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Die Glückspost, das Bravo für Erwachsene

Die Glückspost ist der Schweizer Illustrierten auflagemässig dicht auf den Fersen. Trotzdem hat sie es in der öffentlichen Wahrnehmung viel schwerer. Eine Blattkritik des offiziellen Schweizer Klatschheftli.

Es gibt «Die neue Welt», die «Freizeit-Revue», die «Frau mit Herz» – und es gibt die «Glückspost». Während erstere deutscher Provenienz sind, ist die «Glückpost» das erste und einzige Klatschheftli der Schweiz. «Erste», weil es die Glückspost seit sage und schreibe 136 Jahren gibt. Gut, zuerst hiess sie Schweizerische Allgemeine Volkszeitung, erst 1977 erhielt sie den treffenden Namen «Glückpost». Aber immerhin.

«Einzige», weil sich keine Konkurrentin länger halten konnte. Und das etwas edlere Gala? Es hat eine Auflage in der Schweiz von etwas über 30’000 und einen speziellen Schweizteil, aber nur wenige Seiten. Zudem erscheint die Gala nur alle zwei Wochen, im Gegensatz zur «GlüPo». Keine ernste Konkurrenz also. Doch genug mit Vorspiel. Jetzt geht’s zur Sache, zur Glückspost.

Von der Titelseite des respektabel dicken Hefts (74 Seiten, Ausgabe vom 17.9.) strahlen einen gleich vier Menschen an. So sieht Glück aus. Doch aufgepasst: Zum Bild von Mike Shiva heisst es: «Die grosse Trauer seiner Mama». Und auch beim zweiten Anriss geht’s um ein Mutter-Tochter-Verhältnis: Das erwachsen gewordene Meitli von Entertainer Vico Torriani hat «Papa immer noch im Herzen».

Die Titelstory gehört Komiker Jonny Fischer. Er hat sich «mit der schweren Vergangenheit versöhnt». Dazu kommt unten ein Textbalken: «Viele Rätsel und Schicksalsgeschichten!». Fazit: alle Zutaten sind da, dass man oder besser frau für 3 Franken 90 einen Gegenwert für viele Stunden Unterhaltung hat.

Chefredaktor Leo Lüthy schreibt in seinem Editorial salbungsvolle Worte über Mike Shiva (gestorben mit 56). Kein Wunder, war Shiva einer der wenigen schillernden CH-Promis, die immer mal für eine Schlagzeile gut sind.

Für Lüthy ist und bleibt  klar: «Der Basler Mike Shiva war der lebende Beweis, dass einander zuhören (…) viel wertvoller sein kann als Fr. 4.50 pro Minute». Sprich, Shiva war seine Abzocke wert.

In der Rubrik «Leute heute» kommen vor allem Uralt-Promis vor. Al Bano, Peter Maffay, Costa Cordalis, Heino. Die Glückspost scheint sich dem Alter des Publikums anzupassen. Doch genug geschnödet. Nun folgt die Titelgeschichte über Jonny Fischer – und seinem Partner Michi Angehrn. Ein Geschmäckle hat der Bericht aber: Er kommt passend zur Premiere von Fischer als Moderator einer neuen SRF-Spielshow (Game of Switzerland) gestern Abend. Aber so läuft das halt. Ein neues Buch, eine neue Show. Schon ist man in den Schlagzeilen.

Die nächste Doppelseite bietet Platz zum Schwelgen. Blättern «im ganz privaten Familienalbum» von Nicole Kündig-Torriani. Grund: Vater Vico wäre am 21. September 100-jährig geworden.

Und noch eine Rühr-Story: Franco Marvulli schreibt einen offenen Brief an die eben verstorbene Tele-Bärn-Moderatorin Anne-Cécile Vogt (39). Sie erlag einer schweren Krankheit, viel zu früh.

Tobias Heinemann scheint ein berühmter Gedankenleser zu sein. Jedenfalls geht seine «eindrückliche Show» nach der Corona-Pause am 14.10. wieder weiter. Fast eine Doppelseite widmet die Glückspost dem Mystiker. Definitiv eine der Zielgruppen der Glückspost, wenn man kurz in den hinteren Teil des Hefts blättert. Denn dort wimmelt es von Inseraten ähnlicher Richtung: Kartenlegen, keltisches Baum-Tarot, Kontakt mit Engeln, Zukunfstorakel, hellfühliges Orakel, Pendel, Hilfe bei Liebes-Aus, Kaffeesatz lesen. Mike Shivas Erbe lebt! Na gut, die meisten Telefonnummern kosten zwischen 1 Franken 99 und 2.50. Also nicht 4 Franken 50. Aber es ist halt auch nicht das Original.

Doch zurück zum redaktionellen Teil. Nach den Schweizer Promis folgt nun Hollywood (als Rubrik) mit Sharon Stone. Sie hatte traumatische Erlebnisse zu verkraften. Zuletzt mehrere Corona-Todesfälle in der Familie. Ganz nach dem Motto: Schaut her, Promis geht’s auch verschissen, obwohl sie vermeintlich glücklich über den roten Teppich schweben.

Auffällig: erst auf Seite 19 folgt das zweite Inserat nach einem «Allergiker-Inserat» von Migros weiter vorne. Erstens: Was will uns Migros über seine Glückspost-Leser-Einschätzung sagen? Zweitens: Das erwähnte Inserat ist Werbung für Blick-TV. Blick-TV wie die Glückspost gehören zum Ringier-Konzern.

Nun wird die Glückpost noch ernster. Schicksale, Liebesbetrüger, Asperger-Syndrom. Die Welt scheint es nicht gut zu wollen mit gewissen Leuten. Doch zum Glück gibt’s die nun folgende Glückspost-Rubrik «Spass & Spannung». Acht Seiten Sudoku und Kreuzworträtsel. Klever: die Lösungen findet man immer ein Heft später. Eine perfekte Leserbindung!

Doch es kommt noch perfekter: 24 Seiten über die Gesundheit, Beauty und Reisen. Der Rubrik  Doktor Sommer im Bravo nachempfunden ist jene von einem Infektiologen. Er sagt, dass man vom Küssen krank werden kann. Immerhin nicht schwanger.

Ein ganz bisschen politisch wird die Glückpost nun mit der Tier-Seite. Grund: eine Reportage über die gefährdeten Auerhühner. Da muss man am 27. September doch Nein stimmen zum neuen Jagdgesetz! Das scheint irgendwie durchgerutscht zu sein bei der Blattplanung. Denn es ist ein eiserner Gesetz. Die Glückpost ist neutral.

Beim Reisebericht über die südsteirische Weinstrasse vermisst der kritische Leser einen Hinweis, dass die Reise der Reporterin (und freien Reisejournalistin) Barbara Blunschi irgendwie mitfinanziert wurde. Und zwar von der sehr positiv porträtierten Gegend und dem erwähnten «Boutique-Hotel Wurzenberg». Aber das Foto mit der Herbstimmung ist wirklich gelungen.

Bei der Rubrik «Genuss» kommt Volg zum Handkuss. Ich wusste nicht, dass Volg auch eine Kulinarik-Abteilung hat, ähnlich wie Betty Bossi. Aber das ist irgendwie authentisch. Rezepte und ein Portrait einer Nusstörtli-Bäckerin, die ihre Produkte im Dorfladen verkauft. Bei 3000 Lieferanten schweizweit scheint das mehr als ein Marketingtrick. Aber dass die vier Seiten nicht als Publireportage gekennzeichnet sind, das geht eigentlich gar nicht.

Positiv dafür die Doppelseite über das Rote Kreuz mit anderer Schrift und deklariert als Gute-Tat-Story («Unterstützen Sie das SRK»).

Dass beim Impressum auf Seite 56 der Titel vergessen ging, hat wohl nur der pingelige ZACKBUM.CH-Kritiker bemerkt.

Aufgefallen ist bei der dreiseitigen Rubrik «Rendez-Vous, Finde mich!» der hohe Preis fürs Anrufen. Bei den Kleininserätli («Sie sucht ihn», Männer suchen offensichtlich nicht) läuft das so, dass man Fr. 3.13 pro Anruf und dann Fr. 3.13 pro Minute bezahlen muss. Da ist zu hoffen, dass einem der potenzielle Partner nicht gefällt. Sonst geht so ein Telefon brutal ins Geld. Gut für die Glückspost: Das lusche Geschäft ist an die Firma Datapoint ausgelagert. Dort soll man auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen finden. Auf www.datingpoint.ch kommt aber nur die Meldung «Error, Database activation falled». Pech gehabt. Vielleicht mal was für den Kassensturz oder das Saldo.

Auf Seite 69 strahlt einen nun Luca Hänni entgegen. Er findet trotz abgesagter Tour Trost bei seiner neuen Freundin Christina. Kein Wort mehr , dass er sich von seiner Michèle getrennt hat. Aber das gehört wohl zum Promijournalismus in Klatschheftlis. Lieb und nachsichtig sein, dann bekommt man sicher wieder mal eine Homestory.

Auffällig: eine der raren Inserate hat Tamedia geschaltet, also die Konkurrenz. Thema: Feuerstellen online finden. Lerne: Die Glückspost scheinen auch Familien zu lesen. Oder sind es die Grossmütter?

In der Rubrik «in letzter Minute» darf Brigitte Nielsen nicht fehlen. Das Busenwunder bringt ein ganz klein wenig Erotik ins sonst stockprüde Heft.

Einigermassen versöhnlich punkte Abzocke ist dann das Inserat auf der zweitletzten Seite. Wenn man die Beauty-Linie («mit Blattgold!») bestellen will, ist der Anruf kostenlos. Und der Preis für die «2 x Tagescreme + 2 x 7 Ampullen» ist mit Fr. 69.90 für GlücksPost-Leser statt Fr. 134.80 wirklich verlockend. Da bezahlt man auch die Versandkosten von Fr. 9.95 gerne.

Doch genug kritisiert. Mit 3 Franken 90 bekommt man wirklich viel fürs Geld. Viel Swissness, viele Lebenstipps, dazu Rätsel für einsame Stunden. Und wenn man einen Partner sucht, einen der Finger juckt und man bei «Rendez-Vous» anruft? Wie schon der verstorbene Mike Shiva sagte, bei den Ausgaben ist alles klar deklariert.

Mit einer Auflage von 121532 Exemplaren jede Woche ist die Glückspost solide unterwegs. Ja sie ist dem Ringier-Flaggschiff, der «Schweizer Illustrierten», sogar dicht auf den Fersen. Diese hat eine Auflage von nur noch 130843. Grund, die «SI» demnächst unter die Lupe zu nehmen.