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Spritze, hilf!

Es ist wieder so weit. Angst und Schrecken in der Vorweihnachtszeit.

Eigentlich sollten Besinnlichkeit und Kaufrausch herrschen. Weihnachtsmänner sollten Kinderaugen zum Leuchten bringen und Kreditkarten zum Glühen.

Stattdessen muss an Art. 258 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs erinnert werden:

«Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Frei­heitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Schreckung der Bevölkerung heisst dieser Straftatbestand. Schauen wir mal, ob ihn folgende Schlagzeilen erfüllen:

«Die Lage ist so angespannt wie nie» («Blick»), «Lage so angespannt wie nie» («Aargauer Zeitung»), «Die Situation ist kritisch» («20 Minuten»), «Erste Stationen sind voll» («Bündner Tagblatt»), «Überlastete Spitäler rechnen mit Triage» («Schaffhauser Nachrichten»), «In Zürcher Spitälern spitzt sich die Lage zu» («Tages-Anzeiger»).

Fachkoryphäen warnen wieder, der Chef der Intensivmedizin am Berner Inselspital hat laut eigenem Bekunden Alpträume und prognostiziert:

«Es wird ganz sicher eine Triage geben.»

Für noch nicht genügend geschreckte Leser, die mit dem Wort nicht ganz vertraut sind: Triage stammt aus der Militärmedizin, wenn bei einem plötzlichen Anfall von vielen Verwundeten entschieden werden muss,  wer eine Überlebenschance hat und behandelt werden sollte – und wer nicht.

Das Ende ist nahe – mal wieder

Da der Tagi auch einen Jazzer als Redaktor in Lohn und Brot hält, werden sogar Nebenschauplätze bespielt: «Corona-Verirrungen in der Jazzszene». Hier darf man schon mal zum seltenen Fall gratulieren, dass legal vier Konsonanten aufgereiht werden dürfen. Schpitze!

Also, das Ende ist nahe, das Gesundheitssystem am Anschlag. Bald müssen die Eingänge der Spitäler bewaffnet verteidigt werden, es werden sich herzzereissende Szenen vor Intensivstationen abspielen, Beatmungsgeräte brauchen einen Leibwächter mit Knarre. Und mitten in diesem Tsunamie Pflegekräfte am Rande des Zusammenbruchs, übermüdete Ärzte, Patienten, die auf dringend nötige Eingriffe warten, die verschoben werden müssen.

Bevor uns die Panik wegreisst, treten wir einen Schritt zurück und fragen uns: Ist das so? Und wenn es so ist, wer ist daran schuld? Vor allem aber: Was kann man denn dagegen tun?

Schritt für Schritt

Sind die Intensivstationen (IS) wirklich voll, gibt es faktisch keine freien Betten mehr? Laut offiziellen Zahlen des BAG ist das nicht so. Aber das ist ja nur so eine Statistik, ein Ist-Zustand.

Quelle: BAG; Zahlen vom 30. November 2021.

Die Auslastung der IS liegt bei etwas über 80 Prozent. Das ist im üblichen Rahmen. Völlig normal. Denn ein Bett auf der IS kostet ein Gewehr, ob belegt oder leer. Also sind die Spitäler gehalten, eine möglichst kleine Reserve vorzuhalten, um weitere Kosten im Gesundheitssystem zu vermeiden.

BAG, Zahlen vom 30. 11. 2021.

Punkt zwei: Bei diesen Kapazitäten werden nur sogenannte zertifizierte Betten gezählt. Also offiziell-amtliche. Als beispielsweise vor Ostern 2020 eine ähnliche Welle durch die Medien schwappte, dass die IS in der Schweiz an der Kapazitätsgrenze angelangt seien und die Bevölkerung entsprechend verschreckt reagierte, winkte sogar das BAG selbst ab. Es gebe dann im Fall noch ein paar hundert weitere Intensivpflegestationen, halt nicht zertifiziert. Also sei die Belegung keinesfalls 98 Prozent, sondern nur etwas über 60.

BAG, Zahlen vom 30. 11. 2021

Wer ist daran schuld?

Da sind sich eigentlich alle einig: die Ungeimpften. Die Impfverweigerer. Die fahrlässig Verantwortungslosen, denen die persönliche Freiheit wichtiger ist als das Allgemeinwohl. Wir wollen hier nicht in diese erbitterte Debatte eintreten. Nur: auch das stimmt so nicht. Das Problem sind nicht mangelnde Bettenkapazitäten. Das Problem ist der Pflegenotstand.

Es gibt schlichtweg zu wenig Personal. Wie selbst der von Alpträumen geplagte Berner Professor eingesteht: «Eigentlich hätten wir 36 zertifizierte IPS-Betten. Aktuell können wir 28 betreiben, nächsten Monat noch 26», sagt Chefarzt und Klinikdirektor Stephan Jakob. Grund sei der Personalmangel: «Viele haben gekündigt. Manche sind länger krankgeschrieben, weil sie nach diesen schweren 21 Monaten so erschöpft sind», sagt er auf SRF.

Daran sind aber nicht die Ungeimpften schuld, sondern letztlich wir alle. Die Spitalverwaltungen, die politisch Verantwortlichen und die Stimmbürger, die ihnen kein Feuer unter dem Hintern machen, sondern meinen, auf dem Balkon klatschen und ein paar gesäuselte «da muss nun aber mal dringend» löse das Problem.

Was uns übrigens nicht heimtückisch aus dem Nichts angesprungen hat. Sondern seit Jahren bekannt ist.

Was kann man denn noch tun?

Es gibt die untauglichen Vorschläge von profilierungssüchtigen Politikern. Zuvorderst dabei wie immer der SP-Nationalrat Fabian Molina. Wenn er sich nicht gerade um den Weltfrieden kümmert, hat er diesen Einfall: «Impfpflicht ist besser als ein Lockdown oder Verschärfung für Ungeimpfte». Damit erobert er sich eine Schlagzeile auf «watson». Und reiht sogar sechs Konsonanten aneinander. Schschpitze.

Ihm wird entgegen gehalten, dass das doch ein kräftiger Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte sei. Dem stimmt er zu, um dann die abenteuerliche Begründung hinterherzuschieben: der sei aber «verhältnismässig, weil erforderlich». Diese Bemerkung ist ungefähr so intelligent wie die Feststellung: Die Ampel ist rot, weil sie nicht grün ist.

Wir gestehen: da ist uns selbst Konsumterror mit unablässigem Jingle Bells und Weihnachtsliedern lieber.