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Alles eine Frage der Moral

Wohin Sittenverluderung führen kann.

Von Israel lernen, heisst Doppelmoral und Heuchelei lernen. Nicht irgendwer, sondern Israels Finanzminister Bezalel Smotrich sagte in einer Rede, es sei «gerecht und moralisch», die zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens auszuhungern, bis die israelischen Geiseln zurückgekehrt sein. Aber, fügte er bedauernd hinzu, «die Welt würde das nicht zulassen».

Das vollständige Zitat:

«In der heutigen globalen Realität ist es unmöglich, Krieg zu führen – niemand auf der Welt würde zulassen, dass wir zwei Millionen Bürger verhungern und verdursten lassen, auch wenn es gerecht und moralisch wäre, bis sie unsere Geiseln zurückgeben.»

Laut unabhängigen Beobachtern behindert Israel schon lange Nahrungsmittellieferungen in den Gazastreifen, die Regierung bestreitet das.

Wie moralisch verkommen muss ein Mensch sein, der so etwas sagt? Wie verludert müssen die Sitten in einer Regierung sein, dass ein Minister so etwas sagen darf?

Schnell kommen nun die Relativierer und Whatboutism-Künstler aus ihren Löchern und weisen auf das Massaker vom 7. Oktober hin. Auf das erklärte Ziel des Iran, der Hamas und der Hezbollah, sowie weiterer arabischer Staaten, Israel von der Landkarte zu tilgen. Auf die unzähligen Selbstmordattentate und Terrorakte, die diese fundamentalistischen Wahnsinnigen zu verantworten haben. Auf deren völlig fehlende Bereitschaft, zu einer Verhandlungslösung zu kommen.

Das ist alles richtig.

Aber: Moral ist nichts Relatives. Sondern absolut. Das ist ihr konstituierendes Merkmal, von Immanuel Kant unnachahmlich und gültig hergeleitet. Bei Moral gibt es kein «ja, aber». Kein «im Prinzip schon, aber in diesem Ausnahmefall nicht». Und erst recht kein «die auch, also dürfen wir ebenfalls».

Wer mit der moralischen Überlegenheit des Guten den Kampf gegen das Böse führen will, muss das legitimieren können.

Also muss er sich an das halten, was Kant bislang unübertroffen definiert hat:

«Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.»

Nun kommen die Relativierer aus den Löchern und sagen: Wenn man sich menschenverachtenden, keinerlei moralische Prinzipien befolgenden fundamentalistischen Wahnsinnigen gegenüber so verhält, dann kann man auch gleich Selbstmord begehen.

Das ist völlig falsch. Ein Mensch (oder ein Gemeinwesen), das sich nicht an diesen kategorischen Imperativ hält, ist innerlich verfault, morsch, wird früher oder später untergehen. So war es schon immer in der Geschichte.

Schon kommen die persönlich Betroffenen aus den Löchern und sagen: wenn dein Allerliebstes Opfer einer brutalen und grausamen Gewalttat geworden wäre, dann würdest du auch nicht für Milde für den Täter, verstehen, rechtliche Prinzipien und Resozialisierung plädieren.

Aber genau aus diesem Grund wurde die Blutrache, das Faustrecht und die Lynchjustiz abgeschafft. Weil der einzelne Betroffene verständlicherweise oftmals nicht in der Lage ist, sich an moralische Prinzipien zu halten. Genau dafür gibt es all das, was Amokläufer wie Markus Somm ablehnen: Regelwerke, Kontrollinstanzen, Recht. Statt ruchlose Barbarei.

Das hat sogar die Bibel ziemlich gültig formuliert, obwohl sie nur für Gläubige Letztbegründungen liefert:

«Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele

Wer sich nicht daran hält, ist keinen Deut besser – zumindest nicht moralisch überlegen – als ein Hamas-Wahnsinniger. Beginnt Relativierung, dann kommt es nur noch auf den Blickwinkel an. Die Iraner, die Hamas, die Hetzbolla halten ihr Vorgehen für gerechtfertigt, moralisch vertretbar, gesegnet durch den Islam.

Früher hielten auch Christen während den Kreuzzügen ihre Blutsäuferei und ihr hemmungsloses Abschlachten und Waten im Blut bei der Eroberung des heiligen Jerusalem für moralisch völlig einwandfrei, weil mit dem Segen der Kirche versehen. «Deus lo vult» ist die christliche Version von «im Namen Allahs». Mit beiden amoralischen Sätzen entäussert sich der Einzelne seiner moralischen Verantwortung und verlagert sie nach oben.

Auf einigen wenigen Inseln der Vernunft und der Moral sind wir aus solchen barbarischen Vorstellungen und Rechtfertigungen herausgewachsen.

Jede Konfrontation mit brutalen Barbaren ist eine neue Herausforderung. Hier zeigt sich, welche amoralischen Charakterlumpen bereit sind, die Prinzipien unserer Zivilisation, die einzige gültige Begründung für unsere moralische Überlegenheit und unser Recht, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, über Bord zu werfen.

Diese Amokläufer unterscheiden sich im Kern in nichts von islamistischen oder fundamentalistischen Wahnsinnigen. Sie sind genauso verächtlich und müssen immer wieder scharf kritisiert werden. Eigentlich sind sie noch schlimmer. Denn im Gegensatz zu Fundamentalisten hatten sie die Möglichkeit, sich mit den Grundzügen und den Gesetzen einer höheren Moral vertraut zu machen. Aber sie sind offensichtlich nicht charakterlich gefestigt genug, um sich daran zu halten.

Für unsere Zivilisation, die wir verteidigen müssen, sind sie mindestens so gefährlich wie die Taliban. Sie sind geistige Selbstmordattentäter. Bereit heute das, morgen dies zu verteidigen und anzupreisen. Sie frohlocken «vom Sozialismus lernen, heisst siegen lernen». Sie behaupten «von der Sowjetunion lernen, heisst siegen lernen.» Dann grölen sie: «Von Israel lernen, heisst siegen lernen.» Morgen schon jubeln sie: «Von China lernen, heisst siegen lernen.» Das kommt eben davon, wenn man ungefestigt ist, seinen moralischen Kompass verloren hat, heute verrät, was man gestern noch als moralisch gut angehimmelt hat.

Es gibt nichts Verächtlicheres.

Altes neu angemalt beim «Spiegel»

Gedruckt war gedruckt. Einzige Möglichkeit der Veränderung: wegschmeissen. Viel einfacher ist’s im Internet.

Jedes Mal, wenn einem aufmerksamen Leser ein Fehler auffällt, schreibt der «Spiegel» brav am Schluss des Artikels, dass zunächst Albert Hitler dort gestanden sei, das nun aber durch Adolf Hitler ersetzt wurde.

Das ist korrekt, deshalb machen wir das auch. Denn ausser fleissigen Herstellern von Screenshots kann eigentlich keiner beweisen, dass beispielsweise Titel und Lead eines Artikels völlig verändert wurden. Die wenigen Internet-Archivplattformen helfen da auch nicht wirklich weiter.

Also wäre es wohl ebenfalls korrekt, wenn nicht nur falsche Angaben, Schreibungen oder Zuordnungen im Text korrigiert und diese Korrektur auch ausgewiesen würde. Noch viel mehr Bedeutung hätte das bei den zum Einstieg wichtigsten Elementen.

Wo ist denn der nur der Artikel hin?

So lautete beispielsweise der Titel eines Gastkommentars im «Spiegel»: «Amerikas Demokratie kann immer noch scheitern». Der ausserhalb von Kiel und dem «Spiegel»-Hauptquartier in Hamburg eher unbekannte, vertretende Professor Torben Lütjen legte noch nach: «Wahrscheinlich war der 6. Januar der Startschuss zu einer Dekade rechtsradikalen Terrors.» Zack.

So stand das jedenfalls am 19. Januar bei «Spiegel online». Auch ich machte keinen Screenshot, und als ich den Link setzen wollte, fand ich den Kommentar plötzlich nicht mehr. Aber die Suche nach «Amerikas Demokratie kann immer noch scheitern» führte mich zu diesem hier:

Gleicher Autor, gleiches Foto, gleiches Datum. Alter Wein, neu verkorkt.

Dem aufmerksamen Leser fällt vielleicht auf: Ganz anderer Titel, ganz anderer Einstieg, gleicher Autor, gleicher Text. Ohne jede Angabe der Veränderung, noch des Grundes. Wie erklärt der «Spiegel» das denn? Ein Fall für die Leiterin Kommunikation, nicht etwa für den verantwortlichen Redaktor.

Eine Erklärung, die es nicht wirklich besser macht

Die Erklärung ist wunderlich: «Es kommt vor, dass Titelzeilen noch einmal verändert werden. In diesem Fall zu dem Zeitpunkt, als der Beitrag von Torben Lütjen aus Gründen der Aktualität zum zweiten Mal auf der Homepage von DER SPIEGEL veröffentlicht wurde.»

Potztausend. Also wurde dieser Unsinn schon nach den Ereignissen am 6. Januar im Kapitol zu Washington veröffentlicht. Als sich herausstellte, dass das doch nicht der Startschuss zu Bürgerkrieg, Gemetzel und marodierenden Horden von Trump-Anhängern war, fand die Redaktion offenbar: Ach, das Stück ist doch auch fast zwei Wochen später noch brauchbar. Bloss Titel und Lead, okay, die passen vielleicht nicht mehr in die Landschaft.

Kein Problem. Neuer Titel, neuer Lead, geht doch wieder, wirkt wie neu. Dass auch beim «Spiegel» solche jämmerlichen Sparmassnahmen ausgebrochen sind, erschütternd.