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«Blick» schielt

Der Serbel-SoBli treibt die Heuchelei auf die Spitze.

Journalismus, vor allem in seiner niedrigsten Ausprägung, zeichnet sich durch eine gute Portion Unverfrorenheit, Chuzpe, das ansatzlose Wechseln von Positionen, grossmäulige Behauptungen und kleingedruckte Korrekturen aus. Zudem fehlt ihm jede Form der Selbstkritik.

Eigentlich wollte ZACKBUM über den Konzernbüttel Reza Rafi kein Wort mehr verlieren, alleine schon aus hygienischen Gründen. Aber dieser Provokation zu widerstehen, wäre übermenschlich:

«Rammstein-Anwalt Christian Schertz rechnet mit den Medien ab», überschreibt Rafi sein Interview. Daraus ergibt sich die besorgte Frage, ob der frischgebackene und von einem Flop zum nächsten eilende SoBli-Chefredaktor an galoppierendem Gedächtnisverlust leidet.

Launig beginnt Rafi seinen Text: «Christian Schertz: Ein Name, der in vielen Redaktionen Bibbern auslöst.» Allerdings. zum Beispiel auf der «Blick»-Redaktion. Dann lässt Rafi den Anwalt doch tatsächlich solche Sachen sagen:

«Wir haben immer wieder Fälle, in denen eine Person einseitig und ohne Belege Vorwürfe erhebt und die Medien das übernehmen. Dann kommt jeweils der Alibi-Satz: Es gilt die Unschuldsvermutung. Ich finde diese Entwicklung, diese Form von Verdachtsberichterstattung, verheerend.»

Genau solche Vorwürfe hat auch der «Blick» kolportiert und ausgeweitet. Auch der SoBli hat an dieser Schmutzkampagne mitgewirkt und ein paar Paparazzi-Fotos vor dem Hotel, in dem die Combo in Bern abstieg, zum «Wahnsinn von Bern» hochgepumpt.

Rafi spricht hier mit dem Anwalt, der gerade den «Blick» dazu gezwungen hatte, einen seiner Schmierenartikel über den Sänger der Band Rammstein zu löschen und eine «umfangreiche, strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben».

Ein Auszug, was da alles von «Blick» und «SonntagsBlick» geschmiert wurde:

«Rammstein: Betroffene berichtet von Row-Zero-Erfahrungen», «Rammstein: Rechtsanwältin zerlegt Statement um Till Lindemann», «Rammstein und die toxische Groupie-Kultur», «Drummer Joe Letz soll die Skandal-Partys organisiert haben», «Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Till Lindemann nach Missbrauchsvorwürfen», «Frauenverachtung, Nazi-Ästhetik und Gewalt als Erfolgsrezept», «Nora Tschirner hilft mutmasslichen Opfern», «Das System Row Zero: Wie Alena M. Groupies für Till Lindemann rekrutiert», «Trennt sich die Band nach Vorwürfen gegen Till Lindemann?»

Eine kleine Auswahl aus 58 Artikeln in den letzten 30 Tagen. Und immer galt und gilt natürlich die Unschuldsvermutung.

Man muss schon über ein sonniges Gemüt verfügen, dass man als Mitverantwortlicher für diese Verdachtsberichterstattung, für dieses Kolportieren unbelegter Anschuldigungen, für das Herauströten von «Staatsanwaltschaft ermittelt» und dem Unterlassen der Mitteilung, dass die Ermittlungen mangels Anfangsverdacht eingestellt wurden, dass man dann einfach den Anwalt von Rammstein interviewt, dem die Stichworte für seine Medienkritik liefert – und so tut, als ginge einen selbst das überhaupt nichts an.

Schertz muss sich hingegen gesagt haben: putzige Kerlchen, diese Schweizer Journalisten. Eigenes Unrechtsbewusstsein null, beeindruckend.

Damit beenden wir nun wirklich und endlich das Thema Reza Rafi. Ausser, dass wir ein neues Mass definieren. Ein Hundertstel-Rafi ist eine Unverfrorenheit sondergleichen. Ein halber Rafi ist schon kaum mehr in Worte zu fassen. Und ein ganzer Rafi, nun ja, das sprengt jede Skala und jedes menschliche Fassungsvermögen.

Auf der anderen Seite, so gerecht ist ZACKBUM, entlassen wir einen Herrn für ein Mal aus der Quarantäne. Um ihn  zu loben. Doch, das ist kein Fake:

Und nein, das ist auch kein vergiftetes Lob des Hausgespensts von Ringier. Statt gegen den «Führer von Herrliberg» zu wüten, säuselt er über die SVP: Sie «muss dabei nicht sympathisch sein. Man muss ihr auch nicht zustimmen. Und ihre Schreihälse, die nach rechts aussen keine Berührungsängste kennen, sind dadurch nicht entschuldigt. Doch nützlich ist sie, diese Partei eines grossen und offensichtlich zunehmenden Volksteils

Meyer geht sogar noch weiter: «Die Wählerinnen und Wähler der SVP wählen falsch, sind also verantwortungslos, nämlich brandgefährliche Zündler. Der Bannfluch über die rechten Populisten läuft auf Wählerbeschimpfung hinaus, und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern im ganzen nachbarlichen Europa, von Melonis Italien über Le Pens Frankreich bis zu Weidels Deutschland. Was aber, wenn etwas dran wäre am unbeirrbaren Beharren der rechten Rechten

Oh Zeichen und Wunder. Gott liess Hirn vom Himmel regnen. Und der eine hatte einen Eimer dabei, der andere nicht mal ein Löffelchen.

Jetzt fahren schon Anwälte Trittbrett

Und finden Dumme, die drüber schreiben.

Dr. Stefanie Schork ist «Fachanwältin für Strafrecht». Im juristischen Fachblatt Linkedin hat sie sich zu Wort gemeldet:

«Wenn es nicht so bitter wäre, würde man über die Presseerklärung der Kollegen für #Rammstein fast lachen müssen. Sie wissen es natürlich besser. Eine Strategie zur Rechtewahrnehmung für #Lindemann kann dahinter nicht stehen. Die wird es auch nicht mehr geben, so wie die Dinge liegen. Dem Mann ist presserechtlich nicht mehr zu helfen.»

Starke Worte, damit kommt man in die Medien, wenn es ein aufmerksamer Journalist liest. Schork behauptet munter: «Die öffentlich gewordenen Schilderungen sind so deutlich geeignet, einen hinreichenden Mindestbestand an Tatsachen zu begründen, dass sich niemand daran gehindert sehen muss, über die Vorwürfe zu berichten.»

Schork erreichte schon eine gewisse mediale Berühmtheit als Vertreterin des Mannes, der das sogenannte Ibiza-Video erstellt und verbreitet haben soll. Damit wurde der damalige österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache zum Rücktritt gezwungen, der sich angetrunken um Kopf und Kragen geredet hatte.

Schorks Kanzlei vermeldet unter Aktuelles: «Das LG Berlin hat gegen zwei Presseverlage einstweilige Verfügungen wegen der Verbreitung von anonymen Anschuldigungen zum Nachteil der Band sowie ihres Sängers Monchi erlassen.» Hier handelt es sich um «Feine Sahne Fischfilet», eine radikale Punkband mit Hang zur Gewaltverherrlichung. Ihrem Sänger waren anonym sexuelle Übergriffe vorgeworfen worden. Da geht das natürlich nicht.

Aber bei Rammstein dann doch, so ist halt die juristische Logik. Kann man so oder so sehen. Der Schweizer «Blick» hat diese Meldung über die Behauptungen von Schork im «Focus» gesehen. Das schreiben dann die beiden Mitarbeiter fmü/bang brühwarm ab, natürlich ohne Quellenangabe.

Aber mit «Blick»-typischer Zuspitzung: «Rechtsanwältin zerlegt Rammstein-Statement». Immerhin einer der bekanntesten Medienanwälte Deutschland hatte hier alle Anschuldigungen als «ausnahmslos unwahr» zurückgewiesen und rechtliche Schritte gegen alle angekündigt, die solche Behauptungen aufstellen oder verbreiten.

Da möchte «Blick» auch gerne dabei sein, und Rechtsanwältin Schork hat offenbar Entzugserscheinungen bezüglich medialer Aufmerksamkeit. Alles ein Beitrag zum modernen Pressesumpf, in dem täglich das Niveau niedriger gelegt wird.

Auch der «Spiegel» mischt kräftig mit. Früher war eine Titelgeschichte noch ein Ereignis und eine Auszeichnung. Aber heute:

In der «Hausmitteilung» vermeldet der «Spiegel» sensibel: «Viele der weiblichen Fans, mit denen sie gesprochen hat, hätten sich inzwischen von der Band abgewandt: »Einige bekommen jetzt schon von der Musik Panikattacken.«»

Dann verschwendet das ehemalige Nachrichtenmagazin acht bunt bebilderte Seiten auf diese Story, die sich sicherlich in  der «Bunten» gut machen würde. Ganze 13 «Spiegel»-Mannen und -Frauen haben sich ins Zeug gelegt, auf knapp 40’000 Anschlägen wiederzukäuen, was schon länger kursiert. Auch hier arbeitet das Blatt mit Andeutungen und Vergleichen, die ihm schon beim Roshani-Skandal kräftig Ärger einbrockten:

Indem der verurteilte Sexualstraftäter Harvey Weinstein und der Schock-Rocker Manson, gegen den ein Verfahren läuft, in den Text gestreut werden, insinuiert der «Spiegel», dass es sich bei Till Lindemann doch wohl um einen vergleichbaren Fall handelt könnte – obwohl bislang keine einzige Klage eingereicht, keine Strafanzeige gestellt wurde.

Auch sonst arbeitet der «Spiegel» mit viel Konjunktiven, Andeutungen, zitiert ja bloss. Um zum drakonischen Urteil zu gelangen:

«Die Rockmusik hat jetzt also ihren #MeToo-Skandal.»

Um dann richtig hinterfotzig zu werden: «Und genau wie im Fall Weinstein geht es um mehr als nur um einen einzigen mächtigen Mann.»

Was hat denn das Riesenteam vom «Spiegel» ausgegraben? «Der SPIEGEL hat mit rund zwei Dutzend Personen gesprochen, einige aus dem engeren Arbeitsumfeld von Rammstein. Darunter sind viele Frauen, die von ihren eigenen Erfahrungen mit der Band und vor allem mit Till Lindemann berichten. Manche davon haben ihre Geschichte bereits anderen deutschen Medien erzählt.»

Dann geht der übliche Sound los: «Da ist zum Beispiel Zoe, ihr Name lautet eigentlich anders. … Oder es gibt Anna, eine junge Frau aus Wien, ebenfalls ein großer Rammstein-Fan (ihr echter Name ist der Redaktion bekannt)

Oder solche Stückchen: «Makeeva (bei Rammstein für die Row Zero zuständig, Red.) sei bei Manson für die Rekrutierung junger Frauen zuständig gewesen. Auch gegen Manson haben einige Frauen Anschuldigungen erhoben, sie reichen von psychischer Gewalt und Freiheitsberaubung bis zu Vergewaltigung und Folter. Manson bestreitet die Vorwürfe und hat kürzlich einen Prozess gewonnen.»

Und was liegt eigentlich an Verwertbarem auf dem Tisch, gab es Vergewaltigungen, strafbare Übergriffe? Da gibt es nur Gedöns: «Wird Till Lindemann angeklagt werden? Einige der Vorwürfe wiegen schwer. Mittlerweile beschäftigt sich die Polizei in Litauen mit Shelby Lynns Schilderungen.»

Was der «Spiegel» nicht schreibt: laut «Bild» sind die Ermittlungen eingestellt worden. Es wird interessant sein, welche Auslegung die «Verdachtsberichterstattung» bei den sicherlich folgenden Auseinandersetzungen vor Gericht erfahren wird.

Dass Lindemann zweifellos mit seinem brachialen Pathos und martialischen Texten sowie Auftritten und einer sexuellen Obsession nicht gerade ein Sympathieträger ist, ist das eine. Ob er sich sexuelle Übergriffe zuschulden kommen liess, wäre das andere. Das noch Zu-Beweisende – Behauptungen reichen nicht.

Kleiner Tipp: Wer wie der NZZ-Redaktor Ueli Bernays titelt «Der Künstler als Täter», hat ganz schlechte Karten bei einem allfälligen Prozess …