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Nts, nts, nts, bum

Wer nicht verurteilt, wird verurteilt.

Das Suworow-Denkmal im Kanton Uri erinnert an 1799 und wurde 1899 von einem russischen Fürsten errichtet. Seit einem Farbanschlag in Blau-Gelb ist es in Sippenhaft genommen. Wegputzen sollen die Sauerei übrigens die Russen selbst, denn denen gehört das Denkmal.

Russische Künstler, Komponisten, Schriftsteller aus längst vergangenen Zeiten, die zur Weltkultur gehören: weg damit. Selbst im kältesten Kalten Krieg, als sich die Sowjetunion und die USA atomar bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstanden und überall auf der Welt Stellvertreterkriege führten, las man Tolstoi, hörte man Tschaikowski, betrachtete man Malewitsch, analysierte man Reflexionen von Bucharin, bewunderte man das wohntemperierte Klavier von Richter, und staunte man über Gagarin.

Schlimmer als die christliche Kirche in ihren finstersten Zeiten, als sei die Eigenschaft russisch gleichbedeutend mit des Teufels, satanisch, verderblich, böse, unerträglich, wird nun tabula rasa gemacht.

Schlimmer als Inquisition und Islam

Schlimmer als der Islam, der das Zeugnis abfordert, dass Allah der einzige Gott sei und Mohamet sein Prophet, besteht die einzige Salvation für jeden Russen darin, sich mit Abscheu, deutlich und öffentlich vom Ukrainekrieg und seinem Regime zu distanzieren.

Halbheiten werden nicht geduldet. Behauptungen von im westlichen Ausland lebenden Russen, sie wollten ihre Verwandtschaft in der Heimat nicht gefährden, werden als faule Ausreden zurückgewiesen.

Der einzige Unterschied zu mittelalterlichen Bräuchen: der Putin-Leugner, der Nicht-Verurteiler landet nicht auf der Streckbank oder auf dem Scheiterhaufen. Da sind wir im 21. Jahrhundert immerhin etwas zivilisierter geworden. Die Vernichtung der sozialen Existenz reicht uns. Auch der Entzug der Einkommensgrundlagen. Ob Opernstar, Dirigent, Maler, Künstler: Bekanntheit, gar Prominenz war früher erstrebenswert, weil geschäftsfördernd. Inzwischen ist es zum Fluch geworden. Für Russen.

Und der Irrwitz feiert Urständ.

«Es ist eine Problematik, die bisher eher im Bereich der klassischen Musik zu finden war, wo ein Dirigent wie Waleri Gergijew oder eine Sängerin wie Anna Netrebko nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine nach ihrer Haltung zum Krieg und zu Wladimir Putin befragt wurden. Doch warum sollten in der Techno-Szene andere moralische Kriterien als in der Klassik gelten?»

«Moralische Kriterien»? Der «Spiegel» weiss wirklich nicht mehr, was er schreibt. Auf jeden Fall hat es jetzt auch die Russin Nina Kraviz erwischt. Die 34-jährige DJane ist eine grosse Nummer in der Techno-Szene, genauer Acid Techno, Minimal Techno und Deep House. Da produziert sie das für Nicht-Kenner ewiggleiche nts, nts, nts.

Damit begeistert sie die Fans – wenn man sie lässt. Denn auch sie stolperte über die inquisitorische Frage, wie sie es denn mit Putin und dem Ukrainekrieg halte. Seit sie es an der geforderten klaren Verurteilung mangeln liess, verliert sie Engagement auf Engagement, wird ausgeladen, ihre Plattenfirma distanziert sich. Keiner zu klein, Grossinquisitor zu sein. Ihre vergangenen und aktuellen Meldungen auf den Social Media werden seziert. Gewogen und für zu leicht befunden.

Verurteilung mit Inbrunst und aus voller Kehle

Ihre Verurteilungen des Krieges und des Regimes in Moskau erreichen leider nicht die geforderte Punktzahl, durchgefallen. Ihre Behauptung, ein unpolitischer Mensch zu sein: feige und untauglich. Auch bei ihr und an ihr muss ein Zeichen gesetzt werden. Denn die Verurteilung des verbrecherischen Putin-Kriegs hat in vorgeschriebener Lautstärke, mit vorgegebenen Worten, aber natürlich auch mit spürbarer innerer Beteiligung zu erfolgen.

Dem Sünder wurde von der heiligen Inquisition nicht einfach vergeben, wenn er ein paar laue und oberflächliche Worte des Bedauerns über seine Sünde verlor. Inbrunst ist gefordert, «ich mag den Teufel nicht», das ist ja nichts.

«Ich hasse ihn aus tiefster Seele, ich bereue abgrundtief, ihn nicht schon früher als solchen erkannt zu haben, ich leiste Abbitte, wandle in Sack und Asche, schultere das Kreuz, umwickle meine Taille mit einem Dornenkranz, kasteie mich und lobpreise den wahren Herrn, den freien Westen, den Helden Selenskij, alle heldenhaften Ukrainer, inklusive ukrainische Oligarchen.»

Das ist ja wohl das mindeste, was man heute von einem anständigen Russen verlangen darf.

 

Wer haftet bei Verbrechen?

Auch Kriegsverbrechen haben Täter und Verantwortliche.

Für den durch ein Verbrechen angerichteten Schaden haftet normalerweise der Täter. Allerdings steht auch in der Schweiz seine Bestrafung, bzw. Resozialisierung im Vordergrund. Schadenersatz, Wiedergutmachung ist leider zweitrangig. Bei materiellen Schäden steht meistens die Zahlungsunfähigkeit des im Gefängnis sitzenden Übeltäters im Wege. Und immaterielle Schäden, Verlust, Traumata, Ursache für psychische Krankheit, das ist ein weitgehend vernachlässigtes Feld.

Kriegsverbrechen werden zwar auch von individuellen Tätern verübt, aber hier spricht man von der Haftung eines Staates für Schäden völkerrechtswidrigen Handelns seiner Organe. Reparationszahlungen für kriegerische Handlungen sind ein altbekanntes Beispiel.

Üblicherweise zahlt aber nicht unbedingt der Schuldige, sondern der Unterlegene. Auch wenn das häufig zusammenfällt, wie im Beispiel Deutschlands in den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts.

Welche Schäden dabei wie lange und durch wen bezahlt werden müssen, wird aktuell in der EU am Beispiel Griechenlands debattiert. So erheben griechische Staatsbürger oder deren Hinterbliebene bis heute Ansprüche an die Bundesrepublik Deutschland für Verbrechen der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.

Auch im Fall der Ukraine ist die Frage, wer womit und warum für die Kriegsschäden zur Verantwortung gezogen werden soll. Naheliegend ist das der Aggressor Russland. Nach aktuellen Schätzungen würde der Wiederaufbau der Ukraine rund 500 Milliarden Dollar kosten. Sollte sich der Krieg noch weiter hinziehen, stiege diese Summe natürlich.

Das BIP der Ukraine betrug vor dem Krieg 155,6 Milliarden; dasjenige Russlands 1483 Milliarden. Es ist also illusorisch, dass die Ukraine aus eigenen Kräften oder aber ein zu Reparationen verurteiltes Russland diese Summe aufbringen könnten.

Zudem hätte eine Kostenübernahme durch Russland zur Voraussetzung, dass das Land dazu gezwungen werden kann. Denn Sieger oder zumindest Ungeschlagene zahlen keine Reparationen.

Das beste, bzw. schlechteste Beispiel dafür sind die USA. Angesichts ihrer ungezählten direkten oder indirekten militärischen Interventionen seit dem Zweiten Weltkrieg bleiben wir beim Beispiel Vietnam. Für den verbrecherischen Einsatz des hochgiftigen Entlaubungsmittels Agent Orange haben die USA zwar ihren eigenen Soldaten Entschädigungen ausbezahlt, aber den Vietnamesen keinen Cent.

Auch für die übrigen angerichteten Schäden, verursacht durch den Vietnamkrieg, der 1975 mit der völligen Niederlage der USA endete, wurde bislang null Reparationen bezahlt. Im Gegenteil, das siegreiche Nordvietnam wurde dazu gezwungen, die Schulden Südvietnams zu übernehmen, um international Kredite zu erhalten und das Handelsembargo durch die USA zu beenden.

Der Vietnamkrieg forderte bis zu 4 Millionen einheimische Tote und das Leben von rund 60’000 Amerikanern. Während die Kosten für die USA ziemlich genau aufgeschlüsselt sind, gibt es nur vage Schätzungen, welche Schäden die verbrecherische Kriegsführung der USA in Vietnam angerichtet haben.

Nach heutiger Kaufkraft dürfte es sich ebenfalls um Hunderte von Milliarden Dollar handeln. Nur eine Angabe dazu: Die USA warfen über Vietnam die zwei- bis dreifache Bombenmenge ab wie im gesamten Zweiten Weltkrieg überall.

«In die Steinzeit zurückbomben», sagte US-General Westmoreland.

So wie der Verbrecher bei Einzeltaten gefasst werden muss, damit man ihn für sein Handeln haftbar machen kann, gilt international schlichtweg das Recht des Stärkeren. Wer einen Krieg verliert, zahlt. Aber nur, wenn er sich gegen Reparationsforderungen nicht wehren kann. Die USA verloren den Vietnamkrieg, blieben aber dennoch die grösste Militärmacht der Welt. Also können sie bis heute jegliche Forderungen nach Wiedergutmachung zurückweisen.

Es ist kaum anzunehmen, dass Russland als militärisch so geschwächter Verlierer aus dem Ukrainekrieg hervorgehen wird, dass es Forderungen nach Reparationen nicht zurückweisen könnte.

Neuerdings wird mit dem Gedanken gespielt, ersatzweise Vermögenswerte reicher Russen im Westen nicht nur zu beschlagnahmen, sondern sie auch zu verwerten und den Erlös dem Wiederaufbau der Ukraine zukommen zu lassen. Oder sie allenfalls sogar für die Begleichung der Kosten von Waffenlieferungen heranzuziehen. Denn normalerweise übernehmen westliche Regierungen die Milliardenkosten dieser militärischen Hilfe.

In den USA werden aus diesem Grund schon erste Stimmen laut, dass US-Präsident Biden endlich einmal klare Ziele der US-Politik in der Ukraine definieren soll, nachdem bereits Zusagen in Milliardenhöhe für die Lieferung von militärischem Gerät gemacht wurden.

Würde man das Prinzip der Haftbarkeit reicher Staatsbürger für Reparationsforderungen verallgemeinern, könnte und müsste man die Vermögenswerte von reichen US-Bürgern beschlagnahmen und verwerten, die in irgend einer Form vom Vietnamkrieg profitierten. Also Besitzer und Aktionäre von Rüstungsfirmen, von Produzenten von Waffen, Bomben oder Chemikalien. Von allen möglichen Ausrüstern der US-Armee bis hin zu Logistik, Ernährung und Unterhaltungsprogramm. Auch da würde ein hübsches Sümmchen zusammenkommen, das als Entschädigung für Vietnam verwendet werden könnte.

Auch Kriege haben sehr viel mit Wirtschaft zu tun. Mit Kosten, Nutzen, Ausgaben, Zerstörungen, Wiederaufbau. Es versteht sich von selbst, dass ein Krieg kein Ereignis ist, bei dem Wertschöpfung betrieben wird. Im Gegenteil. Krieg zerstört, und sogar die Zerstörung kostet Unsummen.

Wer sich wie an den Wiederaufbaukosten im Fall Ukraine beteiligen wird, das steht zurzeit in den Sternen. Dass der Verursacher zur Kasse gebeten wird, dürfte allerdings illusorisch sein.

Die Welt gegen Russland?

Die Verurteilung ist überwältigend. Aber Sanktionen? Da ist die Medienwelt abgekoppelt.

Nimmt man UNO-Vollversammlung, stimmte von wenigen Ausnahmen abgesehen die Mehrheit aller Staaten weltweit einer Resolution zu, die den Einmarsch Russlands in die Ukraine verurteilt.

5 Nein-Stimmen und 35 Enthaltungen (sowie einige Absenzen) standen 141 Ja-Stimmen gegenüber. Ein solches Resultat wird jeweils nur von Verurteilungen des US-Handelsembargos gegen Kuba übertroffen.

In Europa – und auch in der Schweiz – wird das als weltweite Zustimmung auch für Sanktionen gegen Russland verstanden. Das ist aber ein Trugschluss.

Einige wenige Länder mit vielen Sanktionen (Quelle: statista).

Es wird ausgeblendet, dass im Gegensatz zu den USA, der EU, Japan, Australien alle anderen Länder der Welt keine Sanktionen gegen Russland mittragen.

USA, Kanada, EU, Australien, Neuseeland, Japan – und die Schweiz …

Auch auf dem für Sanktionen wichtigsten Gebiet herrscht zumindest Uneinigkeit. Während die USA bereits einen völligen Ölboykott gegen Russland beschlossen haben, die EU noch daran herumlaboriert, sind die grossen Volkswirtschaften China und Indien, mitsamt vielen weiteren Ländern, nicht bereit, mitzumachen.

Noch fataler für den westlichen Ölboykott: Der grösste Ölproduzent der Welt, Saudi-Arabien, ist nicht bereit, seine Ölförderung wesentlich zu steigern und damit für einen Ersatz ausbleibender russischer Öllieferungen in den Boykottländern zu sorgen. Das Land mit den grössten Ölreservern der Welt, Venezuela, ist aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, mehr Öl auf den Markt zu giessen. Nach jahrelanger Misswirtschaft ist die Ölinfrastruktur völlig verrottet und bräuchte Milliardeninvestitionen sowie Jahre, um alte Höchststände wieder zu erreichen.

Zudem ist das Öl bereits auf Jahre hinaus an Kreditgeber verpfändet – darunter in erster Linie China und auch Russland. Auch bei arabischen Gasproduzenten sieht es nicht viel anders aus. Sehr reserviert zeigen sich auch afrikanische Staaten gegenüber einem Ölboykott, insbesondere Nigeria oder Angola sind ebenfalls nicht bereit, ihre Ölproduktion zu steigern und damit gegen Vereinbarungen der OPEC, bzw. OPEC+ zu verstossen.

Gleichzeitig profitieren alle grossen Erdölproduzenten, inklusive Russland, von den hohen und weiterhin steigenden Ölpreisen:

Quelle: statista.

In einem Jahr fast eine Verdoppelung, das ist Bonanza für alle ölexportierenden Länder der Welt, inklusive Russland.

Der Rubel ist wieder so stabil wie vor dem Überfall

Nicht zuletzt damit erklärt sich das Erstarken des Rubels, der im Gegensatz zu allen Prognosen nach einem ersten Taucher inzwischen wieder seinen Vorkriegswert im Vergleich zu den wichtigsten Devisen erreicht hat.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die Sanktionen Russland nicht schwer treffen. Da es das Land bis heute nicht geschafft hat, vor allem im Hightech-Bereich nennenswerte eigene Produktionskapazitäten zu entwicklen, ist vor allem der Stopp des Verkaufs von IT-Produkten an Russland sehr schmerzhaft. Auch im Westen leiden ganze Wirtschaftszweige schnell, wenn es bei Halbleitern oder Chips Produktionsengpässe gibt. Denn das Fehlen dieser Komponente bedeutet, dass ganze Fahrzeuge oder Industrieprodukte stillstehen.

Dramatisch muss das in Russland auch bei Militärausrüstung sein. Gerüchteweise wird vermeldet, dass die geplante grosse Flugschau zur Feier des 9. Mai nicht wegen Wetterbedingungen, sondern wegen mangelnden Ersatzteilen abgesagt wurde.

Narrative und Realitäten

Wer sich auch hier genauer mit der Realität beschäftigt, kann im Gegensatz zum Narrativ in den Mainstream-Medien Folgendes konstatieren:

  1. Die Verurteilung des Einmarschs in die Ukraine ist weltweit grossmehrheitlich. Nur 5 Staaten haben in der UNO dagegen gestimmt, immerhin 35 haben sich der Stimme enthalten und 12 weitere schwänzten die Abstimmung.
  2. Ganz anders sieht es bei der Unterstützung von Sanktionen gegen Russland aus. Hier stehen wenige westliche Staaten einer überwältigenden Mehrheit von Staaten gegenüber, die sich nicht daran beteiligen. Darunter Schwergewichte wie China oder Indien.
  3. Auch der Versuch, Russland durch einen Ölboykott massiv zu schädigen, kommt nicht recht vom Fleck. Die USA haben es umgesetzt, deckten aber zuvor nur rund 8 Prozent ihres Importbedarfs mit russischem Öl. Die EU laboriert noch an einem entsprechenden Beschluss.
  4. Wichtige erdölproduzierende Länder wie Saudi-Arabien, Nigeria oder Angola weigern sich, ihre Ölproduktion wesentlich zu steigern und halten sich an die Abmachungen der OPEC. Länder wie Venezuela sind nicht in der Lage, mehr Erdöl zu fördern.
  5. Sanktionen im Hightech-Bereich schädigen zurzeit die russische Wirtschaft und wohl auch das Militär am empfindlichsten.
  6. Die Beschlagnahmung von Guthaben der russischen Notenbank oder von Vermögenswerten reicher Russen im Ausland haben bislang keine spürbare Wirkung erzielt. Auch die gehoffte Abkehr von russischen Oligarchen vom Putin-Regime hat nicht stattgefunden.
  7. Ob die massive Belieferung der Ukraine mit westlichen Waffen den Kriegsverlauf dort wesentlich beeinflusst, ist zurzeit noch nicht absehbar. Russland hat allerdings offenbar seine Strategie geändert und konzentriert sich auf die Gebiete im Südosten der Ukraine und versucht, dem Land den Zugang zum Meer abzuschneiden.
  8. Da Russland und die Ukraine zu den grössten Getreideproduzenten der Welt gehören, hat der Krieg bereits spürbare Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise. Vor allem in Ländern der Dritten Welt wird das zu einer explosiven Situation führen, wenn immer mehr Bevölkerungskreise nicht mehr in der Lage sind, wie gewohnt ihre Lebensmittel zu kaufen.

 

 

Kriegsverbrechen

Nichts ist relativ. Nichts sollte vergessen gehen.

Die Verurteilung des Überfalls auf die Ukraine als völkerrechtswidrig und vertragsbrüchig ist eine (richtige) Sache. Die Verurteilung von dort begangenen Kriegsverbrechen eine andere, ebenfalls richtige. Die Frage nach der Verantwortlichkeit für die angerichteten Schäden ebenfalls. Dafür ist die russische Regierung und der russische Staat verantwortlich.

Aber auch jeder im Ausland lebende reiche Russe?

Spiegeln wir diese Absurdität an einem anderen Kriegsverbrechen. Im Vietnamkrieg setzten die USA unter anderem das chemische Entlaubungsmittel Agent Orange ein. In über 6000 Einsätzen wurden über 45 Millionen Liter der hochgiftigen Chemikalie über den Dschungeln von Vietnam und Laos von 1962 bis 1971 versprüht. Der enthaltene Wirkstoff TCDD gilt als das giftigste aller Dioxine. In Europa bekannt seit dem Chemieunfall von Seveso in Italien.

Schätzungsweise zwei bis vier Millionen Menschen sind von den Spätfolgen betroffen, mindestens 100.000 Kinder wurden mit Behinderungen geboren.

Neben den schweren Fehlbildungen gelten mehr als 20 Krankheiten als direkte Folge von Agent Orange, darunter Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Wirbelsäulenspalten, Immunschwächen, Nervenleiden, Diabetes und Parkinson. Auch Krebs wie Leukämie, Prostatakrebs und andere gelten als Spätfolgen.

Hersteller und Anwender und Folgen sind bekannt

Hergestellt wurde Agent Orange von den US-Buden Dow Chemical und Monsanto, die heute zum Bayer-Konzern gehört. Da auch US-Soldaten mit dem Gift besprüht wurden, wurden in einem Vergleich ab 1984 knapp 200 Millionen Dollar als Entschädigungen an rund 52’000 US-Veteranen oder ihre Hinterbliebenen ausbezahlt.

Die vietnamesischen Opfer erhielten dagegen bis heute nichts. Eine entsprechende Sammelklage in den USA wurde 2005 abgewiesen. Der Einsatz von Agent Orange sei «keine chemische Kriegsführung» und deshalb kein Verstoss gegen internationales Recht gewesen.

Nein, das rechtfertigt keine Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine. Aber die Forderung nach Kriegsverbrechertribunalen in der Ukraine im Vergleich zu US-Verbrechen im Vietnamkrieg, die bis heute ungesühnt bleiben, illustrieren Heuchelei, Doppelmoral, Einseitigkeit und Geschichtsvergessenheit.

 

Sohohohntag

Die gnadenlos subjektive Presseschau.

Die SoZ hat sich diesen Sonntag als Lautsprecher eines Antidemokraten disqualifiziert. Also strafen wir ihr sonstiges Schaffen mit Ignoranz.

Die «NZZamSonntag» überrascht mit einer nicht ganz taufrischen, aber mutig umgesetzten Kunst-Aktion: Sprayer Nägeli lebt und sprayt das Blatt voll. Das ist so schräg und mutig, dass wir es bei einer Verneigung bewenden lassen. Denn auch sonst, siehe Belfast, ist der Inhalt mehr künstlerisch als nachrichtlich. Ausser im Beitrag von Zoé Baches, die vor Augen führt, was genau es bedeutet, wenn eine weitere Person (oder Firma) auf der ominösen Sanktionsliste der USA landet.

Also bleibt ja nur der «SonntagsBlick», seufz. Der probiert’s auf dem Cover auch mit etwas Künstlerischem:

Kannst du etwas nicht fotografieren, lass es zeichnen. Etwas armselig, aber immerhin, ein Aufreger. Dafür danken wir auch von Herzen, denn Chefredaktor Gieri Cavelty widmet den Arbeitsbedingungen bei der Migros-Tochter Digitec Galaxus sein Editorial, eingeleitet mit dem Thema, ob der orange Riese nun Alkohol direkt in seinen Filialen verkaufen sollte oder nur über Denner und andere Anhängsel. Dabei verwendet er nicht ein einziges Mal das Wort Ukraine; Zeichen und Wunder.

Dachte ZACKBUM, bis wir zur Seite 27 vorstiessen. Denn was ist dort? Genau, ein Kommentar von Cavelty über – den Krieg des Unrechtsregimes. Nein, er meint nicht die Türkei. Auch nicht Saudi-Arabien. Er meint Russland.

Aber immerhin, man soll auch loben können, der Bericht über die Arbeitsbedingungen bei Versandhändlern wie Digitec Galaxus ist aufrecht. Die Enthüllung, dass das Schweizer Farbfernsehen im Suchen nach vorzeigbaren Feministinnen deren rechtsradikale Wurzeln übersah, sehr schön.

Auch die Berichterstattung, dass unsere Nationalratspräsidentin sich nicht scheut, nach Kiew zu reisen, um ihre «Solidarität» auszudrücken und ein Zeichen zu setzen, sich aber auch nicht scheut, sich neben der aserbaidschanischen Parlamentspräsidentin fotografieren zu lassen und sie mit warmen Worten im Nationalrat zu begrüssen, ist aufrecht.

Ob’s den drei Eidgenossen im Hintergrund den Magen gekehrt hat?

Denn was soll’s, dass Aserbaidschan einen schmutzigen Krieg gegen Bergkarabach führte. Mit Streubomben, Kriegsverbrechen und allem. Aber, wo ist das schon wieder? Wer ist das? Ist doch alles weit weg, keine Kameras dort, wozu dorthin reisen oder gar ein Wort drüber verlieren. Denn wie sagt Irène Kälin so unnachahmlich einfältig: «Bei aller berechtigten Kritik muss man sehen, dass es nach Kriegsende auch positive Signale gibt.» Na dann. Das sieht nach grossem Bahnhof für den russischen Parlamentspräsidenten aus, wenn der Krieg in der Ukraine beendet ist.

Eher peinlich ist dann das traditionelle Wohlfühlinterview mit dem abtretenden Swisscom-Chef Urs Schäppi. «Ich habe nichts vermasselt», darf der schon im Titel-Quote behaupten, und dann badet er in Zuckerwatte-Fragen. Pleiten, Pech und Pannen? Netzausfälle, nicht funktionierende Notrufnummern? Ach je, kleine Probleme gibt’s doch überall.

Wenn der Schleim aus dem Blatt tropft …

Noch ein launiges Foto mit Schäppi neben Spiderman, und tschüss.

Ganz blöd für das People-Blatt war natürlich, dass der Sieger des Eurovision Song Contest bis Redaktionsschluss nicht feststand. Nicht einmal, dass die grosse Schweizer Hoffnung Markus Bear («Bearenstarker Auftritt», Titelscherz lass nach) es nur auf den vorletzten Platz schaffte. Mit nicht allzu viel Wagemut hätte der SoBli doch die Ukraine zum Sieger ausrufen können. Im schlimmsten Fall wäre das eine Ente geworden, im besten hätte die Konkurrenz gestaunt und die Leserschaft applaudiert.

Nun müssen wir alle ganz stark und mutig sein. Warum? Darum:

Nein, die Weltlage ist trübe genug, wir haben ein Einsehen mit unseren Lesern und ersparen ihnen die Exegese des Schwurblers Lukas Baerfuss. Wir lassen es kommentarlos bei einem Zitat bewenden. Sein Thema ist die Streichung des Wörtchen «besonders». Dagegen haben im Vorfeld viele protestiert; wieso soll es Bärfuss dann nicht im Nachhinein nochmals tun? Nützt zwar nix mehr, aber ist ein Anlass, grimmig zu schauen und Nonsens zu verzapfen:

«Der wichtigste zeitgenössische Schweizer Schriftsteller», laut SoBli. Eine Beleidigung für die wirklich wichtigen.

Der hebt zu seiner üblichen Schlussapotheose an:

«Während an jenem schönen Maitag das Parlament in Bern das Gemeinwohl vergass (als es der Streichung zustimmte, Red.), verteidigten die Menschen in der Ukraine es mit ihrem Leben.»

Teil dieser Verteidigung ist übrigens eine Pressezensur, die der russischen in nichts nachsteht …

Schlechte Nachrichten für Israel

Denken Journalisten auch mal über den Tellerrand hinaus?

Wer nicht vorhersagte, dass die Ukraine den Eurovision Song Contest gewinnen wird, lebt auf einer Insel – oder ist Journalist. Welche Entschuldigung der «Komiker» Karpi und die «Literaturchefin Tamedia» Nora Zukker wohl für ihre selten peinlichen Kommentare haben? Karpi: «Und so geht die Schweiz heute ins Bett: enttäuscht ungeliebt, alleine.» Zukker (unter dem Pseudonym Zukki): «Schweden ist schwanger.»

Aber zu Wichtigem. Nach der vollständigen Pressezensur verbietet die Ukraine nun auch alle politischen Bewegungen, die Kontakte mit Russland haben sollen. Der ukrainische Aussenminister bekräftigte: «Es gibt nichts Schlechtes an einem Waffenstillstand, wenn er der erste Schritt hin zu einer Lösung wäre, wo das ukrainische Staatsgebiet befreit wird. Wir werden uns aber nicht damit abfinden, dass es eine Teil-Abtrennung von Territorium gibt.» Verhandlungen, Waffenstillstand? Aber Putin will doch angeblich nicht, die Ukraine schon.

Noch spannender: Beim Treffen der G7 in Deutschland wurde erklärt, dass man niemals mit Gewalt verschobene Grenzen anerkennen werde. Natürlich ist damit die Ukraine gemeint.

Es wäre aber eine interessante journalistische Frage, ob das auch für das NATO-Mitglied Türkei gilt, das Teile Syriens annektiert hat. Oder gar für Israel, das zurzeit im Zusammenhang mit der Ermordung einer palästinensischen Journalistin im (kleinen) Kreuzfeuer der Kritik steht. Laut Videoaufnahmen und Zeugenaussagen hatten israelische Scharfschützen eine deutlich gekennzeichnete Gruppe von Journalisten unter Feuer genommen; es gab mehrere Verwundete und eine Tote.

Zudem hat Israel seine Landesgrenzen auch nicht ganz friedlich erweitert. Schliesslich könnte der über seine Nasenspitze hinausschauende Journalist mal die Frage in den Raum stellen, wieso der vom Westen unterstützte, verbrecherische, seit Jahren andauernde und schon über 300’000 Tote verschuldende Stellvertreterkrieg im Jemen kein Thema der G7 ist. Dabei kann Saudi-Arabien diesen schmutzigen Krieg nur führen, weil es für Multimilliarden mit westlichen Rüstungsgütern beliefert wird.

Aber das sind wohl alles Fragen, die sich an Redaktionskonferenzen niemand zu stellen traut. Arbeitsplatzsicherung geht vor.

 

 

Alles ist entweder gut oder böse!

Teil 2: Von guten und bösen Kriegsverbrechern

Von Felix Abt

Hier geht es zu Teil 1

Präsident Biden bezeichnete Putin als einen bösen Kriegsverbrecher. Westliche Politiker aller Couleurs und die Medien, die sich auch im Krieg befinden, sind mit ihm natürlich einverstanden. Die U.S. Regierung möchte den Kriminellen am liebsten vor ein Kriegverbrechertribunal stellen. Putin hat wirklich Pech: er hat einen schlechten, russischen anstatt einen guten, amerikanischen Pass, der ihn vor allem Übel schützen würde.

Wenn gute amerikanische Soldaten unschuldige Familien in die Luft sprengen, Spitäler bombardieren oder ein neues My Lai Massaker verursachen, werden sie nie vor ein Gericht wegen Kriegsverbrechen gestellt. Nur Amerikas böse Feinde, wie z.B. Putin, sollen für Verbrechen bestraft werden.

Ein im Westen gefeierter Held (“Winston Churchill unserer Zeit”), der gerade gegen einen Invasoren kämpft, nimmt die Solidaritätsbekundung des früheren amerikanischen Präsidenten George W. Bush, einem berüchtigen Invasoren, gerne entgegen. Im Unterschied zu Putin ist Bush, der Millionen unschuldige Menschen auf dem Gewissen hat, ein guter Kriegsverbrecher.  (Twitter screen shot Felix Abt)

Gute und böse Oligarchen

Alle wissen es: russische Oligarchen sind böse, so böse, dass ihretwegen in westlichen Ländern der Rechtsstaat über den Haufen geworfen werden musste: Die ehemals hehren Prinzipien der Eigentumsgarantie, Unschuldsvermutung und Beweisführung vor Gericht gegen Angeschuldigte gelten nicht für russische Oligarchen. Der einzige sichere Beweis für ihre Verbrechen, den westliche Behörden gegen sie haben, ist die Tatsache, dass sie den gleichen Pass haben oder hatten wie der kriegsführende russische Präsident. Vielleicht gibt es auch noch Bildmaterial, das sie auf einem Foto mit Wladimir dem Schrecklichen zeigt. Das genügt, um ihre Yachten, Flugzeuge, Villen und Geld zu beschlagnahmen. “Beschlagnahmen” ist ausserdem eine gut gelungene Umschreibung von “stehlen”.

Das Recht wurde ersetzt durch eine einfache Verlautbarung des amerikanischen Führers. In seiner viel beklatschten Rede zur Lage der Nation vor dem US-Kongress am 1. März 2022 wandte sich Präsident Biden direkt an die russischen Oligarchen: «Wir werden uns mit unseren europäischen Verbündeten zusammentun, um Ihre Yachten, Ihre Luxuswohnungen und Ihre Privatjets zu finden und zu beschlagnahmen. Wir holen uns Ihre unrechtmäßigen Gewinne.»

Glücklicherweise gibt es neben den bösen russischen Oligarchen auch noch die guten, die vom Rechtsstaat beschützt werden. Dazu gehoeren beispielsweise die ukrainischen Oligarchen, welche politisch mächtiger in ihrem Land sind als die russischen in Russland. Mit massiver Hilfe des umstrittensten Oligarchen der Ukraine schaffte es beispielsweise Volodomyr Selensky, Präsident seines Landes zu werden.

Alle Oligarchen begannen fast bei Null und wurden reich durch Verbindungen zur hochkorrupten, aber demokratisch gewählten Regierung der Ukraine während des Übergangs von der staatlichen zur marktbasierten Wirtschaft. Das war in Russland nicht viel anders: Als unter dem russischen Präsident Boris Jelzin staatliche Ressourcen im grossen Stil an Private verscherbelt wurden, standen seine Kumpane in der ersten Reihe, und haben sich in Windeseile zu Neureichen und Oligarchen gemausert.

Der damalige russische Präsident war ein guter Präsident, weil er Tür und Tor auch für die Konzerne amerikanischer Oligarchen öffnete; amerikanische und russische Oligarchen wurden ausserdem gute Geschäftspartner in Russland. Wladimir Putin, der Nachfolger von Präsident Jelzin, erfrechte sich aber, den Spielraum russischer und amerikanischer Oligarchen einzuschränken. Deshalb betrachtete ihn Washington als Bösen, und begann auf die Schwächung Russlands und einen Regimewechsel in Moskau hinzuarbeiten. Ironischerweise wurden dabei vom Westen sogar die früheren Spiessgesellen des guten Präsidenten Jelzins zu “Putins Oligarchen” umfunktioniert. Dieses Manöver diente Russlands Feinden, die sich im Wirtschaftskrieg gegen Russland befinden, als Rechtfertigung, russischen Oligarchen im neuen Wilden Westen das Eigentum und die Aufenthaltsbewilligungen wegzunehmen, die Bewegungsfreiheit einzuschränken und die Möglichkeit, legale Geschaefte zu tätigen, zu vereiteln.

Das US-Pentagon (Verteidigungsministerium) ist die grösste und mächtigste Organisation der Welt, sowohl jetzt als auch in der Geschichte. Es ist auch der grösste Arbeitgeber der Welt mit 3,2 Millionen Männern und Frauen auf seinen Gehaltslisten; und da diese immer noch nicht ausreichen, heuert es zusätzlich eine grosse Anzahl von Söldnern, “private Auftragnehmer” genannt, für seine Kriege an. Darüber hinaus macht Amerikas massive private Kriegsindustrie 20 % aller Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie (Halliburton, Lockheed Martin, Carlyle Group und viele mehr) der USA aus und sorgt für eine Vielzahl weiterer Arbeitsplätze in sich auch im Besitz von amerikanischen Oligarchen befindenden, hochkarätigen Technologieunternehmen wie Amazon, Facebook, Google, Microsoft und Palantir, die vom US-Militär Aufträge in Milliardenhöhe erhalten. Amerikanische Oligarchen, die an amerikanischen Kriegen kräftig verdienen und Blut an ihren Händen haben, sind aber gute Oligarchen, weil sie die Kriege von Amerika, dem Land Gottes (“God’s own country”) unterstützen und davon profitieren.

Das amerikanische “Center for Responsive Politics” berichtet, dass «in den vergangenen zwei Jahrzehnten das umfangreiche Netzwerk von Lobbyisten und Spendern der Rüstungsindustrie 285 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden und 2,5 Milliarden Dollar an Lobbying-Ausgaben zur Beeinflussung der Verteidigungspolitik eingesetzt hat».

Ein seltener und schockierender Moment der Ehrlichkeit von Senator Joe Biden, der hier zugibt, dass «das System korrupt ist»: «Ich denke nicht, dass Sie annehmen sollten, dass ich nicht korrupt bin. Man braucht eine Menge Geld, um in ein Amt zu kommen. Und die Leute mit diesem Geld wollen immer etwas.»

 Anders als die mächtige Kriegsindustrie haben die unzähligen Obdachlosen keine Lobby in Washington. Es ist deshalb nicht überraschend, dass während die USA vor kurzem weitere 3,3 Mrd. USD für tödliche Hilfe (“lethal help”) an die Ukraine überwiesen haben, unzählige Amerikaner, darunter vielerorts ein Viertel der Schüler, gezwungen sind, wie, entschuldigen Sie den Ausdruck, Strassenköter irgendwie zu überleben, anstatt als würdige Bürger in den USA – der reichsten Nation der Welt – sich des Lebens erfreuen zu dürfen.

(Twitter screen shot Felix Abt)

Eine politikwissenschaftliche Studie der renommierten amerikanischen Princeton-Universität aus dem Jahr 2014 hat gezeigt, dass das Handeln der Regierung fast immer den Wünschen der wohlhabenden und mächtigen US-Eliten entspricht. «Unser zentrales Ergebnis war folgendes: Wirtschaftseliten und Interessengruppen können die Politik der US-Regierung beeinflussen – aber Amerikaner, denen es weniger gut geht, haben im Wesentlichen keinen Einfluss auf das, was ihre Regierung tut», schreiben die Koautoren Martin Gilens und Benjamin Page. Soviel zur vorbildlichen Demokratie Amerikas.

Jeff Bezos ist einer der reichsten Oligarchen Amerikas und der Welt. Er baute sein Amazon-Imperium auf seiner Fähigkeit auf, Produkte online zu verkaufen ohne Umsatzsteuern zu bezahlen, im Unterschied zu seinen Konkurrenten, die Läden betrieben. Er bezahlte auch niedrige Löhne, und fast keine Steuern, im Unterschied zu seinen Angestellten sowie vieler, von ihm aus dem Wettbewerb gedrängten Ladenbesitzer.

Bezos profitiert auch massiv vom gigantischen militärisch-industriellen Komplex, von dem er Milliardenaufträge erhält. Ausserdem unterstützt er die Spionageorganisationen: Kürzlich erhielt er einen Auftrag von 10 Milliarden US$, um ein grosses Cloud-Projekt zu realisieren. Sein Auftraggeber ist NSA, die amerikanische Regierungsorganisation, welche nicht nur französische Präsidenten und deutsche Bundeskanzler, sondern auch Sie und mich, aushorcht. NSA braucht riesige Cloud-Speicherkapazitäten, um die Weltbevölkerung im Auftrag der amerikanischen Regierung wirksam überwachen zu können, und diese werden nun vom guten Oligarchen Bezos für sie entwickelt.

Besuch von Amazon-Chef Jeff Bezos bei Verteidigungsminister Ash Carter, einem Grosskunden, im Pentagon am 5. Mai 2016. (Bild: Department of Defense/Senior Master Sgt. Adrian Cadiz)

Natürlich gibt es kaum einen amerikanischen Oligarchen, der nicht von der U.S. Regierung profitierte. So hat beispielsweise Elon Musk Milliarden an Subventionen und Verträgen für seine Automobil- und Raumfahrtprojekte erhalten. Oder Bill Gates hatte einen Regierungsvertrag und einige aggressive Patentstrategien in seinen eigenen oligarchischen Status umgemünzt.

Twitter warnt systematisch vor Twitter-Konten, welche für das böse Russland, das böse China und andere echte oder vermeintliche Feinde Amerikas Propaganda verbreiten und löscht auch viele. Westliche Propaganda wird selbstverstaendlich geduldet. Twitter, selbst im Besitz eines Oligarchen, weist auch nie auf die Natur der wichtigsten und am meisten meinungsbildenden amerikanischen Twitterer hin. (Tweet von einem Twitter-Kritiker auf Twitter. Screenshot von Felix Abt)

Die antirussische CancelCulture des Westens verbietet nicht nur berühmte russische Schriftsteller, Musiker und andere Künstler, die lange vor der Geburt Putins gelebt hatten, sondern auch zwei Jahrhunderte alte russische Bäume!

Was und wer gut ist und was und wer schlecht ist, wurde schon lange bestimmt: in Washington!

Interessanterweise, der Autor dieses sieben Jahre vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erschienenen Buches, hat die kriegerische Entwicklung fast prophetisch vorausgesehen. Anstatt die NATO nach der Auflösung ihres sowjetischen Gegenstücks aufzulösen, wollten der frühere U.S. Sicherheitsberater Brzezinski und andere sehr einflussreiche US-Falken die NATO nutzen, um die weltweite Vorherrschaft der USA auszuweiten und die Waffenkäufe und -verkäufe nicht nur aufrechtzuhalten, sondern zu beschleunigen. So verkündete Brzezinki, dass «eine erweiterte NATO sowohl den kurzfristigen als auch den längerfristigen Zielen der US-Politik gut dienen wird.» Bezeichnenderweise “bestimmte” er die Ukraine als das zentrale Land, um Russland zu besiegen. Es scheint, dass genau dieser Plan jetzt tatkräftig umgesetzt wird.

Als Komiker zu der Zeit, als Obama Präsident der USA war, hallte Volodimyr Selensky diese bittere Wahrheit wider: «Heute hat unser Präsident – der wichtigste, Barak Obama – versprochen, dass wir der NATO als amerikanischer Handlanger beitreten werden. Bitte schickt Exemplare von ‹Mein Kampf›, es ist hier ausverkauft.» Die Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet er als heutiger Präsident der Ukraine die Rolle als Handlanger Amerikas zu spielen hat.

Handelt es sich hier um einen bösen Papst mit politisch sehr unkorrekten Überzeugungen, der zur legitimen Zielscheibe eines Attentates oder Umsturzversuches des CIA werden könnte?

Jahrzehnte vor dem Ukraine-Krieg haben führende amerikanische Politiker vor der NATO-Osterweiterung und der deshalb von Russland zu erwartenden heftigen Reaktion gewarnt. Dazu gehörte Robert McNamara, welcher als Verteidigungsminister während des Vietnamkrieges den traurigen Rekord erzielte, Vietnam zum am meist bombardierten Land der Menschheitsgeschichte zu machen. Mindestens drei Millionen Vietnamesen und 58,000 Amerikaner verloren dabei ihr Leben. Geteilter Ansicht war auch Henry Kissinger, der etwa das Pol Pot Regime in Kambodscha, eines der blutrünstigsten der Menschheitsgeschichte, unterstützte. Sie besudelten ihre Hände mit Blut für Ruhm und Ehre des amerikanischen Imperiums und sind sicher unverdächtige amerikanische Patrioten, die nicht als Verräter verdächtigt werden können, weil sie die NATO-Osterweiterung ablehnten.

(Twitter screen shot von Felix Abt)

Der heutige U.S. Präsident Joe Biden hat den russischen Einmarsch in der Ukraine als “unprovoziert” scharf verurteilt und deshalb massive Vergeltung angekündigt und losgetreten. Dabei  gehörte er zur gleichen Gruppe amerikanischer Politiker, welche vor der desaströsen amerikanischen Russland- und NATO-Erweiterungspolitik gewarnt hatten.

Bereits 1997 sagte Senator Joe Biden, ranghöchstes Mitglied des Ausschusses des Senats für Auslandsbeziehungen, voraus, dass eine Ausweitung der NATO bis zu den baltischen Staaten eine «energische und feindselige» russische Antwort provozieren würde. Anstatt diese Reaktion mit einer kostengünstigen und schmerzlosen Sicherheitsgarantie für Russland zu verhindern, hat er sie proaktiv herausgefordert!

Was soll ich da noch hinzufuegen, wenn der kriegstreiberische demokratische Joe Biden selbst von seinen republikanischen Rivalen als “der beste Mann, den Gott je geschaffen hat”, gerühmt wird?

 

 

 

 

Alles ist entweder gut oder böse!

Von guten Kriegen, guten Diktatoren und dem Gegenteil

Von Felix Abt

«Nice»: Saddams vom Westen unterstützte gute Iran-Invasion versus Putins böse, blutrünstige Ukraine-Invasion (interpretiert vom “Economist”, einem meinungsführenden Magazin im Westen)

Als Saddam Hussein, Iraks Präsident, den Iran am 22. September 1980 überfiel, war er ein guter Diktator. Seine Invasion des Nachbarlandes wurde von Amerika und seinen westlichen Satelliten nicht nur gutgeheissen, sondern auch massiv unterstützt. Im Unterschied zum weltlichen Irak wurde der Iran nämlich von bösartigen islamischen Geistlichen angeführt. Diese hatten das Verbrechen begangen, sich an die Spitze einer Volksbewegung zu setzen, welche den von den Amerikanern und Briten an die Macht geputschten, bei den Iranern aber äusserst verhassten Schah Reza Pahlavi stürzte. In den Augen der amerikanischen und britischen Regierungen war Pahlavi aber ein guter Diktator. Den von ihnen aus dem Amt gejagte Vorgänger Mossadegh, ein demokratisch gewählter Präsident, betrachteten sie dagegen als sehr boese, weil er die Interessen seines eigenen Landes verteidigte. Saddams guter, 8-jährige Krieg gegen den bösen Iran war die verdiente Strafe für die Missetat der aufständischen iranischen Geistlichen.
Selbst der Einsatz von Chemiewaffen mit furchbaren Folgen gegen den Iran überschritt keine «rote amerikanische Linie», denn Saddam war damals ein Guter, im Unterschied etwa zu Syriens bösem Diktator Assad, der von Amerika wegen einem angeblichen Chemiewaffeneinsatz massiv bombardiert wurde.
Anders als die iranischen Theokraten, waren die afghanischen Taliban während vieler Jahren Gotteskrieger, die dem Namen entsprechend Gutes taten: Dank massiver amerikanischer Aufrüstung haben sie das «Reich des Bösen” (gemäss dem amerikanischen Präsidenten Reagan), d.h. die Sowjetunion, in Afghanistan besiegt. Dass sie dabei auch den afghanischen Präsidenten, der für ein Mehrparteiensystem eintrat und im ganzen Land Schulen für Mädchen baute, stürzten und ermordeten, hatte die Regierenden und die Medienschaffenden im Westen nicht gestört. Er war ja ein Böser, weil er die materielle Unterstützung des “Reichs des Bösen” nicht ausschlug.
Das Blatt wendete sich für die ehemals guten Taliban nach dem 9/11 Terroranschlag, weil Washington sie deswegen als verantwortlich und bösartig verurteilte, obwohl sie selbst nicht in den Terroranschlag involviert waren und der U.S. Regierung sogar anerboten, al-Qaeda Terroristen, die sich in Afghanistan aufhielten, auszuliefern. Die amerikanische Regierung und ihre westlichen Helfer nahm das Angebot nicht an und zog es vor, wegen den nun sehr bösen Taliban eine unzweifelhaft gute, wenn auch völkerrechtswidrige NATO-Invasion in Afghanistan durchzuführen.
Auch der ehemals gute Diktator Saddam staunte nicht schlecht, als er gewissermanssen über Nacht zu einem sehr bösen Diktator wurde. Vielleicht übersah er, dass seine Absicht, Öl in anderen Währungen als der amerikanischen Monopolwährung zu verkaufen, äusserst abscheulich war. Nach dem 9/11 Terroranschlag bezichtigten ihn die amerikanischen Geheimdienste, ein geheimes Programm zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu betreiben. Die Anschuldigungen entpuppten sich als dreiste Lügen, die Amerika und seine Vasallen (auch “Koalition der Willigen” genannt) zum Vorwand nahmen, eine gute, obschon völkerrechtswidrige Invasion des Iraks auszuführen, um einen jetzt bösen Diktator loszuwerden.
Kriege einschliesslich Stellvertreterkriege sind nicht per se böse; sie können durchaus sehr gut und nützlich sein. Das gilt jedefalls immer, wenn sie vom Westen geführt oder unterstützt werden, wofür Washington und seine Alliierten ja auch stets gute Gründe ins Feld führen. Seit 2015 führt beispielsweise das gute Saudi Arabien gegen seinen regionalen Rivalen Iran (immer noch sehr böse!) einen guten, obwohl sehr schmutzigen Stellvertreterkrieg im Nachbarland Yemen. Saudi Arabien, welches wesentlich weniger demokratisch und viel menschenverachtender ist als der Iran, ist von den USA, Grossbritannien und Frankreich massiv aufgerüstet worden. Gemäss UNO handelt es sich bei diesem Krieg um die grösste humanitäre Katastrophe dieses Jahrhunderts, welche schon hundertausende von Opfern forderte und 20 der 30 Millionen yemenitischen Einwohner hungern im vom Krieg verwüsteten Land. Hätte es der Westen so gewollt, hätte es diesen Krieg gar nie gegeben oder wäre er mit einem Federstrich schon längst beendet worden, denn das gute Saudi Regime könnte keine zwei Wochen lang ohne amerikanische Unterstützung überleben, wie es der damalige amerikanische Präsident Trump seinen Gastgebern in Saudi Arabien auf die ihm eigene, sehr direkte Weise mitteilte. Weil die Menschen in Yemen das Pech haben, keine guten Ukrainer zu sein und sie einem guten, vom freiheitlich-demokratischen Westen angetriebenen Krieg ausgesetzt sind, berichten westliche Medien kaum über das Massaker. Solidaritatsbekundungen von Politikern und Prominenten bleiben ihnen vergönnt, aber Sanktionen gegen die Urheber und Unterstützer dieses guten Krieges, welcher viel mehr Menschenleben fordert als Russlands böser Ukrainekrieg, werden keine gefordert.

Natürlich waren die USA schon immer für gute, offene Invasionen und Kriege wie z.B. in Vietnam und gute, verdeckte, wie z.B. in Ostafrika, unabhängig davon, wieviele Millionen unschuldiger Menschen dabei ums Leben kamen. Der amerikanische Krieg, wie die Vietnamesen den Vietnam-Krieg nennen, kostete allein mindestens drei Millionen Vietnamesen das Leben.
Angetrieben von einer unheimlich riesigen, unzähmbaren Kriegsindustrie werden sie wohl nie aufhören, die ganze Welt mit ihren grossartigen “Werten” beglücken zu wollen. Propaganda- und Wirtschaftskriege, Subversion und geheime Operationen sowie offene Gewaltanwendung sind die guten Instrumente des amerikanischen Establishments, um auf der ganzen Welt Gutes zu erreichen. Auf alle Fälle haben diese Bemühungen amerikanischen Konzernen – nicht nur den Waffen produzierenden – meist nur gute Ergebnisse beschert.
Selbstverständlich gab es auch schon immer gute und böse Diktaturen nach dem Zweiten Weltkrieg, selbst in Europa. Den guten wurde unter die Arme gegriffen, die bösen wurden bekämpft. Die früheren Diktaturen in Portugal, Spanien und Griechenland, welche von deren Bürgern als brutal und blutrünstig wahrgenommen wurden, genossen Unterstützung und Sympathie bei demokratischen, westlichen Regierungen, weil sie gut waren und ein Bollwerk gegen das “Reich des Bösen” darstellten. Dann gab es natürlich auch die bösen Diktaturen, vor allem im Osten Europas, wie zur Zeit gerade jene von Russland, welches von Wladimir dem Schrecklichen geknechtet wird. Im letzteren Fall kommt hinzu, dass Putins Russland eigene, von den USA unabhängige Interessen vertritt, was von Washington als echt böse und und deshalb als bekämpfenswert empfunden wird.

Es gibt auch gute und böse Unabhängigkeitsbestrebungen

Nicht nur die Separatisten in Tibet oder in Chinas Xinjiang-Provinz, sondern auch die gloriosen Unabhängigkeitskämpfer auf Taiwan, einer auch von den USA und dem übrigen Westen anerkannten chinesischen Provinz, werden vom Westen in jeder erdenklichen Weise unterstützt. Es handelt sich hier halt um die guten Chinesen auf der Insel, die von den bösen Chinesen auf dem Festland bedroht werden und deshalb am besten in einem weiteren, idealerweise vom Westen provozierten guten Krieg unterstützt werden sollten.

Russland umzingeln? Das ist, unter anderem mit fünf Runden NATO-Osterweiterungen, schon längst geschehen. Jetzt geht’s darum, China zu umzingeln, und wenn möglich einen neuen guten Krieg zu provozieren. Die nächste «kubanische Raketenkrise» ist bereits im Entstehen, aber dieses Mal ganz schnell und grob: Die USA wollen 27,4 Milliarden Dollar ausgeben, um China mit Raketen entlang der «ersten Inselkette» einschließlich Taiwan einzukreisen.

Der Westen und das U.S.-geführte NATO-Bündnis unterstützte auch eine andere, gute Abspaltung, naemlich jene des Kosovo von Serbien, mit einem einzigartig guten Krieg, den sie sogar als “humanitär” bezeichneten. Die territoriale Integrität Jugoslawiens, deren Rechtsnachfolgerin Serbien ist, wurde zwar von einer UNO-Resolution garantiert, aber die ansonsten gute, von den USA so hochgelobte und von ihr selbst massgeblich geprägte rechtsstaatliche internationale Ordnung war in diesem Fall eher etwas hinderlich und deshalb etwas böse. Es is klar, dass die Serben keine Chorknaben waren und auch nicht vor Gräueltaten zurückschreckten. Aber der Westen verhielt sich nicht nur völkerrechtswidrig, sondern auch kriegsverbrecherisch: NATO-Flugzeuge bombardierten Infrastrukturen, Schulen, Spitäler und sogar die Botschaft Chinas, welches sich der Abspaltung widersetzte. Dafür mussten drei chinesische Diplomaten mit dem Leben büssen.
Neben den guten Unabhängigkeitbewegungen in Serbien, China und anderswo gibt es auch die bösartigen: Die 2014 von russischsprachigen, ukrainischen Separatisten gegründeten Volksrepubliken Luhans und Donezk in der Ostukraine gelten als besonders bösartig und müssen deshalb mit schwerstem NATO-Kriegsgerät bekämpft und notfalls ausgerottet werden, weil sie vom abscheulichen Putin 2022 anerkannt wurden. Der vom Westen massiv unterstützte, gegen diese bösen ukrainischen Spaltpilze geführte Krieg Kievs wütet allerdings schon seit 2014 und forderte Zehntausende Todesopfer. Es überrascht aber nicht, dass in den westlichen Mainstreammedien dieser gute, inoffizielle Krieg gegen die Separatisten und die von Kiev begangenen Kriegsgräuel nicht stattgefunden haben. Die Möglichkeit, dass der Ukrainekrieg in Wirklichkeit nicht im Februar 2022, sondern schon 2014 von Kiev und den dahinterstehenden westlichen Mächten begonnen worden wäre, weisen die guten westlichen Strippenzieher natürlich weit von sich.

Schauen wir kurz zurück, wie amerikanische und andere westliche Medien die Ukraine vor dem Konflikt dargestellt haben. (Screenshot Felix Abt)

2014, also lange bevor Volodomyr Selensky, der im Westen als Held verehrte Präsident der Ukraine wurde, erklärte er: “Im Osten und auf der Krim wollen die Leute russisch reden. Lasst sie in Ruhe, lasst sie einfach in Ruhe. Geben sie ihnen das legale Recht, russisch zu sprechen. Die Sprache sollte nie unser Land auseinander dividieren. … Wir sind von der selben Farbe, vom selben Blut, unabhängig von der Sprache.”
Seither wurden in der Ukraine neue Gesetze zur Diskriminierung von russischsprachigen Ukrainern verabschiedet. Darüber hinaus zensierte Selensky russisch-ukrainische Journalisten und verbot alle Oppositionsparteien, von denen die meisten die russischsprachigen Ukrainer vertraten. Offenbar waren das alles gute Massnahmen, denn sie störten niemanden im Westen, wo Selensky als Verteidiger von Demokratie und Meinungsfreiheit gefeiert wird.

Der amerikanische Präsident und Oberbefehlshaber vor seinen Truppen in Polen: Amerikas “Organisationsprinzip” soll nicht nur in der Ukraine, sondern auch weltweit, unter anderem mit Waffengewalt, durchgesetzt werden.

Fortsetzung folgt.

Die Ukraine gedenkt

Die Medien strotzen dabei vor Geschichtsvergessenheit.

Die jüngere Geschichte der Ukraine ist voller Widersprüche und Leiden. Sie wurde 1922 als Bestandteil der UdSSR gegründet. Anschliessend litt sie fürchterlich unter Stalin. Ein Grund, um die deutschen Faschisten als Befreier zu begrüssen, als die Wehrmacht 1941 die Sowjetunion überfiel.

Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) kämpfte schon zuvor gegen die Sowjetunion, auch Pogrome gegen Juden begannen nicht erst nach der deutschen Invasion. Aber danach meldeten sich viele Ukrainer freiwillig als Hilfspolizisten und beteilgten sich am Massenmord an Juden.

Babyn Jar, wo der grösste Massenmord der Wehrmacht an Juden auf ukrainischem Gebiet stattfand, ist ein Tal in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Auch daran waren ukrainische Hilfspolizisten beteiligt.

Das Staatsgebiet der heutigen Ukraine wurde 1944 durch die Rote Armee von der deutschen Wehrmacht befreit. Viele ukrainische Kollaborateure flüchteten danach nach Deutschland oder allgemein in den Westen.

Als Symbolfigur für diese Beteiligung an Untaten des Naziregimes gilt bis heute Stepan Bandera. Wegen seiner Beteiligung an Massenerschiessungen und Pogromen wurde er in der Sowjetunion in Abwesenheit zum Tode verurteilt und 1959 von einem KGB-Agenten in seinem Exil in München getötet.

Gespaltene Ukraine

Der Osten der Ukraine, der keinesfalls so eng mit den Faschisten kollaborierte, führte einen Partisanenkrieg gegen die Nazis, dem sich andere Teile der Ukraine erst dann anschlossen, als es offenkundig wurde, dass die Herrschaft der Deutschen keinesfalls eine Befreiung von Stalins Joch darstellte, sondern seine Ersetzung durch ein neues Unrechtsregime.

Aber im Westen der Ukraine wird Bandera bis heute als Nationalheld mit Denkmälern geehrt.

Das alles macht den Überfall Russlands um keinen Deut besser und liefert keine Rechtfertigung dafür. Wer aber diesen Teil der Geschichte der Ukraine ausblendet, ebenso wie die Tatsache, dass die Feier des Sieges im Zweiten Weltkrieg über Hitler-Deutschland für Russland bedeutet, dass das von keinem anderen Land der Welt mit so grossen Opfern errungen wurde, der betreibt Geschichtsklitterung.

Natürlich ist der Slogan der Entnazifizierung der Ukraine reine Kriegspropaganda. Aber nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn auch heute noch sympathisieren nicht nur militärische Hilfstruppen der Ukraine, sondern auch politische Parteien ideologisch eng mit dem Faschismus. Dass Selenskij seinerseits die russischen Truppen mit Faschisten gleichsetzt, ist nur propagandistisch zu verstehen.

Beflecktes Gedenken

Dieser übersteigerte Nationalismus und Patriotismus, gepaart mit Antisemitismus, widerspiegelt das Denken eines nicht geringen Prozentsatzes der ukrainischen Bevölkerung. Auch die Ukraine hat sich nicht aus eigenen Kräften vom Joch der Nazis befreit, sondern das erledigte die Rote Armee unter ungeheuerlichen Opfern.

Dass nun die Nachfolgeorganisation der Roten Armee als Invasor auftritt, ist beelendend. Das befleckt das Angedenken an die 25 Millionen Tote, die der Überfall Hitler-Deutschlands forderte – und die Rückeroberung der von den Deutschen besetzten und zerstörten Gebiete. Es war klar und unvermeidlich, dass die Rote Armee erst nach der Eroberung Berlins und der totalen Kapitulation Deutschlands den Krieg beendete.

Es war ebenfalls unvermeidlich, dass die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, nicht zuletzt in einer Konferenz, die auf der Krim stattfand, Nachkriegseuropa unter sich aufteilten. Sie vermieden damit eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs.

Nicht nur die Widerstandsgruppe um Graf Stauffenberg liebäugelte mit dem Gedanken, einen Separatfrieden mit dem Westen auszuhandeln – um dann mit gemeinsamen Kräften nochmals die UdSSR zu überfallen. Diesem Plan stand Hitler im Weg, deshalb sollte er beseitigt werden, nicht etwas als Ausdruck eines Protests gegen den Faschismus und seine Untaten, an denen Stauffenberg tatkräftig teilgenommen hatte.

Steinbruch Geschichte

Geschichte ist nichts Statisches oder Feststehendes. Sie wird immer wieder umgeschrieben, natürlich von den Siegern. Aber nicht nur die Ukraine zeigt, dass einseitiger Triumphalismus, gar das Ausrufen des Endes der Geschichte fatale Folgen haben kann. Wer geschichtliche Faktoren ausblendet, weil sie ihm nicht in sein Narrativ passen, lernt nichts aus der Geschichte und ist häufig dazu verurteilt, sie zu wiederholen.

Natürlich hat der ukrainische Präsident Selenskij alles Recht der Welt, sich mit allen Mitteln gegen die russische Invasion zu wehren, und propagandistisch erledigt er einen exzellenten Job, persönlicher Mut ist ihm auch nicht abzusprechen.

Dass er korrupt ist, über bedeutende Besitztümer im Ausland verfügt, wie man spätestens seit den Pandora Papers weiss, schmälert das nicht. Auch nicht, dass sein Wahlsieg von einem ukrainischen Oligarchen ermöglicht wurde, der damit Probleme löste, die ihn ins Exil ins Ausland gezwungen hatten. Auch nicht, dass in der Ukraine die gleiche Medienzensur herrscht wie in Russland.

Aber all das komplettiert die Beschreibung dieser Person. Genauso wie die erwähnten Aspekte der ukrainischen Geschichte hilft ein differenziertes Bild bei einer differenzierten Betrachtung. Beim Verständnis und beim Vermeiden von Irrtümern.

Eigentum war gestern

Feuchte Revolutionsträume werden wahr. Nehmt den Reichen ihr Geld weg! Heuchelei und Doppelmoral, Part II.

Nach der Oktoberrevolution von 1917 flüchteten viele reiche Russen ins Ausland, auch in die Schweiz. Oftmals konnten sie nur einen kleinen Teil ihrer Vermögen mitnehmen, meistens in Form von Kunstwerken oder Fabergé-Eiern oder Ähnlichem.

Während ihre Besitztümer in Russland enteignet und verstaatlicht wurden, verliessen sich die reichen Russen darauf, dass im Kapitalismus Eigentum respektiert und nicht angetastet wird. Damit hatten sie Recht, und ihre Nachkommen leben zum Teil heute noch in der Schweiz. Angenehm und wohlhabend.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und den wildwest-kapitalistischen Zuständen ab Anfang der 90er-Jahre hielten es viele reich gewordene Russen für eine gute Idee, ihre Reichtümer und sich selbst im Ausland in Sicherheit zu bringen. Denn der neue Alleinherrscher Wladimir Putin exekutierte am reichsten Oligarchen ein Exempel, nahm dem fast seine gesamten Besitztümer weg und steckte ihn für ein paar Jahre in ein Arbeitslager.

Das alles überlebte Michail Chodorkowski nur deswegen, damit er als abschreckendes Beispiel Kunde davon geben konnte, dass es keine gute Idee ist, sich dem Machtanspruch Putins in den Weg zu stellen.

Andere Oligarchen starben im Ausland unter merkwürdigen Umständen, wenn sie meinten, aus der Sicherheit des Exils in London kritische Bemerkungen Richtung Putin machen zu können.

Eigentum ist im Westen sicher – oder auch nicht

Aber ob Putin-Sympathisant oder -gegner: alle reichen Russen waren sich sicher, dass hier im Westen Eigentum, Besitz respektiert wird. Dass nicht plötzlich und nach vielen Jahren gefragt wird, wie und wo denn diese Vermögen erworben wurden. Dass der reiche Russe nicht plötzlich auf sogenannte Sanktionslisten gerät. Einfach deshalb, weil er in irgendwelchen Listen von Superreichen auftaucht, einen russischen Nachnamen trägt und zu allem Übel irgendwann einmal mit Putin zusammen fotografiert wurde.

Selbst das muss nicht sein, reich und Russe reicht heutzutage, um sein Geld loszuwerden. Und seine Jacht. Und seine Villa. Und seine Autosammlung. Und seine Fabergé-Eier. Und seinen Aktienbesitz. Dass von einem Tag auf den anderen Konten gesperrt werden und Kreditkarten nicht mehr funktionieren: Kollateralschaden, wenn schon, denn schon.

Nun ist die Begründung der Beschlagnahme bereits recht dünn. Durch Geschäfte in Russland reich geworden, kein öffentlicher Widerspruch an der Invasion der Ukraine, immer noch Firmenbesitz in Russland: reicht. Ausser, der Russe ist zwar reich und Putin-nah, aber er spielt eine gewichtige Rolle im Rohstoffhandel. Dann ist er (vorläufig) noch aus dem Schneider und kann schauen, wie er seine Vermögenswerte rechtzeitig in Sicherheit bringt.

Beschlagnahme und Verwertung und Diebstahl

Beschlagnahme heisst, dass Gelder, Konten, Jachten, Besitztümer dem Zugriff des Besitzers entzogen werden. Aber ansonsten unangetastet bleiben. Nun vermeldet die «SonntagsZeitung»:

«Nächste Woche wird die SP im Nationalrat eine Motion einreichen, die verlangt, dass die Schweiz autonom Gelder von sanktionierten Personen nicht nur einfrieren, sondern «einziehen und einem bestimmten Zweck zuführen kann».

Dass die SP ihren alten Traum noch nicht aufgegeben hat, den Reichen ihr Geld wegzunehmen, um es einer angeblich besseren Verwendung zuzuführen, logo. «Ich unterstütze es, wenn wir die konfiszierten Gelder aus Russland als eine Art Akontozahlung für den Wiederaufbau verwenden.» Dass das der Rechtsanwalt und FDP-Vizepräsident Andrea Caroni sagt, verblüfft hingegen.

Immerhin sieht Caroni noch eine Chance für reiche Russen, diesem Schicksal zu entgehen: «Diesen Leuten müsse man zumindest die Möglichkeit einräumen, sich definitiv von Putin loszusagen, um von den Sanktionslisten gestrichen zu werden.»

Bereue, schwöre ab, sage dich vom Satan los; so forderte das die katholische Kirche im Mittelalter ein, und war der Sünder nicht willig, dann überzeugte ihn die Streckbank oder ins Maul gegossenes glutheisses Blei.

Ukraine ändert die Rechtmässigkeit von Besitz

Zu solchen Methoden greifen aufgeklärte Zeitgenossen natürlich nicht mehr. Sie vergreifen sich ja auch nicht am Körper des reichen Russen, sondern an seinem Eigentum. Das zum Teil mehr als 30 Jahre lang in der Schweiz sehr willkommen war, von Bankern gehegt und gepflegt wurde, von Immobilienmaklern gerne entgegengenommen, und überhaupt die Luxusindustrie in der Schweiz freute sich zusammen mit Hotel- und Restaurantbesitzern, dass neureiche Russen es gerne krachen lassen und klaglos die Folgen bezahlen.

Aber die Ukraine ändert das alles. Fertig Toleranz, so geht das nicht. Wer sein Vermögen im Umfeld eines Unrechtsregimes erworben hat, das zudem einen schmutzigen Krieg führt, dem soll es weggenommen, verwertet und einem guten Zweck zugeführt werden.

Das gilt dann doch hoffentlich für alle, oder nicht? Oder nicht, denn bislang ist kein einziger Fall bekannt, dass einem saudischen Scheich in der Schweiz seine Besitztümer beschlagnahmt oder gar verwertet wurden. Obwohl der sein Geld auch im Umfeld eines Unrechtsregimes erworben hat, das zudem einen schmutzigen Krieg führt, und zwar schon seit acht Jahren im Jemen.

Heuchelei und Doppelmoral im Doppelpack

Wieso wird denn dann beim Scheich nicht der gleiche Massstab angelegt? Gibt es irgendwelche sachdienlichen Hinweise auf Unterschiede zum Oligarchen? Nein, es gibt keinen einzigen. Diese bodenlose Heuchelei und Doppelmoral erklärt sich nur daraus, dass Saudi-Arabien ein Verbündeter des Westens ist, dessen schmutziger Krieg mit milliardenschweren Waffenlieferungen unterstützt wird. Und von dem der Westen noch abhängiger sein wird, wenn tatsächlich ein Ölembargo gegen Russland zustande kommt.

Der wichtigste Grundpfeiler einer aufgeklärten kapitalistischen Gesellschaft wird ohne Not angesägt. Die Eigentumsgarantie ist zwar nicht unbegrenzt, aber Enteignung darf nur nach einem rechtsstaatlichen Prozedere erfolgen. Eigentlich. Beschlagnahmung ist in der Sanktionsgesetzgebung sogar vorgesehen. Aber Verwertung und Wegnahme nicht.

Warum nicht andere auch enteignen?

Sollte das passieren, hätten wir eine absurde Wiederholung der Geschichte. Nur werden diesmal nicht von Russland, sondern von der Schweiz Vermögenswerte reicher Russen geklaut.

Als Sahnehäubchen servieren uns hier alle, die für solche Sanktionen sind und die Enteignung russischer Reicher mit viel Moralinsäure fordern, einen widerlichen Anblick von Doppelmoral, von unterschiedlichen Massstäben. Denn jede Massnahme gegen eine reichen Russen, die nicht auch gegen einen reichen Saudi gerichtet ist, enthält eine Riesenportion an Heuchelei.

Und wenn wir schon dabei sind: wie wäre es denn mit der Enteignung reicher Amis? Solcher, die am schmutzigen Krieg in Vietnam verdient haben, am völkerrechtswidrigen Einfall im Irak. Am völkerrechtswidrigen Eingreifen in Ex-Jugoslawien. Oder gleich, da kämen dann noch Engländer, Franzosen und Deutsche dazu, wieso nicht Enteignung von allen Profiteuren am schmutzigen Krieg im Jemen? Das Land hätte es nach 8 Jahren Gemetzel und Zerstörung auch dringend nötig, etwas Aufbauhilfe zu bekommen.

Es ist leider zu befürchten, dass nicht alle, aber einige russische Reiche einen intakteren moralischen Kompass haben als all diese Politiker in der Schweiz, die populistisch Enteignung, Verwertung und Umnutzung von Privatvermögen fordern.

Kleine Abschlussfrage: Gibt es denn keinen einzigen Schweizer, der von Putins Regime profitiert hat? Den gibt es sicherlich, und wieso sollte der sein Vermögen behalten dürfen?