Der Tagi-Bundeshausredaktor vergaloppiert sich im Nixverstan.
ZACKBUM hat Häfliger schon ausgiebig gelobt. Also kann uns niemand Einseitigkeit vorwerfen, wenn wir ihn wegen dieses Kommentars tadeln müssen:
Es gelingt selten, dass in einem Titel und Lead alle Aussagen kreuzfalsch sind. Bravo. Zunächst geht es hier nicht um «die Finanzierung» dieser UNO-Organisation. Sie budgetiert jährlich 1,6 Milliarden Dollar, da wären 20 Millionen Franken lediglich eine Geste, ein Klacks, ein Tröpfchen.
Zweitens ist das kein Gebot der Menschlichkeit. So gesehen müsste man jede Hilfe in jedes Elendsloch der Welt als Gebot betiteln. Jemen, Sudan, Äthiopien, Myanmar, gibt es denn da keine Gebote der Menschlichkeit? Entweder gilt Menschlichkeit und ihre Gebote überall – oder nur punktuell, wenn gerade Menschen mit der richtigen Hautfarbe in der richtigen Gegend der Welt leiden.
Wer gegen die Zahlung von 20 Millionen an die UNRWA ist, verursacht keineswegs menschliches Leid in Gaza. Das menschliche Leid dort wird von der Hamas und von Israel verursacht und vergrössert, wobei der Ausdruck mutwillig durchaus angemessen scheint. Aber sicher nicht von Schweizer Bundesräten und «Parlamentarierinnen», wie es im absurden Korrektsprech von Tamedia heisst.
Die israelische Anschuldigung, dass mehrere UNRWA-Mitarbeiter an den Terrorakten der Hamas im Oktober beteiligt seien, hat sich als Propagandalüge entpuppt. Sie trägt zur unübersichtlichen Lage im Gazastreifen bei. Lässt Israel nicht genügend Lebensmittelconvoys hinein – oder versagen die Hilfsorganisationen bei der Verteilung? Baden Palästinenser fröhlich im Mittelmeer, statt zu leiden? Der Gazastreifen ist eine Blackbox, was einzig die Schuld Israels ist; die Netanyahu-Regierung lässt keine unabhängige Berichterstattung zu.
Aber selbst wenn solche israelischen Anschuldigungen nicht stimmen, so gibt es doch genügend Beweise, dass die Tätigkeit der UNRWA im Gazastreifen kontaminiert ist. Fundamentalistischen Terror verherrlichende Unterrichtsmaterialien, menschenverachtende Äusserungen von Mitarbeitern, die eindeutig nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, offensichtlich hat die Leitung des Hilfswerks weitgehend die Kontrolle über das Denken vieler Mitarbeiter verloren.
Neutralität ist aber ein Wesensmerkmal jeder humanitären Organisation. Wenn zum Beispiel Swissaid als eine der wenigen internationalen Entwicklungshilsorganisationen immer noch im Reich der korrupten Ortega-Diktatur in Nicaragua tätig ist, dann wäre es unerträglich, wenn man ihr propagandistische Unterstützung dieses menschenverachtenden Regimes nachweisen könnte.
Wer ganz allgemein im Reich von Diktatoren oder religiösen Wahnsinnigen wie im Gazastreifen unterwegs ist, muss sorgfältig darauf achten, nicht mit ihnen gemein zu werden. Dass auch humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung auf der anderen Seite Regimes davon befreit, selbst für das Wohlergehen ihrer Untertanen besorgt zu sein, ist der hässlichste von vielen negativen Aspekten humanitärer Hilfe.
Sie ist eigentlich immer kreuzkontaminiert, vor allem als Nothilfe. Wenn irgendwo auf der Welt wieder eine Hungersnot droht und Transportmaschinen mit Nahrungsmitteln im Anflug sind, dann rettet das sicherlich Menschen vor dem Hungertod. Auf der anderen Seite zerstört es die bäuerliche Nahrungsmittelproduktion im Land, denn wer will denn noch für einen Sack Reis zahlen, wenn er ihn auch gratis bekommt? Es stabilisiert eine Bevölkerungsmenge, die im Land selbst in dieser Gegend niemals ernährt werden könnte, die nächste Hungersnot kommt so bestimmt wie das Brummen der Transportflieger.
In all solchen Widersprüchlichkeiten müssen sich Hilfswerke wie die UNRWA bewegen. Das ist ein Minenfeld, komplex, widersprüchlich und nur mit äusserster Vorsicht zu begehen. Genau daran hat es die UNRWA-Leitung über Jahre mangeln lassen.
Nun keilt Häfliger gegen all die, die gegen eine weitere Schweizer Unterstützung der UNRWA sind: «Solche Forderungen auf einem gemütlichen Sofa oder in einem getäferten Kommissionszimmer im Bundeshaus zu erheben und sich dabei moralisch gut zu fühlen, ist billig.» Wenn das billig ist, dann ist es ebenso schäbig, auf einem gemütlichen Redaktionsstuhl sitzend, die gegenteilige Forderung zu erheben und sich dabei moralisch besser zu fühlen.
Dann malt Häfliger in einfachen Strichen «das schiere Leid der Zivilbevölkerung. 2,2 Millionen Menschen sind zwischen den Fronten gefangen». Und seit Biafra dürfen die hungernden Kinder niemals fehlen: «Hunderttausende Kinder sind traumatisiert und leiden Hunger.»
Damit erreicht Häfliger den Höhepunkt seiner Suada:
«Schweizer Politikerinnen und Politiker, die in dieser Situation, in der vermutlich grössten humanitären Krise der Gegenwart, der wichtigsten humanitären Akteurin vor Ort den Stecker ziehen wollen, handeln unverantwortlich. Man muss sagen: unmenschlich.»
Ist das so? Ist es nicht vielmehr scheinheilig, man muss sagen: verlogen, wenn Häfliger hier solch starke Worte findet, ihm aber das Hungern und Leiden in so vielen anderen Gegenden der Welt völlig wurst ist? Das ist kein Whataboutism, sondern weist auf ein Grundproblem solcher Klageschriften hin: sie fokussieren auf ein Elend, das gerade in Mode ist. Das Häfliger zuvor völlig wurst war, sobald das Gemetzel dort vorbei ist, wird es ihm auch wieder egal sein.
Hat er sich schon jemals überlegt, wieso eigentlich eine milliardenschwere humanitäre Hilfe für den Gazastreifen nötig ist? Wieso dort das BIP pro Kopf schon vor der israelischen Invasion bei schlappen 3’200 Dollar im Jahr lag? Wieso dort nicht einmal Strom selbst hergestellt werden kann, kaum etwas produziert wird? Alles nur die Schuld der Israelis? Und wie kann es sein, dass die Bevölkerung die brutale, fundamentalistisch-irre Herrschaft der Hamas seit Jahren akzeptiert?
Wer jubelnd durch die Strassen zog, um das Massaker vom Oktober zu feiern, muss der sich nicht Selbstverschulden ankreiden lassen, war der nicht selbst unmenschlich?
Wenn eine Situation so kompliziert ist wie die Bewertung der Tätigkeit der UNRWA im Gazastreifen, dann braucht es so einen terrible simplificateur wie Häfliger zu allerletzt.