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Linke Lüstler?

Sind eigentlich linke Journalisten triebgesteuerter als rechte?

Eine gescheiterte Redaktorin vom «Magazin» bezichtigt ihren ehemaligen Chef, sie verbal ganz übel belästigt zu haben. Ein linker Starjournalist wird fristlos gefeuert, weil er sich gegenüber Mitarbeiterinnen der «Republik» zu anzüglich geäussert haben soll.

Nun hat auch die WoZ das Verhalten dieses Journalisten aufarbeiten lassen. Zunächst: «Was das mutmassliche Fehlverhalten des früheren Mitarbeiters betrifft, decken sich die eingegangenen Meldungen gemäss dem nun vorliegenden Untersuchungsbericht von Claudia Kaufmann im Wesentlichen mit den bereits publik gewordenen Vorwürfen.»

Aber: die WoZ forderte alle aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter auf, sich ebenfalls bei dieser Kaufmann zu melden. Resultat: «Insgesamt gingen achtzehn Meldungen bei Claudia Kaufmann ein, wobei nicht alle dieser Personen selbst eine Verletzung ihrer persönlichen Integrität erfahren haben.»

Aber: Es «wurden für den untersuchten Zeitraum ab 2005 weitere sexuelle Belästigungen gemeldet, die durch andere Mitarbeiter der WOZ erfolgt seien».

Der Bericht halte zudem fest, «dass unsere internen Massnahmen und Reglemente auch heute nicht genügen, um Mitarbeiter:innen ausreichend vor Verletzungen der persönlichen Integrität zu schützen». Bedauerlich, dass nicht einmal die krampfhafte Gendersprache («Mitarbeiter:innen») das Schlimmste verhindern konnte.

Dann kriecht die WoZ zu Kreuze: «Es tut uns leid, dass es in der Vergangenheit bei der WOZ zu Fehlverhalten gekommen ist. Die Betroffenen bitten wir dafür in aller Form um Entschuldigung – vor allem auch für die erlebte psychische Belastung und dafür, dass unser Betrieb keine vertrauensvolle Unterstützung gewährleisten konnte.»

Sind also linke Journalisten häufiger im Triebwagen unterwegs als rechte? Gibt es denn bei der «Weltwoche» oder im «Nebelspalter» keine Glüschtler? Nicht mal bei der NZZ? Was kann man darauf ableiten?

Schlichtweg, dass all die Sprachverunstaltung, die Gendersensibilisierung, die ständige Klage über sexistische Verhaltensweisen in der Gesellschaft offenbar intern wenig nützen.

Wichtiger ist aber die Feststellung, dass sich nicht nur beim Roshani-Skandal bei näherer Betrachtung herausstellte, dass an fast allen Vorwürfen nichts dran ist und der Betroffene zu Unrecht öffentlich hingerichtet wurde. Auch im Fall des Starjournalisten und in den meisten anderen Fällen (man erinnere sich an den denunziatorischen Brandbrief von 78 erregten Tamedia-Frauen, der eine lange Latte von Vorwürfen enthielt) stellte sich dann heraus, dass sich kein einziger dieser Vorfälle erhärten liess. Zu sehr anonymisiert, oftmals viele Jahre zurückliegend, keine Belege, Indizien, Beweise.

Sexuelle Belästigung ist ein Straftatbestand; wird sie angezeigt, muss die Polizei ermitteln. In (fast) jeder Firma gibt es inzwischen eine Anlaufstelle für solche Beschwerden. Die wurde übrigens bei Tamedia damals kein einziges Mal bemüht, bevor es die Frauen für angebracht hielten, via die einschlägig bekannte Jolanda Spiess-Hegglin mit ihren Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen, obwohl den Unterzeichnerinnen vorgespiegelt wurde, das Schreiben sei nur für den internen Gebrauch bestimmt.

Mit dem Kampfbegriff «sexuelle Belästigung», physisch oder verbal, ist eine aussergesetzliche Waffe im Geschlechterkampf gefunden worden. Wer (meist anonym) solche Vorwürfe erhebt, ohne Anzeige zu erstatten, läuft immer Gefahr, der Falschbeschuldigung bezichtigt zu werden. Das ist eine Schweinerei gegenüber tatsächlichen Opfern, die es unbestreitbar gibt.

Aber anonyme Denunziationen, die meist zum Karriereende des Opfers führen, sind widerwärtig. Das Statement der WoZ ist dafür typisch, Es seien also weitere Fälle von Belästigungen gemeldet worden. Aber: «Zu diesen Vorfällen macht der Bericht aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes sowie der zugesicherten Vertraulichkeit keine konkreten Angaben. Die WOZ verfügt über keine weiteren Informationen dazu.»

Auch bei der «Republik» lief das nicht anders. Dem Gefeuerten wurde sogar zuerst noch das Recht zur Konfrontation seiner Beschuldiger eingeräumt, anschliessend aber entzogen. Er konnte sich also nicht einmal verteidigen. Die primitivsten Regeln des Rechtsstaats sind in solchen Fällen ausser Kraft gesetzt.

Das ist ein Übelstand, der der Sache der Frau keinen Dienst erweist, sondern im Gegenteil sie schädigt.

SoBli: Neuer Chefredaktor …

Reza Rafi schafft Transparenz im Hause Ringier.

Nein, das ist natürlich ein Scherz. Wieso genau wurde Rafis Vorgesetzter Christian Dorer in den sechsmonatigen Ruhestand versetzt? Wieso genau hat sich Rafis direkter Vorgesetzter Gieri Cavelty «entschieden, das Unternehmen zu verlassen»*? Wodurch qualifiziert er selbst sich als neuer SoBli-Chefredaktor? Da gibt’s grosse Sendepause.

Aber man ist gespannt, wie sich der frischgebackene Häuptling mit ganz, ganz wenig Indianern so metzget. Schauen wir mal auf sein erstes längeres Stück in seiner neuen Funktion:

Also das Titelzitat entspricht eigentlich nicht der neuen Sensibilität im Hause Ringier. Sehr gewagt, Rafi. Aber während andere ohne grosse Mühe den Untersuchungsbericht gelesen haben, musste sich der SoBli-Chef «durchkämpfen». Leseschwäche?

Die Vorwürfe der gefeuerten «Magazin»-Journalistin Anuschka Roshani (für Rafi allerdings vornehm zurückhaltend «die ehemalige») seien «zeitgeisty», lässt Rafi seine Englischkenntnisse aufblitzen. Weil er das Wort auf Deutsch nicht kennt?

Dann arbeitet sich Rafi an Schawinski ab. Zwar «Altmeister», aber dann «das Wort Ich kommt auf den 172 Seiten schwindelerregende 377-mal vor», hat Rafi gezählt. Schawinski habe auch – unglaublich – kräftig für sein Buch geweibelt, um dann beim Journalisten und «Schawinski-Gefolgsmann» Matthias Ackeret sich gerührt vom «grossen Interesse» zeigen zu können.

Dann plaudert Rafi etwas aus dem Nähkästchen: «Die Absage des SonntagsBlicks kam bei ihm schlecht an.» Die NZZaS, weiss der SoBli-Chef, habe eine Buchbesprechung «wieder aus dem Blatt gekippt», die SoZ habe ein Interview «wieder aus dem Programm gestrichen», schreibt er ZACKBUM ab. Wieso zogen eigentlich diese drei Sonntagsblätter den Schwanz ein? Insbesondere der SoBli? Wäre doch Gelegenheit für Transparenz.

Rafi gibt einen merkwürdigen Grund an: «Allzu eindeutige Schwarz-Weiss-Antworten lösen Skepsis aus.» Ausgerechnet der Chef eines Blatts, das prinzipiell für Schwarz-Weiss-Antworten zuständig ist, auch in seinem anfänglichen Applaus für Roshani?

Aber was ergab denn nun der Kampf von Rafi mit dem Untersuchungsbericht? Er muss einräumen: «Nimmt man das 244 Seiten dicke Dokument zum Gradmesser, sieht es nicht rosig aus für Roshani. Die Autoren gingen mehr als 30 Vorwürfen gegen den ehemaligen «Magazin»-Leiter nach. Für die Mehrheit der Anschuldigungen fanden die Ermittler keine Beweise, mehr noch: Bei manchen hätten die Abklärungen «zu ganz anderen Ergebnissen» geführt.

Aber, im Kampf gegen Schwarz-Weiss: ein Vorwurf Canonicas gegen Roshani habe sich auch nicht erhärten lassen, dann die wohlbekannte Hakenkreuze natürlich, sowie Canonicas Wortwahl. Hier wird Rafi eher grenzwertig. So wurde der Ausdruck «Fuck Anushka» im Bericht kritisiert, ausdrücklich aber klargestellt, dass Canonica keinesfalls wie von Roshani behauptet ständig das Wort «ficken» verwendet habe, sondern gelegentlich das englische «fuck», aber nicht etwa im sexuellen Sinn, sondern als übliches Schimpfwort. Was der «zeitgeisty»-Rafi eigentlich wissen müsste, hätte er sich richtig durchgekämpft, aber dem Leser vorenthält.

Also muss Rafi einräumen, dass der Bericht, wie nicht nur von Schawinski bereits konstatiert, fast alle Behauptungen und Vorwürfe von Roshani zurückweist. Mit mehr oder minder starken Worten. Würde Rafi das aber so stehenlassen, könnte er ja seinen Thesenjournalismus nicht durchziehen.

Da hätten wir von ZACKBUM nur zwei Fragen: wieso gibt es eigentlich keinen internen Untersuchungsbericht bei Ringier, und wenn doch, wann wird uns Rafi seine Resultate präsentieren? Stichworte Walder, Dorer, weitere unmotivierte Abgänge?

Zweite Frage: wann lesen wir von Rafi eine Zusammenfassung der Ungeheuerlichkeiten, die «#hateleaks» ans Tageslicht befördert hat? Verein Netzcourage, unterstützt mit Steuergeldern, kämpft gegen Hetze im Internet, hetzt aber selbst wie der Weltmeister, knackt sogar den Mail-Account der eigenen Präsidentin. Wär› doch was, Herr Chefredaktor.

Ach, wir verstehen, Sie wollen den Posten gerne ein Weilchen behalten. Alles klar. Aber noch eine handwerkliche Frage, denn auch da stinkt der Fisch bekanntlich vom Kopf.

Ausgangslage: Chefredaktor Rafi bekommt einen Text vorgelegt. Der gibt den Inhalt des Untersuchungsberichts über die Vorwürfe von Roshani wieder. Ergebnis: eigentlich alle Anschuldigungen und Behauptungen über ihren ehemaligen Chefredaktor und den Verlag Tamedia haben sich als haltlos erwiesen. Dem Chefredaktor wird ein Führungscoaching und eine sensiblere Wortwahl nahegelegt. Bei Roshani ist das Ergebnis, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit mit ihr kaum mehr vorstellbar sei. Darüber schreibt Roger Schawinski ein Buch, das diese Inhalte zusammenfasst und vor allem auch das Versagen der Medien nach dem öffentlichen Rufmord Roshanis thematisiert.

Als Titel schlägt der Redaktor (generisches Maskulin) vor: «Fuck Anuschka» ist zukünftig zu unterlassen. Was würde Rafi dazu sagen? Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: handelte es sich um eine Redaktorin, würde er «super, so machen wir das» sagen. Wäre es ein Redaktor, würde Rafi den grossen, roten Chefkuli zücken und den Titel mehrfach durchstreichen. Mit der Bemerkung: schon mal davon gehört, dass ein Titel etwas mit dem Inhalt des Artikels zu tun haben sollte?

*In einer früheren Version stand, Cavelty sei abserviert worden. Auf seine Bitte hin wurde das korrigiert.

 

 

 

Roshani im Zwielicht

Sind ihre Anschuldigungen haltlos und erfunden?

Schlechte Nachricht für alle, die bereits losgaloppiert sind. In erster Linie die «Zeit»-Mitarbeiterin Salome Müller, die «feministische Aktivistin» Franziska Schutzbach und alle die vielen Journalisten, die sich freudig sabbernd auf die Anschuldigungen der ehemaligen «Magazin»-Redaktorin Anuschka Roshani geworfen haben.

Völlig bescheuert wirkt in diesem Zusammenhang nun das Verwenden von anonymen Quellen, die mutig aus der Dunkelheit «es war alles noch viel schlimmer» gerufen haben sollen (wenn sie nicht schlichtweg erfunden wurden). Mit ziemlich abgesägten Hosen steht auch mal wieder der «Spiegel» da, der seiner ehemaligen Mitarbeiterin die grosse Bühne freimachte und eine vierseitige Klageschrift von ihr veröffentlichte. Deren Inhalt angeblich gnadenlos verifiziert worden sei.

Das alles steht nun in einem schiefen Licht, seit es Roger Schawinski gelungen ist, Einblick in den Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Rudin Cantieni zu nehmen. Der Bericht über die Vorfälle im «Magazin» war schon von Tamedia als Zusammenfassung publiziert worden. In ihr hatten beide Protagonisten dieser Affäre kräftig eins über die Rübe bekommen.

Finn Canonica waren inakzeptable Verhaltensweisen vorgeworfen worden, Anuschka Roshanis Anschuldigungen hätten sich aber grösstenteils nicht erhärten lassen, zudem habe sie die weitere Zusammenarbeit mit der Kanzlei verweigert.

Beide Angestellten waren im Anschluss entlassen worden; zuerst der «Magazin»-Chefredaktor Canonica, dann die Anklägerin und Redaktorin Roshani.

Was Schawinski nun auf seinem Radio 1 aus dem ihm offenbar vorliegenden Gesamtbericht zitiert, ist starker Tobak:

«Zusammenfassend ergibt sich, dass auch die meisten Vorwürfe gegenüber Finn Canonica verneint werden mussten…Bossing gegenüber Anuschka Roshani scheidet aus, da es an der Zielgerichtetheit und Systematik über längere Zeit fehlt und gerade sie auch Privilegien genoss, die andere nicht hatten… Die Sonderbehandlung eines bezahlten Sabbaticals stellt eine Bevorzugung gegenüber anderen dar und schliesst ein gleichzeitiges Bossing gegenüber Anuschka Roshani eigentlich aus.»

Und: «Nicht bestätigt wurde (von Redaktionsmitgliedern) die Aussage, dass Finn Canonica bösartige höchst verächtliche Aussagen über Anuschka Roshani machte.» Dafür rückt nun ein weiterer Ex-Mitarbeiter ins Zentrum der Affäre: «Nachdem Prof. Dr. Peter Nobels Untersuchung im 2014 eine basale Lüge von Mathias Ninck zeigt, vorliegend Mathias Nincks Angaben nachweislich nicht stimmen, kann er nicht als glaubwürdige Quelle eingestuft werden.»

Ninck habe behauptet, Canonica habe eine Affäre mit einer Angestellten gehabt; diese Story wurde auch von Roshani im «Spiegel» erzählt und noch ausgeschmückt. Dazu der Bericht:

«Die Überprüfung von Mathias Nincks Angaben zeigen, dass schon die äusseren Eckpunkte seiner Schilderung nicht stimmen können.»

Der Bericht merkt weiter an: «Anuschka Roshani baut ihre Versionen ihrerseits stetig aus. Anreicherungen können Hinweise auf bewusste Lügen oder aber auf suggestive Einflüsse sein. Vorliegend fand mutmasslich eine Absprache von Mathias Ninck und eine Angleichung an seine Version statt.» Anscheinend soll Roshani solche Kontakte zuerst verneint, dann eingeräumt haben, um sich dann weiteren Antworten zu entziehen.

Auch in einem anderen Punkt bekommt Ninck gröbere Probleme: «Mathias Nincks Vorwurf, Finn Canonica habe eine Frauenbrust mit nach oben gerichteter Brustwarze auf dem Pult gehabt und diese jeweils – begleitet von zweideutigen Aussagen – vor weiblichen Bewerberinnen gestreichelt, geht ins Leere. Der fragliche plastische Chirurg bestätigte schriftlich, dass er Finn Canonica erst im 2018 – nach Matthias Nincks Zeit – ein Brustimplantat schenkte. Implantate sind nicht als Brust zu erkennen und haben insbesondere keine Brustwarzen.»

Und dann der Hammer:

«Die Untersuchungspersonen gehen nach dem Gesagten von Absprachen zwischen Anuschka Roshani und Mathias Ninck aus.»

Wenn sich das erhärten lässt, kann das für beide Beteiligten ohne Weiteres strafrechtliche Konsequenzen haben.

Ein weiterer schwerer Vorwurf gegen Roshani: Diverse Beweismittel, welche Untersuchungspersonen angefordert hatten, wurden nicht eingereicht. Zum Vorwurf, Canonica habe Roshani die «Ungefickte» genannt, steht im Bericht: «Ins Auge springt vorab die Verwendung der Terminologie. So äusserte Michèle Roten ursprünglich, Finn Canonica habe die «Untervögelte» gesagt. Anuschka Roshani sprach später von die «Ungefickte», worauf Michèle Roten, die als Einzige den Ausdruck hörte, ebenfalls auf «die Ungefickte» umschwenkte. Unbestritten ist, dass Michèle Roten und Anuschka Roshani sich austauschten.»

Eine Parallele zwischen Ninck und Roshani scheint darin zu bestehen, dass beide entlassen, bzw. freigestellt wurden. Ninck kündigte dann 2015 von sich aus, nachdem der damalige Untersuchungsbericht der Kanzlei Nobel seine Anschuldigungen in der Luft zerrissen hatte. Ein weiteres pikantes Detail aus dem Bericht ist die Verbandlung zwischen dem Chefredaktor der «Schweizer Familie» Daniel Dunkel als VR des Verlags «Kein & Aber», dessen Gründer, Besitzer und Geschäftsführer Peter Haag ist, der Ehemann von Roshani. Haag wiederum soll die Tamedia-Verwaltungsrätin Pascale Bruderer mit einem von seiner Frau zusammengestellten Dossier über Canonica versorgt haben, das sie in den VR trug.

Auch die Behauptung von Roshani, sich seit 2007 bei zuständigen Stellen gemeldet und beschwert zu haben, ist laut Bericht nicht belegbar. Mündlich korrigierte sie dann, dass die Meldungen zwischen 2012 bis 2015 stattgefunden haben sollen, allerdings telefonisch. Dem HR von Tamedia liegen dazu aber keine Unterlagen vor.

Wohlgemerkt wurde dieser Bericht vor den Entlassungen von Canonica und Roshani abgeschlossen. Laut Tamedia soll er ihr zur Kenntnis gebracht worden sein, sie bestreitet das.

Wenn man es als belegt erachtet, dass sich Roshani in einer Blindbewerbung um die von Canonica besetzte Stelle des «Magazin»-Chefredaktors bewarb, sich ab März 2022 krank meldete («ohne ärztliches Attest», wie der Bericht anmerkt), schliesslich mit Kündigungsfrist bis Ende 2022 entlassen wurde, um dann im «Spiegel» die ganz grosse Keule hervorzunehmen, kommt der nicht voreingenommene Betrachter zu einer klaren Schlussfolgerung.

Es hat im Verhalten von Canonica offensichtlich schwere Schnitzer gegeben, die auf jeden Fall geahndet werden mussten, wie das auch der Bericht vorschlägt. Allerdings spricht er von Coaching und Abmahnung, nicht von Entlassung.

Nochmals in einem ganz schrägen Licht erscheint das Schweigen der Männer, also der übrigen «Magazin»-Redaktoren. Sie waren und sind offenbar zu feige, sich zwischen einer Bestätigung der Vorwürfe von Roshani und einem Dementi zu entscheiden. Entweder hätten sie sexuelle Ausfälligkeiten ihres Chefredaktors geduldet – oder sie müssten einer Frau widersprechen, die das Narrativ der sexistischen Machokultur bei Tamedia bedient. Herausragend feige ist dabei Daniel Binswanger, früher eng mit Canonica und als Chefredaktor a.i. der «Republik» nicht mehr Lohnabhängiger von Tamedia.

Aber auch er schweigt, wohl um sich die Aussicht auf ein warmes Plätzchen nach dem möglichen Untergang seines jetzigen Brötchengebers nicht zu verscherzen. Was für ein Charakter.

Was allerdings Roshanis Anschuldigungen betrifft, kann ZACKBUM nur wiederholen: sollten sie sich als übertrieben, erfunden herausstellen, als Rache für gescheiterte Karrierepläne und eine Entlassung, dann ist die Dame als Journalistin erledigt und hätte der «Spiegel» neuerlich einen kleinen Fall Relotius an der Backe.

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PS: Die Ereignisse überschlagen sich mal wieder. Wie abzusehen war, wurde nach dem Prinzip «Ene, mene, muh» ein Sündenbock bestimmt. Supino kann’s nicht sein, die beiden Geschäftsführer retteten auch ihre Haut. Also wurde der arme Arthur Rutishauser degradiert und auf den Posten des Chefredaktors der «SonntagsZeitung» runtergstuhlt.

Gleichzeitig wurden die beiden Co-Chefredaktoren des «Tages-Anzeigers» gespült. Von deren Existenz merkte sowieso niemand gross was. Nun ist Marco Stäuble neu «Inlandchef». Also ist dieses Ressort von abnehmender Bedeutung. Priska Amstutz kommt ins Abklingbecken «neues Projekt».

Das ist noch nicht so schlimm (ausser für Arthur). Aber jetzt kommt’s: Raphaela Birrer wird die neue Quotenfrau-Chefredaktorin. Die «ausgebildete Lehrerin» auf Primarschulstufe fiel in der Vergangenheit mehrfach durch so unqualifizierte wie rechthaberische Kommentare auf, sonst aber durch nichts. Offenbar ist Tamedia die Mantelredaktion auch zunehmend schnurz. Denn auch Kerstin Hasse, die unsichtbare Frau mit Blödel-Tweets und starkem feministischem Einschlag, ist ebenfalls in dieser Chefredaktion.

ZACKBUM drückt allen verbleibenden Redaktionsmitgliedern sein Mitgefühl aus. Ihr Trost kann nur sein: die nächste Sparrunde kommt bestimmt. Vorher wird das aber auf die Leber gehen!

 

 

Saubere Schlammschlacht

Fall Canonica: Das Imperium schlägt zurück.

Anuschka Roshani hat vorgelegt und mit der ihrer Meinung nach toxischen Kultur beim Gutmenschenblatt «Das Magazin» abgerechnet. Im Gegensatz zu früheren Kritiken am Hause Tamedia kann sie ihre Vorwürfe zumindest teilweise belegen.

Zudem schreiben «Spiegel» und NZZ, dass weitere Zeugenaussagen und Dokumente vorlägen, die die Anschuldigungen von Roshani untermauerten. Sie hat zudem ihre Aussagen über Vier-Ohren-Gespräche mit eidesstattlichen Versicherungen untermauert.

Dagegen hat sich die Redaktion des «Magazins» auf eisernes Schweigen verlegt. Keine Reaktion auf die Anfragen von ZACKBUM, sicherlich auch keine Reaktion auf Anfragen anderer Medien. Den Gutmenschen dort hat’s die Sprache verschlagen.

Der «Kommunikationsverantwortliche Tamedia» behauptete noch gestern: «Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes kann Tamedia keine weiteren Angaben machen.» Ausser den maliziösen Bemerkungen, dass sich die Vorwürfe «zu einem grossen Teil nicht bestätigten». Dann setzte Tamedia noch einen drauf: «Eine Mitschuld von Frau Roshani an der für alle Beteiligten schwierigen Situation kann Tamedia weder ausschliessen noch bestätigen.»

Was will uns der Konzern damit sagen? Wohl doch ganz klar: Roshani ist mindestens mitschuldig an diesem Schlamassel.

Eher peinlich wurde es dann bereits einen Tag danach. Da pfiff Tamedia nämlich auf den «Persönlichkeitsschutz» und veröffentlichte eine Kurzfassung des Untersuchungsberichts durch die Kanzlei Rudin Cantieni. Das ist die Anlaufstelle der Wahl für die Plagiatsaffäre an der HSG, den Zuständen bei der Kapo Winterthur, Missbrauchsvorwürfen im Sport, usw.

Natürlich tropfte das Dokument in Windeseile aus dem internen Verteiler an die Öffentlichkeit und kann inzwischen beim «Tages-Anzeiger» eingesehen werden. Begleitet wurde es von der Behauptung: «Die publizistische Leistung der Magazin-Redaktion «war und ist hervorragend»». Die Blattkritik durch ZACKBUM kann das allerdings nicht bestätigen.

Der «Untersuchungsbericht» kommt zu für Roshani verheerenden Schlussfolgerungen:

«Die Vorwürfe waren meist unzureichend belegt. Auch ergaben sich zahlreiche Widersprüche. Der Aufforderung, dazu weitere Beweismittel einzureichen, kam Anuschka Roshani nicht nach. Auch konnte keine Befragung zu den Widersprüchen erfolgen, da sie nach den anfänglichen Befragungen – ohne Vorlage eines Arztzeugnisses – mitteilen liess, dass sie für die weitere Untersuchung nicht mehr zur Verfügung stehe. Auch die befragten Personen bestätigten Anuschka Roshanis Vorwürfe mehrheitlich nicht resp. verneinten sie.
Anushka Roshanis Vorwürfe gegenüber der Arbeitgeberin liessen sich nicht erhärten.»

Ein Untersuchungsbericht, in dem nicht einmal der Name der Hauptbeteiligten immer richtig geschrieben wird? Nun ja. Ein Untersuchungsbericht, in dem maliziös auf eine angeblich «bei den Akten» befindliche «Blindbewerbung vom November 2020» verwiesen wird, mit der sich Roshani auf «Finn Canonicas (nicht zur Disposition stehende) Stelle» beim Verleger beworben habe?

Roshani wird hier also regelrecht runtergebürstet, während bei Canonica lediglich empfohlen wird, er solle doch etwas «Sensibilisieren beim Sprachgebrauch» durchführen, bzw. «Führungsschulungen» machen: «Die Untersuchungspersonen empfehlen in diesem Punkt eine Abmahnung resp. Verwarnung. Insgesamt werden auch Führungscoachings empfohlen.»

Offensichtlich ist aber die Geschäftsleitung von Tamedia diesen Empfehlungen nicht gefolgt, sondern trennte sich sowohl von Canonica wie von Roshani. Warum dann nur?

Ein weiterer Satz im Begleitmail, unterzeichnet von den Geschäftsführern Andreas Schaffner und Mathias Müller von Blumencron, ist interessant: «Wir haben beide Parteien über den Inhalt des Untersuchungsberichtes informiert.» Roshani behauptet demgegenüber, dass ihr dieser Inhalt nicht mitgeteilt worden sei.

Hier haben wir einen klaren Fall: eine der beiden Seiten sagt nicht die Wahrheit.

Zwischenbilanz: trotz der Androhung rechtlicher Schritte hat Roshani bislang nichts von ihren Vorwürfen zurückgenommen.

Tamedia hingegen eiert schon in den ersten zwei Tagen nach der Veröffentlichung der massiven Anschuldigungen. Keine weiteren Informationen «aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes», dann einen Tag später ist’s schon mit dem Schutz vorbei.

Dass sich im Solde von Tamedia stehende Mitarbeiter, während Canonica noch am Gerät war, gegenüber den untersuchenden Anwälten «mehrheitlich» nicht dazu hinreissen liessen, die Vorwürfe zu bestätigen, mag nicht wirklich zu erstaunen. Das Wort «mehrheitlich« deutet aber darauf hin, dass es doch ein, zwei Mutige gegeben hat.

Entscheidend wird nun sein, ob noch weitere Mitarbeiter des «Magazins» die Zivilcourage haben, Roshanis Vorwürfe öffentlich zu bestätigen. Laut ihrer Darstellung müsste es ja genügend Ohrenzeugen geben. Vielleicht hat auch sie selbst noch weitere Beweise im Köcher.

Sollte das geschehen, entwickelt sich aus der Affäre Canonica eine Affäre Tamedia. Dann wäre mit weiteren Rücktritten zu rechnen. Pardon, mindestens ein Mitglied der Geschäftsleitung will dann neue Herausforderungen annehmen …

 

 

Schrumpf-Skandal

Grauenhafte Zustände im Asylzentrum Zürich. Oder doch nicht.

Ein Skandal, wie gemacht für die Moralwächter von Tamedia. Eigentlich ein Skandal von ihnen gemacht. Denn im Thema war natürlich alles drin, was einen wohlmeinenden Moralpächter in Wallung bringt.

Organisation, die Menschen schikaniert»

Es geht um ein Asylantenheim, um die Zustände dort, um die Kritik von Mitarbeitern, um die Beschwerden von dort lebenden Asylsuchenden. Fertigmachen, kleinmachen, Selbstmordgedanken, nicht mal die primitivsten Menschenrechte werden gewährt oder eingehalten, schäumte Tamedia auf einer Doppelseite.

Der Co-Chefredaktor Mario Stäuble liess wie meist die Gelegenheit nicht aus, mit beiden Füssen in einen Fettnapf zu springen:

Keiner zu klein, Forderer zu sein:

So schlug Tamedia vor ziemlich genau einem Jahr zu. Nun musste aber vermeldet werden, dass eine vom Betreiber eingesetzte externe Untersuchungskommission ihre Ergebnisse bekanntgab. Würden die von Tamedia erhobenen oder kolportierten Vorwürfe auch nur zum Teil stimmen, wäre das sicherlich eine Hinrichtung, die Beschreibung eines Debakels. Garniert mit Forderungen nach sofortigen Massnahmen, um unhaltbare Zustände zu beenden.

Nun ja, zitieren wir die unbefangene NZZ, die auch über den Untersuchungsbericht einen Artikel verfasst hat:

Hoppla; daher kommt die Kommission zur Schlussfolgerung, es seien weder strukturelle noch personelle Anpassungen nötig. Ha, mag da nun der kritische Leser einwenden, wer zahlt, befiehlt, da wurde doch wohl ein Gefälligkeitsgutachten bei zugewandten Orten bestellt. Nicht wirklich, erklärt die NZZ:

«Die Studie erstellt hat das Beratungsunternehmen Res Publica Consulting; federführend war die frühere SP-Politikerin und Finanzvorsteherin von Winterthur, Yvonne Beutler. 21 Personen von AOZ, Stadt Zürich und Bund wurden intensiv befragt, es wurden Vergleiche mit anderen Asylzentren angestellt und Akten gewälzt. Auch eine breite Mitarbeiterumfrage floss in die Untersuchung ein.»

Also folgt hier Tamedia mit seinem Skandalisieren der Tradition der «Republik», die es zur Perfektion gebracht hat, einen Pipifax zum Skandal hochzuschreiben, dann schweigend oder sich finster gegen «Kläffer» verteidigend zuzuschauen, wie der Skandal wie ein angestochener Ballon zusammenschnurrt.

Aber von der Qualitätszeitung kann man nun sicher erwarten, dass sie den Bericht zum Anlass nimmt, selbstkritisch ihr Skandal-Geschrei von vor einem Jahr zu reflektieren. Allerdings lässt einen schon der Titel Übles ahnen:

Ob das die richtige Gewichtung der Darstellung eines Untersuchungsergebnisses ist, das schlicht und einfach nichts Gravierendes gefunden hat? Ist es nicht ein Hohn, wenn im Lead knapp bemerkt wird: «Nicht alles lief ideal.» Nicht alles? Also das meiste dann doch? Als hätte der Bericht nicht das Gegenteil belegt, werden eingangs nochmal die alten Vorwürfe rezykliert:

«Vor einem Jahr sagten ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im BundesasylzentrumZürich (BAZ) eskaliere die Lage aufgrund mangelhafter Betreuungsstrukturen immer wieder. Sie berichteten von Massenprügeleien, regelmässigen Selbstverletzungen und einer hohen Kündigungsquote beim Personal.»

Dermassen eingestimmt, wird dem Leser nun doch das Ergebnis der Untersuchung präsentiert. «Vorneweg» entledigt sich Tamedia der ledigen Pflicht, das Ergebnis referieren zu müssen:

«Die Firma hat keine «schwerwiegenden Feststellungen gemacht, die auf systemische Mängel der Organisation hindeuten».»

Blöd aber auch. Das macht nix, denn: «Trotzdem bestätigt der Bericht im Wesentlichen die von den Mitarbeitenden erhobenen Vorwürfe.» Hm. Das ist nun merkwürdig. Keine grundlegenden Probleme gefunden, keinen Bedarf an struktureller oder personeller Veränderung entdeckt, aber dennoch «im Wesentlichen» die Vorwürfe bestätigt? Wie soll das gehen?

Fast 4500 Anschläge des insgesamt 6130 Buchstaben umfassenden Artikels verwendet Autorin Lisa Aeschlimann dann darauf, die (wenigen) Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge auszuwalzen. Sie muss offenbar für die Autoren des Skandalberichts vor einem Jahr die Kartoffeln aus dem Feuer holen. Martin Sturzenegger und Nicolas Fäs fühlen sich nicht bemüssigt, eine Stellungnahme abzugeben, wieso sie damals dermassen übertrieben haben. Ihre damaligen Kronzeugen sprachen von unhaltbaren Zuständen, Personalmangel, Überforderung und dadurch ausgelöster hoher Fluktuation; die meisten Angestellten wollten nix wie weg, wenn sie eine andere Stelle fänden.

Und das in einem Betrieb, in dem es «keine systemischen Mängel» gibt und deswegen auch keine strukturellen oder personellen Veränderungen nötig seien?

Haben denn die NZZ und Tamedia wirklich den gleichen Bericht gelesen? Welcher Zacken würde aus welcher Krone fallen, wenn Tamedia eingestünde, dass man halt wie heute üblich etwas zu viel Gas gegeben habe, jammernden Ex-Mitarbeitern zu viel Platz eingeräumt, ihre Aussagen nicht kritisch genug hinterfragt? Also schlichtweg für eine Knaller-Story die Scheinwerfer falsch eingestellt? Solche Aussagen wurden damals fett herausgehoben:

 

Gilt das nun eigentlich auch für Tamedia-Redaktoren?

 

 

 

Hat der «Spiegel» einen Schuss?

Vor 27 Jahren berichtete das Nachrichtenmagazin über einen «Todesschuss».

Es war die Spätphase des Linksterrorismus in Deutschland. Die Rote Armee Fraktion (RAF) lag in den letzten Zügen, nicht viel später flüchteten die letzten Überlebenden in die DDR.

Am 27. Juni 1993 war bei einem polizeilichen Zugriff einiges schiefgegangen. Es entwickelte sich im Bahnhof Bad Kleinem eine wilde Schiesserei, in deren Verlauf ein Polizist und der gesuchte Terrorist Wolfgang Grams ums Leben kamen.

Der «Spiegel» prangerte in seiner Titelgeschichte das «Versagen der Terrorfahnder» an; ein «Zeuge» habe ausgesagt, Grams sei am Boden liegend von einem Polizisten erschossen worden. «Die Tötung des Herrn Grams gleicht einer Exekution», soll der am Geschehen Beteiligte unter dem Schutz der Anonymität gesagt haben.

Das führte dann unter anderem zum Rücktritt des damaligen Innenministers, der Generalbundesanwalt wurde in den Ruhestand versetzt, gegen zwei Polizisten der Spezialeinheit GSG9 wurde wegen vorsätzlicher Tötung ermittelt.

Damals Skandal, heute immer noch, aber anders

News von gestern, frisch aufgebrüht? Nicht ganz. Denn schon beim Erscheinen des Skandalberichts gab es ernsthafte Zweifel an seiner Richtigkeit. Vor allem die Aussagen dieser anonymen Quelle machten Kopfzerbrechen.

Der Reporter beruft sich natürlich bis heute auf Quellenschutz, der ihm heilig sei. Nach Relotius etwas empfindlich geworden, hat der «Spiegel» auch hier eine Kommission eingesetzt, die den Wahrheitsgehalt dieser Titelstory nochmals überprüft hat. Und auf 10 Seiten zum niederschmetternden Resultat kommt:

«Der SPIEGEL hat mit der Berichterstattung auf Basis einer mangelhaft geprüften und falschen Aussage einen journalistischen Fehler begangen.»

Das ist bedauerlich, aber der Bericht deckt auch schonungslos auf, wie schlampig, unseriös und ohne grosses Bemühen um Verifikation schon damals der «Spiegel» der Versuchung erlag, einen Riesenskandal zur Titelgeschichte zu machen.

Bis heute kommen noch die verhaltensauffälligen Empfindlichkeiten von Journalisten dazu. Denn der damalige «Spiegel»-Redaktor heisst Hans Leyendecker. Der war damals im Düsseldorfer «Spiegel»-Büro beschäftigt. Durch seine Beteiligung an der Aufdeckung der Flick-Affäre um Parteispenden und anderer Skandale hatte er sich bereits einen Ruf erarbeitet.

Anschliessend war und ist Leyendecker, inzwischen 71, bei der «Süddeutschen Zeitung» zum grossen Enthüllungsjournalisten gereift, angesehen, eine Instanz. Kein Wunder, dass er sich mit Händen und Füssen dagegen wehrt, dass er einen Zeugen erfunden habe und lediglich beruhend auf der Aussage eines anonymen Tippgebers, der schon damals erkennbar Lüge und Wahrheit vermischte, die Sache zu einer Riesenaffäre aufgepumpt habe.

Die Wahrheit ist bunt, unterschiedlich und widersprüchlich

Akribisch weist ihm der «Spiegel» allerdings nach, dass er im Verlauf der Jahre über die Anzahl seiner Zeugen, über die Anzahl der Treffen, ob es zu persönlichem oder nur telefonischem Kontakt kam, eine gewisse Bandbreite an Darstellungen zu Protokoll gab. Vor allem steht in Zweifel, ob es zwei oder nur eine Quelle gab, deren Identität Leyendecker zudem nicht kannte.

Was selbst im ruppigen deutschen Journalismus selten ist: Leyendecker drohte nach der Erstveröffentlichung der Untersuchungsergebnisse seinem ehemaligen Arbeitgeber mit dem Anwalt und verlangte eine bessere Darstellung seiner Position. Weil im Bericht auch vermerkt ist, dass der «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein mehrfach bedauerte, ihn nicht rausgeschmissen zu haben, legt Leyendecker zudem Wert auf die Feststellung, dass Augstein später mehrfach versucht habe, ihn zurückzuholen.

Da geht noch einer drüber. Auch ein ehemaliger Chefredaktor des «Spiegel» bedroht sein Ex-Blatt mit einer Strafanzeige. Denn Klaus Brinkbäumer sieht sich durch diesen Bericht verunglimpft. Eine Abschrift des Telefongesprächs zwischen Leyendecker und dem anonymen Informanten fand 2015 wieder den Weg zum «Spiegel». Daraufhin habe sich schon damals ein Rechercheur der Sache angenommen und eine Liste mit 43 Fragen an Leyendecker erstellt. Aber der damalige Chefredaktor Brinkbäumer habe das abgelehnt und entschieden, nichts zu unternehmen.

Stimmt gar nicht, erregt sich Brinkbäumer und fordert eine Gegendarstellung per Anwalt. Das dürfte eine Premiere sein. Aber was ist das Fazit, ausser verletzten Gefühlen von Primadonnen?

Ausweitung der Zone des Zweifels und Schrumpfung der Glaubwürdigkeit

Es ist ernüchternd. Wenn eine kleine Zeitschrift, geblendet von der Publikation eines möglichen Riesenskandals, einige Rotlichter überfährt um der Sensation willen, so ist das noch verständlich. Spielt sonst nicht in dieser Liga, es fehlt an Erfahrung, Wissen, Kontrolle. Aber der «Spiegel»? Damals noch in der strahlenden Gewissheit, dass seiner berühmten Dokumentation nicht mal entgehe, ob ein in einem Artikel beschriebener Baum keine Tanne, sondern in Wirklichkeit eine Esche sei. Von Faktencheck, Plausibilitätsanalyse, Quellenlage, Verifizierung ganz zu schweigen.

Weil es kein Blättchen, sondern der «Spiegel» war, trat dann sogar der Innenminister zurück. Grundlos, denn wie sich später herausstellte, wurde der Terrorist nicht exekutiert. Auch nicht von einer verirrten Polizeikugel getroffen. Sondern er beging Selbstmord.

Man kann nun sagen, es sei aufrecht vom «Spiegel», auch dieser Fake News nachgegangen und die Ergebnisse öffentlich gemacht zu haben. Das mag sein. Aber gleichzeitig hat das Magazin die Zone des Zweifels in die Vergangenheit ausgeweitet. Und darauf erweitert, dass Relotius wohl nicht so singulär war, wie der «Spiegel» behauptet. Und das ist tödlich für die Glaubwürdigkeit.