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USA: Demokratie geht anders

Welche Analyse liefern die Qualitätsmedien zu den USA?

Keine Bange. Ich werde weder mein Befremden über das Verhalten von Donald Trump ausdrücken. Noch meine gedämpften Hoffnungen, was Joe Biden betrifft. Und schon gar nicht in Lobeshymnen über die erste nicht-weisse Vizepräsidentin ausbrechen.

Das haben alle Qualitätsmedien bereits rauf und runter und quer und schräg durchgenudelt. Zu mehr als einer Mischung aus Schadenfreude und leichter Besorgnis, was man von Trump noch alles erwarten kann, zu mehr hat’s nicht gereicht. Nirgends.

Daher ein paar erschütternde Zahlen. Der gesamte Wahlkampf soll nach vorläufigen Schätzungen 14 Milliarden Dollar gekostet haben. Eine schier unvorstellbare Summe. Das brachte immerhin eine Wahlbeteiligung von knapp 67 Prozent. Das heisst andersrum, dass jedem dritten Stimmbürger diese historische Wahl, dieser Kampf zwischen Gut und Böse, schlichtweg an einem gewissen Körperteil vorbeiging.

The winner takes it all

Andererseits ist es wohl so, dass Joe Biden tatsächlich sogar das absolute Mehr der Stimmen geholt hat. Das spielt in den USA aber eigentlich gar nicht so eine grosse Rolle. Denn Hillary Clinton hatte auch mehr Stimmen als Trump vor vier Jahren erhalten. Aber das merkwürdige Wahlmänner-System der USA, wo der Kandidat mit 50,1 Prozent der Stimmen alle Wahlmänner eines Bundesstaat kriegt, sorgt dafür, dass die Stimmenmehrheit nicht entscheidend ist.

Und da gilt «the winner takes it all», versucht Trump nun noch verzweifelt, die Legitimität einzelner Ergebnisse in Frage zu stellen. Er stellt dabei die originelle Theorie auf, dass es legale Stimmen gebe, und nach denen habe er gewonnen, aber auch illegale, und mit denen wollen ihm die Demokraten den sicheren Sieg stehlen.

Zu den Absonderlichkeiten des US-Wahlsystems gehört auch, dass nicht etwa eine oberste Wahlbehörde das Ergebnis verkündet, sondern die grossen TV-Stationen arbeiten fieberhaft an Auswertungen, Hochrechnungen und Kaffeesatzlesereien, um möglichst als Erste den Gewinner der Wahlen zu verkünden.

Merkwürdigkeiten zuhauf

Das führt immer mal wieder zu bedauerlichen Fehlansagen:

Der gewählte Präsident Truman zeigt ein voreilige Schlagzeile.

Diesmal kann Biden allerdings stolz verkünden, dass er mit über 75 Millionen Stimmen so viele Wähler begeistern konnte wie noch kein Präsident vor ihm. Allerdings, mal wieder völlig im Gegensatz zu allen gewichtigen Prognosen der Qualitätsmedien, war es keinesfalls ein Erdrutschsieg, sondern auch Trump vereinte so viele Stimmen auf sich wie nur wenige gewählte Präsidenten.

Im Repräsentantenhaus verloren die Demokraten Sitze, und im Senat sieht es nicht danach aus, dass sie die Mehrheit der Republikaner knacken könnten. Aber abgesehen davon: Die US-Stimmbürger hatten sich zwischen einem offensichtlich nur schon charakterlich nicht für dieses Amt geeigneten Präsidenten und einem bei Amtsantritt 78-jährigen Greis zu entscheiden, dessen Wahlkampfteam sich am meisten davor fürchtete, dass er zu viele seiner berüchtigten Aussetzer hat.

Wahlprogramme? Was ist das?

Wenn die erste Euphorie der Trumpgegner und die Wutausbrüche der Trump-Anhänger verraucht sind, wird sich wieder herausstellen, dass es vielleicht nicht noch schlimmer wird, aber auch nicht viel besser.

Wenn das das Personal ist, das die beiden grossen, traditionellen Parteien der USA für das Amt des mächtigsten Mannes der Welt aufstellen können, dann kann man nur sagen: armes Amerika.

Was Biden genau will, ist eigentlich genauso unerforschlich wie Trumps Pläne. Oder hat jemand irgendein Parteiprogramm, eine Auflistung der wichtigsten Anliegen gesehen oder gelesen? In der Form unterscheiden sich beide sicherlich, aber im Inhalt? Schwer zu sagen, mangels Inhalt.

Das Schlamassel wäre vermeidbar gewesen

Was hingegen die Fähigkeiten der Berater betrifft, muss man sich vor allem bei Biden Sorgen machen. Er hätte diesen ganzen Schlamassel einfach vermeiden können, wenn er wie Obama Florida gewonnen hätte. Das hat er versemmelt, indem er Verhandlungen mit Kuba in Aussicht stellte.

Während Trump genau wusste, was die Exilkubaner hören wollen und  weitere Sanktionen versprach. Resultat: über 70 Prozent der Hispanics in Florida wählten Trump.

Und haben wir schon das mittelalterliche Auszählungssystem erwähnt? Die in wildem Gezerre zwischen Demokraten und Republikanern immer wieder umgeänderten Wahlbezirke, die teilweise wie von einem Irren geschnitzt aussehen? Schon mal von gerrymandering gehört? Zu Ehren des ersten Politikers, der das machte: die Wahlbezirke so umgrenzen, wie es für seine Partei am günstigsten, für die andere am schlechtesten ist. Was solange hält, bis die andere Partei wieder am Gerät ist. Das führt dann zu solch absurden Wahldistrikten:

Kein Witz, sondern US-Wahlbezirke.

Und haben wir erwähnt, dass sich jeder Stimmbürger zuerst in die Wahllisten eintragen muss, was für viele Amis, mangels Ausweis, mangels Kenntnissen, schon mal nicht so einfach ist. Also Demokratie geht irgendwie anders.

 

Wenn ein Chefredaktor die Welt nicht versteht

Oder zumindest die Amis. Da muss Christian Dorer dann ganz streng werden, findet René Zeyer.

Der gleiche Kindskopf, der noch am WEF stolz mit einem vom Präsidenten handsignierten Trump-Cover des «Blicks» wedelte, ist nun richtig böse auf den US-Präsidenten.

Also eigentlich auf die Amis: «Wirklich kaum zu fassen: Die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger der USA will Donald Trump weitere vier Jahre als Präsidenten!» Man spürt förmlich, wie Dorer verzweifelt den Kopf schüttelt.

Die Hälfte! Diesen Trump! Vor vier Jahren lässt Dorer noch mildernde Umstände walten; da war es eine Protestwahl, und man konnte ja nicht ahnen, was dieser Vollpfosten dann alles im Weissen Haus anstellt. Aber inzwischen wisse man das doch, ist Dorer weiter fassungslos.

Dorer wagt einen Blick in den Abgrund

Dieser Präsident ist «ein Lügner», ein Spalter, der seine Bevölkerung zu «Hass und Verachtung aufstachelt, wo er nur kann!» Klima, Abrüstung? Interessiert ihn nicht. Corona? Ein Leugner der Gefahr.

Geht’s noch schlimmer? Doch, Dorer wagt den Blick in den Abgrund. Zu allem zu: «Die Hälfte der US-Bürger will einen Präsidenten, der grobschlächtig auftritt, der seine politischen Gegner zu Verbrechern erklärt und dem Konkurrenten ums Weisse Haus Betrug vorwirft, der mitten am Wahltag die Auszählung stoppen will.»

Das ist nun wirklich nicht zu fassen, aber warum, warum nur tun diese Idioten das? Sicher, weil sie rassistische Waffennarren sind, die an die Überlegenheit der weissen Rasse glauben. Aber gibt es wirklich so viele davon? Nein, erklärt Dorer, notwendigerweise knapp, denn er hat für «Blick»-Verhältnisse schon ziemlich viele Buchstaben verbraucht.

Dorers Hammererkenntnis

Aber immerhin, auf diese Hammererkenntnis, wieso denn so viele Trump wiederwählen, ist noch keiner gekommen: «Und das alles nur deshalb, weil dieser Mann versprochen hat, er mache «Amerika wieder grossartig»».

Meiner Treu, so einfach ist das dann doch, man muss nur den Blick fürs Wesentliche haben. Sich auch von Fassungslosigkeit und strenger Zurechtweisung nicht ablenken lassen. Und mannhaft ertragen, dass Trump zwar huldvoll signiert hat, aber weder er noch sonst ein Ami jemals den «Blick» gelesen hat.

Denn hätten sie das, sie würden sich schämen, in sich gehen, bereuen, niemals nie und nicht diesen Idioten wiederwählen. So ist das manchmal, die Geschichte müsste anders geschrieben werden, wenn man auf den «Blick» gehört hätte. Nur schon auf seinen Chefredaktor.

Was sind eigentlich seine Aufgaben?

Wobei: Wäre es nicht eigentlich die Aufgabe einer Redaktion, zuvorderst vom Chef, sinnvolle Erklärungen für ein Ereignis zu suchen? Ernsthaft der Frage nachzugehen, wieso Trump – im Gegensatz mal wieder zu allen Prognosen – knapp 50 Prozent der Stimmen gemacht hat, wäre das nicht seine Aufgabe? Statt die Trump-Wähler als Hirnamputierte zu beschimpfen, die so eine Schande fürs Amt wiederwählen wollen.

Die allesamt so bescheuert sind, dass sich einer nur ein Käppi auf seine kriminelle Frisur setzen muss, auf dem steht: «Make America great again», und schon hat er Millionen von Stimmen auf sicher. Muss man sich mal vorstellen; ist das bedenklich oder ist das bedenklich?

Wie kam Dorer auf den Chefstuhl?

Auf der anderen Seite: Man möchte auch mal wissen, wieso es Dorer auf den Chefstuhl der «Blick»-Familie geschafft hat. Da er offensichtlich ein intellektueller Kurzstreckenläufer ist, der ungeniert bekannt gibt, dass er vieles auf der Welt schlichtweg nicht kapiert und auch nicht kapieren will – hat er so auch diesen Stuhl erobert? Gibt es vielleicht fotografische Beweise, dass er zu seinem Vorstellungsgespräch mit einem roten Käppi erschien, auf dem stand: «I make «Blick» great again»?

Und deshalb wurde er dann auserkoren? Ist das beängstigend oder ist das beängstigend?

René Zeyer und Beni Frenkel haben sich zeitgleich mit Trump und Dorer auseinander gesetzt. ZACKBUM.ch hat entschieden, beide Texte zu publizieren. Zu wichtig ist das Thema. Ausserdem können wir uns keine Ausfallhonorare leisten, seufz.

Die ungepflegte Langeweile

Was machen die Medien, wenn es nichts zu berichten gibt? Hektisch berichten.

Man muss dem unglaublichen Schlamassel in den USA für eines dankbar sein: Es hat temporär den Einheitschor «Corona, Corona, Corona» aufgebrochen. Allerdings wird der nicht durch Besseres ersetzt.

Auf Amerikanisch nennt man das einen klassischen Stand-off. Einen toten Punkt, ein Unentschieden, einen Stillstand. Früher standen sich so zwei Revolverhelden gegenüber. Regungslos. Wer zuerst mit der Wimper zuckt, zieht als Zweiter und verliert.

Die gleiche Situation herrscht in den USA seit der Schliessung der Wahlurnen. Und das ist schon ein ganzes Weilchen her. Das stürzt die Medien in eine immer grössere Verzweiflung. Was kann man berichten, wenn es nichts zu berichten gibt? Man aber für teures Geld ganze Teams ausgesandt hat, die aus Verzweiflung damit beginnen, jeden zu interviewen, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Trump sorgte mal wieder für Aufregung

Trump wusste, dass er kurzfristig für Aufregung sorgen kann, indem er sich vorzeitig zum Wahlsieger erklärt und fordert, dass man den Quatsch mit dem Stimmenauszählen nun lassen sollte; damit wolle man ihm bloss den sicheren Sieg entreissen.

Das löste dann eine Welle von Interviews mit Rechtsprofessoren aus, die je nach Position des Interviewers die Ankündigung Trumps, juristische Schritte zu unternehmen, als beispielslos, aussichtslos oder als Möglichkeit bezeichneten.

Einige Medien nahmen das zum Anlass, Trump genauso voreilig als schlechten Verlierer zu beschimpfen, der die Gerichte bemühen wolle, um ihnen die Entscheidung über demokratische Wahlen zu überlassen. Ungeheuerlich, unerhört, noch nie dagewesen.

Betrat aber kein Neuland

Etwas gewandtere Google-Rechercheure fanden immerhin heraus, dass Trump damit keineswegs Neuland betritt. Auch beim Duell zwischen Bush Jun. und Al Gore stoppte das Gericht schliesslich die Nachzählung der Nachzählung in Florida und erklärte Bush Jun. zum Sieger, obwohl höchstwahrscheinlich Gore gewonnen hätte, wäre die Nachzählung zu Ende geführt worden.

Aber Gore akzeptierte den Entscheid, was ihn nun möglicherweise von Trump unterscheidet. Das alles hilft aber den Berichterstattern auch nicht weiter. Sie können schliesslich nicht nichts sagen, auch wenn es nichts zum Sagen gibt. Als Pausenzeichen eignet sich vielleicht: «Es ist noch nicht entschieden», aber das ist leider so repetitiv wie «Klage eingereicht».

Der Chefredaktor klopft auf den Tisch

Was tun? Da klopft der Chefredaktor auf den Tisch und fordert: «Wir brauchen Sidelines, neue Perspektiven, andere Ansätze. Vorschläge?»

Allgemeines Geräusper, an die Decke starren, wichtig in den Laptop gucken. «Wir könnten mal wieder was machen, wieso sich die Prognostiker schon wieder verhauen haben.» Der Chefredaktor nickt matt: «Kein Brüller, aber machen.»

«Wir machen «die wichtigsten Fragen und Antworten», Service, Nutzwert.» Der Chefredaktor will nicken, aber es fällt ihm nur der Kopf auf die Brust. «Grauenvoll, aber machen», sagt er mit Grabesstimme.

«Wie wäre es mit einem Erklärstück, wieso doch immerhin fast die Hälfte der Amis Trump wiederwählen?» – «Und», giftet der Chefredaktor zurück, «was soll man da erklären, oberhalb von: weil sie hinterwäldlerische, rassistische Trottel sind?»

Wenn der Chefredaktor aufdreht

Inzwischen in Fahrt gekommen, poltert er weiter: «Und wenn ich nochmal die Headline sehe «Sieg in Griffweite», dann kriege ich einen Blutrausch. Das gilt übrigens auch für alle Titel, die beginnen mit «US-Experte erklärt», okay? Ach, und «Live-Ticker» für zu Tode wiederholte alte News, das schnallen wir uns auch ab. Das gilt übrigens auch für «So steht das Rennen aktuell». So, und bevor nun einer gewonnen hat, will ich auch keine x-te Wiederholung von Kommentaren sehen, wieso das ein fatales Signal sei, wieso das die US-Demokratie schädige, wieso Trump niemals Niederlagen eingestehen könne, und die ewigen Interviews mit Psychiatern, die sich an einer Ferndiagnose versuchen, hängen mir auch zum Hals raus.»

Der Chefredaktor hat geschlossen und sehnt sich nach einer Zigarette. Dürfte er sich eine anstecken, würde man das Knistern des Papiers hören, so totenstill ist es um ihn herum. Ein unterdrückter Rülsper schwebt durch den Raum, da hat mal wieder einer gestern zu tief ins Glas geschaut.

Schliesslich meldet sich notgedrungen der tagesverantwortliche Blattmacher: «Wenn das alles ein No-go ist, womit sollen wir dann bitte schön die morgige Ausgabe füllen? Und was stellen wir bis dorthin online?»

Es gibt doch noch so viele andere Themen

Der Chefredaktor bekommt seinen gefürchteten Blick; wenn man nicht alles selber macht … Er seufzt tief auf: «Ja Herrgottsack, es gibt doch noch so viele anderen Themen auf der Welt. Interviewt doch mal wieder Angehörige eines Corona-Toten. Oder einer einsamen Oma im Altersheim. Oder fragt den Fachmann, ob ein Mundschutz schädliche Auswirkungen auf Primarschüler hat.»

Inzwischen hat er seine Betriebstemperatur wieder erreicht: «Und wie ist es eigentlich beim Skifahren? Mit oder ohne? Beim Geschlechtsverkehr? Wie kann man sein Haustier schützen? Was darf man unter dem Weihnachtsbaum machen, und wie viele? Gibt es immer noch Maskenverweigerer? Ach, und Ihr Schnarchsäcke von der Bildredaktion: Fotogalerien. Welche Masken tragen Promis? Politiker? Unsere Cervelat-Prominenz? Wieso quatschen die SRF-Korrespondenten zum Teil mit Maske, zum Teil ohne? Gibt es da Regeln, Vorschriften, was sagt Wappler?»

Jetzt brauche ich dringend eine Zigarette, denkt der Chefredaktor und steht auf: «Helm auf. Nicht labern, sondern liefern. Ich will Lösungen, keine Probleme. Nächste Konferenz wie immer um 17 Uhr. Ich bin dann abwesend.»

Ist «Das Magazin» bescheuert?

Eine Nonsense-Frage wie: «Ist Trump ein Faschist?»

Man darf doch nach vier Jahren den gleichen Fehler nochmal machen, muss sich die Schrumpf-Redaktion des Schrumpf-Magazins gedacht haben. Also verwendet sie rund 25’000 Anschläge auf genau diese Frage. Nein, nicht auf die erste, die ist schon beantwortet.

Dafür bringt es eine sogenannte Reportage von Jan Christoph Wiechmann. Der war bis vor Kurzem Lateinamerika-Korrespondent des «stern» mit Wohnsitz Rio de Janeiro. Seit 2020 wieder US-Korrespondent in New York.

Wer einen Artikel kennt, kennt alle

Dieser kurze biographische Ausflug ist nötig, denn Wiechmann schreibt auch immer wieder über ein Thema, in dem ich mich etwas auskenne: Kuba. Wer den Titel seines letzten Werks kennt, kennt eigentlich den Inhalt aller Artikel: «Kuba kafkaesk». Das ist, so wie seine Reportage über Exilkubaner «Miami nice», schon ab dem Titel rezykliert; Erkenntnisgewinn für den Leser: nahe null. Und wer in einem langen Stück über Kuba nur zwei spanische Begriffe verwendet, offenbar nicht weiss, dass «estornudo» hatschi heisst und die selbständigen Kubaner arbeiten auf cuenta propia, nicht auf «propia cuenta», der lässt die Vermutung aufkommen, dass er mit einem Übersetzer unterwegs war. Wenn überhaupt.

Aber zurück zum Thema. Das Thema ist: Vor vier Jahren war für alle US-Kenner, Fachleute, Spezialisten, Analysten, Korrespondenten und Zukunftsdeuter eines klar: Trump wird nie Präsident. Ausgeschlossen. Unmöglich. Undenkbar. Wir können jetzt schon der ersten Präsidentin gratulieren. Diese krachende Fehlanalyse hielt sich sogar bis in die späte Wahlnacht, als zum Beispiel im Schweizer Farbfernsehen immer noch verzweifelt nach Möglichkeiten gesucht wurde, wieso Trump vielleicht doch nicht gewählt wurde.

Daran schloss sich betretenes Schweigen an, dann markige Worte, dass man vielleicht doch mal den Elfenbeinturm in der eigenen Gesinnungsblase verlassen müsse und den Leuten wieder besser zuhören, auch ausserhalb des intellektuellen Klüngels.

Grotesk gescheiterte Expeditionen in die Wirklichkeit

Das führte dann zu teilweise grotesk gescheiterten Expeditionen in die Wirklichkeit, so wie beim Fälscher Claas Relotius. Oder beim mit Fehlern und Vorurteilen gespickten Reportageversuch zum Start der «Republik». Viel weiter ist man allerdings beim Versuch zu verstehen, wieso die Amis so bescheuert sind, einen so bescheuerten Präsidenten zu wählen, auch nicht gekommen.

Nun steht seine Wiederwahl an, und wie in der unsterblichen Neujahrsklamotte «Dinner for One» heisst’s: gleiches Vorgehen wie jedes Mal. Mit einer kleinen Akzentverschiebung. Man möchte die peinliche Blamage nicht wiederholen, deshalb wird als denkbar angenommen, dass Trump tatsächlich die Wiederwahl schaffen könnte.

Nein, es wird nicht als denkbar angenommen, es wird befürchtet. Und schon wieder fragt man, also genauer fragt sich der Hamburger Journalist Wiechmann in New York, wie schlimm es denn werden könnte. Denn zu seinem Erstaunen ist Trump immer noch im Amt, dabei hatte Wiechmann doch schon 2018 per Ferndiagnose «eines der bekanntesten Psychiater der USA» festgehalten, dass Trump zwar nicht krank sei, «aber er hat psychische Störungen der gefährlichsten und destruktivsten Art».

Fehldiagnosen, Fehldiagnosen, Fehldiagnosen

Ja furchtbar, und was schloss der Psychiater daraus: «Ich glaube nicht, dass er das Ende der ersten Legislaturperiode erreicht.» Wir haben also in Wiechmann einen Reporter, der mit der nötigen Objektivität und ergebnisoffen an die Analyse der nächsten Wahlen herangeht.

Das merkt man schon am Lead: «Ist Trump ein Faschist? Nein, sagt die ehemalige US-Aussenministerin Madeleine Albright.» Das ist schon von einer bodenlosen Demagogie. Deren warnendes Buch von 2018, mit dem Wort «Faschist» nicht inflationär umzugehen und es nicht auf missliebige Politiker zu verwenden, indirekt auf Trump zu münzen, da wäre selbst Trump beeindruckt.

Aber vielleicht stammt der Lead nicht von Wiechmann. Aber der erste Satz: «Kyle Murphy hat sich den impulsiven alten Mann mit dem gefärbten Haar oft genug aus der Nähe angeschaut.» Nach seinem Abgang sorgte Murphy für Schlagzeilen, indem er behauptete, Trump bewundere Putin und den kleinen Dicken in Nordkorea; also zwei gefährliche Autokraten.

Der Beginn einer langen Geisterbahnfahrt

Das ist dann nur die Einleitung für eine wahre Geisterbahnfahrt. Zufälligerweise «alle interviewten Politologen, Juristen und Philosophen» (wir verzichten auf das Idioten-Binnen-I) sind besorgt, beunruhigt. Raunen, warnen, autokratische Tendenzen, faschistische Methoden, Rassismus sowieso. Der Leser kann sich den Spass machen, mal kurz alle negativen Charakteristika zu notieren, die ihm zu einem Politiker einfallen. Er wird alle, und noch mehr, in diesem Artikel wiederfinden.

Die Sabotage der Briefwahl, die Verhinderung der Stimmabgabe, die frühzeitige Erklärung Trumps, dass er die Wahlen gewonnen habe, nichts fehlt. Natürlich auch der nicht: «Milizionäre wie Phil Robinson, 43, drei Kinder, langer Bart, ausgerüstet mit einem Sturmgewehr AR-15, mit Handschellen, einer Pistole und Metallplatten.»

Wo gibt es Hoffnung? In Afrika

Gibt es denn noch Hoffnung in der Verzweiflung? Wenig; der ehemalige Mitarbeiter Murphy, der seine Adresse nicht nennen will, haucht ins Telefon: «Burkina Faso, wo das Volk erfolgreich gegen den früheren autoritären Herrscher protestierte, und Gambia.»

Echt jetzt, die USA sollten von Burkina Faso und Gambia lernen? Wie würde das wohl der berühmte US-Psychiater per Ferndiagnose nennen? Galoppierender Realitätsverlust? Schlimmeres?

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Wie kann einer Faschist sein, der nicht mal weiss, was Faschismus ist? Um zur besseren Frage zu gelangen: Wieso schaufelt sich der Journalismus mit solch stumpfsinnigen Bedienungen von Vorurteilen sein eigenes Grab immer tiefer?

Weiss man, wieso Trump gewählt wird?

Weiss man nach einem solchen Schwachsinn einen Deut besser, wieso vielleicht die US-Stimmbürger Trump nochmals wählen werden? Nein, der Reporter war in einem fiktionalen Trip ins Abseits, ins Nonsense-Land, wo nur sehr, sehr wenig mit der Realität zu tun hat.

Wenn er das immer wieder mit Kuba macht, wo er die ewig gleichen Klischees nochmals durch den Wortwolf dreht, die Insel wird’s überleben. Aber warum müssen Journalisten das Publikum wieder mit einem Horrokabinett schrecken, mit einem Gang durch die alte Jahrmarktsattraktion, wo Zerrspiegel die Besucher erschauern lassen?

Gefilterte Weltsicht wie in Parteizeitungen

Es gibt den schönen Straftatbestand «Schreckung der Bevölkerung». Den erfüllt Wiechmann in seiner Expedition ins Nowhereland vollständig. Das Absurde daran ist: Seine gefilterte Weltsicht unterscheidet sich eigentlich in nichts von der der Parteizeitung «Granma» auf Kuba. Nur sind verschiedene Filter vor die Realität gestellt.

Nichts als die Wahrheit

Wie die Medien Ruf und Ansehen verspielen.

Als die sowjetische «Prawda» noch die grösste Zeitung der Welt war – zumindest die auflagenstärkste –, machte sich die freie Presse des Westens zu Recht darüber lustig, wie in der «Wahrheit» die Realität umgebogen wurde.

Wie in «Neues Deutschland», wie in der «Rudé právo», wie in unzählige Zeitungen der herrschenden kommunistischen Partei gab es eigentlich nur drei Arten von Nachrichten. Sehr gute aus dem sozialistischen Lager, schlechte aus dem kapitalistischen, und ganz schlechte aus den USA.

Diesem Ordnungsprinzip folgen heute im Wesentlichen nur noch «Rodong Sinmun», die «Arbeiterzeitung» von Nordkorea, oder «Granma», benannt nach der Yacht, mit der Fidel Castro in Kuba anlandete, um den erfolgreichen Guerillakampf gegen Diktator Batista zu beginnen.

Revolutionär: Leserbriefe

Selbst die chinesische «Rinmen Ribao» verlässt gelegentlich den Pfad der Tugend und wagt tatsächlich Kritik an Parteifunktionären. Das liegt auch daran, dass in Nordkorea und auf Kuba die Parteizeitungen weiterhin das Monopol der Informationsvermittlung auf Papier innehaben.

Geradezu revolutionär lässt die «Granma» seit einiger Zeit sogar Leserbriefe zu, selbst solche, in denen Kritik an den vielen Defiziten des Systems geäussert werden darf. Geradezu investigativ werden dann die zuständigen Parteibonzen damit konfrontiert, die eilfertig Abhilfe versprechen – oder die US-Handelsblockade als Begründung anführen, wieso es nicht besser ginge.

Hüben und drüben bewegt sich was

Hier bewegt sich also was. In der westlichen Presse allerdings auch. Die überlebenden Parteizeitungen müssen sich höchstens Sorgen um die Papierzuteilung machen; keiner der über 200 Redaktoren der «Granma», die normalerweise als achtseitiges Tabloid-Blättchen erscheint, muss sich Sorgen um seine Stelle machen. Wenn er es bis in ihre heiligen Hallen geschafft hat, ist die Zensurschere bereits fest im Hirn verankert.

Im Westen, auch im deutschen Sprachraum, werden die Redaktionen hingegen bis zum Skelett abgemagert. Ressorts werden zusammengelegt, Journalisten im Multipack eingespart, und nach der letzten Sparrunde ist vor der nächsten. So hat Tamedia gerade bekannt gegeben, dass nach diversen Schrumpfungen nochmals 70 Millionen Franken eingespart werden müssen.

Einsparen und auslagern

Sparen ist das eine, die Verengung des Blickwinkels das andere. Seitdem zumindest Printausgaben einer Tageszeitung in der Schweiz von 500 Franken aufwärts im Jahr kosten, will man ja nicht weiter Abonnenten verlieren, die nicht einsehen, wieso sie steigende Preise für sinkendes Inhaltsangebot zahlen sollten.

Da die Rumpf- und Sparredaktionen kaum noch in der Lage sind, eigene Reportagen oder Storys zu produzieren, übernehmen in der Schweiz immer mehr Zeitungen immer mehr Inhalt von der SDA, der letzten überlebenden Nachrichtenagentur. Oder lagern wie Tamedia die Auslandberichterstattung fast vollständig an die «Süddeutsche» in München aus.

Vor allem bei harten, aber aufwendigen Themen wie Wirtschaft erschlafft zunehmend die Recherchierkraft; sparsam eingestellte Kindersoldaten, die erfahrene, aber teurere Redaktoren ersetzen, haben zudem kaum Ahnung von den Grundlagen; eine Bilanz ist für sie schon ein Buch mit sieben Siegeln, von einem umfangreichen Geschäftsbericht ganz zu schweigen.

Hilft Gesinnungsjournalismus?

Also was tun, in all diesem Elend? Eine Sache gibt es immerhin, die getan werden kann. Kostet zudem nichts und hilft ungemein bei der Leser-Blattbindung: Der Gesinnungsjournalismus. Die Weltperspektive, die mit der Weltanschauung der Mehrheit der Leser übereinstimmt.

Eine Reportage ist nicht mehr eine ergebnisoffene, neugierige Expedition in die Wirklichkeit. Sondern eine Einlösung von – zumeist schon vorher festgelegten – Thesen und Anschauungen. Zur Karikatur gesteigert durch den «Spiegel»-Reporter Claas Relotius. Mit Preisen überschüttet, wurden seine Reportagen nie selbst primitivsten Faktenchecks unterworfen. Weil er das Narrativ, die Weltsicht seiner Vorgesetzten und auch der Leser bestätigte.

Da sind die modernen Massenmedien unbelehrbar. Nicht lernfähig. Vor knapp vier Jahren fielen eigentlich alle deutschsprachigen Medien bei ihren Wahlprognosen für die USA kräftig auf die Schnauze. Sie stapelten bis in die Wahlnacht hinein einen Grund auf den anderen, wieso Donald Trump sicherlich nicht gewinnen könne. Ausgeschlossen, keine Chance, niemals.

Leere Versprechungen nach schwerer Niederlage

Nach einer betroffenen Schweigeminute versprachen die Medien dann Besserung, man wolle die Realität wieder ernst nehmen und so darstellen, wie sie ist. Nicht, wie sie sein sollte. Aber das waren leere Versprechungen. Der «Spiegel» hat es sich zur eingestandenen Aufgabe gemacht, Trump wegzuschreiben.

Abgesehen davon, dass das in den USA niemand kratzt: Eher käme ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein positives Wort über Trump den Weg in den «Spiegel» findet. Oder in Tamedia. Oder in CH Media. Oder in den «Blick». Trump ist ein grössenwahnsinniger Blender, noch blöder als seine blond gefärbten Haare. Er lügt, wenn er den Mund aufmacht, er versagt überall, er ist korrupt, benimmt sich aussenpolitisch wie ein Elefant im Porzellanladen, aber wie ein angepisster Elefant.

Er widerspricht sich in jedem Satz mindestens ein Mal, und nur er selbst glaubt daran, dass er die USA wieder zu alter Grösse geführt habe. Also ist die Ausgangslage wieder klar. Die Demokraten können auch einen leicht senilen Versager gegen ihn aufstellen, sogar eine dunkelhäutige Vizepräsidentin, eines ist wieder klar: Trump verliert. Auf jeden Fall. Amtlich. Wir müssen uns höchstens Sorgen machen, ob er seine Niederlage auch akzeptiert.

Nach der Niederlage ist vor der Niederlage

Ist das so? Wenn das so wäre, würden seine Umfragewerte doch im einstelligen Bereich dümpeln. Denn die Amis mögen ja eher einfachen Gemüts und an Waschmittelreklame-Wahlkämpfe gewohnt sein. Aber so bescheuert können sie ja nicht sein.

Nun hat Joe Biden tatsächlich in den meisten Wahlumfragen die Nase vorne. Aber auch Trump liegt bei 41 bis 46 Prozent. Kommt noch hinzu, dass das scheisskomplizierte Wahlmännersystem durchaus ermöglicht, dass jemand Präsident wird, obwohl er weniger Stimmen als sein Konkurrent bekommen hat.

Aber wer sind denn die Anhänger von Trump? Genau, White Trash, depravierte Weisse, Rassisten, Wutbürger, Rednecks, Südstaatenfans, die sich die Rassentrennung zurückwünschen, wenn nicht gar die Sklaverei. Die kann Trump verführen, weil sie nicht merken, dass er sich nur verbal für sie starkmacht, in Wirklichkeit in die Pfanne haut.

Filterblase unter Luftabschluss

So stellt es der Gesinnungsjournalismus in seiner Filterblase mit Luftabschluss dar, auch mit Einverständnis der Leser, denn die Bestätigung eigener Vorurteile ist immer angenehmer als die Konfrontation mit verstörenden, aber die komplexe Wirklichkeit abbildenden Berichten.

Sollte Trump wider Erwarten und gegen alle Begründungen, wieso das niemals passieren kann, wiedergewählt werden, dann wird wieder das Gleiche passieren wie vor vier Jahren. Betroffenes Schweigen, dann Erklärungen, wieso die Amis völlig falsch abgestimmt haben. Und dann wird der nächste Relotius ausgesandt, um wieder zu erforschen, welche Hinterwäldler, Idioten, Rassisten, Waffennarren, Blödköpfe, deren Welt hinter dem letzten Mc’Donald’s in ihrem Kaff aufhört, diesen Blender und Versager gewählt haben.

Die Redaktoren der immer noch existierenden ehemaligen Parteizeitungen reiben sich verblüfft die Augen. Wofür sie früher immer harsch kritisiert wurden, das machen nun kapitalistische Leitmedien genauso. Als hätten sie einen Schulungskurs besucht: Wie man die Welt richtig sieht.

Besteht das im Kapitalismus?

Aber im Gegensatz zum Sozialismus herrscht im Westen immer noch Marktwirtschaft. Angebot und Nachfrage. Und wer will schon einen Haufen Geld für einen mageren Aufguss des «Neues Deutschland», der «Prawad» ausgeben?

Es wird zunehmend mit einem Setzkasten vorgeprägter Thesen gearbeitet und geschrieben. Nach dem guten, alten Hollywood-Prinzip: Es gibt die Guten und die Bösen, damit sie auch der blöde Kinogänger unterscheiden kann, haben die Bösen immer schwarze Hüte auf.

Das sieht man im Grossen, aber auch im Kleineren. Nicht nur in Deutschland protestieren immer mehr Menschen gegen die Corona-Politik der Regierung. Natürlich, eine Minderheit, und die Demonstrationen sind tatsächlich begleitet von Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen.

Gleiche Methode bei den Corona-Demonstrationen

Also eigentlich genauso wie bei jeder linken Demonstration. Aber bei diesen Demonstrationen wird schon im Vorfeld immer warnend darauf hingewiesen, dass es dann auch gewaltbereite Rechtsradikale geben wird, zudem Aluhutträger, die daran glauben, dass Bill Gates diese Pandemie erfunden hat, damit er sich an seinem Impfstoff nochmal dumm und dämlich verdient.

Und welcher Bürger, der schlicht und einfach mit der Coronapolitik nicht einverstanden ist, will sich schon in einem solchen Umfeld bewegen? Dass trotz dieser Warnungen die Anzahl Demonstranten  von Mal zu Mal zunimmt, darauf können die Thesenleitmedien nur kopfschüttelnd mit Unverständnis reagieren. Schon wieder benimmt sich die Wirklichkeit, dieser ungezogene Schlingel, nicht so, wie sie soll. Da ist wieder «Aufklärung» gefordert. Während sich immer mehr Konsumenten gähnend abwenden und ihr Geld lieber sinnvoll ausgeben.