richtete er sich selbst.

Es war ebenfalls – wie im Fall Tschanun – mehr eine Abrechnung als eine Amoktat. Denn in einer Sitzung, in der auch andere anwesend waren, zückte der Finanzberater plötzlich eine Pistole und schoss zwei Vorgesetzten in den Kopf. Daraufhin flüchtete er in sein Büro einen Stock höher und erschoss sich selbst.

2018 macht der Amoklauf eines offensichtlich geistig Verwirrten Schlagzeilen, der zuerst einen ehemaligen Freund mit einem Messer grausam ermordet und danach in einer Moschee drei dort betende Menschen schwer verletzt hatte. Schliesslich richtet auch er sich selbst.

Der fundamentalistische Terror übertrifft alles Vorherige

Der Amoklauf im Zuger Parlament, bei dem 14 Menschen erschossen werden und 10 weitere verletzt: Das war der grösste Blutzoll durch einen Einzeltäter bis heute. Auch hier richtet sich der Mörder anschliessend selbst. Glücklicherweise ist die Schweiz vom Ausmass und der hohen Frequenz solcher Amokläufe, wie sie in den USA üblich ist, bislang verschont geblieben.

Durch den islamistischen Terrorismus sind solche Blutbäder leider in Europa keine Seltenheit mehr. Aber Tschanun war nicht geistesgestört, kein fanatischer Terrorist. Er war offensichtlich von seiner Tätigkeit überfordert, damals kannte man den Begriff Burn-out noch nicht. Ebenso wenig die Symptome, die auf ein mögliches Ausrasten hinweisen könnten.

Damit ist Binswanger ein Primeur gelungen, rechtzeitig zum Jahrestag der Bluttat, der im Journalismus weiterhin eine grosse Bedeutung geniesst. Besonders bitter ist das für die Angehörigen der Todesopfer, die dadurch diese Schreckenszeit nochmal durchleben.

Aber richtig bitter ist es auch für den «Blick». Sein unermüdlicher Gerichtsreporter Viktor Dammann war schon damals dabei und darf auf «Blick tv» seine Artikel über den Prozess in die Kamera halten. «17 Jahre! Aber Tschanun blieb eiskalt», lautete einer seiner Titel. Das waren noch richtig schöne Boulevard-Zeiten. Und nun das. Man konzentrierte sich auf Pipifax wie ein neues, verunglücktes Logo, währenddessen zog Tamedia am «Blick» vorbei, und zwar vom Gröberen.

Der dienstälteste Profi und Gerichtsreporter Viktor Dammann.

Das konnte «Blick», mit oder ohne Regenrohr im Logo, nicht auf sich sitzen lassen. Also ballerte er gleich einen Strauss von Artikeln raus. «So gut lebte Tschanun», «so erhielt der Vierfachmörder eine neue Identität», «so starb der Vierfachmörder», dann ging «Blick» das «So» aus: «Hier ruht Vierfachmörder Günther Tschanun».

So lange Schlagzeilen wären damals undenkbar gewesen, im Bereich der grossen Buchstaben. Aber das alles nennt man im gepflegten Boulevard-Journalismus «Rehash». Also Bekanntes neu gewürzt, leicht ergänzt, gut gemixt – und nochmal serviert. Aber wo bleibt das Neue, wo bleibt die Story, zu der man mal wieder «Exklusiv» schreiben kann, sich auf die Schulter klopfen?

Endlich ein Durchbruch; Donghi kann sagen: ich bin dabei

Da kann es heute beim «Blick» nur einen geben: Ralph Donghi. Eine der letzten richtigen Boulevardgurgeln, hier im Duett mit Daniel Riedel. Der machte sich auf die Suche, schnüffelte und schüttelte und kam endlich mit der Story nach Hause. Er konnte mit dem Sohn der damaligen Freundin von Tschanun sprechen.

Donghi kann sein Glück kaum fassen. «Geliebte verriet Vierfachmörder bei der Polizei», «sie waren schon vor der Tat ein Paar», «Sohn von Clara F. packt aus». Allgemeines Aufatmen beim «Blick» . Auch beim Oberchef Christian Dorer, der gerade von seinem Reisli mit Aussenminsiter Cassis zurück ist. Nach seinen Schulaufsätzen darüber – furchtbar heiss hier – wunderte sich Dorer sicher über die Schweizer Temperaturen.

Aber nach dieser Story wurde ihm wieder warm ums Herz. Ganze 11 (!) Storys ballerte das schreibende Regenrohr in den letzten zwei Tagen insgesamt raus. Und was sagt der Dritte im Bunde, im Tageszeitungs-Duopol der Multi-Kopfblätter? Nicht viel sagt CH Media. Nur Oberchefredaktor Patrik Müller setzte zu einer Kollegenschelte in Richtung Christoph Mörgeli an: «Mörder Günther Tschanun war SP-Mitglied – spielt das eine Rolle?» Wie Mörgeli da sagen würde: «Die Frage stellen, heisst sie beantworten.»

Bleibt nur noch die Frage, ob das Thema damit ausgewrungen ist – oder ob irgend eine verborgene Stelle in Tschanuns Leben Anlass zu weiteren Nachzügen gibt. Oder ob die Mitbetroffenen wieder Ruhe haben.