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X für ein U?

Kann Rebranding funktionieren?

Twitter gibt es seit 2006. Im Jahr 2022 gab es nach nicht finalen Zahlen 368 Millionen Nutzer. 2023 sollen es nur noch 354 Millionen sein.

Das ist eher ein Zwerg im Ranking der grössten Social Networks. Platzhirsch ist immer noch Facebook mit rund 3 Milliarden monatlich aktiven Nutzern (MAUs), gemessen im Januar 2023. Danach kommt Googles YouTube mit 2,5 Milliarden MAUs, dann WhatsApp mit zwei Milliarden.

Allerdings hat Twitter eine gewisse Bedeutung in politischen Auseinandersetzungen, Kampagnen und Wahlen. Berühmt und berüchtigt wurde es durch Debatten über Beeinflussungsversuche von ausländischen Mächten und natürlich durch die Verwendung (und den Rausschmiss) von Donald Trump.

Twitter und Tweet, das ist in den allgemeinen Wortschatz übergegangen. dafür wurde ganz hübsch Werbekohle ausgegeben. Apropos Ausgaben, 2021 machte die Plattform bei einem Umsatz von 5 Milliarden US-Dollar einen Verlust von über 220 Millionen.

Dennoch hat Elon Musk 44 Milliarden Dollar für den Kurznachrichtendienst ausgegeben. Anschliessend sorgte er mit einer gelinde gesagt erratischen Personal- und Plattformpolitik für ein schweres Erdbeben. Zurzeit wird der Wert von Twitter auf nicht einmal mehr die Hälfte seiner Investition geschätzt.

Da passt es irgendwie, dass Musk nun entschieden hat, auf Logo, Name und Begriff zu verzichten. Die Plattform heisst nicht mehr Twitter, der blaue Vogel ist auch weg, und statt eines Tweets soll man nun ein «X» absetzen.

Dahinter stehe der Plan, sagt Musk, aus Twitter, Pardon, aus X die berühmte Plattform für alles zu machen, von der viele Nerds schon lange träumen und die wohl vom chinesischen «WeChat» am ehesten realisiert ist.

Das würde bedeuten, dass nicht einfach alter Wein in neue Schläuche gegossen würde. Sonst wäre das Unterfangen etwa so wahnsinnig, wie Markennamen und Flaschenform von Coca-Cola zu ändern, aber immer noch die gleiche braune Brause anzubieten.

Rebranding ist meistens dann angebracht, wenn der Name einer Firma oder eines Produkts dermassen verbrannt ist, also negativ besetzt, dass er in einem Neustart nicht mitgenommen werden kann. Es ist nicht mal so selten. Aus Facebook wurde Meta, aus Google Alphabet, wobei aber die Trademarks beibehalten wurden.

Weniger günstig lief es für Karstadtquelle, das in Arcandor umbenannt wurde und dann pleite ging. Andere neue Namen entstanden aus Fusionen, wie Novartis aus Ciba-Geigy und Sandoz. AWD wiederum, der skandalumwitterte Finanzberater von Carsten Maschmeyer, wurde zuerst von Swiss Life für teures Geld aufgekauft, um dann als Namen zu verschwinden; das Produkt heisst heute «Swiss Life Select».

Also ist eine Namensänderung nicht von vornherein der Vorbote einer Katastrophe oder der Befreiungsschlag, der in ganz neue Dimensionen der Profite führt. Allerdings stellt sich bei Twitter tatsächlich die Frage, ob dieser Name und das Logo dermassen verbrannt waren, dass sie durch einen neuen Auftritt ersetzt werden mussten.

Zum Zweiten ist «X» offensichtlich eine Marotte von Musk, ob sich der Buchstabe allerdings tatsächlich für einen Kurznachrichtendienst eignet, ist fraglich. Während twittern lautmalerisch ist und als Begriff in viele Sprachen übernommen wurde, wird sich «x» wohl kaum als Bezeichnung für das durchsetzen, was für (fast) alle bis heute immer noch twittern heisst.

Nun kann man einwenden: als Musk mit der Behauptung antrat, dass er das Autogeschäft revolutionieren werde und das erste massentaugliche und erschwingliche E-Auto bauen, wurde er auch schallend ausgelacht. Er tat nicht nur das, sondern machte seine Produktion von Zulieferketten und Fremdpatenten unabhängig, indem er alles selbst entwickeln liess. Anfänglich ein Riesenaufwand, der sich aber bezahlt machte.

Trotz allem Lärm (und der damit verbundenen Gratis-Werbung) um das X ist und bleibt Twitter bislang ein Nischenprodukt. Nur wenn es Musk gelingt, zu den grossen Playern aufzuschliessen, hat er eine Chance, seine Investition wieder herauszuholen. Dass er das kann, hat bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Dass er etwas sprunghaft ist, auch. Tesla läuft schon länger nicht mehr so rund wie am Anfang, während er aber mit SpaceX weiterhin gutes Geld verdient.

Also wird’s echt spannend mit X. Weder die Unken, die eine Bauchlandung prognostizieren, noch die Musk-Fans, die davon überzeugt sind, dass er es schon wuppen wird, haben bislang Recht bekommen.

Da ZACKBUM im Besitz der Glaskugel ist, mit der wir in die Zukunft schauen könne, wollen wir es hier weltexklusiv verraten. X wird … (oh, diese Prognose wurde uns soeben mit einer Superprovisorischen verboten). Nein, mehr dürfen wir nicht verraten, sonst schickt jemand eine Kampfdrohne mit Gesichtserkennungssoftware.

 

Stapo Zürich zwitschert

Mit dem Vogel twittert sie sich ins Elend.

Polizei ist selten lustig. Ausser, sie twittert. Damit hat es die Stadtpolizei Zürich zu einiger Aufmerksamkeit gebracht. Oder um es mit den launigen Worten der «Limmattaler Zeitung» zu sagen:

«Anstatt am sicheren Hafen des Schweigens anzulegen, segelt das Social-Media-Team der Stapo offensiv in das Auge des Shitstorms. Eher selten sieht man eine derart ausdauernde Kommunikationsarbeit. Für keine Antwort ist sich die Stapo zu schade, selbst auf Nachrichten wie «F*** dich!» wartet Spaltenstein mit einem müden «Nein» auf.»

Christian Spaltenstein gehört zum «Social-Media-Team» der Stadtpolizei. Die benützt Twitter normalerweise, um gähnlangweilige Mitteilungen abzusetzen. Seit dem Frauenstreik, Pardon, dem feministischen Streiktag, ist das alles anders.

Anlass des wilden Gezwitschers ist ein Vorfall auf dem Paradeplatz Zürich. Der wurde von streikenden Frauen blockiert. Als die Stapo dem Tramverkehr wieder freie Fahrt verschaffen wollte, kam es zu einem Nahkampf, der auf einem Video festgehalten wurde.

Eine Frau wurde niedergerungen, sie soll zuvor einem Polizisten gegen das Knie getreten haben. Es kam zum Einsatz von Pfefferspray. Nach dem Gerangel gibt’s auf Twitter los, und Stadtpolizist Spaltenstein liess nichts anbrennen:

«Unterlassen Sie das Verwenden unseres Logos und unseres Namens! Ihr Profil ist irreführend und ist entsprechend an Twitter gemeldet worden. Wenn Sie sich als Polizei ausgeben, machen Sie sich zudem der Amtsanmassung strafbar.»

Unvermeidbar: die Politik schaltete sich ein. Der einschlägig bekannte AL-Gemeinderat David Garcia Nuñez behauptete, die Stapo schüchtere andere Twitterer ein. Auch hier fetzte die Stapo zurück, Nuñez wisse nicht, wovon er spreche.

Schweigen ist Gold, sagt sich derweil die oberste Chefin der Stapo, die Grüne Stadträtin Karin Rykart. Inzwischen hat sich auch der Shitstorm – wie alle seine Vorgänger – gelegt, und es herrscht wieder gelangweilte Ruhe mit den üblichen Warnhinweisen der Polizei. Die NZZ will allerdings mehr Action sehen:

«Das ist einigen Twitter-Usern offenbar zu viel der Harmonie. Und so provoziert einer mit der Frage, wann denn auf dem Account der Stadtpolizei wieder der «wilde Polizist» wüte. Bisher hat die Stadtpolizei diese Frage unbeantwortet gelassen.»

Immerhin, so kann man das Sommerloch amüsant füllen.

 

Unratschleuder Twitter

Unterbelichtete und Unterbeschäftigte geben sich dort ein Stelldichein.

ZACKBUM gesteht: wir riskieren nur gelegentlich einen professionellen Blick in die Zeitvernichtungsmaschine Twitter, wo sich schon so mancher um Kopf und Kragen getwittert hat. So er hat, was im Fall von Benjamin von Wyl eher zweifelhaft ist.

Der Mann hat ein Glaskinn und wäffelte gegen Canonica und ZACKBUM-Redaktor René Zeyer. Das rief dann Pascal Hollenstein auf den Plan:

ZACKBUM teilt seine Ansicht, dass Zeyer grossartig sei. Weniger einverstanden sind wir damit, dass er «frei erfundenen Käse» schreibe. Wäre Hollenstein noch die publizistische Leiter nach unten, müsste man ihm ein schiefes Sprachbild ankreiden. Aber so …

Aber damit ist der Sturm im Abfallhaufen noch nicht vorbei. Nun meldet sich auch noch ein gewisser HG Hildebrandt zu Wort. Dem scheint zu viel Sprudelwasser das Hirn weggeschwemmt zu haben, denn er schreibt nur Unverständliches: «Und wenn du dir weniger fiese Berichterstattung über dich wünschst und Zeyers Sackdung dein einziger Bezugspunkt ist, ist es Ausdruck des gleichen Problems.» Dabei wäre es viel lustiger, wenn Hildebrandt mal die Umstände schildern würde, wie er von der «SonntagsZeitung» schied … Nun ja, jemand, der schon mal die «Werbekuh Lovely» interviewte, kann wohl kaum den Anspruch erheben, ernstgenommen zu werden.

Aber der Abfalleimer ist noch nicht ganz voll. Da meldet sich doch noch Christian Beck, der Lohnschreiber bei persoenlich.com., mit einem lustigen Gif, weil er offensichtlich die Hintergründe nicht verstanden hat, wieso ZACKBUM am abrupten Abgang Hollensteins bei Wanners nicht ganz unbeteiligt war. Auch er hat es offenbar bis heute nicht verwunden, dass ihm ZACKBUM mal die Knöpfe reingetan hat.

So, nun haben wir lange genug die Luft angehalten und in Unappetitlichem gewühlt; zurück ans Tageslicht und an die frische Luft.

Wumms: Elon Musk

Wollt ihr mich weiter als Chef?

Eines muss man dem erratischen Genie Elon Musk lassen: «Should I step down as head of Twitter? I will abide by the results of this poll.» Das ist mal eine Ansage.

Rund 17 Millionen Twitterer haben an der Abstimmung teilgenommen, ob Musk als Chef des von ihm für 44 Milliarden US-Dollar gekauften Kurznachrichtendiensts Twitter zurücktreten soll oder nicht. Zugleich verspricht er, sich dem Ergebnis zu unterwerfen.

Musk war an verschiedenen Fronten in die Kritik geraten. Zum einen, weil er kurz nach Amtsantritt praktisch die gesamte Führungsriege und die Hälfte der Angestellten gefeuert hatte – während die Überlebenden bereit sein sollten, auch 80-Stunden-Wochen zu schieben. Nach der Devise: besser jetzt im Büro schlafen als zukünftig auf der Strasse.

Dann hatte seine Politik, Konten wieder zu öffnen und andere zu sperren, ebenfalls für Gebrüll gesorgt. Sogar Regierungen äusserten ihr Unbehagen darüber, was mit Twitter zukünftig geschehen könnte, wenn Musk weiterhin herumfuhrwerkt.

Die Twitternutzer haben entschieden: 57,5 Prozent sind dafür, dass Musk zurücktritt.

Das ist nun unbestreitbar originell. Und sollte Schule machen. Wie wäre es mit einer Abstimmung unter Facebook-Nutzern, ob Mark Zuckerberg zurücktreten sollte? Das Resultat wäre allerdings von Vornherein klar.

Oder wäre das eine Möglichkeit, endlich doch die Volkswahl Schweizer Bundesräte einzuführen? Oder zumindest die Frage zur Abstimmung zu stellen, ob beispielsweise Bundesrat Alain Berset zurücktreten sollte oder nicht.

Schule machen könnte das auch in Biotopen wie «Operation Libero», «Republik» oder «Nebelspalter». Jeweils die Mitglieder oder Abonnenten könnten darüber abstimmen, ob Sanija Ameti, Constantin Seibt oder Markus Somm wegen erwiesener Unfähigkeit zurücktreten sollten. Da aber auch hier die Resultate vorhersehbar wären, wird das leider nicht geschehen.

Geradezu langweilig vorhersehbar war die Reaktion in den Mainstream-Medien, die Musk nicht mögen. Stellvertretend für alle anderen schrieb der «Digitalredaktor» Matthias Schüssler von Tamedia: «Pseudo-Abstimmung, scheindemokratisches Besänftigungsmanöver». Wäre doch immerhin was, wenn sein Oberboss Pietro Supino es auch mal auf ein solches Besänftigungsmanöver ankommen liesse. Das Resultat dürfte auch nicht anders ausfallen.

Wumms: Elon Musk

Der neue Twitter-Besitzer kriegt’s knüppeldick.

Musk steuere den «Kurznachrichtendienst an den Rand des Zusammenbruchs», weiss der «Spiegel». Aber was weiss der schon; im gleichen Artikel behauptet Autor Alexander Demling: «Der neue Eigentümer ­reaktiviert derweil Trumps Account und holt notorische Charaktere wie den Rapper und Antisemiten Kanye West, der sich inzwischen Ye nennt, zurück auf die Plattform

Ob es nur Unfähigkeit oder Absicht ist? Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels war Kanye West schon wieder draussen, vom Chef höchstpersönlich gesperrt. Schon wieder ein Lapsus der grossartigen Dokumentation des Nachrichtenmagazins?

Noch übler geht im Qualitätsorgan «Tages-Anzeiger» Matthias Schüssler zur Sache. Zunächst handelt er die #Twitterfiles ab. Musk liess aufarbeiten, wie zuvor routinemässig bestimmte Tweets gelöscht wurden, vor allem die Demokratische Partei, aber auch die Republikaner, besonderen Zugang zu Twitter hatten und ihrerseits die Löschung unliebsamer Tweets unbürokratisch verlangen und bekommen konnten.

Dazu natürlich der Skandal, dass Twitter einen Artikel der «New York Post» zensuriert hatte, in dem die Affäre um Hunter Bidens Laptop aufbereitet wurde. Vor den Präsidentschaftswahlen hätte das skandalöse Verhalten seines Sohnes Joe Biden möglicherweise entscheidende Stimmen kosten können, wäre darüber in den Mainstream-Medien berichtet worden.

Das alles kann Schüssler nicht wegschreiben, also legt er sich anders in die Kurve: «Musks Wille zur Aufklärung wäre löblich, würde er nicht selbst auf eklatante Weise zur Eskalation beitragen. Musk duldet, dass via Twitter-Files ehemalige Twitter-Mitarbeiter mit Namen und Adressen an den Pranger gestellt werden.»

Natürlich zitiert Schüssler auch die «New York Times», die konstatierte, dass seit dem Ankauf die Zunahme von Hate Speech und Rüpeleien gigantisch sei. Dabei beruft sich die NYT auf «Untersuchungen» diverser NGOs, die wie die Anti-Defamation League Musks politischen Ansichten äusserst kritisch gegenüberstehen.

Das erinnert fatal an die Liste der «Washington Post» über die gesammelten Lügen von Donald Trump. Kein Präsident zuvor habe dermassen oft gelogen, war das vernichtende Fazit, das ungeprüft weltweit übernommen wurde. Dabei hätte eine genauere Analyse der aufgeführten angeblichen Lügen gezeigt, dass die Kriterien so schwammig formuliert waren, dass auch schlichtweg Behauptungen als Lügen qualifiziert werden konnten. Zählte man das alles ab, log Trump nicht häufiger als sein Vorgänger, der Friedensnobelpreisträger Barak Obama. Aber längst hatte sich das Narrativ gebildet und verfestigt.

Das Gleiche wird nun auch bei Musk probiert. Der habe eine rechte Schlagseite, distanziere sich nicht genügend von rechten Hetzern, propagiere Meinungsfreiheit, um in Wirklichkeit üblen Populisten eine Plattform zu bieten.

Arrogant verkündet der Tagi-Autor am Schluss: «Dabei sollte Musk seine arrogante Haltung überdenken, alles besser machen zu wollen.» Um drohend hinzuzufügen: «Falls Musk aber tatsächlich seine politische Agenda über diese Herausforderung stellt, muss jeder Nutzer, jede Nutzerin und jeder Werbetreibende entscheiden, ob Twitter für ihn noch eine Zukunft hat.»

Wenn man solche unverhohlenen Boykottaufrufe liest, ist man doch glatt versucht, zum ersten Mal einen Tweet abzusetzen.

Wumms: Elon Musk

Ein neuer Player mit eigener Meinungsmachmaschine.

Dass Twitter ein Abfallhaufen und eine Zeitvernichtungsmaschine für Kreischer ist, hat ZACKBUM schon mehrfach konstatiert. Nun sollen aber weltweit rund 240 Millionen Menschen Twitter täglich nutzen. In der Schweiz gibt es 1,7 Millionen Profile und rund 800’000 tägliche Nutzer.

Das bewegt sich durchaus in der Grössenordnung der Einschaltquote eines der drei verbleibenden Medienkonzerne oder der NZZ. Also ist Twitter durchaus eine Medien- und Meinungsmacht.

Die hat nun definitiv einen neuen Besitzer. Twitter reicht in seiner Bedeutung nicht an Facebook heran, wo ein verhaltensauffälliger Besitzer die Spielregeln bestimmt. Aber nun hat Twitter ebenfalls einen neuen verhaltensauffälligen Besitzer.

Kann dem Einhalt geboten werden? Vielleicht, denn Spassbremse Viktor Giacobbo hat angedroht, dass er vielleicht Twitter verlassen wird, sollte sich Musk nicht anständig benehmen.

Elon Musk hat angekündigt, Twitter einerseits von Hass- und Shitstorms zu säubern, Trolls und Fake-Accounts zu verbannen. Andererseits möglichst freien Meinungsaustausch zuzulassen. Gegen Musk gibt es bereits Widerstand, es wird sogar seine Enteignung gefordert. Das ruft die «Weltwoche» auf den Plan: «Das alles zeigt, weshalb man Musk dankbar sein muss: Er enthüllt, wie Linke Meinungsfreiheit sehen.»

Da der Artikel nicht von Tom Kummer ist, scheint er ernstgemeint zu sein. Aber beunruhigender als diese aussichtslosen Forderungen einiger Linker ist doch wohl das, was Musk ab und an selbst auf Twitter loslässt. So beglückte er kürzlich seine 112 Millionen Follower mit der Behauptung, es gebe «die winzige Möglichkeit, dass bei dieser Geschichte mehr dahintersteckt».

Eine schmierige Verschwörungstheorie-Webseite hatte die faktenfreie Meldung gebracht, dass der Hintergrund des tätlichen Angriffs auf den Ehemann der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi darin bestünde, dass es sich um einen Besucher gehandelt habe, einen Stricher, mit dem es eine gewalttätige Auseinandersetzung gab.

Kurz darauf löschte Musk dann seinen Tweet, in dem er diesen Unsinn weiterverbreitet hatte. Wenn das seine Auffassung von mehr Meinungsfreiheit auf Twitter ist, dann wird der Abfallhaufen zur Kloake.

Kreisch! Brüll! Kleb!

Aufmerksamkeitsmanagement leicht gemacht.

Seit auf allen Kanälen Informationen, Mitteilungen, Nachrichten in jeder Form, persönliche Zustandsmeldungen, Kommentare zu diesem, jenem und allem auf uns einprasseln, ist ein neues, wertvolles Gut entstanden.

Das heisst Aufmerksamkeit. Jüngere Leser seien an die Zeiten erinnert, als die Informationsaufnahme mit dem Hören der Morgennachrichten im Radio begann, mit der Lektüre einer Zeitung fortgesetzt wurde und am Abend die «Tagesschau» nochmals das Wichtigste des Tages zusammenfasste. Dazwischen gab es längere Pausen, ausser, man war Abonnent der NZZ, als die noch dreimal am Tag erschien.

Das hat sich ein wenig geändert. Durch die Reizüberflutung hat sich zunächst einmal die Aufmerksamkeitsspanne dramatisch verändert. Schon vor über 10 Jahren wurde eine Microsoft-Studie berühmt, die ermittelt haben wollte, dass die durchschnittliche Attention Span eines zivilisierten Menschen bei 8 Sekunden angekommen war. Demgegenüber könne sich ein Goldfisch immerhin 9 Sekunden auf etwas konzentrieren.

Das gab natürlich einen Kracher als Schlagzeile: Der Mensch kann weniger Aufmerksamkeit als ein Goldfisch.

Unabhängig davon, ob das stimmt oder nicht, es ist sicherlich richtig, dass vor allem im Digitalen eine «wisch und weg»-Mentalität herrscht. Eine Webseite, die zu langsam lädt. Ein Shop, der zu viele Schritte abfordert, bis man kaufen und bezahlen kann. Ein umständlich geschriebener, langatmiger Artikel. Heutzutage verlieren solche Internet-Flops schneller User, als man ZACKBUM sagen kann.

All das konkurriert mit einer Unzahl von weiteren Angeboten, darunter so verführerischen wie Katzenbilder, Listicals («die besten, schlechtesten, aufregendsten Irgendwas»), sexuell anzüglichen Angeboten und Discountpreisen auf Viagra.

Da wird es schwerer und schwerer, sich ein Scheibchen von dieser flüchtigen Aufmerksamkeit abzuschneiden. Manchmal funktioniert das nach undurchschaubaren Mechanismen. Eine leicht autistische Schülerin setzt sich hin und streikt. Wenig später ist sie eine weltweite Berühmtheit, der Massen von Jugendlichen (und Erwachsenen) an den Lippen hängen und die sogar vor der UNO sprechen darf.

Völlig sinnentleerte Aktionen wie die «Ice Bucket Challenge» gehen viral und bringen ansonsten zurechnungsfähige Menschen dazu, sich einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf zu giessen. Nicht alle diese Aktionen sind absichtsvoll geplante Versuche, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzielen.

Auf der anderen Seite brauchen sowohl Bezahl- wie Gratismedien Attention. Denn auch letztere sind ja nicht gratis, sondern benützen ihre Konsumenten als Verkaufsargument gegenüber Inserenten. Daraus ergibt sich eine üble Mischung. Verdummende Redaktionen, Angst vor dem Leser/Konsumenten, der einerseits zwar belehrt, dem andererseits aber gerne nach dem Mund geschwatzt wird.

Schliesslich das Bedienen primitiver Narrative für alle Weltlagen. Ja keine neue, überraschende Sichtweisen. Denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier, er will Bestätigung, nicht Verunsicherung. Ein ganz wichtiger Satz für Politiker und auch Medien ist daher: wie ich schon immer gesagt habe.

Blöd wird das nur, wenn sich beispielsweise bei der Impffrage eine neue Erkenntnislage abzeichnet. Aber da hilft viel Abhärtung. Sollte es tatsächlich zutreffen, dass die Corona-Impfungen weder die Ansteckung noch die Übertragung des Virus nennenswert behindern konnten, dann würde eigentlich jeder Mensch, der zuvor Impfgegner, -verweigerer und -kritiker in allen Tonlagen beschimpft hätte, peinlich berührt in sich gehen und «`tschuldigung» murmeln.

Ganz anders die Medien und ihre Meinungsträger. Irrtum? Wir? Niemals. Ausgeschlossen. Dass ein Redaktor im Speziellen und ein Journalist im Allgemeinen einen Irrtum eingesteht, das erlebt man seltener als eine Begegnung mit dem Yeti.

In den unablässigen Versuchen, sich eine Scheibe Aufmerksamkeit abzuschneiden, wird zu immer absurderen Mitteln gegriffen. Wohlstandverwahrloste weisse Kids knieten nieder, senkten schuldbewusst das Haupt, liessen die Schultern unter der Last einer jahrhundertealten Schuld hängen und grölten: «Black lives matter». Ein Satz von dermassen banaler Richtigkeit und Einfalt, dass es eigentlich peinvoll sein müsste, ihn zu artikulieren.

Die neuste Masche im Versuch, im allgemeinen Geschrei und Gekräh nicht unterzugehen, praktizieren Umweltbewegte. Sie schrecken nicht davor zurück, sich an oder neben Kunstwerke zu kleben. Bis man sie dort wieder losgeeist hat, können sie auf allen Kanälen ihre Botschaft verkündigen.

Aber das Blöde am Buhlen um Aufmerksamkeit ist, dass es ständig höhere Dosen braucht, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Also ergänzen die Klebekünster ihr frivoles Tun noch um einen weiteren Akzente. Sie bewerfen oder beschmieren Kunstwerke mit eigens zu diesem Zweck mitgebrachter Tomatensosse oder Kartoffelbrei.

Damit ist ihnen tatsächlich mehr Aufmerksamkeit gewiss, als wenn sie mit Flugblättern oder dem Megaphon vor oder im Museum auf ihre Anliegen hinweisen würden. Nur: wer sich öffentlich wie ein Arschloch benimmt, bekommt auch ein gerüttelt Mass an Aufmerksamkeit. Nur nicht unbedingt die, die er sich wünscht.

Der Abfallhaufen Twitter ist das beste Beispiel dafür, wohin verzweifelte Suche nach Aufmerksamkeit führen kann. Wer lauter kreischt, kriegt mehr. Aber da alle immer lauter kreischen, wird das bald einmal zum ohrenbetäubenden, dissonanten Lärm, in dem man keine Einzelkreischer mehr unterscheiden kann. Und ständig überschreitet jemand alle Grenzen von Sitte, Anstand oder Gesetz.

Sich medienwirksam etwas zuzufügen, das ist auch eine beliebte Methode. Der/die/das Künstler rasierte sich bei einer Preisverleihung das Haupthaar. Um ein Zeichen der Solidarität mit iranischen Frauen und der dortigen Protestbewegung zu setzen. Dabei würde es selbst den aufgeklärtesten Iraner schütteln, wenn er diesen hybriden Menschen sähe.

Abgesehen davon sind solche Proteste nicht gerade neu oder originell. Einer der Ersten, der auf solche Effekte setzte, war der Schriftsteller Rainald Goetz. Beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis schlitzte er sich bei seiner Lesung vor laufenden Kameras die Stirne auf. Er beendete seinen Vortrag dann blutüberströmt, womit er ein Zeichen für irgendwas oder gegen irgendwas setzen wollte.

Er bekam den Preis dann doch nicht, und heute erinnert sich niemand mehr an Goetz (oder an sein Werk). Auch sein aktueller Nachahmer wird mal hinter dem Horizont verschwinden. Das gilt auch für die Klebekünstler und alle Kreischen auf Twitter oder in den Medien.

Abfalleimer Twitter

Elon Musk marschierte mit einem Waschbecken ins Headquarter.

Man kann nicht von einer Liebesheirat sprechen. Obwohl Musk den Preis für gewaltig überteuert hält, sah er sich angesichts turmhoher Vertragsstrafen und Schadenersatzforderungen gezwungen, Twitter zu kaufen.

Als erste Amtshandlung feuerte er gleich mal die halbe Führungsriege. Wegen seiner Ankündigung, auch Ex-Präsident Trump wieder den Zugang zu Twitter zu erlauben, raunt es durch die Medien, dass da ein neuer, hetzerischer, populistischer Transmissionsriemen für üble Meinungen, Diskriminierung, Hass und so weiter entstehen könne.

Musk hingegen hat angekündigt, dass er zwar Anhänger von Redefreiheit sei, Twitter aber säubern wolle. Denn während sich viele darauf konzentrieren, Tod und Teufel in den Personen Trump und Musk heranreifen zu sehen, finden mehr oder minder aktuell diese gepflegten Diskurse auf Twitter statt:

Regula Stämpfli kriegt sich nicht ein, dass der Presserat die Beschwerden von Jolanda Spiess-Hegglin abgelehnt hat. Dabei muss sie noch einflechten, – Majestätsbeleidigung – der «TX -Group Chef hat mich blockiert». Weil ihr das noch nicht kreischig genug ist, behauptet sie noch, «Die verlorene Ehre der Katharina Blum» sei «ein Klacks im Vergleich der Macht gegen JSH».

Soweit sich dieses wackelige Deutsch verstehen lässt, will sie offenbar einen Vergleich zum Buch des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll ziehen, das der in den dunkelsten Zeiten des deutschen Herbsts geschrieben hat. Gut, dass Böll das nicht mehr erleben muss, und wir versuchen Stämpfli zu Gute zu halten, dass sie das Buch wohl weder gelesen noch verstanden hat.

Eine weitere Sumpfblase:

Wenn’s richtig peinlich-unappetitlich wird, ist Marko Kovic nicht weit. Der Wegwerf-Soziologe keift ungebremst: «Das ist schlicht ungefilterter, entmenschlichender Hass.» Himmels willen, hat hier jemand die Auslöschung einer ganzen Bevölkerungsgruppe gefordert? Massenerschiessungen? Deportationen? Ach was, die SVP hat mal wieder ein wenig auf die Kacke gehauen. Und Kovic schmeisst damit zurück.

Aller schlechten Dinge sind drei:

Als wollte Fabian Eberhard beweisen, dass Kurt W. Zimmermann mit seiner ironischen Kritik völlig richtig liegt, dass der «Recherche-Chef» vom «SonntagsBlick» statt zu recherchieren überall Nazis wittert, vollbringt Eberhard auch hier seinen üblichen Dreisprung zwischen eher zusammenhangslosen Ereignissen. Die da wären: ein paar Verpeilte haben eine Gender-Veranstaltung belästigt. Die SVP fordert, dass solche Veranstaltungen nicht mehr durchgeführt werden sollen.

Konklusion à la Antifa-Eberhard: «Die grösste Partei des Landes als Erfüllungsgehilfin von Neonazis». Wer so die Realität zusammenklebt, hat sich als «Recherche-Chef« restlos disqualifiziert.

Das sind nur drei Beispiele unter Tausenden, zu welchem Abfalleimer Twitter verkommen ist, wie dort geholzt, gerempelt, gekeift, gehetzt und Sinnbefreites dargeboten wird.

Man darf gespannt sein, ob es Musk gelingt, diesen Sumpf auszutrocknen. ZACKBUM hat seine Zweifel angesichts dieser massiven Ballung von unappetitlichen Inhalten.

Als Zugabe noch eine Schmonzette. Da erscheint in der «WeWo» ein nicht gezeichneter Beitrag über die neusten Troubles im Verein von Jolanda Spiess-Hegglin. Aber die Autorin kann sich nicht zurückhalten und outet sich auf Twitter.

Daraufhin wird Joyce Küngaka Rabanna Winnetou») wegen ein paar Fehlern in ihrer Meldung kritisiert, was sie nicht auf sich sitzen lassen kann:

Worauf sie gleich nochmal eingetopft wird:

Es ist eben verwirrlich, wenn im Abfalleimer Twitter über die Ereignisse in einem anderen, nun ja, Gefäss berichtet wird …

Die Info-Krieger

Kaum verhohlene Häme: Köppels Twitter-Account kurzzeitig gesperrt.

Wir sind gut unterwegs – zurück in voraufklärerische Zeiten. Bevor Denis Diderot und seine Bundesgenossen darauf setzten, dass Erkenntnisse nur durch Meinungsfreiheit gewonnen werden, lag ein Leichentuch über dem europäischen Denken.

Die allmächtige Kirche bestimmte, was öffentlich (und privat) gedacht und gesagt werden durfte. Und was nicht. Bei Verstössen gegen diese Vorschriften stand die Inquisition bereit, den Sünder wieder auf den rechten Weg zu führen. Manchmal, wie im Fall Galilei, reichte das Zeigen der Instrumente. In hartnäckigerern Fällen kamen sie zu Einsatz. Der pervertierten menschlichen Fantasie waren dabei keine Grenzen gesetzt.

Streckbänke, die Eiserne Jungfrau, glühende Zangen, flüssiges Blei in den Mund, schon das einfache Hochhieven an auf den Rücken gefesselten Händen sorgte für unerträgliche Qualen. Danach war der Tod oft eine Erlösung für das Höllenschmerzen erleidende Opfer. Oder aber, der Ketzer landete wie Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen.

Die Folterknechte, die Inquisitoren, waren guten Mutes und sicher, ein gottgefälliges Werk zu verrichten. Denn schliesslich ging es ihnen nur darum, eine verirrte Seele einzufangen, sie auf den richtigen Weg zu führen, zu verhindern, dass sie in der Hölle schmoren musste, zu ermöglichen, dass sie jubelnd in den Himmel aufsteigen konnte.

Die Erde sei keine Scheibe? Nicht das Zentrum des Universums? Es sind Zweifel an dem geoffenbarten Wort Gottes in der Bibel möglich? Der Papst sei nicht unfehlbar? Jemand glaubt nicht an Gott, bezweifelt gar seine  Existenz? Versündigt sich an edlen Ideen wie Kreuzzüge, Ablasshandel, kritisiert das gottlose Treiben von Pfaffen in Klöstern? Ts, ts, da musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um all diese Verdunkelungen des hell leuchtenden Glaubens zu beseitigen.

Auch Herrscher reagieren sehr ungnädig auf Spott, Ironie und Kritik. Im Ostblock war’s beliebt, einen Dissidenten in die Psychiatrie einzuliefern. Denn wer an der Richtigkeit und Überlegenheit des real existierenden Sozialismus zweifelt, muss doch krank im Kopf sein.

In westlichen Demokratien geht man normalweise subtiler vor. Da wird weder gefoltert, noch psychiatriert. Soziale Ächtung, Kampfbegriffe wie Verschwörungstheoretiker, Schwurbler, Leugner, ergänzt durch Hetzer, Rechtskonservativer, Nationalist und Irgendwas-Versteher, reichen normalweise aus. Plus die Sperrung des Zugangs zu Multiplikatoren, Ächtung der noch vorhandenen Plattformen.

Mit allen Fingern wird auf die drakonische Zensur in Russland gezeigt. Mit einem Finger leise gewackelt wird bei der drakonischen Zensur in der Türkei. Gerne unerwähnt gelassen wird die genauso drakonische Zensur in der Ukraine. Hochgelobt wird dagegen die Meinungsfreiheit im freien Westen. Hier hat jeder das Recht, nur beschränkt durch weitgefasste Gesetze gegen Verleumdung, Ehrverletzung, Beleidigung, Schmähung, Rufschädigung, Geschäftsschädigung.

Wie stolz sind wir doch darauf, dass wir im Gefolge der Aufklärung gelernt haben, dass nur ein freier Diskurs Erkenntnisgewinn bringt. Wie klar ist es uns, dass man zwischen Meinung und Meinungsträger, zwischen Äusserung und Gesinnung unterscheiden sollte. Klarheit herrscht, dass es nicht sinnvoll ist, Debattenbeiträge durch ihre Herkunft, vermutete Gesinnungen oder andere Markierungen abzuqualifizieren.

In die üble Vergangenheit verbannt sind alle Versuche, Wörter zu verbieten, die Sprache zu reinigen, Vorschriften zu machen, welche Wörter wie verwendet werden dürfen – und welche nicht. Grosses Gelächter erhebt sich, wenn ein Verpeilter meint, durch die Vergewaltigung der Sprache reale Vergewaltigungen bekämpfen zu wollen.

Ist das so? Das war einmal so. Bis sich das Leichentuch des Nationalsozialismus über die deutsche Gesellschaft und Sprache legte, galt in Debatten nur eins: intelligent muss es sein, unterhaltsam muss es sein, Funken schlagen soll es, brillant formuliert ist Voraussetzung für jede Polemik. Und Polemik ist gut, nur im Widerstreit der Meinungen kommt man weiter. So war das bis 1933, und nach 1945 wurden Freiräume zurückerobert.

Eine Einteilung der Welt gab genügend Sicherheit, fröhlich im Streit herauszufinden, ob kapitalistischer oder sozialistischer Imperialismus besser sei, oder ob beides gleich schlecht ist.

Als dann ab 1989 der Ostblock zusammenbröselte, setzte merkwürdigerweise nicht eine zusätzliche Befreiung des Denkens und Debattierens ein, sondern eine zunehmende Verunsicherung. Und Verunsicherung macht Angst. Angst macht repressiv. Denn natürlich hatte auch die Kirche, hat jeder Herrscher Angst vor dem freien Wort und freien Gedanken.

Genauso wie jeder kleine Pinscher, der meint, absolut zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Der mangels eigenen intellektuellen Fähigkeiten begrüsst, wenn ihm missliebige Meinungen unterdrückt werden.

Ein Schulbeispiel dafür sind die Reaktionen auf die kurzzeitige Sperrung des Twitter-Accounts von Roger Köppel. Maliziös wurde vom «Blick» aufwärts (abwärts geht schlecht) vermeldet, dass es wohl zahlreiche Beschwerden gegen den Account gegeben habe, worauf Twitter ihn wegen Regelverstoss und Hassreden gesperrt habe. Man hörte das mitschwingende «bravo», das «ätsch», das «hä, hä» dröhnen. Allgemein als Begründung wurde kolportiert, dass Köppel Vergewaltigungsopfer «verhöhnt» habe.  Mit seinem Tweet «Jede grosse Liebe beginnt mit einem Nein der Frau» habe er indirekt dazu aufgefordert, ein Nein nicht zu akzeptieren.

Köppel müsse diesen und andere Tweets zuerst löschen, bevor er wieder zugelassen werde. Oder –hoffentlich – auf Lebenszeit gesperrt wie der Ex-US-Präsident Donald Trump. Nochmals «he, he».

Eher belämmert musste dann berichtet werden, dass sich Köppel doch tatsächlich nach kurzem Unterbruch auf Twitter gemeldet habe – ohne die kritisierten Tweets zu löschen. Dieser Schlingel.

Keinem der Kommentatoren in den Mainstream-Medien fiel es ein, auf den wahren Skandal hinzuweisen. Kann es richtig sein, dass eine private Bude wie Twitter selbstherrlich nach undurchschaubaren Kriterien in Dunkelkammern entscheidet, wer diesen Multiplikator wie benutzen darf? Das ist noch schlimmere Zensur als im Mittelalter.

Niemand wies auf den Skandal hin, dass Mini-Inquisitoren und Zensoren bewirken können, dass mit ihrer Meckerei ein Account gesperrt wird. Das ist die digitale Version der hetzenden Meute, die einen Abweichler durch die Strassen jagt und mit faulen Eiern, Tomaten und Steinen bewirft. Weil dieser Teil wegfällt, wirkt es zivilisierter, ist aber nicht minder barbarisch.

Bezeichnend ist auch, dass all diese Zensoren genauso wie die Unwohlsein Erleidenden beim Anblick kultureller Aneignungen ihre Denunziationen immer anonym ausführen. Früher, im Mittelalter und auch in neueren Zeiten, gab es dafür spezielle Briefkästen, in die jeder feige Denunziant seine Anklage anonym einwerfen konnte. Auf das ist heute dank Digitalisierung viel einfacher geworden.

Gibt es die völlige Meinungsfreiheit? Natürlich nicht, so wie es auf keinem Gebiet absolute Freiheit gibt, weil das immer in Willkür und Faustrecht und Barbarei ausarten würde. Aber es sollte die möglichst umfassende Meinungsfreiheit geben. Dazu muss gehören, Peinliches, Unsinniges, Falsches, Provokatives, politisch nicht Korrektes, Frauenverachtendes, Minoritäten Diskriminierendes, Frauen, Männer, Behinderte, Kinder, Menschen anderer Hautfarbe oder Kultur Abqualifizierendes, sagen zu dürfen. Menschliche Schneeflocken dürfen ihr Unbehagen, ihre Verletztheit durch ach so viele ausgrenzende und nicht-inkludierende Formulierungen zum Ausdruck bringen. Linke dürfen auf Rechte verbal einprügeln, Verteidiger der militärischen Spezialoperation zur Befreiung der Ukraine vom Faschismus dürfen sich Wortgefechte mit Kritikern liefern, die den völkerrechtswidrigen Überfall entschieden verurteilen.

Kriegsgurgeln dürfen mit Pazifisten im Clinch liegen. Sogar fundamentalistische Irre dürfen Freiheiten für sich in Anspruch nehmen, die sie selbst in von ihnen beherrschten Ländern nicht im Traum einräumen würden. Feministinnen dürfen den Schleier als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung feiern, und von anderen Feministinnen in den Senkel gestellt werden, die den Schleier als Ausdruck einer frauenverachtenden, mittelalterlichen Männerherrschaft sehen.

So sollte das sein, wenn es in der öffentlichen Debatte um Erkenntnis und Forstschritt ginge. Da müsste man selbst den Verbal-Proleten Dieter Bohlen zumindest ernst nehmen und argumentativ begegnen, wenn der Verhandlungen in der Ukraine fordert, weil er «Krieg scheisse» findet. Gäbe es diese Geisteshaltung noch, müsste jeder Intellektuelle, der etwas Wert auf Anstand und Aufklärung legt, den Zensurversuch gegen Köppel aufs schärfste verurteilen. Müssten alle Bauchnabel-Kommentatoren – statt apodiktisch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden – sich ernsthafte Gedanken über die Verluderung der Streitkultur machen. Müssten alle Verfolger kultureller Aneignungen sich besser um das Wiedererstarkten von Denkverboten und Zensur kümmern.

Alle Alarmsirenen erschallen lassen, dass wir zunehmend das unter so vielen Opfern erkämpfte Recht auf freien Diskurs verlieren. Diesmal nicht auf Betreiben von Religion oder Herrschern, sondern zuvorderst gefordert von Meinungsträgern selbst, von fehlgeleiteten Journalisten, Publizisten, Redaktoren. Die ihre intellektuelle Unterlegenheit, ihre geistigen Tiefflüge durch Rufe nach Denk- und Formulierungsverboten bemänteln wollen. Denn wo es keine Widerrede gegen Blödes, Seichtes, Unsinniges und Flachdenkertum gibt, wird seine Erbärmlichkeit nicht erkennbar.

Sollte man Köppel das Maul stopfen? Niemals. Sollte man «Russia Today» verbieten? Unter keinen Umständen. Sollte man Befürworter der Politik Putins stigmatisieren, ausgrenzen, sozial ächten, Maulkörbe, Entlassungen für sie fordern? Unter keinen Umständen.

Nur Kurzdenker verstehen dieses Plädoyer als Unterstützung solcher Meinungen falsch.

Wumms: Marc Brupbacher

Wir sind noch stärker besorgt. Wohin mit der Corona-Kreische?

Nein, wir wollen nicht nochmal seine vergangenen Untaten auflisten. Im Rahmen einer Resozialisierung hat jeder eine zweite Chance verdient. Nur: was macht ein Mensch, dem sein Thema abhanden kommt?

Gefühlskalte Mitbürger könnten nun sagen: vielleicht seinen Job als «Leiter Interaktiv-Team bei Tamedia»? Das mag ja sein Beruf sein, seine Berufung ist aber Kreischen. Nur: worüber?

Ja, wir hatten Marc Brupbacher gerade vor Kurzem ein Wumms gewidmet. Aber unsere Sorge nimmt stündlich zu. Es ist auch kein Care-Team in Sicht.

Während er lange Zeit aus dem Vollen schöpfen konnte, muss er inzwischen ganz unten im Topf letzte Reste zusammenkratzen: