China-Missversteher, Teil 3
«Die Partei und der Staat sind paranoid und bauen einen Überwachungsstaat auf».
Hier geht’s zu Teil eins.
Hier geht’s zu Teil zwei.
Von Felix Abt
Für Herrn Baumann ist klar: Die paranoide Partei treibt den Aufbau eines umfassenden Überwachungsstaates voran.
Jerry Grey hat vor einiger Zeit ein Video über den Überwachungsstaat gedreht, das Sie sich ansehen sollten. Es könnte Ihnen eine bessere Perspektive geben.
Ich kann nicht viel zu dieser Überwachungsstaatsthese sagen, außer auf Links zu verweisen, wo externe Agenturen China untersucht haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass China ganz anders ist, als Herr Baumann es wahrnimmt:
– Das Ashe Center der Harvard Universität beschäftigte sich seit 13 Jahren mit dieser Frage. Hier ist einer seiner Befunde.
– Die Ipsos Global Satisfaction Survey ergab, dass China unter den 32 untersuchten Ländern den ersten Platz belegte.
– Die Universität von San Diego stellte fest, dass China sowohl happy als auch stabil ist.
Ich möchte chinesische Quellen nicht erwähnen, weil sie reflexartig als Propaganda angesehen würden, auch wenn sie genauso glaubwürdig oder unglaubwürdig sein können wie westliche Quellen.
“In China wird die Geschichte fast bis zur Unkenntlichkeit gefälscht”
So lautet die Geschichtsverfälschtertheorie von Thomas Bauman. Jerry Grey beschäftigt sich mit chinesischer Geschichte und erklärte mir das: “Wie bei allen Unwahrheiten über China steckt darin auch ein Körnchen Wahrheit – tatsächlich wird in China eher restauriert als gefälscht, aber wenn etwas für immer verschwunden ist, wie das alte Fort aus der Ming-Dynastie in Jaiyuguan, dem Ende der großen Mauer, wurde das Fort verlassen. Ich selbst komme aus dem Nordosten Englands und weiß, dass mit dem Hadrianswall genau das Gleiche passiert ist: Er wurde in den 100 Jahren, nachdem die Römer die Region verlassen hatten, als Baumaterial genutzt, und die Angelsachsen und Dänen kämpften um ihn. China hat die Festung als historische Stätte wiederaufgebaut – manch einer mag behaupten, sie fälschen die Geschichte, aber in Wahrheit stellen sie etwas Verlorenes wieder her – meine eigene Heimatstadt ist ein gutes Beispiel dafür – normalerweise verwende ich Wikipedia nicht als Quelle, aber aus Gründen der Zweckmäßigkeit hier ein Link zu meiner Heimatstadt South Shields im Norden Englands – fälschen die Briten die Geschichte oder schaffen sie ein Museum zur Erinnerung daran?”
Grey fährt fort: “Der Sommerpalast steht noch, die Verbotene Stadt ist noch intakt, die Terrakotta-Krieger in Xi’an wurden während der Kulturrevolution entdeckt und sind eines der größten archäologischen Weltwunder der Welt. Eine der ältesten Zivilisationen der Welt befand sich in der Nähe des heutigen Chengdu, Sanxindui ist als neuntes Weltwunder bekannt. China fälscht die Geschichte nicht, sondern bewahrt sie, und wo das nicht möglich ist, stellt es sie neu her – man mag das als Fälschung bezeichnen, ich bin da anderer Meinung
Einer der Gründe, warum ich nicht zustimme, ist Chinas bekanntestes historisches Bauwerk, die Chinesische Mauer. Hätte China nicht so viel Zeit und Mühe in die Restaurierung gesteckt, hätten wir jetzt einen Haufen Steine und Schutt vor uns – ist das eine Fälschung? Manch einer mag das bejahen, aber ist es nicht besser, dass sie das getan haben, was sie getan haben, und dass die Menschen sich an den Ort erinnern können, an dem er einmal war, und nicht an eine Baustelle?
Fürs Protokoll: Es werden kilometerlange Restaurierungsarbeiten an der originalen großen Mauer in Westchina durchgeführt – ich bin mit dem Fahrrad entlanggeradelt und habe sie mit eigenen Augen gesehen. Als ich sie 2014 zum ersten Mal sah, sah sie so aus:
Im Jahr 2019 arbeiteten dort Teams bereits an der Restaurierung und Erhaltung
der wiederaufgebauten Mauer.
Ohrenbetäubende, diskriminierende Propaganda?
Als Herr Baumann die Lautsprecher in Kashgar, Xinjiang, hörte, die die Einheit des Landes beschworen, rollte ein Kantoneser resigniert mit den Augen, als er ihm sagte, er könne sich eine Reise nach Nordkorea sparen. Nun, dieser Han-Chinese würde wahrscheinlich zu den ersten Opfern gehören, wenn es von ausländischen Mächten unterstützte islamistischen Separatisten gelänge, die Provinz von China abzuspalten. Es ist mir oft passiert, dass Chinesen und Vietnamesen mit den Augen rollten, wenn ich sagte, dass ich in Nordkorea lebte. Ältere Chinesen brachten oft ihre Familie mit Kindern und Kindeskindern in den Urlaub nach Pjöngjang, um ihnen zu sagen: «Seht mal, so war es früher bei uns, hahaha!» Baumann schiebt nach, dass kulturelle Sensibilität in China sowieso nicht angesagt ist. Vielleicht wäre es interessanter gewesen, von ihm zu erfahren, warum auf chinesischen Banknoten die fünf Sprachen Mandarin, Tibetisch, Mongolisch, Uighurisch und Zhuang stehen und warum sogar ethnische Han in Tibet obligatorisch Tibetisch lernen müssen. Mehr über den angeblichen kulturellen Völkermord erfahren Sie, ebenfalls von Jerry Grey, in seinem Artikel hier.
Schließlich macht Baumann noch einen Seitenhieb auf die «bloß billig zusammengebauten iPhones», die die Menschen im Westen haben wollen, und bestätigt damit für einige den Eindruck, dass die KPCh die Bürger Chinas für schlechte Löhne zugunsten des Wohlstands im Westen ausbeutet.
Auch hier möchte ich einen echten Experten zu Rate ziehen, nämlich den Apple-CEO Tim Cook selbst, der sich dazu wie folgt äußerte:»Die gängige Meinung ist, dass Unternehmen wegen der niedrigen Arbeitskosten nach China kommen. …. Es ist schon seit Jahren nicht mehr das Land mit den niedrigsten Arbeitskosten. Der Grund, warum sie nach China kommen, sind die dortigen Fähigkeiten.» Er erläutert die beeindruckenden “Skills” der chinesischen Ingenieure, die er anderswo nicht finden kann.
Trau, schau, wem! — ein chinesisches Prinzip
Manch einer mag sich fragen, warum die westliche Berichterstattung über China so lausig ist und warum sich westliche Journalisten ihre China-Weisheiten aus den Fingern saugen müssen. Die Antwort ist einfach: Wichtige Akteure wollen keine Informationen mit ihnen teilen, weil sie ihr bescheidenes Vertrauenskapital längst verspielt haben.
Ende