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CS: Keiner dran schuld …

Jetzt geht’s dann ganz schnell …

Vorgestern noch solide wie das Matterhorn. Gestern noch solider als manch andere Bank. Heute bröselt und bröckelt es. Und morgen? Morgen ist’s mit der Credit Suisse, wie wir sie kannten, vorbei.

Die Lage der zweitgrössten Bank der Schweiz ist so dramatisch, da muss man zum Dichterwort greifen und Franz Kafka zitieren:

«Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoss sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar das ist nur scheinbar.»

Das perfekte Bild für den aktuellen Zustand der CS. Sie bestätigt wieder einmal eine alte Regel im Wirtschaftsleben: wenn etwas ins Rutschen kommt, geht’s holterdipolter und sehr, sehr schnell.

Das vorher schon überforderte Management (sonst wäre die einstmals stolze Escher-Bank ja nicht in diese Schieflage geraten) ist völlig von der Rolle. Seine Aussagen sind nur noch mitleiderregend: «Wir haben noch einen weiten Weg vor uns», sagte der CEO Ulrich Körner im Februar dieses Jahres. Im März sieht es ganz danach, aus, als ob er schon am Ende des Weges angekommen sei.

Wenn’s schnell geht, ist «zu wenig, zu spät» der Todeskuss für einen komatösen Patienten. Selbst die Notinfusion durch die Schweizerische Nationalbank vermochte es nicht, dem moribunden Opfer rosa Bäckchen zu verpassen.

Die meist wohlinformierte, zumindest besser als alle Schweizer Wirtschaftsmedien informierte «Financial Times» berichtet bereits, dass Bern und die SNB die Spitzen von UBS und CS dazu gedrängt hätten, übers Wochenende eine Lösung zu finden, bevor am Montag die Börsen öffnen.

Denn die Nachricht, dass die CS über 50 Milliarden Liquidität verfügen könne, also auf die unbeschränkte Feuerkraft der SNB zählen dürfe, hat an der Börse nur das ausgelöst, was der zynische Börsianer einen «dead cat bounce» nennt. Wenn eine Katze aus dem Hochhaus fällt, prallt sie auf den Boden und ist tot. Aber durch die Wucht des Aufschlags wird sie nochmal in die Luft geschleudert, was man aber nicht mit einer Wiederbelebung verwechseln darf.

So ist es nach 167 Jahren leider Zeit, Bilanz zu ziehen. Rund 160 Jahre lang war die Schweizerische Kreditanstalt SKA der Stolz Zürichs. Der Stolz des Freisinns. Der Stolz der Schweiz. Wie die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) trug sie als Trustmark das Wort Schweiz im Titel. Schweiz stand für stockseriös, bieder, korrekt, zuverlässig, solide. Kein Glamour, keine Angeberei, der Topbanker nahm das Tram zur Arbeitsstelle, hatte eine abgewetzte, alte Ledertasche bei sich.

Er trug Anzüge von ABM, eine grau gemusterte Krawatte war das Äusserste an Modestatement, die Gürtelschnalle war mächtig, aber billig, der Schuh ausgetreten und dunkelbraun oder schwarz. Eigentlich sah jeder Banker wie Walter Roderer aus und benahm sich auch so wie der Schauspieler in seinen Paraderollen als Buchhalter Nötzli. Der leicht verklemmte, biedere, schüchterne Bünzli, aber mit Charakter und Anstand.

Aber schon um die Jahrtausendwende hatte auch bei der SKA, die sich unnötigerweise in Credit Suisse umbenannt hatte, der Wahnsinn Einzug gehalten. Der Wahnsinn in Gestalt von grössenwahnsinnigen US-Investmentbankern, die sich für die «Masters of the Universe» hielten, sich selbst «big swinging dicks» nannten, was wir lieber nicht übersetzen wollen. Das Gleiche passierte auch bei der SBG, neu UBS.

Nicht das Geld war verrückt geworden, aber seine Götzendiener. Sie erfanden Ableitungen, Derivate, Wettscheine, die so kompliziert wurden, dass es Nerds und Quantenphysiker brauchte, um sie zusammenzulöten, mit ellenlangen Algorithmen zu jonglieren. Weder die Hersteller, noch die Anwender verstanden diese finanziellen Massenvernichtungswaffen, die Anwender wussten nur eins: aus ihnen tropfen Bonuszahlungen in unvorstellbarer Höhe. Und das Beste war: unabhängig von Verlust oder Gewinn, der einzige Massstab war der Umsatz.

Da schauten die Buchhalter Nötzli aus der Schweiz mit offenem Mund zu und begannen, auch zu sabbern und zu verdienen. Mit Oswald «Ossi» Grübel trat dann 2007 das letzte Schlachtross bei der CS ab, der noch einigermassen einschätzen konnte, welche Risiken man nehmen durfte – und welche nicht.

Sein Nachfolger wurde der eiskalte US-Investmentbanker Brady Dougan, der sich wie ein Rodeo-Reiter benahm und den Eindruck zu vermitteln versuchte, er lasse sich niemals aus dem Sattel werfen. Für ihn stimmte das, als er abstieg, war er um ein paar hundert Millionen reicher, die CS alleine an Bussen- und Bonuszahlungen um ein paar Dutzend Milliarden ärmer.

Begleitet und vermeintlich überwacht wurde das vom Juristen Urs Rohner, der zehn unselige Jahre als VR-Präsident amtierte und von Anfang bis Ende nur darauf bedacht war, selbst eine «weisse Weste» zu behalten. Dass die von Verlusten rotgesprenkelt war, das kümmerte ihn überhaupt nicht. Als er nach dem Doppelschlag Archegos und Greensill abtrat, fand er lediglich leise Worte des Bedauerns, auf die schon niemand mehr hörte.

Nach Dougan hatte er im Alleingang den Vollversager Tidjane Thiam auf den Posten des CEO gehievt. Der kassierte in seiner nur fünfjährigen Amtszeit satte 100 Millionen und stolperte über einen idiotischen Überwachungsskandal, nachdem er vergeblich versucht hatte, Rohner aus dem Sattel zu werfen. Aber ein VR-Präsident kann einen CEO entlassen, umgekehrt geht nicht.

Dann gab es ein kurzes Zwischenspiel von zwei weiteren Nulpen, bis dann die zweite Garnitur Lehmann/Körner ans Gerät ging, weil schon letztes Jahr kein erstklassiger Banker sich mehr die Finger an diesen Jobs verbrennen wollte. Und seither ging’s nur noch bergab. Dabei: was 160 Jahre lang gestanden ist, kriegt man nicht einfach mit der üblichen Menge von Fehlentscheidungen in die Knie.

Ein solches Gebilde steht wie ein altes Haus schon mal aus Gewohnheit, selbst wenn man tragende Wände rausspitzt. Trotz Umbenennung, trotz idiotischem Logo mit zwei Segeln (wohl eine Anspielung auf die grosse Seefahrernation Schweiz), trotz Geldverpulvern mit einer leichten Anpassung des Logos, trotz oder gerade wegen der Beschäftigung mit solchem Pipifax schlingerte der Tanker nicht nur, sondern bekam immer mehr Schlagseite.

Von der Kommandobrücke kamen lediglich beruhigende Geräusche, man arbeite an einer Rettungsstrategie, das ginge dann im Fall nicht von einem Tag auf den anderen, das sei dann schon ein ganz dickes Ei, das gelegt werde. Als dann mit viel Gegacker und Flügelschlagen das Ei präsentiert wurde, war es nur mit der Lupe erkennbar, dafür in den schönsten Farben der Kommunikationslehre angemalt. Aber kein Börsenhändler liess sich von einem solchen Kuckucksei überzeugen. Der Kurs kannte unaufhaltsam nur eine Richtung: nach unten.

Dann kam noch das übliche Gezeter, natürlich sei der Kurs nicht befriedigend, aber einstellig werde er niemals, ausserdem sei der Aktienkurs nicht alles im Leben einer Bank, stabil, gut aufgestellt, liquide, starke Marke, optimistisch in die Zukunft, Kurswechsel greift, alles kommt gut und besser, wir liefern, Blabla.

Das Publikum, die Investoren, die Kunden, die grossen und kleinen Besitzer der Bank fragten sich zunehmend, in welchem Paralleluniversum eigentlich die Führungscrew der Bank lebte. Und manch einer fragte sich schon, ob die wohl verbotene Substanzen oder verschreibungspflichtige rosa Pillen einwürfen.

Aber wenn der Baumstamm, der so stabil und mit dem Boden verwachsen erscheint, was er nicht ist, wenn der Baumstamm, der nicht leicht wegzuschieben ist, dennoch ins Gleiten, ins Rutschen gerät, dann ist das kein unseliges Schicksal, kein Pech, keine Verkettung unglücklicher Umstände, nichts Unvorhersehbares. Dann ist das das Resultat eines mutwilligen, fast absichtlichen Versagens der Kommandobrücke. Als hätte die sich den Befehl gegeben, den altehrwürdigen Tanker CS mit Volldampf gegen den Eisberg zu lenken. Auf Grund zu steuern, auf die Sandbank zu setzen, in die Klippen zu manövrieren.

Was bleiben wird, leider: niemand war dran schuld. Keiner hat Verantwortung. Alle werden haftungsfrei ihre Millionen geniessen.

Die oben. Die im Maschinenraum werden absaufen, wie immer. Der 50-jährige Anlageberater, die 55-jährige Sachbearbeiterin, der Kundenbetreuer, der sich schon seit Jahren die Beschimpfungen anhören musste, die die da oben verdient hätten: all die werden auf der Strasse stehen, nach dem RAV in die Sozialhilfe absinken.

Dafür fehlen die Worte. Nein, sie gäbe es, aber leider funktioniert das Legal Department, die juristische Abteilung einer Grossbank, immer bis zum Schluss …