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Muss, sollte, aber dalli

Fabian Renz ist mit dem Parlament gar nicht zufrieden.

Renz ist der «Leiter des Bundeshausteams» des Kopfzeitungsverbundes Tamedia. Also meint er, ein mächtiger Mann zu sein. Zumindest ein wortmächtiger. Und in Ausübung dieser Fähigkeit muss er das Schweizer Parlament streng rügen:

Himmels willen. Unsere Landesregierung hat Schlagseite. Sie schwankt. Sie hat keinen Vertreter der «urbanen Deutschschweiz» mehr in ihren Reihen. Dazu zählt sich sicher Renz, also fühlt er sich höchstpersönlich wohl nicht mehr vertreten.

Das könnte er nun einfach beklagen, dafür ist doch ein Kommentar bei Tamedia da. Der Autor betrachtet seinen Bauchnabel von oben, unten und auch von innen, stellt dabei ein Wehwehchen, ein Leiden, einen Schmerz fest. Und teilt diese bedeutende Erkenntnis mit den gequälten Lesern.

Aber nicht Renz, der leidet nicht nur an der Unfähigkeit des Parlaments, die Vertretung der urbanen Deutschschweiz sicherzustellen. Der zeigt auch gleich, wo Bartli den Most holt:

«Das Parlament muss diesen Zustand 2023 korrigieren.»

Damit tritt er ein wenig in die Fussstapfen der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Als ein Landesparlament mit den falsche Stimmen (nämlich denen der AfD) einen Ministerpräsidenten wählte und der sich erfrechte, die Wahl anzunehmen, donnerte Merkel, dass das so nicht gehe und umgehend korrigiert werden müsse.

Statt sich diesen Übergriff aus dem fernen Berlin von einer dazu nicht autorisierten Regierungschefin zu verbitten, gehorchte das Parlament.

Vielleicht sieht sich Renz in dieser Tradition, man weiss es nicht. Immerhin bezweifelt Renz nicht, dass auch mit den Stimmen der SVP gewählte Bundesräte korrekt ins Amt gelangen. Aber: «Nie in der Geschichte war die Deutschschweiz, in der 70 Prozent der Bevölkerung leben, derart untervertreten im Bundesrat wie jetzt nach dieser Wahl.»

Das ist furchtbar, aber es ist ja noch viel schlimmer: «Verhängnisvoller noch: Sowohl Rösti als auch Baume-Schneider verfügen über einen landwirtschaftlichen Hintergrund.» Damit habe die Bauernlobby im Bundesrat eine Vertretung, die «in keinem sinnvollen Verhältnis zur geringen Bedeutung des Agrarsektors steht».

Während also Kühe, Schafe, aber auch Hühner überproportional berücksichtigt werden, mangelt es an anderem: «Die grossen Städte wie Zürich und Basel hingegen, die eigentlichen Fortschrittsmotoren des Landes: Sie sind im Bundesrat überhaupt nicht mehr vertreten.» Also, rückschrittliche und marginalisierte Bauern gegen die Fortschrittsmotoren: das kann nicht gutgehen.

So geht das auch nicht, dekretiert Renz. Nun fordert er immerhin nicht den Rücktritt von mindestens zwei der drei mit der Landwirtschaft verbundenen Bundesräte. Aber: demnächst einmal sollten Alain Berset und «der 63-jährige Wirtschaftsminister Parmelin» … «bei der Gesamterneuerungswahl 2023 zurücktreten. Bei dieser Gelegenheit muss das Parlament der urbanen Deutschschweiz wieder zu einer angemessenen Vertretung verhelfen.»

Bis dahin muss Renz dem Parlament eine ungenügende Betragensnote geben: «Als Wahlbehörde für den Bundesrat hat die Legislative eine grosse Verantwortung. Am Mittwoch hat sie diese zu wenig wahrgenommen.» Aber lässt Renz es bei diesen strengen Ermahnungen bewenden? Nein:

Stellvertretend für sie rüttelt Renz an den Grundfesten des Zweikammernprinzips: «Das Ständemehr gehört abgeschafft, im Ständerat wären den Städten eigene Sitze zuzuhalten. Ist das alles realisiert, dürften die Röstis, Parmelins und Baume-Schneiders auch gern noch viele Jahre im Bundesrat verbleiben.»

Hoppla, da war doch mal was mit gleichwertiger Vetretung auch kleinerer Kantone in einer Kammer, damit die bevölkerungsstarken nicht immer die Oberhand haben. Hinweg damit, fordert Renz. Dann, und nur dann lässt er die drei bäuerlichen Vertreter im Bundesrat gnädig im Amt.

Sind wir Staatsbürger aber froh, dass wenigstens Renz das Parlament kontrolliert, kritisiert und im richtigen Moment daran erinnert, wenn es seine grosse Verantwortung nicht wahrnimmt. Also, ihr Nationalräte und -rätinnen und everybody beyond, rot in die Agenda notieren und ja nicht bis zum nächsten Dezember vergessen: den Urbanen eine angemessene Vertretung verschaffen. Ach ja, und Berset sowie Parmelin sollten sich jetzt schon überlegen, zu welchem Zeitpunkt sie ihren Rücktritt bekanntgeben wollen. Und der Ständerat müsste dringend auf sein Ständemehr verzichten und den Städten eigene Sitze zugestehen.

Da sind einige Hausaufgaben zu machen, liebe Parlamentarier. Also hop und nicht gezögert.

Renz is watching you.