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Spieglein an der Wand

Hat das Nachrichtenmagazin immer noch ein Kontrollproblem?

Man greift sich an den Kopf. Im August hatte der «Spiegel» seinen Lesern die erschütternde Geschichte erzählt, dass auf einer Insel im Grenzfluss zwischen Griechenland und der Türkei ein 5-jähriges syrisches Flüchtlingsmädchen an einem Skorpionstich gestorben sei. Hätten die griechischen Behörden nicht jede Hilfe verweigert, hätte es gerettet werden können.

«Todesfalle EU-Grenze», so lautet der anklagende Titel. Nur: Wie die NZZ wiederholt berichtet, gibt es erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt. Und diverse Indizien dafür. Also hat das Magazin diese und drei weitere Storys des Autors vom Netz genommen und will sie eingehend überprüfen.

Das bedeutet nicht, dass das Hamburger Magazin schon wieder mit einem Fall Relotius konfrontiert ist. Es bedeutet aber, dass der berühmte Faktencheck immer noch nicht wirklich und überall funktioniert. Sonst wären schnell Belege zur Hand gewesen, mit denen das Nachrichtenmagazin jegliche Zweifel an der Story hätte ausräumen können. Was es aber nicht kann.

So resümiert die NZZ die Folgen des Relotius-Skandals: «Nach der Enttarnung bemühte man sich bei «Spiegel» zwar, Strukturen zu schaffen, die einen notorischen Lügner wie Relotius künftig unmöglich machen sollten. Das weltanschauliche Umfeld, das ihn erst ermöglichte, blieb so aber unausgeleuchtet. Das könnte sich jetzt rächen.»

Ruhe. Trauer!

Wer diese Meldung belächelt, hat kein Herz.

ZACKBUM war unsicher, ob «Blick» noch irgend eine Ähnlichkeit mit einem Boulevard-Medium hat. Aber mit einer Meldung hat das Blöd-Blatt alle Zweifel beseitigt. Besser kann Boulevard nicht sein.

Denn alle Zutaten sind in dieser Story. Eine alternde (Alter geheim) «Jetset-Lady». Eine Exklusiv-Meldung (die sonst keiner haben will). Ein Todesfall (tragisch). Eine trauernde Hinterbliebene («wie soll ich das bloss verkraften?»).

Leser, zückt die Taschentücher, es darf geheult werden. Schämt euch nicht, so reagierten die Tennisgötter Federer und Nadal, als sie diese schreckliche Nachricht vernahmen:

Welche tragische Kunde erfuhren sie in diesem Moment? Nun, wir können die Tränendrüsen der Leser nicht länger schonen:

Ein Nackthund! Was ist denn geschehen? Hier zunächst ein Bildzitat aus besseren Zeiten:

Nackthund Murphy (unten im Bild) habe ihr «einmal ihren Salat vom Tisch weggegessen», schluchzt Dillier dem «Blick» ins Hemd. Aber was ist denn geschehen, was dieses Traumpaar (dem die übrigen Restaurantgäste sicherlich gerne beim gemeinsamen Mahl zuschauten) auseinanderriss?

Die Dillier-Fan-Postille weiss exklusiv Genaueres: «Nachdem ihr geliebter Murphy Anfang Jahr einen Schlaganfall erlitten hatte, kümmerte sich die Jetset-Lady mit viel Herzblut um seine Pflege. Nun ist der mexikanische Nackthund im Alter von 14,5 Jahren gestorben.»

Das ist nun auch für behaarte Hunde noch kein Alter, daher ist die Trauer verständlich, auch wenn der Vergleich etwas gewagt erscheint:

«Zuerst stirbt die beste Queen der Welt, dann der beste Hund. Ich weine nur noch

Gibt es denn wenigstens Trost? «Am Tag nach dem Tod war Dilliers Freund Josef (37) aus Hamburg (D) angereist. «Die beiden waren ein Dreamteam. Murphy lag immer bei ihm, wenn er da war», so die Jetsetterin.»

Aber natürlich hat der Salat-Esser eine Lücke hinterlassen, die schmerzlich klafft: «Auch wenn Murphy gestorben ist, ist er für Dillier nicht ganz weg. «Er wird nicht nur tief in meinem Herzen immer bei mir sein – um den Hals trage ich ein Ketteli mit seiner Asche drin.» Trotzdem leidet die Society-Lady vor allem morgens noch immer unter dem Verlust ihres Kleinen. «Ich bin noch immer perplex, wenn er am Morgen nicht zu mir ins Bett zum Kuscheln kommt», sagt sie. «Normalerweise hat er nachts immer in meinem Arm gelegen und wollte am Morgen schmusen. Jetzt ist er weg.»»

Das mag den angereisten Freund Josef etwas trösten; er muss das Lager nicht länger mit Murphy teilen und darf nachts in den Armen der «Jetsetterin» liegen und vielleicht, aber nur vielleicht sogar am Morgen mit ihr schmusen.

Wir neigen das Haupt in stummer Trauer und werden an Nackthund Murphy denken, wenn wir das nächste Mal einen Salat verspeisen.

Kriminaltango

Das Sommerloch gähnt bereits vernehmlich.

Ein Todesfall. Nicht restlos aufgeklärt. Ein Mörder sitzt im Gefängnis, aber wurde er angestiftet? Auf der Front ist’s glasklar. Denn auch die NZZaS pfeift inzwischen auf die Unschuldsvermutung. Trommelwirbel, schneidende Geigen, blutrote Illustrationen:

Der arme Dürrenmatt.

Denn wir bewegen uns hier auf einem angeblich hochstehenden literarischen Niveau. Die als «erfolgreichste Krimiautorin der Schweiz» geltende Christine Brand kehrte «für diese Reportage zu ihren Wurzeln als Journalistin zurück». Zudem arbeitete sie früher im Ressort «Hintergrund» der NZZaS.

Im Eigenmarketing ist die Dame grossartig:

Im Nacherzählen einer eher banalen Story weniger. Eigentlich sollte der Lektor blutrot anlaufen, wenn eine Kriminalgeschichte so beginnt:

«Noch denkt niemand etwas Schlimmes

Dann stolpert Brand durch ein Potpourri, aus dem man (auch frau) etwas Anständiges hätte machen können, obwohl – oder gerade weil – es «alle Klischees bedient». Alte, wohlhabende Ärztin stirbt in ihrer Villa an der Zürcher Goldküste. Wird erst zwei Tage später gefunden, zu spät obduziert. Natürlicher Tod oder nicht?

Der Verdacht fällt schnell auf ihre Tochter. Drogenabhängig, in Gefahr, das Erbe zu verlieren. Deren Freund, Bauarbeiter, Rotlichtmilieu, Drogenkarriere, wird verurteilt. Und schweigt eisern bis heute. Die Tochter kann sich an nichts mehr erinnern. Kein Wunder, sie soll bis zu «120 Pillen Ritalin» genommen haben – täglich. Dabei sollte eine Höchstdosis von 8 Tabletten nicht überschritten werden. Heisst’s. Also müsste die Tochter eigentlich schwer hirngeschädigt oder tot sein. Aber was soll’s.

Medizinische und andere Ungereimtheiten sind Brand ziemlich egal. Neues hat sie auch nicht zu bieten, das Urteil des Obergerichts aufgrund von Berufungen gegen das erstinstanzliche Verdikt wird erst am 4. Juli erwartet. Also bleibt nichts anderes als der vage Schluss:

«Wollte Beatrice K. (die Tochter, Red.) den Tod ihrer Mutter oder war sie ahnungslos? Entweder wird Beatrice K. für Jahre ins Gefängnis gehen oder eine freie, reiche Frau sein. Doch die Wahrheit, warum Veronika T. sterben musste, wird wohl verborgen bleiben.»

Nun, da ein verurteilter Mörder im Knast sitzt, scheint diese Wahrheit eher offenkundig zu sein. Da in seinem Besitz Wertgegenstände der Toten gefunden wurden, könnte der gewiefte Krimiautor, wenn er mal in überschwengliche Kombinierlaune gerät, eine gewagte These zum Warum aufstellen. Stichwort Habgier, Stichwort Sicherung des Erbes  …

Trommelwirbel, Fade out, ein Aktendeckel schliesst sich gewichtig. Vorhang zu, alle Fragen offen. Das Hazy Osterwald Sextett stimmt den «Kriminaltango» an. Das Publikum flüchtet.