Die haben einen Knall
Die Kreml-Astrologie lebt.
Für jüngere Leser: so nannte man das Werk von sogenannten Beobachtern oder Analysten zu Zeiten des Kalten Kriegs. Die waren in der Lage, die Kremlmauern zu durchblicken und eloquent Auskunft über die geheimen Entwicklungen im Politbüro zu geben, als wären sie unter dem Tisch dabeigewesen. Besonders beliebt war, dass jede Abwesenheit eines hohen Funktionärs in der Öffentlichkeit für mehr als eine Woche sofort gedeutet wurde: krank, abgesetzt, tot? Tauchte er wieder auf, dann war das halt nix, und auf ein Neues.
In dieser Tradition sehen sich nun Ivan Ruslyannikov und Fabian Hock von CH Media. Ruslyannikov ist eine Mehrzweckwaffe, er schreibt für «Kommersant», «MBK Media», für «Forbes» und «Nowaja Gaseta», die «Welt», CH Media, den «Spiegel» oder die «Republik». Hock ist Ressortleiter Ausland bei CH Media und somit für die ganze Welt und natürlich für den Kreml zuständig. Selbstbeschreibung: «Schreibe gern und meistens lang, über Deutschland, USA, Sicherheitspolitik und Internationales.»
Nun hat es also im Kreml geknallt, allerdings haben das nur diese beiden gehört. Im Titel noch «Knall» und «gefeuert», im Text schrumpft das dann auf «entlassen», was die Sache wohl eher trifft. Ausserdem ist Sergej Schoigu nicht etwa in Ungnade gefallen, sondern übernimmt den wichtigen Posten des Sekretärs des Sicherheitsrates. Der Knall ist sowieso nur dem Stabreim geschuldet, hiesse das Machtzentrum Reml, dann hätte es dort rums gemacht.
Aber nun zur Kreml-Astrologie. «Was steckt hinter dem Schritt?» Ja, waseliwas? Da der Neue ein Zivilist ist, sei der russische Präsident mit der militärischen Leistung durchaus zufrieden. «Putin scheint aber mehr daran interessiert zu sein, wer wie viel Geld aus dem Verteidigungsministerium geklaut hat.» Ob Putin das schon weiss?
«Wer ist der Neue im Verteidigungsministerium?» Da wird’s dann wirklich dünn: «Beloussow steht seit 2022 auf der Sanktionsliste der EU und der USA. Die staatliche Propaganda veröffentlicht bereits begeisterte Artikel über Beloussows Aussehen, das dem des russischen Feldherrn Alexander Suworow ähneln soll, der 1799 durch die Alpen marschierte.» Das erklärt natürlich manches.
«Warum ist Schoigu bei Putin in Ungnade gefallen?» Das wird’s wassersuppendünn. Schoigu werde nicht fallengelassen, müssen die zwei Kremlkenner einräumen. «Dennoch könnte sich im Kreml Unzufriedenheit mit Schoigu und seinen Kumpanen angestaut haben.» Und dann sind die Kremlstaumauern halt gebrochen.
«Was bedeutet der Schritt für Russlands Krieg in der Ukraine?» Nichts Gutes, natürlich. Was passiert, wenn ein Wirtschaftsmensch Verteidigungsminister wird? Da muss man den analytischen Muskel gewaltig anspannen: «Die russische Wirtschaft wird künftig noch stärker auf das Militär ausgerichtet sein.» Wow. Geht’s noch etwas konkreter? «In seinem neuen Amt wird Beloussow wahrscheinlich die Bedingungen für die Zusammenarbeit zwischen dem Verteidigungsministerium und privaten Militärfirmen überprüfen.» Aber auch nur «wahrscheinlich», denn Genaues weiss man dann doch nicht.
Ist das nun ein Knall im Kreml oder ein Knall in der Zentralredaktion in Aarau? Oder nur ein Furz von Artikel? Früher gab es einen Scherzartikel namens Frauenfurz. Der wurde politisch halb-korrekt umbenannt; der Begriff kann auf den Artikel von zwei Männern (selbst wenn die non-binär sein sollten), nicht angewendet werden. Schade auch.