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Jetzt wird’s eng für Natalie Rickli

Nach Paul Vogt schiesst Herz-Kollege Thierry Carrel Torpedo ab: „100 bis 200“ Verstorbene am Zürcher Unispital seien wohl vermeidbar gewesen.

Von Lukas Hässig*

Der Sommer 2024 wird zum Stresstest für die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli.

Die SVP-Magistratin hat die vier Jahre zuvor ausgebrochene Krise in der Herzchirurgie des Unispitals Zürich (USZ) schöngeredet.

Sie tut das bis heute. Nun legte der SonntagsBlick zweimal vor.

Diesen Sonntag lässt er Thierry Carrel, den Berner Herzchirurgen, zu Wort kommen.

100 bis 200 Patienten „wohl“ unnötig verstorben (T. Carrel; SonntagsBlick)

Carrel rettete von 2021 bis 2022 notfallmässig mit Paul Vogt, dem zuvor im Expressverfahren eingesetzten Chef der Herzchirurgie, die Klinik vor dem „Verbluten“.

Heute sagt Carrel der Zeitung mit Blick auf öffentlich zugängliche Statistiken, dass es sich „vermutlich um 100 bis 200 Patienten“ handle, „die beim gleichen Eingriff in einem anderen Universitätsspital höchstwahrscheinlich nicht verstorben wären“.

Carrel spricht im SonntagsBlick von der Zeit von 2016 bis 2020, als Francesco Maisano die USZ-Herzchirurgie geleitet hatte. Dabei setzte der von Mailand gekommene Operateur umstrittene Implantate ein, die ihn reich machten.

Maisano verkaufte sie zusammen mit Mitinvestoren für Hunderte von Millionen Dollar in die USA, nachdem er sie am USZ bei Patienten eingesetzt hatte, obwohl nach Aussage Dritter traditionelle Behandlungsmethoden möglich gewesen wären.

Gesundheits-Magistratin rückt ins Zentrum des Falls (SonntagsBlick)

Carrels „100 bis 200 Patienten“ passen zu Paul Vogts 150 Verstorbenen, die nicht hätten ihr Leben verlieren müssen.

Die Aussage hatte Vogt im April in einem Strafprozess gegen ihn wegen Urkundenfälschung gemacht, von der ihn das Bezirksgericht Zürich vollständig freisprach.

Laut Vogt, der im Juli 2020 das Steuer in der USZ-Herzchirurgie übernommen hatte, war es in der Zeit seines Vorgängers zu „unethischem und kriminellem Verhalten“ gekommen.

Die Staatsanwaltschaft will jetzt aber trotzdem gegen Vogt vorgehen; sie hat Berufung gegen den Freispruch des Bezirksgerichts eingelegt.

Umgekehrt hat die Ermittlungsbehörde bisher kein Verfahren wegen des von Vogt behaupteten „kriminellen“ Tuns eröffnet.

Es bestehe „kein hinreichender Anfangsverdacht auf eine Straftat, der die Eröffnung einer Strafuntersuchung rechtfertigen würde“, so ein Sprecher gegenüber dem SonntagsBlick vor Wochenfrist.

Damals hatte die Zeitung eine Strafanzeige des „Whistleblowers angekündigt. Es handelt sich um einen ehemaligen Leitenden Herzchirurgen des USZ, dem gekündigt wurde.

Dies, nachdem er kurz zuvor die Missstände unter Vogt-Vorgänger Maisano der Leitung des Spitals sowie Gesundheitsdirektorin Rickli offengelegt hatte.

Ricklis Sprecherin meinte vor Wochenfrist gegenüber dem SonntagsBlick, die „Verantwortlichen“ wären nach unzähligen Untersuchungen „zum Schluss gekommen, das Patientenwohl sei nicht gefährdet und es bedürfe keine Sofortmassnahme“.

Die (indirekt wiedergegebene) Aussage steht diametral zu den 150 „nicht nötigen“ Verstorbenen (Paul Vogt) und den „100 bis 200“ Patienten, die laut Carrel „höchstwahrscheinlich nicht verstorben wären“.

Der Whistleblower hat am Freitag in einer Medienmitteilung die Einreichung seiner Strafanzeige offiziell bekannt gemacht.

Diese umfasst 12 Seiten, hinzu kommen 19 Seiten Anhänge, darunter Emails und Schreiben an die Gesundheitsdirektion, das USZ und die Anwälte von Walder Wyss, die im Auftrag des USZ die Maisano-Jahre untersuchten.

In seinem Communiqué vor zwei Tagen erwähnte der Whistleblower auch die Tatsache, dass das USZ inzwischen Patienten respektive deren Angehörige entschädigt habe.

Tatsächlich hat die Zurich-Versicherung mehrere am USZ in der Herzchirurgie zwischen 2016 und 2020 behandelte Patienten oder deren Angehörige eine Summe überwiesen.

Die Rede ist von mindestens fünfstelligen Beträgen – pro Fall.

Um das Geld zu erhalten, müssen die Entschädigten eine absolute Stillhalteklausel unterzeichnen. Sie dürfen somit kein Wort mehr zu ihrem Fall sagen.

Die Schadenszahlungen werfen ein neues Licht auf die öffentlichen Aussagen der Spital-Chefs und der Gesundheitsdirektion. Warum braucht es solche, wenn doch nach deren Ansicht „das Patientenwohl nicht gefährdet“ gewesen sei?

Und weshalb ist Schweigen zwingend?

Wenn keine Patienten gefährdet wurden, dann hätten die Verantwortlichen nichts von möglichen Aussagen der Betroffenen zu befürchten.

So aber erweckt es den Anschein, dass die Zuständigen versuchen würden, sich gegen Geld Ruhe zu verschaffen – öffentliche Gelder, notabene.

*Dieser Artikel erschien zuerst auf «Inside Paradeplatz». Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Ex-Press IV

Blasen aus dem Mediensumpf: Schnelle Nummern im schnellen Journalismus.

 

«Blick» ist nicht so dabei

Wo erfährt man, dass der BLS-Chef zurückgetreten ist? Na, in einer Meldung im «Blick». Wo erfährt man, was BLS ist? Na, in Google. Oder hätten Sie’s gewusst?

Wo wird Donald Trump zwischen Lead und Lauftext ein Jahr älter? Richtig, im «Blick»: «Donald Trump (73) strebt eine zweite Amtszeit an.» Da altert man schnell: «US-Präsident Donald Trump (74) hat Briefwähler bei der Wahl im November zum Versuch ermutigt, zusätzlich auch im Wahllokal abzustimmen, und damit für einen Eklat gesorgt.» Wettbewerb folgt; welche Altersangabe ist richtig? Schicken Sie ein SMS an #Orangeman.

Haben Sie’s gemerkt? Der «Blick» schmückt sich online mit einem Schweizerkreuz als i-Punkt. Und die Ressorts heissen «Nöis, Schport, Meinig». Ein Bekenntnis zu Volk und Heimat, ein Signal für die SVP-Initiative?

Zum Thema getragen

«Knall bei der Praxiskette «Mein Arzt»», vermeldet die «Aargauer Zeitung» aus dem Hause CH Media. Unglaublich, wie lange es dauert, bis bei diesem Blatt das Geräusch einer Explosion ankommt. Schon im Juni hatte die «Rundschau» über üble Zustände bei «meinarzt» berichtet. Auch der «Reussbote» berichtete bereits am 1. September darüber. Und, mit Verlaub, am 3. September ZACKBUM.ch. Genügend Anlass für CH Media, sich endlich mal in Bewegung zu setzen. Am Abend des 3. und am 4. September.

Immerhin, zunächst vermeldete die AZ: «Die Patienten der «MeinArzt»-Praxis in Niederrohrdorf standen Anfang Woche plötzlich vor verschlossenen Türen. «Der Arzt ist einfach weg», schreibt eine Leserin der AZ.» Ob diese Leserin wohl den Nachnamen Reuss-Bote trägt?

Aber nun zeigt die AZ sicher mal, was eine Qualitätszeitung im Vergleich zu einem Lokalblatt kann. Vor allem, wenn sich gleich zwei Redaktoren auf Recherche begeben. Hintergründe, Informationen über das Management von «meinarzt», Blick ins Betreibungsregister, gar Recherche am Hauptquartier? Ach nein, man ist glücklich, einen gesprächsbereiten betroffenen Arzt aufgetan zu haben. Alles andere würde doch in stressigen Aufwand ausarten.

Schwester, ein Tupfer bitte

Der «Tages-Anzeiger» begleitet schon länger das Schlamassel an der Herzklinik des Unispitals Zürich. Nun ist der ehemalige Leiter von beurlaubt über amtsenthoben zum Abgang «im gegenseitigen Einverständnis» durchgereicht worden. Der Whistleblower, der den Fall ins Rollen brachte, wehrt sich gegen seine neuerliche Entlassung. Gute Gelegenheit, mal mit dem Präsidenten des Spitalrats, des Kontrollgremiums über das Skandal-Spital, ein hartes Interview zu führen.

Nun ja. Die härteste Frage lautet: «Sie haben sich also einvernehmlich getrennt, zahlen ihm eine Abfindung, und sonst heisst es: Schwamm drüber.» Martin Waser, zwar völlig unbeleckt von medizinischen Kenntnissen, aber Berufspolitiker und Ex-Stadtrat, weiss, wie man mit frechen Fragen umgeht: «Das stimmt nicht.» – «Das ist eine Unterstellung.» – «Nein, das ist falsch. Der Waser ist nicht erpressbar.» – «Dazu kann ich nichts sagen.»

Immerhin wagen sich die beiden Interviewer sogar an die Frage, ob Waser und der Spitaldirektor Gregor Zünd nicht zurücktreten sollten. «Hätte es geholfen?», fragt Waser zurück, und damit ist er weitgehend unverletzt durchs Wattebausch-Interview gekommen.

Schwester, nochmal abtupfen

Auch die NZZ wagte sich an ein Interview mit Martin Waser. Inhalt? Siehe oben. Immerhin entlockt sie Waser ein titelfähiges Zitat: «Es brauchte einen klaren Schnitt». Auch hier kann Waser ungestraft um unangenehme Fragen herumrudern. Komme die Trennung von Prof. Maisano nicht einer Vorverurteilung gleich, da die Ergebnisse der Untersuchung gegen ihn noch gar nicht vorliegen? «Nein, absolut nicht», darf sich Berufspolitiker Waser einer Antwort entziehen.

Auch im Fall des Whistleblowers, der den Fall ins Rollen brachte, entlassen wurde, wieder eingestellt wurde und nun neuerlich entlassen wird, kann sich Waser in einen Stossseufzer flüchten: «… und das fliegt uns jetzt um die Ohren.» An die naheliegende Frage, ob es nach dermassen vielen Skandalen und Baustellen nicht höchste Zeit wäre, die Kontrollbehörde oder die operative Leitung des Spitals auszuwechseln, wagt sich die NZZ erst gar nicht.