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Das Schweigen der Belämmerten

Israel ist ein heikles Thema. Zu heikel für viele Medien.

Es gibt Dumpfbacken, für die sind die Israelis schlichtweg «die Guten». Die dürfen dann auch alles Böse machen. Für andere ist jeder, der die Kriegsverbrechen Israels im Gazastreifen kritisiert, ein Antisemit. Die denunzieren sogar ein Model mit palästinensischen Wurzeln so massiv, dass ein Sportschuhhersteller es aus seiner Kampagne entfernt.

Wer Israel kritisiert, dem wird unterstellt, er legitimiere damit den barbarischen Überfall fundamentalistischer Wahnsinniger auf die Zivilbevölkerung und Besucher eines Musikfestivals.

Aber neben der Schlachterei im Gazastreifen gibt es noch ein weiteres Thema, um das viele nur auf Zehenspitzen herumtänzeln. Die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten. Erschwerend kommt gerade hinzu, dass der Rücktritt von Joe Biden von der Präsidentschaftskandidatur so ziemlich alle Ressourcen bindet.

Da kann ein klares Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) doch glatt untergehen. Das höchste Gericht der UNO hat mit klaren Worten die Besetzung und Besiedelung palästinensischer Gebiete scharf verurteilt.

Lediglich der «SonntagsBlick» zitiert die Worte des «Gerichtspräsidenten Nawaf Salam (70): «Der Staat Israel steht in der Pflicht, seine unrechtmässige Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich zu beenden.» Insbesondere die Siedlungspolitik wird als klar rechtswidrig verurteilt, Israel müsse die rund 700’000 Siedler in den besetzten Gebieten zur Rückkehr auffordern.

Die Zerstückelung dieser Gebiete, die ungesühnten Verbrechen israelischer Siedler, die sich mit Mord und Totschlag unliebsamer Mitbewohner entledigen, all das ist ein trübes Kapitel israelischer Politik. Wie üblich verblendet reagierte der israelische Ministerpräsident Netanyahu, den bekanntlich nur die Immunität seines Amtes vor einem Knastaufenthalt bewahrt:

«Das jüdische Volk ist kein Besatzer in seinem eigenen Land. Keine Fehlentscheidung in Den Haag wird die historische Wahrheit verfälschen, sowie die Rechtmässigkeit der israelischen Siedlungen auf dem gesamten Gebiet unserer Heimat nicht angefochten werden kann.»

Der SoBli weist auch mutig auf die Frage hin, wie sich denn die offizielle Schweiz verhalten soll, deren Position eigentlich genau diesem Gutachten des IGH entspricht. Er zitiert einen «erfahrenden Diplomaten», natürlich anonym: «Cassis steht für Doppelmoral. Gegenüber Russland hält er das Völkerrecht hoch und ergreift sogar Sanktionen. Gegenüber Israel unterstützt er bislang das Gutachten des IGH nicht mit Nachdruck».

Überlebenskampf, Existenzkampf, die einzige Demokratie im Nahen Osten, umgeben und bedroht von Diktaturen oder von islamischen Wahnsinnigen. Neben Antisemitismus sind das die Totschlagargumente, mit denen jede Debatte über Selbstverschulden oder über mögliche Auswege niedergemacht werden.

Dabei ist es völlig klar, dass nur eine wie auch immer geartete Zweistaatenlösung die Chance auf Frieden verspricht. Dass Israel von Amokläufern umgeben ist, darf doch keine Entschuldigung dafür sein, selbst auch Amok zu laufen. Israel kann die Hamas nicht vernichten, und das ist nur der kleine Bruder der Hetzbolla, und die wiederum sind nur die Zöglinge Irans.

Dass islamische Fundamentalisten keine tragfähige Lösung für die Zukunft haben, ist eine Sache. Dass Israel auch keine hat, ist die andere, viel schlimmere. Dass ein Land, das Atomwaffen besitzt, nicht völlig besiegt werden kann, ist eine triviale Erkenntnis, die sowohl auf Russland wie auf Israel zutrifft. Darum herum zu eiern, bringt überhaupt nichts. Wobei die Gefahr im Nahen Osten viel grösser ist als in der Ukraine.

Da sich Israel mit seiner Invasion des Gazastreifens – ohne die formulierten Kriegsziele auch nur ansatzweise zu erreichen – immer mehr ins Eck manövriert und an internationaler Unterstützung verliert, ist hier die Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen ungleich höher als in der Ukraine. Und offenbar müssen die von der Gegenseite bald nicht mehr aus Pakistan importiert werden, sondern der Iran ist selbst zur Herstellung in der Lage.

Damit wäre dann Israel nicht mehr der Hegemon als alleiniger Besitzer; der Nahe Osten wird vom Pulverfass zum atomaren Pulverfass.

 

Klatsch, klatsch, klatsch

BG verprügelt RA Zulauf mit einem vernichtenden Urteil.

Es gibt Urteile und Urteile. Es gibt Urteile, bei denen man sagen muss, dass das Gericht halt zu einer anderen Entscheidung kam als derjenigen, die eine Streitpartei gewünscht hätte. Das kann man immer für richtig oder für ein Fehlurteil halten.

Es gibt Urteile, die so vernichtend sind, dass es beim Zuschauen und Lesen weh tut. Das Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in Sachen Revisionsgesuch von RA Rena Zulauf ist so eines.

Zulauf hatte im Namen ihrer Mandantin JSH den zum Scheitern verurteilten Versuch unternommen, vor dem Bundegericht eine Revision eines Bundesgerichtsurteils zu erlangen. Dieses ursprüngliche Urteil war bereits eine Abfolge von Klatschen gewesen; die Anwältin musste sich sagen lassen, dass sie nicht einmal die Voraussetzungen für das Eintreten auf ihre Klageschrift erfüllt hatte. Daher konnte auf ihre inhaltlichen Ausführungen gar nicht eingegangen werden, was sie offenbar als Majestätsbeleidigung missverstand.

Dabei wäre diese Klatsche Grund genug gewesen, möglichst schnell Gras über der Sache wachsen zu lassen. Aber leider haben sich mit Zulauf und Spiess-Hegglin zwei Frauen getroffen, die sich in fanatischer Ausblendung der Realität in nichts nachstehen.

Also verkündete Zulauf, dass das Urteil «formaljuristisch überspitzt» und schlichtweg falsch sei, was sie nun ein zweites Mal wiederholen musste. In Wirklichkeit wird ihr neuerlicher Antrag in der Luft zerrissen:

«Die Gesuchstellerin ist der Ansicht, dass das Bundesgericht in seinem Urteil vom 25. Januar 2022 Inhalte der Beschwerdeschrift betreffend die Prozessvoraussetzungen vor Bundesgericht aus Versehen nicht berücksichtige. … Zur Begründung reproduziert die Gesuchstellerin einen längeren Ausschnitt aus ihrer Beschwerdeschrift vom 4. Oktober 2021.»

Schon hier ist ein leiser Ton Genervtheit zu hören, der sich dann in der knappen Replik des BG akzentuiert:

«2.3. Die Anstrengungen der Gesuchstellerin sind umsonst.» Klatsch. Aber damit nicht genug: Dass vom Gericht Teile der damaligen länglichen Rechtsschrift «überhaupt nicht wahrgenommen worden wären, will auch die Gesuchstellerin dem Bundesgericht wohl nicht unterstellen, muss sie doch wissen, dass mit solch pauschalen Behauptungen von vornherein nichts zu gewinnen wäre». Tschakata.

«Im Übrigen ist die Gesuchstellerin (Zulauf in Vertretung von JSH) an die Rechtsprechung zu Art. 93 BGG zu erinnern.» Klatsch. «Entgegen dem, was die Gesuchstellerin anzunehmen scheint, genügt es zur Begründung der selbständigen Anfechtbarkeit eines Zwischenentscheids nach Art. 93 Abs. 1 BGG nicht, wenn sie ohne jeglichen Bezug zu dieser Norm oder zu den darin verankerten Voraussetzungen im Rahmen der Begründung ihres Gesuchs um aufschiebende Wirkung die «massiven negativen Konsequenzen» einer befürchteten Veröffentlichung ins Spiel bringt.» Wumms.

Dann noch der Gnadenstoss: «Nach alledem erweist sich das Revisionsgesuch als unbegründet. Es ist deshalb abzuweisen.» K.o.

Selbst dem jurisitischen Laien erschliesst sich aus diesen Ausführungen, dass das BG in aller höchstrichterlichen Zurückhaltung ausführt, dass dieser Revisionsantrag unsinnig, überflüssig, chancenlos war und bei sorgfältiger Lektüre des ersten BG-Entscheids samt Kenntnisnahme der Begründung nie hätte eingereicht werden sollen.

Dass Zulauf nun zum zweiten Mal behauptet, das sei alles «inhaltlich falsch und formaljuristisch überspitzt», zeugt wahrlich von einem bedenklichen Realitätsverlust.

Die Bundesrichter haben nicht einmal, sondern gleich zweimal geduldig zu erklären versucht, wieso der erste Anlauf von Zulauf zum Scheitern verurteilt war, weil er grobe Anfängerfehler enthielt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass ein neuerliches Anstürmen gegen den inhaltlich richtigen und an einzuhaltende Formvorschriften erinnernden ersten Entscheid völlig sinnlos war.

Sinnlos, aber nicht kostenlos. Damit hat Zulauf ihrer Mandantin weitere Tausende von Franken aufgebürdet, alleine an Gerichtskosten und Entschädigung der Gegenpartei. Da sie selbst nicht gratis, sondern für forsche Honorarnoten arbeitet, die sie aber nicht offenlegen will, kommt sicherlich nochmal ein fünfstelliger Betrag obendrauf.

Auch auf einem Nebenschauplatz ist Zulauf gescheitert. Zur Stützung ihrer Argumentation führte sie nämlich an, dass bereits ein Buchmanuskript vorliege und diversen Verlagen angeboten worden sei. Die entsprechenden Belege wollte sie aber geheimhalten und beantragte, sie «aufgrund überwiegender schützenswerter Interessen Dritter gegenüber der Gesuchsgegnerin im Revisionsverfahren nicht offenzulegen». Zulauf behauptete zur Begründung, wenn die mächtige Tamedia erfahre, welche Verlage das Manuskript gesehen hätten, könnte denen ein Rachefeldzug drohen. Natürlich erteilte das Bundesgericht auch diesem untauglichen Versuch, aufgrund nicht offengelegter Dokumente etwas zu behaupten, eine Abfuhr.

Er widerspricht dem Grundprinzip der Rechtssprechung, dass man in einem Gerichtsverfahren einfach mit Geheimpapieren wedeln kann, der anderen Streitpartei aber verwehren, in sie Einblick zu nehmen und darauf replizieren zu können.

Unermüdlich werden weitere Klageschriften produziert, diesmal nochmals der Versuch einer vorsorglichen einstweiligen Verfügung wegen möglicher Persönlichkeitsverletzung durch ein gar noch nicht bekanntes Manuskript. Welche Chancen das hat, sah man gerade vor dem Bundesgericht.

Damit verlassen die beiden nun den Bereich des rational Erklärbaren. Ob es wirklich noch Unterstützer gibt, die der unermüdlichen Aufforderung von JSH nachkommen, für eine solche Zwängerei Geld zu spenden? Da gäbe es wohl in der aktuellen Lage sinnvollere Ziele …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vincenz: eine Stimme der Vernunft

Strafrechtsprofessor Marcel Niggli kritisiert das Urteil scharf.

Ordinarius für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Uni Freiburg: Niggli ist ein Schwergewicht, sozusagen die Instanz bei allen Fragen rund ums Strafrecht. Dabei hält er mit seiner Meinung nie hinter dem Berg – im Gegensatz zu vielen Kollegen, die sich lieber nicht in den Nahkampf mit den Mühlen der Justiz begeben.

Niggli rechnet in einem Interview im «Tages-Anzeiger» (hinter Bezahlschranke) mit dem erstinstanzlichen Urteil gegen den gefallenen Banker-Star Pierin Vincenz ab. Und lässt keinen guten Faden daran. Schon zuvor hatte er die 368 Seiten umfassende Anklage als «dünn» abqualifiziert. Aus der Tatsache, dass die beiden Hauptangeklagten länger in Untersuchungshaft sassen, folgerte er, «dass das Gericht keinen Freispruch fällen würde. Denn sonst müsste der Staat Ersatz leisten». So kam es dann auch.

Aber Niggli geht noch weiter und zerpflückt die Begründung des Gerichts für sein drakonisches Urteil (45 Monate für Vincenz, 48 für seinen Kompagnon). Dazu nimmt er ein handliches Beispiel:

«Wenn Sie mir 100 Franken schulden, und Sie geben mir die nicht, dann klage ich. Dann bin ich noch nicht geschädigt im strafrechtlichen Sinn. Die Vorstellung, dass jemand, der seine Verpflichtungen nicht erfüllt, per se schon eine Vermögensschädigung bewirkt, ist falsch. Denn dafür ist das Zivilrecht zuständig.»

Also das Problem, dass Vincenz und Beat Stocker ihren Arbeitgebern gegenüber eine Herausgabepflicht von Gewinnen haben, könne man nicht als strafrechtliches Problem sehen. Sondern als zivil- oder arbeitsrechtliches.

Das Gericht begibt sich auf einen gefährlichen Weg

Betrug und Arglist kann Niggli alleine durch die Verwendung eines Konstrukts nicht erkennen: «Das würde ja heissen, dass, immer wenn ich eine Beteiligungsgesellschaft nutze, ich schon im betrügerischen Bereich unterwegs bin.»

Auch die Rolle der Medien sieht der Professor sehr kritisch: «Ohne die Berichterstattung wäre möglicherweise das Urteil viel neutraler ausgefallen.» Im Fall des Spesenbetrugs hätte Niggli eine Strafe von einem Jahr bedingt für angemessen gehalten.

Über den Einzelfall hinaus sieht er aber ein grundsätzliches Problem:

«Wenn man sagt, dass Vertragsverletzungen automatisch strafbar sind, dann begeben wir uns auf einen sehr gefährlichen Weg.»

Es tut gut, eine Stimme der juristischen Vernunft zu hören. Denn gerade in diesem Fall wurden in der Öffentlichkeit (und durch die Öffentlichkeit) Begrifflichkeiten vermischt, die nichts miteinander zu tun haben sollten.

Moral und Strafrecht sind zwei verschiedene Dinge

Die Entrüstung über das moralisch fragwürdige Verhalten von Vincenz versperrte den Blick auf die strafrechtliche Würdigung. Wenn jemand Spesen in Striplokalen oder für Reisen seinem Arbeitgeber in Rechnung stellt, mag das anrüchig sein. Ob es aber strafrechtlich relevant ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, auf den Banken-Professor Kunz aufmerksam machte: diese Spesen wurden allesamt vom Vorgesetzten des Bankers, vom damaligen VR-Präsidenten, abgesegnet.

Wenn sie dennoch im Nachhinein als betrügerisch gewertet werden, muss eigentlich jeder, der Spesen verursacht, zusammenzucken. Denn selbst die Tatsache, dass sie akzeptiert wurden, schützt ihn nicht davor, allenfalls im Nachhinein strafrechtlich belangt zu werden.

Der ganze Themenkomplex Rotlichtspesen – und die unablässige Veröffentlichung saftiger Details unter Bruch des Amts- und Geschäftsgeheimnisses – kann nur so interpretiert werden, dass damit Ruf und Reputation des Angeklagten irreversibel geschädigt werden sollten.

Damit wurde das andere Thema, arglistiger Betrug durch verschleierte Beteiligungen ohne Gewinnherausgabe, sozusagen vorbereitet. Jemand, der einen solchen Lebenswandel hat, ist doch sicher auch im Geschäftsleben nicht sauber. Um dann noch ungetreue Geschäftsbesorgung auf ein anderes Niveau zu heben, nämlich als Betrug zu werten, setzt Arglist voraus. Die Beweisführung dafür ist tatsächlich mehr als «dünn» und beruht auf der Strapazierung eines Bundesgerichtsurteils im Fall von nicht herausgegebenen Retrozessionen.

Dass das Gericht hier der Argumentation des Staatsanwalts vollumfänglich folgte, macht es wahrscheinlich, dass das Obergericht korrigierend eingreifen wird.

Der Schaden ist angerichtet, unabhängig vom Ende der Justizodyssee

An der Tatsache, dass die gesellschaftliche Stellung der Angeklagten unwiderruflich zerstört ist, ihre finanziellen Verhältnisse zerrüttet, nicht zuletzt durch die schon Jahre andauernde Beschlagnahmung ihrer Vermögenswerte, stellt einen nicht wiedergutzumachenden Schaden dar.

Es geht hier keinesfalls um eine Verteidigung des Verhaltens von Vincenz. Aber es muss zwischen der strafrechtlichen und der moralischen Beurteilung strikt unterschieden werden. Hat doch Dreck am Stecken und konnte den Kanal nicht voll genug kriegen, das ist Volkes Stimme, aber keine rechtlich relevante Position.

Relevant ist hingegen, dass theoretisch bis zu einem rechtsgültigen Urteil für Vincenz und seinen Kompagnon die Unschuldsvermutung zu gelten hätte. Das ist in diesem Fall purer Hohn.

 

 

 

 

Breaking News: Knast für Vincenz

Drakonische Strafen für den Starbanker und seinen Kompagnon.

45 Monate Gefängnis für Pierin Vincenz, gar 48 Monate für seinen Kompagnon Beat Stocker.

Das liegt zwar unterhalb der vom Staatsanwalt geforderten 6 Jahre. Hinzu kommen Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Plus die Gerichtskosten von über 200’000 Franken. Plus die Anwaltskosten.

Das bedeutet, dass die Verteidigungsstrategie der beiden Hauptangeklagten krachend gescheitert ist. Ihre Verteidiger hatten die Anklageschrift in der Luft zerrissen und vollumfängliche Freisprüche gefordert. Das Gericht sprach aber die Angeklagten des Betrugs und weiterer Delikte für schuldig; nur in Nebenpunkten gab es Freisprüche.

Damit ist natürlich nicht das Ende der Affäre erreicht. Wäre das Urteil milde ausgefallen, hätte die Staatsanwaltschaft sicherlich weitergezogen. Nun wird die Verteidigung die nächste Instanz anrufen, das Obergericht Zürich. Danach kommt noch das Bundesgericht. Das bedeutet, dass eine Schlacht, aber noch nicht der Krieg für die Angeklagten verloren ist.

Allerdings ist ihre Reputation, ihre soziale Stellung – und auch ihr Finanzhaushalt – unrettbar beschädigt und zerstört. Dass weiterhin, bis zu einem rechtsgültigen Urteil, die Unschuldsvermutung zu gelten hätte, ist nicht mehr als ein schlechter Scherz.

Die Allzweckwaffe aus dem Aargau

Frauen können Multitasking. Eva Berger von CH Media ist der Beweis.

Heizpilze. Gemeinden, die Altersguthaben bei Sozialhilfeempfängern abgreifen. Stimmrechtsalter schon ab 16. Frauen von SP und Grünen haben die besten Wahlchancen.

Es gibt kaum einen Aspekt des politischen oder gesellschaftlichen Lebens im Aargau und darüber hinaus, den Eva Berger nicht abdeckt. So alle zwei bis fünf Tage liefert sie ein Stück ab. Nicht gerade rekordverdächtiges Tempo, aber bei dieser Bandbreite verständlich.

Von dieser doch eher drögen Berichterstattung ist Berger noch nicht ganz ausgelastet. Sie möchte ab und an auch das tun, was Journalisten eigentlich am liebsten tun: sagen, wo’s langgeht. Was nicht geht. Was getan werden müsste. Was bedauerlicherweise unterlassen wird. Obwohl es höchste Zeit wäre. Also in einem Kommentar die Welt wenigstens ein bisschen zurechtrücken.

Der idealtypische Kommentar

Besonders geeignet sind dafür Themen, die zwei Kriterien erfüllen. Die Leser sind schon einverstanden, bevor sie den Kommentar überhaupt gelesen haben. Es ist ein weltumspannendes Problem, das daher eigentlich nur weltumspannend gelöst werden kann.

Aber da CH Media ja (fast) die Welt ist, kann man hier einen Anfang machen. Ein Zeichen setzen. Position beziehen. Solidarisch sein. Aufmerksam machen auf. Nicht vergessen gehen lassen, dass. Hier und heute. Auch in der Schweiz. Furchtbar.

Welcher Befehl wird der Welt von Berger vor den Latz geknallt? «Menschenhandel muss um jeden Preis verhindert werden». Das ist natürlich eine starke Ansage, die nur leicht dadurch geschwächt wird, dass Berger kein Preisschild hochhält. Aber «um jeden Preis» heisst dann wohl: ist egal, was das kostet.

Richterin Berger bezeichnet das Urteil als richtig

Anlass für die Philippika ist die Verurteilung eines Rumänen, der anno 2006, 2007 einen Saunaclub in der Schweiz führte und Rumäninnen gegen Provision für Prostitution vermittelte. Kurz vor der Verjährung ereilte ihn nun die gerechte Strafe.

Richterin Berger urteilt: «Das Urteil des Bezirksgerichts Baden gegen den Zuhälter ist richtig.» Da sind wir froh, man will sich ja nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Berger es als unrichtig zurückgewiesen hätte.

Nun ist Prostitution in der Schweiz nicht strafbar. Bei Zuhälterei ist es ein wenig komplizierter. Das läuft hierzulande unter «Förderung der Prostitution». Ausnützung von Abhängigkeiten, Profitgier, Einschränkung der Handlungsfreiheit einer Prostituierten, das sind die Voraussetzungen, damit es ein Straftatbestand wird.

Menschenhandel ist ein weites Feld

Eher selten wird im Aargau dazu noch Menschenhandel angeklagt. Darunter versteht man den Handel mit Menschen zwecks sexueller Ausbeutung oder der Arbeitskraft. Oder gar zur Entnahme von Körperorganen.

Nun ist beim strengen Kommentar von Berger nicht ganz klar, ob auch diese Formen von Menschenhandel «um jeden Preis» verhindert werden müssen. Also die viel zahlreichere Ausbeutung von vermittelten Billigstarbeitskräften; auf dem Bau, im Servicebereich, wo auch immer. Während Berger eine Lanze für die selbstbestimmte Prostituierte bricht, beschleicht einen der leise Verdacht, dass sie die anderen Formen von Menschenhandel gar nicht kennt.

Man muss ja auch nicht um jeden Preis die Materie beherrschen, wenn man einen wohlfeilen Kommentar schreibt.

Büttel Hollenstein bricht Sperrfrist

Ein «Leiter Publizistik» als Sprachrohr für eine verfolgende Unschuld.

Der Fall Jolanda Spiess-Hegglin ist im wahrsten Sinne des Wortes altbekannt. Aus einem Techtelmechtel in Zug entwickelte sich eine Story ohne Ende.

Immer wieder nahm der «Leiter Publizistik» von CH Media in Kommentaren Partei für Spiess-Hegglin, die sich vor allem durch die Ringier-Medien und durch die «Weltwoche» in ihrer Privatsphäre verletzt sieht.

Neben anderen Folgewirkungen führte das zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit verschiedenen Medienorganen, unter anderem der «Blick». In erster Instanz wurde in Zug festgehalten, dass die Boulevardzeitung mit der Frage, ob Spiess-Hegglin während einer feuchtfröhlichen Feier geschändet worden sei, in schwerwiegender Weise in deren Intimsphäre eingegriffen habe.

Urteil mit Sperrfrist

Beide Seiten zogen das Urteil ans Obergericht weiter. Das fällte letzte Woche sein Urteil. Die Urteilsverkündung wurde den Parteien mitgeteilt, aber mit einer Sperrfrist bis Montagmorgen, 9.00 Uhr belegt.

Das sollte dazu dienen, dass beide Beteiligten und natürlich auch die Medien sozusagen gleichlange Spiesse bei der Berichterstattung und Interpretation des Urteils haben, das ab diesem Zeitpunkt öffentlich vorliegt.

Aber wenn man schon Büttel in Sachen Spiess-Hegglin ist, und als «publizistischer Leiter» auch keine Reputation mehr zu verlieren hat, kümmert man sich um solche Anordnungen natürlich einen feuchten Kehricht.

Denn nur so konnte Pascal Hollenstein bereits am Sonntag trompeten: «Jolanda Spiess-Hegglin gewinnt gegen den «Blick»».

Wie tief kann man als publizistisches Vorbild sinken?

Abgesehen davon, dass das so nicht stimmt: Wie tief kann ein angebliches publizistisches Aushängeschild eines grossen Schweizer Medienkonzerns eigentlich sinken? Solche Sperrfristen, das weiss im anständigen Journalismus jeder, sind zu respektieren. Natürlich fände es jeder toll, wenn er sie bricht und daher eine News als Erster hätte. Aber das tut man nicht.

Ausser, man heisst Pascal Hollenstein. Dann stellt man einen Jubelartikel zuerst ins Netz, zitiert auch bereits Spiess-Hegglin, die natürlich ihrem Pressesprecher gegenüber sofort ein Statement abgibt, und dann zerrt man den Artikel wieder aus dem Netz heraus. Offenbar gibt es bei CH Media doch noch Instanzen, die wissen, was journalistische Benimmregeln sind.

Angekündigt, dann gelöscht – aber nicht überall

Allerdings: Wenn man so ungeschickt-triumphal wie Hollenstein ist, dann vergisst man natürlich, den Artikel auch aus der Mediendatenbank SMD zu löschen.

Man fragt sich schon, wie lange dieser Herr in dieser Funktion noch tragbar ist. Sein Verleger Peter Wanner füllte gerade am Samstag eine ganze Seite mit einem Kommentar, in dem er die wichtige Funktion seiner Qualitätsmedien als Service public betonte.

Was dieses Verhalten seines publizistischen Leiters mit Qualität oder Service public zu tun hat, ist schleierhaft. Wir werden hier selbstverständlich auf das Urteil des Zuger Obergerichts und die Hintergründe dazu eingehen. Morgen ab 9 Uhr, wie das der Anstand gebietet.