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Schrumpf-Skandal

Grauenhafte Zustände im Asylzentrum Zürich. Oder doch nicht.

Ein Skandal, wie gemacht für die Moralwächter von Tamedia. Eigentlich ein Skandal von ihnen gemacht. Denn im Thema war natürlich alles drin, was einen wohlmeinenden Moralpächter in Wallung bringt.

Organisation, die Menschen schikaniert»

Es geht um ein Asylantenheim, um die Zustände dort, um die Kritik von Mitarbeitern, um die Beschwerden von dort lebenden Asylsuchenden. Fertigmachen, kleinmachen, Selbstmordgedanken, nicht mal die primitivsten Menschenrechte werden gewährt oder eingehalten, schäumte Tamedia auf einer Doppelseite.

Der Co-Chefredaktor Mario Stäuble liess wie meist die Gelegenheit nicht aus, mit beiden Füssen in einen Fettnapf zu springen:

Keiner zu klein, Forderer zu sein:

So schlug Tamedia vor ziemlich genau einem Jahr zu. Nun musste aber vermeldet werden, dass eine vom Betreiber eingesetzte externe Untersuchungskommission ihre Ergebnisse bekanntgab. Würden die von Tamedia erhobenen oder kolportierten Vorwürfe auch nur zum Teil stimmen, wäre das sicherlich eine Hinrichtung, die Beschreibung eines Debakels. Garniert mit Forderungen nach sofortigen Massnahmen, um unhaltbare Zustände zu beenden.

Nun ja, zitieren wir die unbefangene NZZ, die auch über den Untersuchungsbericht einen Artikel verfasst hat:

Hoppla; daher kommt die Kommission zur Schlussfolgerung, es seien weder strukturelle noch personelle Anpassungen nötig. Ha, mag da nun der kritische Leser einwenden, wer zahlt, befiehlt, da wurde doch wohl ein Gefälligkeitsgutachten bei zugewandten Orten bestellt. Nicht wirklich, erklärt die NZZ:

«Die Studie erstellt hat das Beratungsunternehmen Res Publica Consulting; federführend war die frühere SP-Politikerin und Finanzvorsteherin von Winterthur, Yvonne Beutler. 21 Personen von AOZ, Stadt Zürich und Bund wurden intensiv befragt, es wurden Vergleiche mit anderen Asylzentren angestellt und Akten gewälzt. Auch eine breite Mitarbeiterumfrage floss in die Untersuchung ein.»

Also folgt hier Tamedia mit seinem Skandalisieren der Tradition der «Republik», die es zur Perfektion gebracht hat, einen Pipifax zum Skandal hochzuschreiben, dann schweigend oder sich finster gegen «Kläffer» verteidigend zuzuschauen, wie der Skandal wie ein angestochener Ballon zusammenschnurrt.

Aber von der Qualitätszeitung kann man nun sicher erwarten, dass sie den Bericht zum Anlass nimmt, selbstkritisch ihr Skandal-Geschrei von vor einem Jahr zu reflektieren. Allerdings lässt einen schon der Titel Übles ahnen:

Ob das die richtige Gewichtung der Darstellung eines Untersuchungsergebnisses ist, das schlicht und einfach nichts Gravierendes gefunden hat? Ist es nicht ein Hohn, wenn im Lead knapp bemerkt wird: «Nicht alles lief ideal.» Nicht alles? Also das meiste dann doch? Als hätte der Bericht nicht das Gegenteil belegt, werden eingangs nochmal die alten Vorwürfe rezykliert:

«Vor einem Jahr sagten ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im BundesasylzentrumZürich (BAZ) eskaliere die Lage aufgrund mangelhafter Betreuungsstrukturen immer wieder. Sie berichteten von Massenprügeleien, regelmässigen Selbstverletzungen und einer hohen Kündigungsquote beim Personal.»

Dermassen eingestimmt, wird dem Leser nun doch das Ergebnis der Untersuchung präsentiert. «Vorneweg» entledigt sich Tamedia der ledigen Pflicht, das Ergebnis referieren zu müssen:

«Die Firma hat keine «schwerwiegenden Feststellungen gemacht, die auf systemische Mängel der Organisation hindeuten».»

Blöd aber auch. Das macht nix, denn: «Trotzdem bestätigt der Bericht im Wesentlichen die von den Mitarbeitenden erhobenen Vorwürfe.» Hm. Das ist nun merkwürdig. Keine grundlegenden Probleme gefunden, keinen Bedarf an struktureller oder personeller Veränderung entdeckt, aber dennoch «im Wesentlichen» die Vorwürfe bestätigt? Wie soll das gehen?

Fast 4500 Anschläge des insgesamt 6130 Buchstaben umfassenden Artikels verwendet Autorin Lisa Aeschlimann dann darauf, die (wenigen) Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge auszuwalzen. Sie muss offenbar für die Autoren des Skandalberichts vor einem Jahr die Kartoffeln aus dem Feuer holen. Martin Sturzenegger und Nicolas Fäs fühlen sich nicht bemüssigt, eine Stellungnahme abzugeben, wieso sie damals dermassen übertrieben haben. Ihre damaligen Kronzeugen sprachen von unhaltbaren Zuständen, Personalmangel, Überforderung und dadurch ausgelöster hoher Fluktuation; die meisten Angestellten wollten nix wie weg, wenn sie eine andere Stelle fänden.

Und das in einem Betrieb, in dem es «keine systemischen Mängel» gibt und deswegen auch keine strukturellen oder personellen Veränderungen nötig seien?

Haben denn die NZZ und Tamedia wirklich den gleichen Bericht gelesen? Welcher Zacken würde aus welcher Krone fallen, wenn Tamedia eingestünde, dass man halt wie heute üblich etwas zu viel Gas gegeben habe, jammernden Ex-Mitarbeitern zu viel Platz eingeräumt, ihre Aussagen nicht kritisch genug hinterfragt? Also schlichtweg für eine Knaller-Story die Scheinwerfer falsch eingestellt? Solche Aussagen wurden damals fett herausgehoben:

 

Gilt das nun eigentlich auch für Tamedia-Redaktoren?