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Journalismus lebt an den Rändern

«Infosperber» gegen Tamedia: 1 : 0.

Es wird immer auffälliger: Kleinmedien und Einzelkämpfer machen knochenharten Journalismus und trocknen immer wieder die grossen Elefanten im Schweizer Medienzirkus ab. Oder sollte man Dinosaurier sagen?

Gemeint ist damit das Trio Tamedia, CH Media und die «Blick»-Gruppe. Alleine der Einzelkämpfer Lukas Hässig hat mit seinem Finanzblog «Inside Paradeplatz» mehr Primeurs aufgedeckt als die versammelten Wirtschaftsjournis der grossen Konzerne. Die sind so neidisch auf ihn, dass sich ihre Solidarität mit ihm, wo ihn nun die Krisen-CS schwer in den Hintern beissen will, in überschaubaren Grenzen hält.

Zu diesen Medien gehört auch der nicht ganz so kleine «Infosperber». Gegründet und geführt von Urs P. Gasche, hat er immer wieder Trouvaillen und Recherchierstücke, die man bei den grossen Medien schmerzlich vermisst. Vielleicht müsste man hier auch die NZZ dazuzählen, aber die spielt einfach in einer anderen Liga.

Ein konkretes Beispiel gefällig? Bitte sehr. Anfang Februar lobhuldete einer der letzten überlebenden Tagi-Korrespondenten Dominique Eigenmann die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie sei die «mächtigste Gegenspielerin» des deutschen Bundeskanzlers Scholz. Sie kritisiere «Scholz› Zögerlichkeit schärfer als jede Opposition». Dazu sei sie «schlagfertig, streitbar und kompetent».

Man könnte besser sagen, sie ist eine wahre Kriegsgurgel, die Deutschland «in eine militärische Auseinandersetzung hineinrede». Das sagt der«bekennende Pazifist Rolf Münzenich»; nein, das «ätzt» er, wie Eigenmann im schlechtesten «Spiegel»-Stil abwertet.

Nun werde versucht, rümpft Eigenmann die Nase, «sie als Lobbyistin der Rüstungsindustrie zu diffamieren», der «Blick» will aber wissen: «Beweise dafür gibt es allerdings nicht.» Nun, wenn der Tagi und der «Blick» ihre journalistischen Muskeln anspannen, dann sollte man nicht zu viel Gewicht auflegen.

Zunächst ist Strack-Zimmermann, immerhin Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags, schnell mit Fehlurteilen zur Hand. Verantwortungslos witterte sie nach dem Einschlag einer Rakete auf polnischem Staatsgebiet:

«Nicht nur haben russische Raketen offenbar Polen und NATO-Gebiet getroffen, sondern auch zu Toten geführt. Das ist das Russland, mit dem hier einige offenkundig und absurderweise immer noch «verhandeln» wollen. Der Kreml und seine Insassen müssen sich umgehend erklären.»

Umgehend erklären hätte sich allerdings diese verantwortungslose Brandstifterin müssen. Denn sie wollte hier offenbar einen Verteidigungsfall herbeizeuseln, die NATO in eine militärische Auseinandersetzung mit Russland treiben. Indem sie einer Propaganda-Lüge des ukrainischen Präsidenten Selenskyj aufsass. Denn in Wirklichkeit handelte es sich zwar um eine Rakete aus russischer Produktion, die aber von der Ukraine als Abwehrmassnahme abgeschossen worden war.

Nachdem das zweifellos geklärt worden war, hielt aber Selenskyj selbst gegen die Meinung seines eigenen Verteidigungsministers an dieser Lüge fest. Und Strack-Zimmermann blieb auch unbelehrbar: «Ich bereue diesen Tweet nicht

Also ist sie verantwortungslos, kriegstreiberisch und inkompetent, dazu unbelehrbar. Aber ist sie auch mit der Rüstungsindustrie verbandelt? Oder ist das nur Diffamierung, bzw. sind das beweislose Anschwärzungen?

Urs P. Gasche erledigt im «Infosperber» die Recherchierarbeit, für die Tagi und «Blick» zu faul, zu blöd oder beides waren. Dafür musste Gasche nicht einmal sonderlich tief graben, denn die Verbindungen liegen auf der Hand und wurden schon einige Male ausführlich beschrieben.

Die Politikerin ist Präsidiumsmitglied in der «Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik» (DWT). Sie ist Vizepräsidentin der «Deutschen Atlantischen Gesellschaft» (DAG), die sich trotz des allgemeinen Namens zum Ziel gesetzt hat, «das Verständnis für die Ziele des Atlantischen Bündnisses zu vertiefen und über die Politik der NATO zu informieren». Zudem ist sie Präsidiumsmitglied beim «Förderkreis Deutsches Heer» (FKH), neben der DWT die wichtigste Lobby-Gruppe der deutschen Rüstungsindustrie.

All das hätte man mit einem Blick auf die Webseiten von «Lobbypedia», «Abgeordnetenwatch» oder «Transparency International» herausfinden können.

Es ist verdienstvoll von Gasche, dass er auf diese offenkundigen Zusammenhänge hinweist. Es ist beelendend, dass die beiden Grosskonzerne nicht mal mehr zu oberflächlichen Recherchen in der Lage sind, die ihr Narrativ stören würden.

Es ist ja Eigenmann und dem «Blick» unbenommen, Strack-Zimmermann toll zu finden und ihre verantwortungslose Kriegsrhetorik zu bejubeln. Aber zu behaupten, es sei diffamierend, angeblich nicht existente Verbindungen zur deutschen Rüstungsindustrie zu erwähnen, das ist billiger Schmierenjournalismus. Dafür noch Geld zu verlangen, das ist unverschämt.

Bei solchen Leistungen zu behaupten, diese Medien seien Bestandteil der Vierten Gewalt und unbedingt mit Staatssubventionen zu unterstützen, weil sie eine dermassen wichtige Rolle in der Demokratie spielten, das ist pure Heuchelei. Das ist ein Narrativ, das der Stimmbürger diesen Blättern schon länger nicht mehr abnimmt. Besonders, wenn es von Pietro Supino, dem Big Boss von Tamedia gesungen wird, der nicht mal seinen eigenen Laden im Griff hat.

Die Verteidiger der US-Vorherrschaft und die «Putin-Versteher»

Wie bei jedem Krieg stellt sich die Frage, wie es zum Krieg kommen konnte, und ob die russische Invasion der Ukraine nicht hätte verhindert werden können.

Von Urs. P. Gasche*

Der Artikel ist zuerst auf «Infosperber» erschienen.

Putin hat von der Nato verlangt, die Ukraine nicht als Mitglied aufzunehmen und dort keine Raketen an der Grenze zu Russland aufzustellen, wie es die Nato bereits in den baltischen Ländern, Polen und Rumänien tat.

Im Vordergrund stehen zwei Fragen:

  1. Haben «Putin-Versteher» den Krieg mitverschuldet, weil sie gegen eine stärkere Aufrüstung Westeuropas waren, und weil sie unterschätzten, wie gefährlich der russische Präsident ist?
  2. Hätte ein Nachgeben der Nato und eine Ukraine ohne schwere Waffen Russland vom Krieg abhalten können?

Der Angriffskrieg Russlands sei der Beweis dafür, dass all jene Russland-Kenner, Historiker und Politiker falsch lagen, die davor warnten, dass die Osterweiterung der Nato den Frieden gefährde. Der Krieg entlarve sie jetzt als «naive Putin-Versteher», sagen die Nato, viele Militärs, Politiker und Medien.

Stimmen, welche die Osterweiterung der Nato als mitverantwortlich für den Krieg halten, kommen in grossen Medien kaum mehr zu Wort. «Die Osterweiterung war kein Fehler», titelte der Tages-Anzeiger am 25. März über fünf Spalten.

Im Folgenden stellen wir zuerst die Sichtweise jener vor, welche in der Nato-Osterweiterung keine Bedrohung Russlands und keinen möglichen Grund des Krieges sehen. Anschliessend fassen wir die Sichtweise derer zusammen, die überzeugt sind, dass es ohne Osterweiterung zu diesem fürchterlichen Krieg höchstwahrscheinlich nicht gekommen wäre.

Der Autor dieses Artikels neigt zur zweiten Sichtweise.


1. «Es geht darum, wer gewinnen wird: die Demokratien oder die Autokratien»

Aus der ersten Sichtweise gab es für Russland keinen Grund, die Ukraine anzugreifen. Die Ukraine hat das Recht, Mitglied der Nato zu werden. Die Nato-Osterweiterung diente als Vorwand. Vielmehr träumt ein verrückt gewordener und unberechenbarer Diktator von der Restaurierung der Sowjetunion.

«Putin will das russische Reich wiederaufleben lassen.»

NZZ 5.3.2022

«Nationalistische Grössenphantasien»

NZZ 10.3.2022

«Putin ist ein lupenreiner Faschist.»

Untertitel eines Gastbeitrags in der NZZ vom 10. März

«Imperiale Macht» ist für Putin viel wichtiger als Freiheit.
Die «primitive Logik des Tyrannen» lautet «Freiheit gegen Unfreiheit, internationale Regeln gegen Aggression, Freund gegen Feind.»

Leitartikel von NZZ-Chefredaktor Eric Gujer am 5. März

«Die Osterweiterung der Nato hat die baltischen Staaten und wahrscheinlich ganz Osteuropa vor Russland gerettet»

Hillary Clinton am 28. März in der New York Times

«Die Osterweiterung war das Erfolgreichste der US-Aussenpolitik der letzten dreissig Jahre.»

Historikerin Anne Applebaum

Nach dem Überfall auf die Ukraine ist eine neue Sicherheitslage entstanden. Sie macht es nötig, dass die europäischen Nato-Länder aufrüsten. Die baltischen Staaten, Finnland, Polen, Rumänien und die Moldau fühlen sich zurecht bedroht. In der NZZ vom 25. März forderte der frühere Chef des Schweizer Nachrichtendienstes Peter Regli «eine stärkere Anbindung an die Nato». Die Schweiz muss die F-35-Kampfflieger in einem beschleunigten Verfahren beschaffen.

Man darf Putin auf keinen Fall mit einem Angebot entgegenkommen, damit dieser ohne grösseren Gesichtsverlust einem sofortigen Waffenstillstand zustimmen kann – selbst wenn das Angebot für die Ukraine und den Westen zumutbar wäre. Denn erstens ist es falsch, einem Despoten auch nur einen Schritt entgegenzukommen, und zweitens wird Putin sowieso nicht darauf einsteigen. Es macht keinen Sinn mehr, mit Russland politisch, wirtschaftlich und kulturell zusammenzuarbeiten.

«Nur eine Niederlage der russischen Truppen kann das Gemetzel stoppen.» 

Fünfspaltiger Titel in der NZZ vom 18. März

«Es geht darum, wer gewinnen wird: Die Demokratien oder die Autokratien.»

US-Präsident Joe Biden am 25. März in Polen

«In diesem epochalen Konflikt zwischen Demokratie und Autokratie geht es letztlich darum, ob Freiheit und Menschenrechte obsiegen oder Unterdrückung, Gewalt und Einsperrung.»

Peter Wanner, Verleger des AZ-Medienkonzerns, in der Schweiz am Wochenende vom 19.3.2022

«Klassentreffen der Demokraten»

Titel im «Tages-Anzeiger» vom 25. März über einem Bericht zum Nato-Sondergipfel in Brüssel

«Der Kremlchef wagt sich so weit wie kein anderer Despot. Sein Angriff auf die Ukraine trägt die Tyrannei ins Ausland, offen, unverblümt, hemmungslos.»

NZZ-Auslandredaktor Fabian Urech am 17. März

Putin hat den Krieg gegen die Ukraine bereits seit 2014 gezielt vorbereitet. Er träumte schon immer von der Wiederherstellung der zerbrochenen Sowjetunion und will die imperialistische Tradition der Zaren fortsetzen (Eric Gujer, NZZ vom 2.4.202). Diejenigen, welche die Osterweiterung der Nato kritisierten, haben sich getäuscht. Auch «Spitzenpolitiker und Wirtschaftsführer», welche die Nato-Osterweiterung in Frage stellten und den Bau der Nordstream-2 befürworteten, haben sich «als naive Verharmloser und nützliche Idioten gebärdet» (Lucien Scherrer, NZZ vom 28. März). Das Gleiche gilt für etliche Journalisten. «Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel agierte sehr lange zu nachsichtig gegenüber dem russischen Staatschef Wladimir Putin», schrieb die NZZ am 1. April auf der Frontseite.

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist nicht vergleichbar mit den Kriegen, welche die Nato gegen Afghanistan oder gegen Serbien lostrat. Und ebenso wenig mit dem Krieg der USA gegen den Irak oder mit dem von den USA unterstützten Krieg von Saudi-Arabien gegen Jemen. Denn die USA und die Nato verteidigen mit ihrem Hegemonieanspruch Freiheit und Demokratie rund um den Globus sowie die liberale Weltordnung (NZZ vom 29. März), während das imperialistische Russland Osteuropa und die früheren Länder der Sowjetunion und des Warschauer Paktes wieder unter seine totalitäre Kontrolle bringen möchte. Als Präzedenzfall dienen Tschetschenien, Abchasien und Südossetien.

Der Hegemonie-Anspruch der USA auf Mittel- und Südamerika (Monroe-Doktrin) ist nicht mit einem russischen Sicherheitsbedürfnis zu vergleichen. Denn den USA geht es nicht um Machtpolitik, sondern um den Schutz der freien Welt (NZZ vom 29. März), während Russland seine «Tyrannei ins Ausland tragen» will (NZZ vom 17. März).

2. Ohne Nato an den russischen Grenzen wäre es wahrscheinlich nicht zum Krieg gekommen

Wer den Westen mitverantwortlich macht für die ständige Verschlechterung der Beziehungen zu Russland seit Ende der 1990er Jahre, Beziehungen, die jetzt in diesen Krieg kulminierten, wird als «Putin-Versteher» (u.a. NZZ vom 30. März) zum Schweigen gebracht. Diese «Putin-Versteher» mit ihrer anderen Sichtweise kommen in den grossen westlichen Medien seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine kaum mehr zu Wort.

Diese Sichtweise sei hier ebenfalls vorgestellt.

Nachdem die Nato im Jahr 1999 die baltischen Staaten, Polen, Tschechien und Ungarn in ihr Bündnis aufgenommen hatte, erklärte es Moskau zur roten Linie, dass auch noch Georgien oder die Ukraine der Nato beitreten. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2007 machte Putin seine Sorge und seinen Ärger öffentlich. Er stellte klar: Die Nato-Osterweiterung ist eine Bedrohung der nationalen Sicherheit Russlands.

Seine Worte blieben ungehört.

Die Nato akzeptierte keine rote Linie Russlands und machte der Ukraine vielmehr ein Beitritts-Angebot. Die Ukraine schrieb das Ziel eines Nato-Beitritts sogar in die Verfassung. Darauf stufte Russland die Nato und die Ukraine in einer neuen Militärdoktrin als Gefahr für die russische Sicherheit ein. Man erinnerte sich in Russland an den Nato-Angriff auf Serbien im Jahr 1999 und an den seit Jahren geführten Krieg der Nato in Afghanistan.

Die «Europäische Sicherheitscharta» der OSZE verpflichtet die Staaten «gegenseitige Sicherheitsinteressen zu respektieren und die Sicherheit nicht zu Lasten anderer Staaten zu stärken».

Obwohl der Beitritt der Ukraine zur Nato erst eine beidseitig verkündete, aber noch nicht realisierte Absicht wer, liess die Ukraine nach dem Regierungswechsel 2014 und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim ihr Militär von der Nato ausbilden, rüstete auf und nahm an Nato-Manövern teil. Nach Angaben der NZZ vom 14. Februar bildeten Nato-Offiziere 10’000 ukrainische Soldaten aus. Über drei Milliarden Dollar gaben die USA seit 2014 für Ausbildung und Ausrüstung der ukrainischen Streitkräfte aus. Russland musste befürchten, dass die Ukraine versucht, die Krim und die Separatistengebiete im Donbass militärisch zurückzuholen.

Die von der Nato unterstützte Ukraine drohte im Osten zu nahe zu kommen und im Schwarzen Meer die Russen zu vertreiben.

Für Russland war die rote Linie überschritten.

Russland wollte nicht warten, bis die Ukraine voll aufgerüstet ist. Und noch weniger wollte Russland warten, bis auf der ukrainischen Seite der 2000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze atomar bestückbare Raketen und Raketenabwehrsysteme einsatzfähig sind.

Russland entschied sich schliesslich, mit grossen Militärmanövern an der Grenze zur Ukraine eine Drohkulisse aufzuziehen. Während Wochen verlangte Putin ultimativ, die Ukraine müsse auf einen Beitritt zur Nato verzichten. Auch müsse die Ukraine das Nazi-Bataillon, das mit dem Segen der Kiewer Regierung namentlich im Donbass wütete, oder auch die Neo-Nazi-Gruppe C14 kaltstellen. Auf beide Forderungen gingen Selensky und die Nato nicht ein, sondern wiederholten unablässig, jedes Land habe das Recht, der Nato beizutreten. Doch aus Sicht Russlands ist die Nato mit Raketenstellungen an seinen Grenzen eine existenzielle Bedrohung.

Auch die USA verteidigen ihre Hemisphäre

Eine Politik der Einkreisung mit modernsten Waffen eines Gegners unmittelbar an den Landesgrenzen akzeptiert keine Grossmacht. Seit zweihundert Jahren setzen die USA die Monroe-Doktrin bis heute durch: Nicht nur in Nachbarstaaten, sondern in ganz Mittel- und Lateinamerika wird keine feindliche Rakete geduldet.

Die USA würden nicht warten, wenn Kuba oder selbst das weit entfernte Venezuela Russland oder China erlauben würde, in ihrem Land Raketen zu stationieren.

Selbst ohne Bedrohung durch feindliche Raketen bestrafen die USA in ihrem Hegemoniebereich Länder, wenn sie sich sozialistisch gebärden und US-Konzernen keinen freien Zugang gewähren. Die Uno-Generalversammlung verurteilt die Blockade und die Sanktionen der USA gegen Kuba Jahr für Jahr, im Jahr 2021 mit 184 zu 2 Stimmen der USA und Israels. Nur Brasilien, Kolumbien und die Ukraine enthielten sich. Diese Abstimmungen sind den westlichen Leitmedien kaum eine Zeile wert. Die USA stürzten selbst demokratisch gewählte Regierungen wie diejenige in Chile oder Panama und ersetzten sie durch eine Militärdiktatur.

«Einflusssphären von Grossmächten sind rund um den Globus eine Realität», sagt Peter Beinart, Associate Professor für Journalismus und Politikwissenschaften an der City University of New York. Nur wenn die USA auch die Einflusssphäre Russlands respektieren, sei garantiert, «dass der russische Einfluss die Ukraine nicht zerstört und dass Europa nicht in einen Krieg hineingezogen wird» (siehe Infosperber vom 28.1.2022). Das ist jetzt passiert: Russland zerstört die Ukraine.

Herfried Münkler, lange Professor für Politikwissenschaften an der Berliner Humboldt Universität erklärte zur Ukraine:

«Man kann feststellen, dass die Russen so etwas wie Einkreisungsängste haben. Diese haben schon immer bei der Entstehung von Kriegen eine bedeutende Rolle gespielt. Ein Mittel dagegen sind Pufferzonen. Sie dienen einer gewissen Stabilität und schaffen Flexibilität bei Verhandlungen zwischen Grossmächten.»

George F. Kennan, US-Diplomat mit Stationen in Moskau, Riga, Tallinn und Berlin und in der Folge Geschichtsprofessor an der Princeton University, warnte bereits 1997 – also noch bevor Polen, Tschechien und Ungarn in die Nato aufgenommen wurden: «Eine Erweiterung der Nato wäre der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem Kalten Krieg. Es ist zu erwarten, dass eine solche Entscheidung die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Meinung anheizt … Die Russen sind wenig beeindruckt von den amerikanischen Versicherungen, eine Erweiterung der Nato finde ohne feindselige Absichten statt. Sie würden ihr Prestige (das in der russischen Meinung immer an erster Stelle steht) und ihre Sicherheitsinteressen als beeinträchtigt ansehen.»

Henry Kissinger, langjähriger US-Aussenminister, warnte vor einer verhängnisvollen Politik des Westens. Um die Sicherheitsinteressen Russlands zu respektieren, schlug Kissinger am 5. März 2014, wenige Tage vor der völkerrechtswidrigen Sezession der Krim, in der Washington Post vor (wörtliche Übersetzung):

  1. Die Ukraine sollte das Recht haben, ihre wirtschaftlichen und politischen Verbindungen frei zu wählen, auch mit Europa.
  2. Die Ukraine sollte nicht der Nato beitreten, eine Position, die ich 2007 vertrat, als dieses Thema das letzte Mal zur Sprache kam.
  3. Es sollte der Ukraine freistehen, eine Regierung zu bilden, die mit dem ausdrücklichen Willen ihres Volkes vereinbar ist. Auf internationaler Ebene sollten sie eine Haltung einnehmen, die mit der Finnlands vergleichbar ist. Dieses Land lässt keinen Zweifel an seiner starken Unabhängigkeit aufkommen und arbeitet in den meisten Bereichen mit dem Westen zusammen, vermeidet aber sorgfältig eine institutionelle Feindschaft gegenüber Russland.

(Vollständige Ausführungen Kissingers auf Deutsch hier)

John Mearsheimer, Politik-Professor von der University of Chicago äusserste im Jahr 2015 ähnliche Befürchtungen wie Henry Kissinger und schlug «im Interesse der Ukraine, der USA und Russlands» eine neutrale Ukraine vor. «Man stelle sich die Empörung in Washington vor, wenn China ein mächtiges Militärbündnis schmieden und versuchen würde, Kanada und Mexiko dafür zu gewinnen.» («The Causes and Consequences of the Ukraine Crisis»).

Die frühere ARD-Moskaukorrespondentin Gabriele Krone-Schmalz, die über Russland mehrere Bücher schrieb, räumte ein, dass sie mit einem Angriffskrieg auf die ganze Ukraine nicht gerechnet habe. Doch sie denkt «nach wie vor, dass die Nato-Osterweiterung und die Missachtung russischer Sicherheitsinteressen stark dazu beitrugen, dass wir uns heute einem Russland gegenübersehen, das uns als Feind betrachtet». Krone-Schmalz gibt zu bedenken, «dass wir diesen Putin mitgeschaffen haben».

Es ist nachvollziehbar, dass die baltischen und osteuropäische Staaten die Sicherheit der Nato anstrebten. Doch seit 1989 gab es keine Anzeichen dafür, dass Russland diese Staaten militärisch bedroht. Die Osterweiterung der Nato war von Beginn weg ein Fehler. Hätte der Westen die russischen Sicherheitsbedürfnisse respektiert, wäre die Geschichte anders verlaufen.

Deshalb ist der fürchterliche Krieg in der Ukraine schon gar kein Beweis dafür, dass die Angst vor Putin schon immer berechtigt war, und dass die politischen und militärischen Falken recht hatten.

Einige Profiteure des Krieges …

Auch in einem Krieg gibt es Profiteure:

  • Die USA als Weltmacht, weil es auf absehbarer Zeit keine Annäherung zwischen der EU und Russland gibt;
  • Alle Grosskonzerne der USA und anderswo, die an der Herstellung von Rüstungsgütern beteiligt sind;
  • Die Fracking-Industrie in den USA. Sie wird dank höheren Erdöl- und Erdgaspreisen und dank mehr Exporten nach Europa wieder äusserst profitabel.
  • Russland, das sich in der Ostukraine Bodenschätze sichert.

… und einige Verlierer

  • Kriegsopfer und ihre Angehörigen sowie 44 Millionen Menschen in der Ukraine, die ein zerstörtes Land wieder aufbauen müssen und wahrscheinlich den Zugang zu wertvollen Rohstoffen verlieren.
  • Klimakrise: Statt genügend Ressourcen für Klimamassnahmen zu bündeln, werden Abermilliarden für Krieg, Aufrüstung, Zerstörung und Wiederaufbau verwendet. Der Krieg selber erhöht die CO2-Belastung.
  • Hungerkrise: Stark steigende Weizen-, Mais- und Düngemittelpreise führen namentlich in Afrika zu mehr Hunger, politischen Unruhen und mehr Flüchtlingen.
  • Finanzkrise: Die Notenbanken FED und EZB können sich zu Zinserhöhungen gezwungen sehen. Das treibt einige Länder und einige Finanzinstitute in den Ruin – mit unabsehbaren politischen und sozialen Folgen.
  • Alle sozial und wirtschaftlich Schwachen weltweit und in Europa: Sie werden unter den Preissteigerungen von Benzin, Gas, Heizöl und Grundnahrungsmitteln am meisten leiden.

*Urs P. Gasche ist Leiter der Informationsplattform «Infosperber». ZACKBUM hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors übernommen.

Schielender «Infosperber»

Rankings sind gut. Ausser, sie sind schlecht, weil einseitig.

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Zunächst müssen hier Interessensbindungen offengelegt werden. René Zeyer hat einige Zeit für «Infosperber» geschrieben. Bis sich Urs P. Gasche von einem Verleumdungsartikel im «Tages-Anzeiger» dazu verleiten liess, das Gratisangebot nicht mehr zu wollen. Sein Pech.

Gleichzeitig schreibt Zeyer regelmässig für die «Ostschweiz». Das hindert ZACKBUM aber nicht daran, seiner Berichterstatterpflicht über eine Rangliste nachzugehen, die ins Auge ging.

Gasche hat eine Hitparade von «unabhängigen Online-Zeitungen» gebastelt. Als entscheidendes Kriterium nahm er die Einschaltquote (wissenschaftlich Unique Users pro Monat), dazu die Facebook-Followers und das Jahresbudget. Die Anzahl Leser wurden nach eigenen Angaben oder nach Analytics eruriert.

13 solche Online-Produkte gibt es – laut «Infosperber». Grosser Sieger sei «zentralplus» mit 380’000 Unique User, gefolgt von der «Republik» (357’000) und «Infosperber» (195’000). Das Schlusslicht bilden drei Organe, die keine Angaben machten; «bajour», «Onlinereports» und «Journal21».

Das ist soweit eher dürftig. Ganz schräg wird es durch drei Abwesende. Denn nach diesem Massstab wäre mit Abstand auf Platz eins «Die Ostschweiz» gelandet. Auch «heidi.news» hat keine Gnade gefunden. Ach, und ZACKBUM wurde nicht berücksichtigt. So wenig wie die «Medienwoche» oder «persoenlich.com». Und noch ein paar weitere Organe, die Gasches Sperberauge entgingen. Wie «re-check.ch», «medinside.ch», usw., usf.

Wirklich unabhängige Organe ausgewählt?

Dafür behauptet Gasche zu den von ihm auserwählten Online-Auftritten: «Ihre Gemeinsamkeit: Sie sind von Grosskonzernen unabhängig.»

Kann man vielleicht so sagen. Wobei die «Republik» oder «bajour» von Multimillionären gesponsert werden, was natürlich null Abhängigkeiten auslöst. Absurd ist der Vergleich auch angesichts der Ausrichtung (national, lokal, themenspezifisch, allgemein) oder den unterschiedlichen Budgets (6,5 Mio. bei der «Republik», 3700 bei «infoméduse»).

Richtig lustig wird’s allerdings, als sich der Chefredaktor der «Ostschweiz» bei Gasche erkundigte, wieso denn sein Organ – mit Abstand die grösste Leserschaft, hat online das «Tagblatt»-Konglomerat in der Ostschweiz überholt, ist seit Corona national bekannt geworden – keine Gnade fand.

Oder übersieht, was andere sehen …

Da holte Gasche kurz tief Luft: «Ihre Plattform haben wir nicht berücksichtigt, weil sie PR-Beiträge nicht deutlich von redaktionellen Beiträgen abgrenzt, sondern auf verschiedenen Seiten eine nicht transparente Durchmischung geboten wird.»

Dabei sind bei der «Ostschweiz» PR-Beiträge deutlicher als bei mancher Tageszeitung als solche gekennzeichnet und finden sich grösstenteils in einem eigenen Gefäss. Gasche war sich wohl bewusst, dass das etwas dünn ist, also legte er mit noch Dünnerem nach: «Der VR-Präsident der «Die Ostschweizer Medien AG» ist der PR-Mann Peter Weigelt.» Das machte Chefredaktor Stefan Millius sprach-, aber nicht wortlos: «Die Tatsache, dass unser VR-Präsident ein «PR-Mann» ist (er war unter anderem auch der führende Medienpolitiker während seiner NR-Zeit), gibt Ihnen das Recht, daraus zu schliessen, wir seien eine PR-Plattform? Der Mann darf also nicht einen Verwaltungsrat einer Zeitung präsidieren, weil er früher ein PR-Unternehmen geführt hat?»

Selber am Markt behaupten oder bezahlen lassen?

Millius weist auf etwas hin, was seine Online-Plattform für Gasche äusserst suspekt macht: «Die Ostschweiz» (wie auch ZACKBUM) kassiert weder Mäzenengelder, noch Staatsknete. Sondern sie muss sich am Markt beweisen und refinanzieren. Das ist irgendwie anrüchig, wo doch die meisten der von Gasche aufgeführten Organe mit Bettelaktionen, staatlicher Unterstützung und spendierfreudigen Gönnern rechnen können, ohne die die meisten gar nicht mehr existieren würden.

Zudem hat «Die Ostschweiz» alleine eine grössere Leserschaft als alle in dieser Gasche-Aufstellung vertretenen Magazine zusammen. Wenn man deren Eigenangaben überhaupt trauen kann, denn es ist nicht zu vermuten, dass sie Gasche gegenüber ihre Analytics offenlegten.

Wer rupft wen?

Es ist diese unselige Einäugigkeit, Voreingenommenheit, Uneinsichtigkeit, die man zu Recht den Mainstream-Medien vorwerfen muss. Was aber leider genauso für Plattformen wie «Infosperber» gilt. Vertane Chancen, Verlust an Glaubwürdigkeit, ein Trauerspiel.

Ein schielender «Infosperber» im Sturzflug.